Fallstricke der Emanzipation – oder Entsolidarisierung von verfolgten Antifaschist*innen?

Notizen zu einer Veranstaltung, die im Rahmen der Anarchistischen Buchmesse in Mannheim stattfand

 

 

„Fallstricke der Emanzipation – Autoritäres und Regressives in der Linken gestern und heute“ lautete der Titel einer Veranstaltung von Lothar Galow-Bergemann bei der Anarchistischen Buchmesse (https://buchmesse.anarchie-mannheim.de/programm/veranstaltung/fallstricke-der-emanzipation-autoritaeres-und-regressives-in-der-linken-gestern-und-heute )am 27. Mai in Mannheim. Der Stuttgarter Linke hat sich Verdienste erworben bei der Analyse von Antisemitismus und regressiven Antikapitalismus. Daher waren wir eigentlich erfreut, ihn auch im Rahmen der Anarchistischen Buchmesse zu hören. Er begann seinen knapp einstündigen Vortrag mit historischen Zitaten von Marx, Bakunin Rosa Luxemburg, Lenin, Stalin etc.. Dazu wollen wir hier weiter nichts sagen. Unangenehm überrascht waren wir, als Lothar Galow-Bergemann auch den antifaschistischen Angriff auf Mitglieder der rechten Pseudogewerkschaft Zentrum Automobil am 16. Mai 2020 aufgriff. Deswegen wurde vor einigen Monaten Jo, ein junger Antifa im Gerichtssaal in Stuttgart-Stammheim zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Die Stuttgarter Wochenzeitung schrieb damals über die Prozessatmosphäre: 

 

 

„Schon das Setting ist außergewöhnlich. Das Landgericht verhandelt in Stuttgart-Stammheim in der Atmosphäre früherer RAF-Prozesse. Die Sicherheitsmaßnahmen sind enorm, vor dem Gerichtsgebäude steht grundsätzlich eine Menge Polizei, innen kommt kein Gürtel unbemerkt durch die Schleuse. Sicherheitsglas trennt Prozessgeschehen und Publikum. Im Zuschauerraum herrscht immer dann angespannte Stimmung, wenn zwischen den treu anwesenden Linken ein paar Unterstützer des "Zentrum Automobil" (ZA) sitzen.“

 

 

Trotz der massiven Repressionsdrohung führte Jo seinen Prozess politisch und hielte eine kämpferische Prozesserklärung, in der die Notwendigkeit von revolutionären Antifaschismus betonte, sich aber nichts zum konkreten Tathergang sagte. Dass ist eine politische Haltung zum Prozess, wie sie in linken Zusammenhängen lange verbreitet war, heute leider nicht mehr. Jo, der aktuell noch frei ist, muss bald mit seinen Haftantritt rechnen. Daher wäre es doch zu erwarten gewesen, dass auf einer anarchistischen Buchmesse eine Veranstaltung zur Solidarität mit ihm und anderen verfolgten Antifaschist*innen angeboten wird, oder über die faschistische Pseudo-Gewerkschaft Zentrum Automobil informiert worden wäre, als ein Versuch wie sich Rechte bei Teilen der fossilen Industriearbeiter*innen anbiedern wollen. Doch das erfolgte nicht. Statt dessen führt Galow-Bergemann die Antifa-Aktion als Beispiel für linke autoritäre und regressive Politik an. Dafür benutzte er die Überschrift eines Taz-Artikels (https://taz.de/Angriff-vor-Querdenkerdemo-in-Stuttgart/!5807787/): Das waren doch nur Nazis“. Dabei sah Lothar Bergemann in dem Adjektiv „nur“ einen Beweis für die Menschenverachtung der Linken, die eben in den Angegriffenen nur Nazis sahen. Dazu ist aber zu sagen, dass es bei der Überschrift um kein Zitat aus einer Erklärung der Antifas ging. 

 

Vielmehr ist seine Quelle eine Überschrift aus der taz. In dem Artikel heißt es: 

„Unbeteiligte Zeugen zeigen sich vor Gericht schockiert von der Brutalität des Angriffs. Die Täter hätten sie zu beschwichtigen versucht: „Beruhigt Euch, das waren doch nur Nazis“.

 

Es ist nicht klar, wer diese unbeteiligten Zeugen sind. Klar wurde aus dem Kontext, dass die Antifas sie beruhigen wollten, dass hier Rechte und nicht etwa Linke oder Migrant*innen angegriffen wurden. Schließlich fand die Aktion am Rande einer Demonstration der Querdenken-Bewegung gegen die Corona-Maßnahmen statt, auf denen auch immer wieder Linke, Journalist*innen etc. angegriffen. Es ging also um eine kurze Erklärung und Beruhigung von Menschen und nicht um politische oder philosophische Erklärungen. Daher ist es unverständlich diese kurze Erklärung zum Gegenstand einer philosophischen Erörterung über die regressive Linke zu machen, zumal ja nicht mal klar ist, ob das Wort „nur“ überhaupt verwendet wurde Klar war aber, dass es darum ging, in dieser Situation kurz zu erklären, dass hier eben Rechte angegriffen werden. 

