Flugblatt: »Aufruf zur Demobilisierung. Gegen den Connewitzer Heimatschutz.«

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Im Folgenden wird ein Flugblatt dokumentiert, dass der gedankenlosen Mobilisierung gegen den geplanten Neonaziaufmarsch in Leipzig am 18. März widerspricht.

 

 

 

Aufruf zur Demobilisierung.

Gegen den Connewitzer Heimatschutz.

 

Den Leipziger Antifaschisten scheint der für den 18. März angekündigte Spaziergang einiger versprengter Neonazis mehr Segen als Fluch zu sein. Die »Provokation« wird als willkommener Anlass wahrgenommen, nicht nur den Nazis, sondern gleich auch der Polizei und der deutschen Öffentlichkeit vorzuführen, wer im Viertel das Sagen hat. Während die Partei »Die Rechte« T-Shirts mit dem Aufdruck »Leipzig bleibt Deutsch« verkauft, skandieren ihre linksradikalen Gegner der rechten Parole an Dummheit nichts nachstehend »Leipzig bleibt Rot« und sehen sich in ihrem Protest gegen den rechten Aufmarsch allen Ernstes an den »Aufstand der Pariser Kommune […] erinnert« (Aufruf: »Heraus zum 18.März!«). Nach dem desaströsen Gewaltexzess, den sich die linken Krawallbrüder und ihre Hooligan-Freunde von der grün-weißen Kiezmannschaft am 12. Dezember 2015 im Leipziger Süden geleistet haben, scheint die Vorfreude auf den erneuten Ausnahmezustand jede Realitätsprüfung des Protestsinns zu erübrigen.

 

Nicht zuletzt der enthemmte Angriff auf der Wolfgang-Heinze Straße durch hunderte Neonazis und Hooligans vor einem Jahr gilt allgemein als Bestätigung dafür, dass »der Stadtteil weit über Sachsens Grenzen hinaus für [...] offene Lebensentwürfe, Achtung der Menschenwürde ungeachtet der Herkunft [und] freie Kultur« steht und darum verteidigt werden muss (Leipzig nimmt Platz). Auch die Antifa Klein-Paris ist sich »der vergleichsweise luxuriösen Zustände in Leipzig bewusst« und ist darum überzeugt, dass die »staatliche Anti-Antifa keinen Anlass auslassen wird, um uns das Leben dafür zur Hölle zu machen«, wie sie es kurz nach dem 11. Januar 2016 verkündete. Dass ausgerechnet die traditionsreiche Kiezavantgarde von Connewitz nicht willens ist, zwischen randalierenden Neonazis und staatlichen Institutionen zu unterscheiden, ist auch darum beachtlich, da dieselben es waren, die kürzlich »Teile der antideutschen Kritik« zu mehr Differenzierung ermahnen wollten.

 

Die sächsische Regierung ist zweifellos in besonderem Maße daran interessiert, Umtriebe von Neonazis herunterzuspielen. Dies nicht zuletzt aber deswegen, weil die bundesdeutsche Öffentlichkeit dieselbe nach den Vorfällen in Clausnitz, Heidenau u.a. mehr und mehr für ihr Verhalten, respektive Nicht-Verhalten scharf kritisierte. In Folge der Ausschreitungen in Clausnitz sah sich darum auch Ministerpräsident Tillich genötigt, im Landtag zu erklären: »Ja, es stimmt: Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus und es ist größer, als viele - ich sage ehrlich: auch ich - wahrhaben wollten«.

 

Die sächsischen Verhältnisse sind, obgleich besonders hässlich,  weder repräsentativ für die gesamte Republik, noch haben Tillich und sein Kabinett das Land zum radikalen Bollwerk gegen den Antifaschismus ausgebaut oder es gar als eine »Anti-Antifa« betrieben. Vielmehr hat auch der Landesvater wie die meisten Bürgermeister einsehen müssen, dass dem Land der Ruf einer hinterwäldlerischen Neonazi-Hochburg nicht gut steht. Eine sogenannte Kritik, die nach wie vor vom »rassistischen Konsens« in Deutschland spricht und den Leipziger Süden gegen jede Realität zur Insel der Freiheit verklärt, muss mehr an ihrem Ruf auf der Straße interessiert sein, als an den deutschen Verhältnissen der Gegenwart.

