Bürgernahes Taktieren oder autonome Abgrenzung?

Für die Bewegung der außerparlamentarischen Linken zeichnen sich zwei Tendenzen politischer Öffentlichkeitsarbeit ab: eine eher bürgernahe Variante im Stile von Blockupy oder der Interventionistischen Linken. Und eine eher autonome Variante, die bewusst auf Abgrenzung setzt. Wie gestalten sich diese beiden Stile politischer Öffentlichkeitsarbeit? Welche psychologische Wirkung erzielen sie? Wie kann sich linke Öffentlichkeitsarbeit heutzutage gestalten, gerade unter dem Aspekt der gesellschaftlichen Marginalisierung?

 

 

Flyer, Demonstrationen, Infostände, Vorträge. Politische Öffentlichkeitsarbeit zeigt sich in vielen Formen. Selbst wenn sich Autonome eine Straßenschlacht liefern, steht auch dahinter das gleiche bewusst gesetzte Ziel: die Aufmerksamkeit der Medien. So rufen die verschiedenen Formen politischer Agitation teilweise hoch unterschiedliche Ergebnisse hervor. Für die Bewegung der außerparlamentarischen Linken zeichnen sich dabei zwei Tendenzen politischer Öffentlichkeitsarbeit ab: eine eher bürgernahe Variante im Stile von Blockupy oder der Interventionistischen Linken. Und eine eher autonome Variante, die bewusst auf Abgrenzung setzt. Wie gestalten sich diese beiden Stile politischer Öffentlichkeitsarbeit? Welche psychologische Wirkung erzielen sie? Wie kann sich linke Öffentlichkeitsarbeit heutzutage gestalten, gerade unter dem Aspekt der gesellschaftlichen Marginalisierung?

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Der Flirt - das Prinzip von Öffentlichkeitsarbei

 

Jede Öffentlichkeitsarbeit funktioniert nach einem bestimmten Prinzip, ganz gleich ob sie von Linken ausgeübt wird oder von Greenpeace, von Coca-Cola oder der CDU. Es geht nicht darum, wer die besseren Argumente hat. Sondern wie sie verpackt sind. Das Prinzip der Öffentlichkeitsarbeit ist gut mit einem Flirt vergleichbar. Sollte ein Aktivist einen fremden Passanten mit Flugblättern bedrängen, ihn krampfhaft versuchen von sich zu überzeugen und regelmäßig so viel Aufsehen um sich erregen, bis die Polizei kommt? Dieser Aktivismus entspräche dem Liebhaber-Typus eines um Aufmerksamkeit bettelnden Stalkers, der mit Liebesbriefen statt Flyern bedrängt. Oder lernt der Aktivist den Mitmenschen in der gemeinsamen Flüchtlingsinitiative kennen? Anders ausgedrückt: kommen wir auf die Mitmenschen zu oder kommen wir aufeinander zu, weil wir ein gemeinsames Interesse haben? Wie beim Flirt muss ein politischer Aktivist dabei zuerst mit oberflächlicheren Inhalten anfangen, sich lieber vorsichtiger und gewählter ausdrücken, bevor er nach und nach in die Tiefe gehen kann. Denn wir alle wissen, dass linke Erklärungsmuster meist komplexer sind, und viel mehr Taktik bedürfen. Im Gegensatz zu konservativen und rechtsoffenen Inhalte, die sich durch die „besseren“, weil einfacheren Argumente auszeichnen. Das Falscheste was ein Aktivist tun kann, um seine Ideen zu verbreiten, ist die gefühlsvolle Taktik der revolutionären Ungeduld zu opfern. Es ließe sich auch anders benennen. „Bürgernähe“ versus „autonomer Habitus“ beispielsweise. Der elegante Charmeur und der plumpe Teenie.

