Achim bei Bremen: Amazon-Baustelle sabotiert

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Amazon-Baustelle sabotiert!

Ende letzten Jahres hat Amazon den Kaufvertrag für eine Gewerbefläche an der A27 in Achim abgeschlossen. Wer sich jetzt dorthin begibt, sieht riesige Kräne und anderes schweres Gerät in die Luft ragen, die eine gigantische Halle aus Stahl und Beton aus dem Boden stampfen. Dort, wo vor kurzem noch eine Brachfläche war, werden zukünftig 2.000 Menschen unter stetiger Überwachung in einer fensterlosen Halle einer schlecht bezahlten Arbeit nachgehen – nur, um dann bald ganz von Robotern ersetzt zu werden. Arbeitsämter reiben sich die Hände, dass sie massenweise Menschen in die Arbeit bei Amazon zwingen können.
Das neue Logistikzentrum ist wichtig für Amazon, um zusammen mit dem deutlich kleineren Verteilerzentrum in Bremerhaven, den Großraum Bremen/Oldenburg/Bremerhaven schneller beliefern zu können. Das Land Niedersachsen trägt dabei die Kosten der Verkehrsanbindung und anderer Infrastruktur und reiht sich damit in die entwürdigende Praxis ein, mit der sich Städte und Kommunen auf der ganzen Welt mit ihren Geschenken an den Konzern übertrumpfen.

Wir haben uns entschieden, den Bau nicht ganz reibungslos vonstatten gehen zu lassen. In den frühen Morgenstunden des 30.Juli 2020 haben wir mit 20 Liter eines Gemischs aus Benzin und Diesel und mehreren Brandsätzen auf der Baustelle Feuer gelegt und einen 40 Meter hohen Kran angezündet. Anstatt uns dem scheinbar Unvermeidlichen hinzugeben, haben wir uns entschlossen, in den toten Winkeln der Bau-Watch Kameras mit ihrem durchdringenden grünen Lichtschein und außerhalb der Blicke der Securities, die diese Baustelle Tag und Nacht bewachen müssen, zum unkalkulierbaren Risiko für das kybernetische Kapital zu werden.

Überwachung und technologischer Zugriff

Herrschaft, Überwachung und die Ausbeutung von Menschen organisieren sich zunehmend durch Zugriffe großer Konzerne. Ihre digitalen Netze, Algorithmen und Technologien sind kaum mehr wegzudenken und durchdringen all unsere Lebensbereiche. Sie beeinflussen unser Leben, unseren Alltag, unsere Gefühle, unser Denken, unsere Kommunikation und unsere sozialen Beziehungen. Der technologische Angriff zielt damit auch auf alles, was sich bisher der kapitalistischen Verwertung widersetzt hat. Eine Dystopie, die ihrer Vollendung entgegenstrebt: Unendliche Datenmengen werden gesammelt, selektiert, ausgewertet und analysiert, sodass ein lückenloser Einblick in die gesellschaftlichen und sozialen Prozesse in Echtzeit garantiert ist. Diese sollen gesteuert werden, um Entwicklungen und (Un-)Regelmäßigkeiten vorhersagen zu können. Kleine Veränderungen und Erschütterungen auf dem fragilen Wirtschaftsmarkt können sich auf die eigene Vormachtstellung im Rennen um den größten Profit auswirken.
Die gegenwärtige technologische Entwicklung ebnet den Weg für eine Smartifizierung des gesamten Lebens. Dabei beinhaltet der Wirtschaftserfolg von IT-Riesen wie Amazon, Apple, Google, Facebook & Co. selbstverständlich auch, dass Lohnausbeutung optimiert wird. Gleichzeitig verspricht eine auf Algorithmen basierende Kriminalitätsprävention reibungsloses Regieren und ein Herrschen und Verwalten, was sich meist in gänzlich unsichtbarem, dezentralen und sogar umweltbewusstem Outfit geriert. Hier einige Beispiele.