 

 

Auch eine Art von Verschwörungstheorie

 

Aber Lothar Galow-Bergemann ging noch weiter, in dem er die Prozessführung heranzog, um zu erklären, der junge Antifas werde verheizt. Vom wem – ließ er offen. Eigentlich ist er ja ein klarer Gegner von Verschwörungstheorien, daher ist es unverständlich, warum er selber eine Verschwörungstheorie bedient, nämlich die, dass militante Antifaschist*innen, vor allem wenn sie noch jung sind, verheizt werden. Kann er sich nicht vorstellen, dass auch junge Linke selber überlegen, wie sie ihre antifaschistische Praxis und auch ihr Prozessführung gestalten? Ist ihm nicht bekannt, dass es sich um eine linke Prozessstrategie handelt, keine Angaben zu den Beschuldigungen zu machen, aber eine Prozesserklärung zu halten? Würde das nicht gerade für ein entwickeltes revolutionär-politisches Bewusstsein sprechen?

Vor allem ist es merkwürdig, dass Galow-Bergemann zu seiner Einschätzung kommt, ohne aus einer Erklärung der Unterstützer*innengruppe oder aus den Briefen zu zitieren, die Jo aus seiner mehrmonatigen Untersuchungshaft geschrieben hat. Er stützt sich bei seiner Kritik lediglich auf Artikel aus taz und der Wochenzeitung Kontext. Kein Wort der Kritik für die hohe Haftstrafe kommt ihm über die Lippen, dafür der zynische Bemerkung, Jo könnte froh sein, dass er in Deutschland und nicht in Russland zu Gefängnis verurteilt werde. Denn auch das machte Galow-Bergemann in seine Vortrag deutlich, wir wohnen in einem Rechtsstaat, in einer bürgerlichen Demokratie, die so zitierte er den Kolonisten Churchill die schlechteste Regierungsform sei, aber die beste, die es auf der Welt gäbe. Dieses Bonmot hat er nicht erfunden, die wird Radikalen immer wieder um die Ohren gehauen, die sich nicht mit der Logik des kleineren Übels zufrieden geben wollen. Jo hatte in der Tat Glück, dass er nicht wie Conny und viele Antifaschist*innen in der BRD von Nazis oder Polizei ums Leben kam. Eine linke Solidaritätsbewegung sollte dafür sorgen, dass er auch in Haft Unterstützung erfährt und nicht von Rechten oder Bürokraten bedroht wird. Dafür wäre doch eigentlich auf den Linken Buchtage Zeit und Raum gewesen. Es ist daher umso bedauerlicher, dass der einzige Beitrag dazu diese Entsolidarisierung ist. 

 

Keine linke Säulenheilige

 

Dabei ist Galow-Bergemann durchaus zuzustimmen, dass eine linke Bewegung keine linken Säulenheiligen braucht. Es ist auch gut und wichtig, linke Aktionen kritisch zu betrachten. Aber dann noch nicht auf Grund eines Wortes in einer Taz-Überschrift. Dann sollte mensch sich die Erklärungen der Soligruppe und des Angeklagten vornehmen und sich kritisch damit auseinandersetzen. Zudem wäre es sinnvoll gewesen, die Rolle der rechten Pseudogewerkschaft Zentrum Automobil und ihrer Verbindung zum organisierten Faschismus unter die Lupe zu nehmen und sich die Frage zu stellen, ob die Arbeiter*innen der fossilen Industrie zum bevorzugten Objekt rechter Einflussnahme sind. Doch das alles waren für Galow-Bergemann kein Thema. Eine solche Veranstaltung hätte denn auch eher auf einer Taz-Veranstaltung sondern auf die Anarchistische Buchmesse gepasst. 

 

 

Solidarität mit Jo!

Weitere Infos finden sich hier: https://freiheit-fuer-jo.org

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Ergänzungen

Warum habt Ihr nichts gesagt in der Veranstaltung?
Die Organisator*innen haben ja auch nicht immer den Überblick und können den auch gar nicht haben. Da ist das Publikum gefragt kritisch zu intervenieren. Und vielleicht braucht es das auch. Sonst fehlt Galow-Bergemann auch die Kritik, die auch nötig ist um eigene Anschauungen reflektieren und ändern zu können.

Freiheit für Jo natürlich

Hier zum anhören.

Die Autor*innen des Statements hatten sich lieber mit dem Inhalt der Veranstaltung auseinander gesetzt, statt haltlose Vorwürfe in den Raum zu werfen.

https://m.youtube.com/watch?v=Pxh9BQaazqI

Danke für das Lob - zumindest am Anfang ;-) Schade, dass Ihr zu den "historischen Zitaten von Marx, Bakunin Rosa Luxemburg, Lenin, Stalin etc. ... hier weiter nichts sagen" wollt. Der Vortrag drehte sich nämlich um die autoritäre Anmaßung von Teilen der Linken gestern und heute. Antifaschismus ist immer richtig, aber deswegen ist nicht jeder Antifaschist grundsätzlich immer im Recht, egal, was er tut. Zum Glück gab und gibt es auch innerhalb der Antifa sehr viele Diskussionen darüber, ob man einen Menschen überfallen und ins Koma prügeln darf - auch wenn er ein Nazi ist. Den Gegner zu enthumanisieren ist nicht links. Ich wünsche Euch viele weitere spannende Debatten. Lothar Galow-Bergemann

P.S.: Wen es interessiert, was ich kürzlich zum "Zentrum Automobil" geschrieben habe: http://emafrie.de/kampagne-fuer-die-superspreader/