 

Sehen wir uns ein Beispiel an, werfen wir einen genaueren Blick auf das Konzept „Revolution“. In wie vielen Aufrufen und Broschüren wird sie gefordert und auf wie vielen Demos wird die Revolution herbeigebrüllt. Dabei wirkt sie alleine schon des Wortes wegen völlig überzogen und auch aggressiv, eine Aggressivität, mit der sich der  Mensch aber nicht identifizieren kann. Fragt doch mal eure Eltern, was sie davon halten. Die Forderung nach eine Revolution wird viel mehr als „pubertär“ eingeordnet, als naiv-utopische Spinnerei. Das ist ja auch klar, schließlich fehlt dafür die nötige breite Mehrheit. Die Idee einer Revolution der Massen ist eine Idee der fernen Zukunft, ohne eine vorhandene Massenbewegung kann sie momentan gar keine Relevanz darstellen, das ist ein Faktum. Hört ein Mensch das Getöse von der Revolution, so wird ihm schon unterbewusst suggeriert: an diesem Gefasel, da muss irgendwas dran faul sein!

 

 

Die Utopie verbreiten?

 

Warum sollte ein Mensch sich denn überhaupt mit radikal-linken Ideen auseinandersetzen? In den westlichen Ländern dominieren materiell betrachtet immer noch stabile Lebensverhältnisse, auch wenn dort die ökonomische Schere sich zunehmend öffnet. Gesetzlich sind ihm so viele individuelle Freiheiten wie noch nie in der Geschichte garantiert. Die Zusammenhänge zwischen „Erster-Welt-Reichtum“ und „Dritter-Welt-Misere“ betreffen ihn nicht persönlich und werden mit dem Verweis auf endogene Entwicklungstheorien gerne noch mit einem Mangel an Liberalisierung erklärt. Ohnehin haben sich die politischen Prozesse massiv verkompliziert, Ratlosigkeit und Fatalismus haben Einzug erhalten. Kriege kennt er nur aus dem Fernsehen und mit Antagonismus identifiziert er die Machtverhältnisse in Tolkien´s  Mittelerde. Es ist kein Zufall, dass alle marxistisch inspirierten Politiker, von Gysi bis Wagenknecht, sich zurückhaltend nur als „demokratische Sozialisten“ bezeichnen. Das ist für sie auch sicherlich besser so.

 

Dazu kommt das viele Halb- und Falschwissen, das über die Vorstellungen radikaler Linker kursiert. Die kommunistische Idee wird als Realsozialismus sowjetischer Prägung gleichgesetzt. Der Bewegung wird ein naives Menschenbild unterstellt, die differenzierte Sichtweise vom Menschen als Ensemble seiner gesellschaftlichen Verhältnisse ist hingegen nicht bekannt. Die Extremismusdoktrin, die Vorurteile über die anarchistische Theorie und Bewegung, undsoweiter - all das prägt ein schlechtes Gesamtbild von linker Politik. Sei es Um´s Ganze, die DKP oder subkulturelle Autonome, sie alle ignorieren diese Tatsache und präsentieren offen eine konkrete Utopie. Aber wer stellt schon beim ersten Date einen Heiratsantrag?

 

Sämtliche öffentliche Positionierungen, die positiven Bezug zu marxistischen oder anarchistischen Idealen nehmen, diskreditieren sich selbst. Das ist eine Wahrheit, die vor allem viele Autonome immer noch nicht verstanden haben. Linke bzw. radikal-linke Öffentlichkeitsarbeit hat es schwer. Umso mehr gilt es darauf zu achten, dass sie sich inhaltlich und rhetorisch taktisch gestaltet, sie darf keinen direkten Bezug auf die Utopie nehmen, nur so hat sie die Chance, Erfolg zu haben.

 

Kapitalismuskritik und mikrorevolutionäre Programme

 

Wir dürfen nicht fragen, welche Inhalte wir vermitteln wollen, sondern welche wir vermitteln können. Und hier ist klar: es gilt nicht die Utopie, sondern die gegenwärtige kapitalistische Systematik zu erklären! Die Systematik von Inwertsetzung, Tausch, Konkurrenz usw. Überspitzt formuliert kann man sagen: Lieber ein Vortrag zur Bankenkrise als über Spanien 1936.