Gesundheitsmarkt und humane Technologie

Amazon breitet sich auf allen Märkten und in alle Lebensbereiche aus. Investitionen in die sogenannte Share-Economy laufen zeitgleich mit der Gründung einer Krankenversicherung. Der Einstieg in den Gesundheitsmarkt war und ist vielversprechend.
Günstigere Tarife oder Boni für Versicherte dienen hier als Anreiz möglichst viel (zum Beispiel über eine Smart Watch) über sich und sein Verhalten Preis zu geben. Informationen über Blutzuckerwerte, die Anzahl der Schritte pro Tag bis hin zum Alkoholpegel werden über digital devices direkt an die Krankenkasse weitergegeben. Wer zum Beispiel raucht, wird einen höheren Krankenkassenbeitrag zahlen müssen. Jeder Mensch ist für seine Gesundheit selbst verantwortlich. Das Solidarprinzip der Krankenkassen wird damit vollends ausgehöhlt. Das Geschäft im Gesundheitssektor ist mittlerweile die zweitgrößte Einnahmequelle für Amazon.

Kriminalitäts“prävention“

Die Gesichtserkennungssoftware „Rekognition“ von Amazon ist eine rassistische und unzuverlässige Überwachungstechnologie, die insbesondere von der US-amerikanischen Polizei eingesetzt wird. In der Praxis kommt es immer wieder besonders bei BPOC (Black People of Color) zur Verfälschung der Ergebnisse, mit der Folge, dass sie viel öfter kriminalisiert, also kontrolliert, festgenommen oder inhaftiert werden. In den USA haben mehr als eintausend Polizeireviere eine Partnerschaft mit dem Amazon-Konzern und verwenden seine Überwachungstechnologien. In Deutschland wurde der Einsatz von Gesichtserkennungssystemen aufgrund technischer Probleme und datenschutzrechtlicher Hürden zunächst ausgesetzt und die Nutzung bei der Polizei auf ein weiteres Jahr verschoben. In den USA gehen wöchentlich weitere Polizeireviere Partnerschaften mit Amazon ein.

Wenn wir den technologischen Angriff bekämpfen wollen, müssen wir uns selbst sabotieren!

Eine Entmachtung oder gar Vergesellschaftung der großen Tech-Unternehmen und Global Player wie Amazon, Apple, Facebook oder Google scheint kaum möglich. Eine Reformierung oder eine „sozial verträglichere“ Gestaltung dieser Unternehmen halten wir für falsch, da ihre Macht zu groß und die ihr inne wohnenden Ideen und Menschenbilder unserem Freiheitsbegriff diametral entgegenstehen. Wir halten den Wunsch jeden Gedanken des Menschen, jede soziale Beziehung und auch den kleinsten Schritt in Arbeitsabläufen ausleuchten und kontrollieren zu wollen für gefährlich. Wenn diese kleinsten Teilchen dann auch noch gesteuert und an ein vorgegebenes Äußeres angepasst werden sollen, ist das gewalttätige Herrschaft in Reinform!

Trotzdem ist uns natürlich klar, dass auch wir und unser Alltag durch Technologien strukturiert und vielfach durchdigitalisiert sind.
Ein großer Teil linksradikaler Zusammenhänge organisiert sich über Messenger. Wenn Dinge, die man kaufen will, im Laden doppelt so teuer sind, dann bestellt man sie bei Amazon und nutzt damit die ausbeuterische Struktur dahinter. Picker*innen, Packer*innen, Lieferant*innen arbeiten auch für oder wegen uns unter miserabelsten Bedingungen. Ganz zu schweigen von den Orten der Produktion...
Die eigene Rolle und Verantwortung in der Kritik nicht zu verkennen und die eigene Verwobenheit und Abhängigkeit nicht zu leugnen, finden wir wichtig. Wir sind Teil dieser Gesellschaft und damit auch Teil des Problems. Das ist nichts Neues.
Aber gerade deshalb ist es sinnvoll zu handeln und selbst zu gestalten. Innehalten, off-sein und mal Sand ins eigene Getriebe schütten, gehört genauso dazu wie die Zerstörung und Abwehr des technologischen Angriffs. Reden wir von der Zerstörung des Technologischen Angriffs, müssen wir uns auch selbst sabotieren!

