Gedanken zu Legalprognosen und hingehaltenen Stöckchen

 

Gedanken zu Legalprognosen und hingehaltenen Stöckchen

Immer wieder wird im Rahmen des sogenannten Parkbank-Verfahrens gegen drei Anarchist*innen in Hamburg bezüglich einzelner Briefe, die aus dem Knast geschrieben wurden, seitens der Staatsanwaltschaft angeregt, sie als Kopie zur Akte zu nehmen, sie also zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Meist geht das Gericht diesen „Vorschlägen“ nach. Die Begründungen sind immer anmaßend, aber nie überraschend. Mal geht es darum, Argumente für etwaige Fluchtgefahr zu konstruieren, oder darum – wie in einem aktuellen Fall – dass ein Brief „Hinweise auf die ideologische Einstellung des Verfassers“ enthalte und „daher von indizieller Bedeutung für eine etwaige Tatmotivation des Angeklagten sowie eine gegebenenfalls für seine Person zutreffende Legalprognose“ sein könnte.

Nun sind das alles Fragen juristischer Natur und es ist so naiv wie müßig, sich über die ausgesprochen beliebigen Auslegungen zu empören. Es ist allerdings gar nicht so einfach, sich diese feindlichen Kategorien vom Leib zu halten. Insbesondere im Gefängnis fällt das schwer, wo praktisch jeder Atemzug mit irgendeinem Paragraphen zu tun hat. In einer Situation, in der ein Mensch in solchem Maße permanenter Kontrolle und Überwachung ausgesetzt ist, wird das Verhalten schnell ein Stück weit dieser Realität angepasst. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, sich diese Maßstäbe zu eigen zu machen, vor ihnen zu kapitulieren und sie mit dem eigenen Verhalten zu legitimieren. Manchmal scheitert‘s gewiss an den Umständen. Die Behauptung absoluter Kohärenz von Anspruch und Praxis bleibt eben denjenigen vorbehalten, die keine Praxis haben. Sich angesichts dieser fortgesetzten Angriffe aber schlicht gar nicht zu verhalten, ist auch keine befriedigende Option. Handlungsfähigkeit zu entwickeln ist eben immer auch ein Versuch. So ein Versuch ist dieser Text, der sicher keine Antworten liefert, sondern eher Fragen aufwerfen will in einer Diskussion zum Umgang mit Repression und inwieweit es gelingen kann, diesen Umgang mit einem revolutionären Anspruch in Einklang zu bringen.

 

Es sagt etwas über die Logik der Justiz aus, wenn eine eindeutige Position zum Begriff der Freiheit Schlüsse darüber zulassen soll, ob jemand in Zukunft Straftaten begehen wird. In dem gegenwärtig in Rede stehenden Brief heißt es:

 

„...Freiheit für alle gibt es nicht ohne Solidarität, Kommunikation, gegenseitige Hilfe – und Konflikt. Die Entschlossenheit zum permanenten Konflikt mit der Macht und die enthusiastische Aufgeschlossenheit der Komplexität des Projekts der Freiheit gegenüber, bedeutet für mich, Anarchist zu sein.“

 

Die Formulierung der Staatsanwaltschaft, diese Zeilen würden „Hinweise auf die ideologische Einstellung des Verfassers“ enthalten, reiht sich nahtlos ein in den tendenziösen, vereinfachten Duktus, der sich durch die gesamten Ermittlungen zieht. Logischerweise – hier ermitteln nun mal Kriminalbehörden – wird sich ausschließlich kriminalistischer Kategorien und Sprache bedient. Wer in Zitaten von Erich Mühsam auf dem Schreibtisch oder eben Texten wie dem oben zitierten „Hinweise auf ideologische Einstellung“ sucht, kriminalisiert Ideen und presst Individuen in simplifizierte Feindbild-Narrative.

 

Es ist, wie so oft im Umgang mit der Herrschaft, ein erstaunlich verzerrtes Selbstbild dieser, bei ihren Feind*innen ideologische Einstellungen zu suchen, wo Ideologie wohl am ehesten ihren starren, kleinen Kosmos umschreibt, in den sie alle anderen zwängen will.

 

Diese konkreten Mühen der Ermittelnden betreffen natürlich längst nicht bloß Revolutionär*innen - es wird auch schon mal das „Scarface“-Poster im Zimmer eines vermeintlichen Drogenhändlers zum Nachweis der delinquenten Neigung dokumentiert.

 

Und ist gerade mal keine einfache Schublade greifbar, die die soziale Misere der herrschenden Ordnung als Ursprung von Konflikten und Gesetzesbrüchen verschleiern kann, werden kurzerhand neue Kategorien erfunden. Seien es angebliche Mitglieder einer „Türsteher-Szene“, wie in Ermittlungen gegen Opfer der rassistischen NSU-Morde, oder kürzlich die „Party-Szene“ in Stuttgart und Frankfurt am Main, die sich angeblich „ganz ohne Grund“ und nicht etwa in Solidarität gegen Bullenkontrollen, gegen die uniformierte Autorität gerichtet und randaliert hat. Natürlich sind die Kategorien der Ermittlungsbehörden und Justiz genauso stigmatisierend und diskriminierend, wie die Welt, die sie verteidigen.