Hier bieten auch vorübergehende Reformen wie das Bedingungslose Grundeinkommen mögliche Anknüpfungspunkte für politische Agitation. Das ist nicht als Plädoyer für Reformismus zu verstehen, der Fokus muss selbstverständlich auf Reformen mit besonders radikalem Charakter liegen. Weitere denkbare Themen sind zum Beispiel Regionalwährungen, Genossenschaften oder die schon öfter diskutierte Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Solche Reformprogramme, welche eher als Mikrorevolutionen zu verstehen sind, treffen in der Gesellschaft auf mehr Resonanz. Dadurch gewinnen linke Ideen an Akzeptanz und die Bewegung wird größer, was der Idee der Revolution schrittweise ihren utopischen Charakter entzieht.

 

Die Lasswell-Formel. Ein Analyseinstrument.

 

Wie werden die Inhalte wahrgenommen, die vermittelt werden? Warum werden sie so wahrgenommen? Werden sie überhaupt bewusst wahrgenommen oder nur passiv konsumiert und wieder vergessen? 1948 entwickelte Harold D. Lasswell ein Modell, das bis in die 60er-Jahre die kommunikations- und medienwissenschaftlichen Debatten bestimmte. Zwar lässt dieses einseitig-lineare Modell Wechselwirkungen zwischen Kommunikationsteilnehmern außer Acht, doch ist es als grundlegendes Modell gut geeignet, um Kommunikationsprozesse zu untersuchen. Zwei Tendenzen kristallisieren sich hierbei heraus. Die eher bürgernahen, gefühlsvollen, taktischen Formen der Öffentlichkeitsarbeit und die revolutionär-ungeduldigen, missionarischen, eher autonomen Formen.

 

"Who says what in which channel to whom with what effect?“

Diese Fragen lassen sich in einzelne Fachbereiche aufteilen, die Lasswell selbst „mit den Begriffen control analysis (WER), content analysis (sagt WAS), media anlaysis (in welchem KANAL), audience analysis (zu WEM) und effect analysis (mit welchem EFFEKT)“ bezeichnet.

 

Befassen wir uns mit einem fiktiven Negativbeispiel. Ein Passant läuft über den Marktplatz. Es findet eine Demonstration statt, mit 500 Teilnehmern zum Thema „Recht auf Stadt". Ein schwarz-gekleideter Autonomer drückt ihm einen Flyer in die Hand. Dort wird in einer akademischen Sprache der Prozess der Gentrifizierung erklärt. Der Flyer schließt mit der Floskel „Für den Kommunismus, für die Anarchie!“.

 

Die Lasswell-Formel: Autonome und Bürgernahe im Vergleich

 

Welche Motivationen treiben den Sender zur Kommunikation? Was sind seine Eigenschaften? Was ist dem Empfänger über den Sender bekannt? Und was sehr wichtig ist: Welche Stellung hat der Sender im Bekanntenkreis des Empfängers, welche Stellung hat er in der Gesellschaft? Diese Fragen beeinflussen den Empfänger beim Bewerten der Nachricht bereits unterbewusst. Je nach dem schätzt er eine Nachricht als seriös oder als fragwürdig ein. Das ist einer der Hauptgründe, weshalb radikale Linke es sich äußerst schwer tun, in der Gesellschaft auf positive Resonanz zu stoßen. Der Empfänger orientiert sich nämlich an bekannten Personen und Insitutionen, denen er eine gewisse Anerkennung widmet oder die er für in einer gewissen Weise vertrauenswürdig hält. Politiker, Medien, Kirchen, Experten, Verbände, Gewerkschaften usw. Diese prominente Personen und Schlüssel-Instutionen spielen in der Meinungsbildung die entscheidende Rolle. Würden Wirtschaftsexperten in TV-Talkshows regelmäßig über Marx debattieren, hätten radikal-linke Inhalte in der Gesellschaft eine völlig andere Stellung, auf deren Grundlage Agitation effektiv betrieben werden könnte. Diese Grundlage fehlt.