„TECHNOLOGIEKRITIK IST HERRSCHAFTS- UND ZIVILISATIONSKRITIK – KEIN PRIMITIVISMUS!
Wir fällen nicht das lächerliche Urteil, dass die Technologie „schlecht“ ist. Aus welcher – ohnehin historisch bedingten – Ethik heraus denn auch? Wir sagen, sie ist Gewalt und sozialer Krieg.“
(aus „digitale selbstbestimmung“ vom redaktionskollektiv capulcu)

Unser Angriff von außen

Wir wissen, dass unser Angriff nur eine (kleine) Sabotage ist, die den Bau des Logistikzentrums von Amazon etwas verzögert und die Kosten um wenige hunderttausend Euro in die Höhe treibt. Doch wissen wir auch, dass sich viele in einem solchen Akt des Widerstands gegen den technologischen Angriff auf unsere Körper, unsere Arbeitskraft, unsere Freizeit und unsere Beziehungen wiedererkennen werden. In diesem sich Wiedererkennen, in der Wut, in der Entschlossenheit und dem Tatendrang liegt ernstzunehmendes Potential.
Und weil auch wir uns in den Angriffen anderer wiedererkennen, möchten wir zum Schluss an unser Kommunikee einen Teil eines Schreibens übernehmen, mit dem sich am 1. Februar 2019 zu einem koordinierten Angriff auf Amazon Fahrzeuge, das Amazon Development Center Germany in Berlin-Mitte und dessen Chef, Ralf Herberich, bekannt wurde:

Arbeit im disruptiven Kapitalismus

„Die miserablen Arbeitsbedingungen und Amazons „Innovationen“ auf dem Gebiet der prekären Arbeitsverhältnisse sind bekannt. In den Logistikzentren, vom Konzern Fullfillment-Center genannt, gibt es permanente Kontrolle und „Optimierung“ der Abläufe. Von der Überwachung der Handscanner bis zur gegenseitigen Bewertung und dem bewussten Ignorieren von Sicherheitsstandards lastet auf den Arbeiter*innen ein enormer Druck. So lohnt es sich oft nicht mal in den Pausenzeiten den Weg zum Pausenraum zurückzulegen und Pausen zu verlängern kommt für Picker*innen und Packer*innen meist auch nicht in Frage. Jeder Handgriff und jeder Schritt im Lager wird haargenau überwacht.
Auch die meisten der 200.000 Paketzusteller*innen in Deutschland arbeiten unter miesen Bedingungen für diverse (Sub-)Unternehmen mehr oder weniger indirekt, aber auf jeden Fall sehr flexibel, für Amazon. Amazon Flex, heißt die App, mit der man sich als Scheinselbstständiger den hoffentlich nächsten Lieferauftrag ans Land zieht. Die Route zur Zieladresse wird dann vorgegeben.
Bei Amazon Mechanical Turk, der ersten Klickworking Plattform, wurden sämtliche Arbeitsrechte umgangen. Auf der Plattform werden sogenannte Mikroaufgaben à z.B. 10 Cent vergeben. Beim stupiden Aussortieren unangemessener Inhalte oder beim Produktbewertungen schreiben werden dann Screenshots und Arbeitstempo aufgenommen.