 

Letztendlich werden sich die Behörden weiterhin mehr für die Besucher*innen anarchistischer Diskussionsabende als von Mafia-Film-Vorführungen interessieren. Dass die Beschäftigung mit revolutionären Idee ihnen als Verdachtsmoment gilt, ist nicht neu. Und es bleibt richtig, dies zu benennen. Doch werden aus diesen Umständen seitens der Betroffenen oft zweifelhafte Schlüsse gezogen. Und: Kriminalisierung fängt nicht erst bei strafrechtlicher Verfolgung, sondern bereits bei der Betrachtung von Phänomenen durch die kriminalistische Brille der Herrschaft an. Sich diese Perspektive zu Eigen zu machen und zum Beispiel bewerten zu wollen, was nun beispielsweise kriminell sei und was nicht, birgt eben die Gefahr, diese Sichtweise und Denkmuster zu legitimieren. „Legal, illegal, scheißegal“ ist ein einfacher, hilfreicher Merksatz, in dem bei genauer Hinsicht mehr steckt, als (ohnehin ehrbare) Punk-Attitude.

 

Wir sollten uns gegen die Kriminalisierung unserer Ideen, Sprache, Beziehungs- und Organisationsformen zur Wehr setzen. Nicht weil wir besorgt sind um unseren „guten Ruf“ oder einen Platz am Runden Tisch. Es gibt wirklich keinen Grund zur Rechtfertigung oder Scham, wenn sie meinen, ihre Gesetze gegen uns verwenden zu müssen. Sondern weil die Kriminalisierung ein Versuch der Einordnung in die Logik der Herrschaft bedeutet. Wenn wir mit Empörung und gefallsüchtigen Erklärungen auf einen solchen Diskurs erst einsteigen, begeben wir uns auf Terrain, das von Maßstäben bestimmt ist, die wir zurecht ablehnen und auf dem das selbstbestimmte Agieren schwer bis unmöglich ist.

 

Es gibt gegenwärtig sehr gute Beispiele dafür, wie wichtig eine Sensibilität für Versuche der autoritären Vereinnahmung sein kann. Die Polizeibehörden und ihre Verbündeten selbst sind es, die der für sie potenziell existentiellen Gefahr einer breiteren Dynamik gegen rassistische, gewalttätige Bullerei, ein regelrechtes diskursives Sperrfeuer entgegensetzten.

 

Es hat Gründe, dass in den letzten Monaten weit mehr über Begriffe wie „Pressefreiheit“ und „Migrationshintergrund“ gesprochen wurde, als über die eigentlich im Raum stehende Frage, wie wir die Polizei endlich aus unseren Leben vertreiben können. Erfreulicherweise wird sich der Antwort dennoch an nicht wenigen Orten praktisch genähert. Was derzeit in den USA geschieht, ist diesbezüglich sehr aufschlussreich. Natürlich ist für die Autoritäten nicht die Ermordung eines Schwarzen durch die Bullen das eigentliche Problem, sondern die massenhafte, wütende Reaktion. Am Beispiel der Dynamik in Nordamerika wird gerade sehr deutlich, dass es einen Unterschied macht, auf welchen Diskurs sich eingelassen wird. Viele Leute sind es offensichtlich satt, sich die immer gleichen Debatten über Gewalt, politische Forderungen und Rechte vorschreiben zu lassen. Vielerorts wurde verstanden, dass alle Vorschläge, die nicht über den Rahmen autoritärer Verwaltung der sozialen Misere hinausweisen, die Abhängigkeit vom Staat und seinen Strukturen nur noch vertiefen werden. Es gilt eben eine grundsätzliche Entscheidung zu treffen. Nämlich ob sich damit zufrieden gegeben wird, den Preis für die Schweinereien lediglich in die Höhe zu treiben, sodass es im Interesse der Macht liegt, Zugeständnisse zu machen, weil ihnen sonst der Laden immer wieder auseinanderfliegt. Und sich, so es hier verbleibt, einem Konzept der Gegenmacht verschrieben wird, welches vielleicht, im besten Fall, die unmittelbaren Lebensumstände einiger verbessern kann, aber nie grundsätzlich etwas an der Situation der Unterworfenheit ändern wird. Oder ob darüber hinaus das Risiko eingegangen wird, die faulen Kompromisse zurückzuweisen und die Ursachen der Misere anzugehen, in Anerkennung des Umstandes, dass damit die Komfortzone der einfachen Antworten und Allgemeinplätze aufgegeben werden muss.

 

 

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