Was wird gesagt? Wie wird geschrieben? Provokant, verträumt-dichterisch, nüchtern-sachlich? Belehrend oder mit Suggestivfragen versehen? In der Psychologie ist längst bekannt, dass Provokation eher zu Ablehnung als zu Identifikation führt. Ob Hasstiraden auf „die Gesamtscheiße“ oder die „Scheißbullen“ so gut ankommen? Ist der Empfänger auf den Sender zugegangen, schon in Erwartung, eine interessante Botschaft zu erhalten? Oder wurde die Nachricht ihm mehr oder weniger aufgedrängt? Gab es einen konkreten Anlass, in dessen Kontext die Nachricht steht? Oder wurde sie völlig zusammenhangslos mitgeteilt? Und wenn der Empfänger die Nachricht einem bestimmten Spektrum oder einer speziellen Ideologie zuordnen kann: welche Stellung hat dieses Milieu und diese Ideologie in der Gesellschaft? Die Antworten, welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind, sind mehr als offensichtlich.

 

In welchem Kanal? Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob ein Flyer zum Sturz des Kapitalismus aufruft oder die Tagesschau. Hier spielen die Wirkungsweise von Demonstrationen eine große Frage. Wie viele Teilnehmer, wie viele Polizisten, welcher Kleidungsstil usw. Eine politische Rede wirkt auf einem Marktplatz beispielsweise weitaus weniger seriös als auf einem Kongress oder einer Messe.

Zu wem? Der Politikwissenschaftler auf einer Fachtagung ist für so etwas eher zugänglich, als der shoppende Passant vor dem H&M.

 

Schlussfolgerung

 

Das alles erklärt dann, wie sich der Effekt äußert, den die Nachricht ausübt. Die traurige Wahrheit ist: Marginalisierung führt zu Marginalisierung, ein Teufelskreis. Solange radikale Linke marginalisiert sind und solange wichtige „Schlüssel“-Personen, -Institutionen und -Medien das reproduzieren, lässt sich durch politische Agitation da kaum herauskommen. Die Frage ist, wie lässt sich damit umgehen? Die Öffentlichkeitsarbeit ist ja nicht prinzipiell falsch, es kommt nur darauf an, in welchen Formen sie ausgeübt wird!

 

Sympathie wird gewonnen durch einfühlsame Rhetorik, Provokation führt zu Ablehnung. Die Sympathie mit dem Sender steigt, wenn der Empfänger den Sender mit positiv bewerteten, angesehenen und berühmten Subjekten verknüpft. Die Analysekategorien der Lasswell-Formel sind nur eine beispielhafte Gedankenanregung, wie Ort, Rahmen, Inhalt oder Sprachstil den Effekt einer Nachricht beeinflussen. Daran lässt sich wunderbar erkennen, ob Abgrenzung oder Bürgernähe zum Erfolg führt. Die Methoden autonomer Linker sind damit zum Scheitern verurteilt. Vergesst die Wandzeitungen, die Aufkleber und die Graffitischmierereien! Vergesst die Kunstaktionen auf dem Marktplatz! Vergesst die Kleinstadtdemos und schafft endlich die 1. Mai – Spektakel ab, mitsamt ihren Flyern, Transparenten und aggressiven Parolen, die bei dem Lärm akkustisch eh kein Mensch versteht.

 

Beispiele bürgernaher Politik

 

Schaut euch Hardt an und Negri! Sie haben mit ihren Büchern weite Massen erreicht, indem sie einen großen Einfluss auf die globalisierungskritische Bewegung ausübten. Lieber ein bekannter Intellektueller, als tausend Niemande. Für den Ort und den Rahmen politischer Aktionen gilt es sich an den Schlüssel-Instanzen zu orientieren. Zum Beispiel Schulen, Universitäten und Forschung. Was für eine völlig andere Legitimität erlangen wir, wenn wir Argumente mit Verweis auf bekannte Forscher anführen können? Ich denke da gerade an Michael Alberts wissenschaftliche Arbeiten zu Parecon. Nicht zu vergessen die Philosophie! Schon ein paar Einzelne, die zu Berühmtheit gelangen, verschaffen einer politischen Bewegung eine ungeheure Stoßkraft. Man denke nur an Focault oder die Frankfurter Schule.