Je mehr sich die klassisch linken Positionen in die öffentliche Meinung der Bundesrepublik verallgemeinern, desto fester klammern sich die einstigen Propheten an deren vermeintlichen Alleinvertretungsanspruch. Aller kollektiven Beschwörungen der sich in dieser Hinsicht in nichts unterscheidenden linken Suppe zum Trotz, ist die Ablehnung von Fremdenfeindlichkeit und Nazifaschismus längst zur bundesdeutschen Staatsräson erklärt worden und damit weder skandalös noch irgendwie radikal. Das neue Deutschland kollektiviert sich längst nicht mehr über Blut und Boden, sonder über Antiimperialismus, Friedensliebe, Ökostrom, und die Begeisterung für fremde Kulturen. Regierungserklärungen wie die Folgende dürften daher nicht einmal denen entgangen sein, die ansonsten nicht gerade durch ihre scharfsinnige Beobachtungsgabe auffallen: »Wir müssen es schaffen – als Bundesregierung ist dies unsere Aufgabe –, Hass, Rassismus, Antisemitismus und Neonazismus aus den Köpfen der Menschen herauszubekommen. Wir dürfen nicht ruhen, bevor uns dies gelungen ist. Und deshalb möchte ich all denen danken, die den Mut haben, sich in unserem Land genau dafür einzusetzen« (Angela Merkel). Auch wenn die revolutionäre Ästhetik der Mobilisierung eine andere Sprache spricht: Die Akteure des Protestes gegen den rechten Aufmarsch entsprechen, ohne es zu wollen, dem Wunsch der Kanzlerin nach einem antifaschistischen deutschen Kollektiv. Die Skandalisierung des Neonazismus ist bei aller Wichtigkeit deswegen eines ganz bestimmt nicht mehr: Eine Kritik an der deutschen Mehrheitsgesellschaft.

 

Die zahlreichen Brandanschläge auf Asylbewerberheime und Notunterkünfte sowie die in den ländlichen Regionen Ostdeutschlands wahrscheinlich unverändert große Gefahr für all jene, die dem Straßenterror der Neonazis noch nicht entfliehen konnten, kann kein Maßstab für den allgemeinen Zustand der Bundesrepublik sein. Gerade das im letzten Jahr besonders beliebte »Sachsen-Bashing« zeigt, dass antifaschistische Strafexpeditionen in die Provinz keinen Tabubruch mehr darstellen, außer vielleicht für vorwiegend ostdeutsche Dorfgemeinschaften, die den Nazimob nicht selten abfeiern und denen man dafür selbstverständlich auf die Pelle rücken muss. Der linke Antifaschismus, der sich heute einzig als Gesinnung gegen die sowieso von (fast) jedem gehassten Neonazis artikuliert, wird aber genau dann zum Problem, wenn er zur gemeinschaftsbildenden Ideologie gerinnt, die das eigene Selbstverständnis vor einer sich verändernden Realität zu bewahren versucht und schlicht zu einer freizügigeren Auslegung der Frage führt, wer als Rechts, oder zumindest als Reaktionär zu gelten hat. Diskussionen darüber, wer heute oder morgen als Sexist, Rassist oder Faschist bezeichnet werden darf, sind zu einem politischen Kampfmittel darüber avanciert, wer die Definitionsmacht über den Feind der Gemeinschaft erhält.

 

Dieser Katechismus der Antifa hat daher immer nur den historischen Nationalsozialismus vor Augen, als dessen Totenwächter er sich versteht. Da die Toten aber bekanntlich nicht wiederauferstehen, geriert sich das kriselnde linke Selbstbild nunmehr als ein Wächter über die nationalsozialistischen Heiligtümer, um sie vor unliebsamen Grabräubern zu schützen. Die wahre Triebfeder heutiger antifaschistischer Proteste ist daher meist nicht eine antizipierende Kritik der faschistischen Gefahren der Gegenwart, die eine Kritik des lustfeindlich moralisierenden Tugendterrors ebenso einschließen würde wie eine Kritik des Islams, sondern ein bloßes Gefühl dessen, was als das unumschränkt Böse zu gelten hat. Wie für diesen, gilt auch für jeden anderen Katechismus, dass er erklären muss, »daß er dem weiter nichts zu sagen habe, der nicht dasselbe in sich finde und fühle; - mit anderen Worten, er tritt die Wurzel der Humanität mit Füßen« (Hegel).