(Arbeits-)kampf gegen die vierte Industrielle Revolution

Die Gewerkschaft ver.di führt derweil für die 14 000 Arbeiter*innen aus 12 Logistikzentren einen bisher erfolglosen Tarifstreit. Trotz „Union-Busting“, immensen Organisierungshindernissen und hoher Fluktuation der Belegschaft in den Lagern haben am Schnäppchentag „Black Friday“ 2017, nach ver.di Angaben, ca. 10% der Arbeiter*innen an sieben deutschen Lagerstandorten und jeweils an einem in Italien und Polen einen Streik organisiert. Dazu haben solidarische Leute und Gruppe versucht das Amazon-Prime-Logistikzentrum am Kurfürstendamm in der Berliner Innenstadt zeitgleich zu blockieren, leider ohne nennenswerte Verzögerungen zu verursachen.
Ralf Kleber, Amazon-Deutschland Chef, behauptete mal: „Wenn Glatteis ist, juckt uns das weit mehr, als wenn ver.di zum Arbeitskampf aufruft“.
Er hatte Recht, doch wieso können (lokale) Streiks nicht mehr den gewünschten Druck ausüben? Die Automatisierung der Lastenverteilung zwischen den Warenlagern über Landesgrenzen hinaus ermöglicht es Unterbrechungen, wie z.B. durch Streiks, so weit aufzufangen, dass die Lieferzeiten wie gewünscht sehr kurz gehalten werden und in der Öffentlichkeit jede Auswirkung des Streiks fast unsichtbar bleibt. Das Stören des reibungslosen Betriebs wird hier durch „intelligente“ Algorithmen erschwert bis unmöglich gemacht. Amazon ist Vorreiter auf dem Feld dieser Automatisierung, welche hier einen direkten Angriff auf die Arbeiter*innen und ihre Möglichkeiten des regulierten Arbeitskampfes darstellt. Doch trotz und gerade wegen dieser besorgniserregenden Entwicklungen ist es wichtig die Initiative zu ergreifen. Dass bisherige Streiks solchen Konzernen keinen ernstzunehmenden Schaden zugefügt haben, macht sie nicht überflüssig. Es zeigt eher, dass es notwendig ist mit größerer Vehemenz und „radikaleren“ Mitteln zu kämpfen, das könnte beispielsweise mehr direkte Aktionen heißen, wilde internationale Streiks und dafür eine internationale Vernetzung weiter voranzubringen. Sabotage und militante Interventionen (von außen) oder die Idee eines europäischen Generalstreiks wie es die Spanischen Genoss*innen vorschlagen (https://makeamazonpay.org/2018/05/17/675/) könnten da genauso andocken, wie Ideen für die Sabotage an den Algorithmen bzw. an dem Internet of Things durch falsch einsortierte Pakete oder ähnliches. Eine Kombination aus traditionellen und neuen Mitteln gegen die neue digitalisierte Arbeitswelt ist wahrscheinlich am vielversprechendsten im (Arbeits-)Kampf gegen ein disruptives Technologie-Unternehmen wie Amazon.“

Das ganze Schreiben findet ihr hier: https://chronik.blackblogs.org/?p=9514

In diesem Sinne Grüße wir all diejenigen, die in Berlin gegen den Amazon-Tower kämpfen, die in Queens die Ansiedlung eines Headquarters verhindert haben, in Staffordshire gleich dreimal in Folge am Black Friday das lokale Verteilerzentrum angezündet haben, die in Tübingen das Cyber Valley-Projekt bekämpfen...Wir grüßen alle, die nachts losziehen, um Amazon-Locker, Lieferautos, Baustellen, Büros, Drohnen und Datencenter zu sabotieren. Genauso grüßen wir alle wütenden Arbeiter*innen, die sich unhaltbare Arbeitsbedingungen nicht gefallen und sich schon gar nicht in den gigantischen kybernetischen Apparat des globalen, digitalisierten Kapitalismus eingliedern lassen.

Und eins wollen wir noch sagen: Wer sich entscheidet, zur Tat zu schreiten, kommt in den Genuss festzustellen, dass manches, was uns im Alltag unbezwingbar erscheint, von Nahem betrachtet, etliche wunde Punkte offenbart unserer Courage schutzlos ausgeliefert sind. Es gilt wie immer die alte Regel der Einbrecher*innen: Immer zuerst nachschauen ob die Türe unverschlossen ist...

Eine Umarmung an alle Gefangenen und an alle, die von Repression, Überwachung und Hausdurchsuchungen betroffen sind.

Einige Saboteur\innen

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