 

Schlüssel-Instanzen wie Umweltverbände, Massenmedien oder Gewerkschaften und vielleicht auch Parteien spielen in der Bewusstseinsbildung eine entscheidende Rolle. Genau diese Schlüsselinstanzen sind es, mit denen eine Zusammenarbeit getätigt werden muss, wenn viele Menschen erreicht werden sollen. Man führe sich vor Augen, was allein schon eine Stiftung bewirken kann! Die Rosa-Luxemburg-Stiftung erreicht mit ihren Publikationen, Vorträgen und Diskussionskongressen nicht nur eine viel größere Zahl an Menschen als jede Wandzeitung einer Kleingruppe, sondern sie treten auch mit einer völlig anderen Seriösität auf. Sie knüpfen Kontakte zu anderen Experten, zu Medien oder Gewerkschaftsvertretern und tragen dadurch ihre Inhalte wiederum an andere Schlüssel-Instanzen. Lasst uns nicht den Bild-Leser, lasst uns den Manager agitieren! Wieso nicht auf dem evangelischen Kirchentag einen Workshop anbieten? Wie wäre es mit einer breit angelegten Suggestivbefragung zum Grundeinkommen auf dem bundesweiten Verdi-Kongress? Aber Flyer in der Fußgängerzone!? Der Inhalt kann qualitativ hochwertig sein, aber er zählt nichts, wenn er nicht im geeigneten Rahmen vermittelt wird!

 

 

Fazit

 

Solange die (radikale) Linke sich weiter in einer derart marginalisierten Situation vorfindet, muss sie ihre Art der Öffentlichkeitsarbeit radikal untersuchen! Qualität statt Quantität. Jede Aktion sollte genauestens auf seine innere Form und auf die äußeren Rahmenbedingungen geprüft werden. So kann zwischen effektiver und wirkungsloser Öffentlichkeitsarbeit unterschieden werden. Dabei gibt es ein paar Richtlinien, die als Orientierungshilfe dienen. Gefühlsvolle Taktik statt revolutionäre Ungeduld. Kapitalismuskritik statt Utopismus. Mikrorevolutionäre Programme statt Revolutionsgefasel. Seriöse Kommunikationskanäle wie Kongresse oder Messen statt Marktplatzkundgebungen. Bekannte philosophische Werke statt kleine Vereinszeitungen. Zusammenarbeit mit angesehenen Institutionen und Experten statt Kleingruppenisolation. Avanti, Blockupy oder die Interventionistische Linke haben hier ein gutes Beispiel abgegeben. Nur so werden radikal-kritische Linke als seriöse und ernstzunehmende Mitglieder der Gesellschaft anerkannt. Und erreichen damit mehr, als jene Autonomen, die in der Öffentlichkeit ein schlechtes Bild abgeben. Aber dort nimmt man sie sowieso kaum wahr.

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Ergänzungen

Das Problem bei solchen schablonenhaften Analysen ist, dass das Ergebnis von vorneherein feststeht. Der Hauptfehler ist aber zu denken radikales Denken wäre ein Privileg der Autonomen. Der "Bürger" ist häufig radikaler als hauptamtliche Funktionäre von IL oder Avanti annehmen.