Heute ist aus dem automatisierten Wettlauf derer, die am meisten aus der Geschichte gelernt haben wollen, ein postnazistischer Gesinnungszwang entstanden, der mehr und mehr Themenfelder erfasst. Insbesondere auch die AfD scheint ohne NS-Vergleiche der »Merkel-Diktatur« nichts entgegensetzen zu können. Ist erst einmal eine politische Diskussion durch Erfahrungen aus dem Nationalsozialismus belehrt worden, so kann es keine Gegenrede mehr, sondern nur noch bekennende Antifaschisten geben. Zuletzt bekam das Plenum des Conne Island diesen Gesinnungszwang zu spüren, als es in einem Hilferuf über zunehmende Probleme mit »jungen Männern mit Migrationshintergrund« berichtete, denen das dortige Secu-Team nicht mit üblicher Entschlossenheit entgegentreten konnte, weil es sich zusätzlich mit einem »vorauseilenden Antirassismus« zahlreicher Gäste konfrontiert sah. Der anschließenden Erklärung des Plenums wurde nahezu von allen linken Banden Rassismus und schlimmeres vorgeworfen, ganz gleich, ob es sich bei der Erklärung lediglich um einen Erfahrungsbericht handelte. Eine Kritik an Deutschland, die ihren Namen auch verdient, die also im Dienste der »allgemein menschlichen Emanzipation« (Marx) steht, müsste gerade dort das Nachleben des Nazifaschismus angreifen, wo er sich als sein Gegenteil ausgibt, d.h. besonders wirksam ist. Kritik zu üben ist aber zunächst einmal das genaue Gegenteil davon, zu glauben, sich dem Gegenstand mit moralischer Überlegenheit entheben zu können und einfach draufzuhauen. Vielmehr müssten leere Bekenntnisse, Meinungen und Gesinnungen selbst im Zentrum der Kritik stehen, weil sie den Gegenstand der Kritik zu einem subjektivistischen Spielball der verschiedenen Meinungen verharmlosen, anstatt ihn in seiner notwendigen Form zu begreifen.  

 

Die Veranstalter des Protestes wollen jedenfalls von Kritik nicht das geringste wissen. Sie wissen wo sie stehen und was sie zu tun haben. Darum erklären sie gleich zu Beginn eines im Layout wohl nicht zufällig an die späten 20er erinnernden Aufrufs den Ausnahmezustand, inklusive einer deutlichen Warnung an die Einwohner des Leipziger Südens: »Mögliche gewalttätige Auseinandersetzungen werden nicht stattfinden, wenn Sie zusammen mit ihren Nachbar_innen auf der Straße stehen. Wo Sie sind, ist kein Platz für Neonazis. Wo Sie sein werden, braucht es keinen militanten Widerstand gegen den Aufmarsch der Rechten«. Anders ausgedrückt, drohen die selbsternannten Kiezwächter den Anwohnern: »Wenn ihr euch uns, der antifaschistisch legitimierten Straßenkampftruppe nicht anschließt, dann werden wir gewalttätig und fackeln womöglich auch eure Karre ab! Wenn jemand auf der Wolfgang-Heinze Straße randaliert, dann sind wir das und niemand anderes!« Auf die knallharte Drohung an mögliche Abweichler folgt ein Versprechen an die restlichen Einwohner, in deren Auftrag sich die linke Bürgerwehr wähnt. Die Anwohner werden aufgefordert, ihren »Sperrmüll auf die Straße zu stellen«, denn »so braucht es keine Mülltonnen«. Die »Barrikaden«, so wird ergänzt, »verletzen keine Menschen und dienen dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit«. Selbstverständlich, so muss ergänzt werden, gilt dieser Schutz jenen nicht, die in den kollektiven Schlachtruf nicht einstimmen wollen. Die autoritäre Tradition von Kiezregeln, Kiezverboten, Redeverboten und Patrouillen durchs Viertel wurde kürzlich an einer Aktion exemplarisch bei der gegen die linke Generalmobilmachung im Leipziger Süden plakatiert wurde. Auf den Plakaten war u.a. gegen die »Gewaltphantasien kleiner Jungs« polemisiert wurden. Kurzerhand tauchten Name und eine zum Glück nicht aktuelle Adresse einer möglichen Verdächtigen inklusive einer Aufforderung zu Hausbesuchen auf der linken Propaganda-Plattform Indymedia auf.

 

Wenn der Hass auf den Staat proportional mit dem Herrschaftsanspruch auf das eigene Wohngebiet wächst und die Polizei, Abweichler und Kritiker schlicht zur faschistischen Bedrohung hinzugezählt werden, vor denen es sich zu schützen gilt, und dieser Quatsch zu allem Elend auch noch mit historischen Vergleichen zu legitimieren versucht wird, dann steht es wahrlich nicht gut um den Antifaschismus. Vielleicht sollte man sich dann einfach mit einem guten Buch in ein entferntes Café setzen und die infantilen Möchtegern-Revolutionäre ihren Bürgerkrieg spielen lassen, bis sie vielleicht irgendwann zur Besinnung kommen oder verhaftet werden.

 

 

Anonyme Abweichler

Leipzig, März 2017

 

 

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