Wissenschaftliche Zensur in Deutschland

Irma Kreiten 08.03.2013 11:59 Themen: Antirassismus Bildung Medien Militarismus Repression Soziale Kämpfe
In Deutschland fehlt das Bewußtsein dafür, dass Wissenschaftsfreiheit ein Grundrecht ist. Behindert werden nicht nur Forschungsprojekte, denen ethische Überlegungen entgegenstehen, sondern auch die Aufarbeitung von Kolonialgeschichte und genozidaler Gewalt. - Eine Strukturkritik anhand meines persönlichen Falls.
Wissenschaftsfreiheit- ein merkwürdiges Verständnis von offizieller Seite

Die Bundesregierung hat Ende letzten Jahres ein neues Gesetz zur Wissenschaftsfreiheit verabschiedet. Die Rede ist von der Lockerung haushaltsrechtlicher Rahmenbedingungen, von mehr Autonomie der Universitäten bei Finanz- und Personalentscheidungen, ja sogar von einer unbürokratischeren Umsetzung von Bauvorhaben. Es wird gespielt mit Begriffen wie Controlling, Monitoring und Flexibilisierung – allesamt Entlehnungen aus der Welt der Wirtschaft und des Management. Bezweckt wird damit ein verstärkter Einsatz von Drittmitteln aus nicht-öffentlichen Quellen und dementsprechend eine Vereinfachung von Genehmigungsverfahren. „Freiheit“ wird hier wortgleich zu Entgrenzung, verstanden als Übertragung neoliberaler Prinzipien vom Bereich der Wirtschaft auf den der Wissenschaft, mit gleichzeitiger Koppelung beider Bereiche aneinander. Ziel: Steigerung der Effizienz. Präsentiert wird das neue Gesetz als „Signalzum Aufbruch“, allein es fragt sich, ein Aufbruch wohin?

Vom Recht eines jeden einzelnen Forschers, frei und ungehindert und seinen jeweiligen Fähigkeiten entsprechend seinen Interessen nachgehen zu dürfen, davon, Wahrheitssuche ohne unmittelbare Zweckbindung und vor allem weitestgehend frei von außerwissenschaftlichen Einflußnahmen betreiben zu können, wird dagegen nicht gesprochen. Owohl Freiheit der Forschung und Lehre in Deutschland als eines der Grundrechte vorausgesetzt wird und jedem zusteht, der wissenschaftlich tätig ist, ist dieses Thema in der gesellschaftlichen Debatte merkwürdig unterbelichtet geblieben.


Gesellschaftliche Kontexte

Eine kurze Internetrecherche nach Kontexten, in denen von Wissenschaftsfreiheit und Verstößen gegen dieselbe die Rede ist, ergibt: wissenschaftliche Zensur ist denkbar in Ländern wie China, dem Iran, der Türkei, der DDR; sie wird thematisiert in Bezug auf die ehemals sozialistischen Staaten und muslimisch geprägte Länder, vereinzelt werden auch Fälle aus den USA bekannt. Anscheinend sind es immer die anderen, die Probleme mit wissenschaftlicher Meinungsfreiheit und -vielfalt haben. In der Bundesrepublik hingegen scheint es schlicht und einfach keine ähnlich gelagerten Probleme, keine Auseinandersetzungen, keine Präzedenzfälle zu geben. Alles scheint bestens. Wenn dann manchmal doch von Forschungsfreiheit und ihrer möglichen Einschränkung in Deutschland die Rede ist, dann lediglich im Kontext von Affenversuchen, Gentechnik und Holocaustleugnung. Freiheit der Wissenschaft erscheint somit als Freiheit von Auflagen und ethischen Beschränkungen da, wo Forschung ohnehin bereits einen anrüchigen Anstrich hat.

Das humboldtsche Bildungsideal mit seinem Verständnis akademischer Freiheit droht dahingegen ins Hintertreffen zu geraten. Mit diesem Artikel möchte ich darum neben der Vermittlung meiner persönlichen Problematik bewirken, daß diese anderen Bedeutungen von Wissenschaftsfreiheit zurück ins öffentliche Bewußtsein geholt und eine längst überfällige Debatte angestoßen werden. Forschungsfreiheit kann es de facto nur da geben, wo eine entsprechende Sensibilität vorhanden ist und sie damit vor Eingriffen und Einflußnahmen verteidigt wird. Sie kann es nur da geben, wo sie offen diskutiert wird und nicht nur hinter verschlossenen Türen, im Kreise gut bekannter Kollegen, verschämte Andeutungen in Form von Halbsätzen gemacht werden. Auch wenn ich hier einen Einzelfall, meinen, schildere, gehe ich davon aus, daß es in Deutschland auch zu weiteren Eingriffen kommt, die nur den aktuellen Bedingungen schwer zur Sprache gebracht werden können, aber dringend thematisiert gehören. Nicht zuletzt sehe ich auch deswegen einen erneuten Diskussionsbedarf, weil in jüngster Zeit das Thema „Wissenschaftsfreiheit“ vor allem dazu benutzt wurde, Forderungen nach Zivilklauseln, nach Transparenz und größerer Kontrolle über militärisch nutzbare Forschung als unlautere Eingriffe in die Freiheit der Forschung zu werten.