Das Ergebnis von gefühlsvoller Taktik zeigt sich bei Syriza. Was die Welt braucht sind radikale Utopien, keine nach Mehrheiten strebende Linke.

bei aller berechtigter selbstkritik zu linksradikaler öffentlichkeitsarbeit fehlt doch die ebenso wichtige selbstkritik am eigenen öffentlichkeitsarbeitsansatz. es liest sich wie der immer wiederkehrende medienansatz, ja bloß k-wörter zu vermeiden usw.

dabei fängt es schon falsch an: ausschreitungen sind seltenst geplant und noch weniger haben sie als ziel, eine medienpräsenz zu erreichen. das mag vielleicht in manchen planungsbüros von il oder ähnlichen kaderorganisationen so aussehen, in der realität sind ausschreitungen jedoch meist eher ein spontanes sich-luft-machen, aggressionsabbau und direkte konfrontation mit der staatsmacht. beispielsweise die auseinandersetzungen um die rote flora in hamburg annodazumal (ist ja jetzt schon 3-4 jahre her) wurden von den medien im vorhinein aufgebaut und aufgebauscht, von den tatsächlich teilnehmenden aber war es nicht das ziel, möglichst spektakuläre bilder zu liefern sondern in einer direkten konfrontation "es denen mal zu zeigen". und nicht nur denen, sondern auch sich selbst. ausschreitungen sind daher weniger teil einer medien- oder öffentlichkeitsarbeit sondern vielmehr eine sich selbst vergewisserung, ob und wie man der staatsmacht trotzen kann. und ja, da sind auch oft ganz profane rachegelüste bei etc., aber gelenkte ausschreitungen mit dem ziel, in der bildzeitung auf seite 1 zu stehen sind mir nicht bekannt.

weiter geht die analyse an der realität vorbei: vor der krise des kapitalismus hieß es, man dürfe den normalen bürger nicht verschrecken und müsste deswegen auf utopien verzichten. bis dann auf einmal kapitalismuskritik selbst in bürgerlichen zeitungen en vogue wurde, weil gerade die finanzkrise richtig zuschlug. und auch der kommentar über mir hat vollkommen recht, wenn er darauf hinweist, dass der "gemeine bürger" oft viel radikaler denkt, als der selbsternannte revolutionär checkt. das mit dem kapitalismus etwas nicht stimmt, das unser wirtschaftssystem ordentlich schief liegt, all das ist bekannt. das problem ist nicht, dass wir utopien haben, das problem der linksradikalen ist, dass sie von revolution und co immer nur reden, reden, reden. heißt: wir können nichts bieten.
wir haben keine gratis-schulen aufgebaut, in denen unser bildungskonzept sich mit dem staatlichen scheißhaufen messen kann. statt dessen gibt es ein paar privat-schulen in denen dann aber eben nur eine bestimmte elite aufgezogen wird. (spanien 1936)
wir haben keine arbeitslosenversicherung aufgebaut, die die leute vor hartz4 schützen kann. (frühphase spd)
wir haben keine fabriken besetzt, in denen wir genossenschaftlich und basisdemokratisch organisiert leute in brot und lohn bringen.
kurz: wir haben nichts zu bieten, als einen veganen vokü-mampf jeden dienstag.

das ist sehr materialistisch, aber das ist, was tatsächlich machtverhältnisse zum wanken bringt und ausmacht.
die leute rennen den parteien von linkspartei bis afd doch nur deswegen hinterher, weil sie hoffen, dass diese wie-auch-immer etwas für sie heraus holt. und nicht einmal dieses hohle versprechen was seit 60 jahren gebrochen wird können wir bieten.
die autonomen hatten ihre hochphase genau dann, als sie den leuten etwas bieten konnten: häuserkämpfe um mieten billig zu halten, stellvertreterkämpfe gegen die staatsmacht um die eigene ohnmacht zu kompensieren, verteidigungskämpfe wenn die staatsmacht als besatzungsmacht im wendland oder in bayern auftritt.

solange wir also nichts anbieten können, warum sollten die leute auf uns hören? von der revolutionsromantik ist noch niemand satt geworden. daher teile ich auch überhaupt nicht das fazit: IL und co haben gerade ein sehr schlechtes beispiel abgegeben, im gegensatz zu recht-auf-stadt bspw. während IL und co sich auf blockupy und event-tourismus stützten und versuchten, bei g8 und co die massen in eine bestimmte richtung zu lenken haben sich autonome in recht-auf-stadt-bewegungen in berlin und hamburg wieder in die herzen der bewohner gekämpft. denn "die tun was für uns".