Gegenüber dem, was ich als Doktorandin an einem deutschen Sonderforschungsbereich erleben mußte, erscheint die jüngste Debatte um Militarisierung und Forschungsfreiheit als Doppelpack auf absurdeste Weise seitenverkehrt. Der Interessenkonflikt, der in meiner Doktorandenzeit aufbrach, war nicht der einer Abwägung wissenschaftlicher Freiheit gegenüber ethischen Bedenken, sondern der eines eklatanten Widerspruchs zwischen der Ausrichtung meines durchaus aus ethischen Erwägungen erwachsenen Einzelprojektes zur Aufarbeitung genozidaler kolonialer Gewalt einerseits, und den übergeordneten Anforderungen und Interessen eines recht pragmatisch und politikdienstlich auf eine außenpolitische Militarisierung ausgerichteten Forschungskomplexes andererseits.


Der eigene Fall: das Scheitern einer Aufarbeitung von kolonialer Gewalt

Als ich im Jahr 2005 die Arbeit an meiner Dissertation im Rahmen eines interdisziplinären, DFG-geförderten Forschungsprojektes aufnahm, hatten mich weniger eine akademische Karriere und die Vorzüge eines Doktortitels gelockt als Freude an intellektueller Tätigkeit und das Interesse an einem wichtigen, aber bisher wenig bekannten und wenig erforschten Thema: das der Genese des Phänomens genozidaler Gewalt aus der russischen Säuberungspolitik im Westkaukasus. Im Zuge der russischen Eroberung des Westkaukasus (der östlichen Schwarzmeerküste) um die Mitte des 19. Jahrhunderts zogen russische Truppen brandschatzend und mordend durch die Region jenseits des bisherigen Grenzflusses Kuban. In einer explizit als „Säuberung“ bezeichneten, systematisch angelegten und vom imperialen Zentrum angeordneten Aktion wurden schätzungsweise 1 Million Tscherkessen aus ihren Dörfern vertrieben, unter militärischer Aufsicht zur Küste gebracht, nach manchmal monatelangen Wartezeiten unter offenem Himmel auf Schiffe verladen und ins Osmanische Reich deportiert. Viele der Flüchtlinge, manchmal bis zu 50 %, starben auf diesen Schiffsfahrten, ungezählt sind diejenigen, die bereits im Kaukasus selbst durch russische Waffengewalt, Hunger, Kälte und sich kriegsbedingt ausbreitende Seuchen ums Leben kamen. Nicht nur für sich gesehen sind diese historischen Ereignisse bedeutend, sondern auch als frühes Glied in einer Kette ethnischer Gewalt, die sich bis hin zum deutschen Nationalsozialismus zieht.

Angetreten zur kritischen Analyse der russischen Beziehungen zwischen imperialer Wissenschaft und einer agressiv-kriegslüsternen russischen Außenpolitik, mußte ich letztendlich erkennen, daß auch die zeigenössische deutsche Wissenschaftslandschaft nicht frei von derartigen Verflechtungen ist. (Eine tiefergehende, kritische Darstellung des von mir erlebten Forschungskontextes, die ich hier aus Raumgründen nicht wiederholen kann, findet sich in einem Interview mit mir unter dem Titel „Kriegserfahrungen“ findet sich auf der Webseite von German Foreign Policy,). Mein Projekt stieß, obwohl es formal genehmigt wurde, bald auf Unverständnis, Mißbilligung und Widerstand seitens meiner Vorgesetzten, die mittels Drucks versuchten, eine Neuausrichtung meines Themas und meines Forschungsansatzes zu erwirken. Alles, was nicht ins erwünschte Schema paßte, wurde ignoriert oder niedergemacht, und zwar ohne das Vorbringen sachlicher Argumente. Anstelle der Rekonstruktion des Verlaufs und der Hintergründe der zaristischen Verbrechen an der tscherkessischen Bevölkerung wurde von mir erwartet, daß ich mich auf Remineszenzen des Krieges und Spiegelungen des kaukasischen Fremden in den Jahrzehnten später niedergeschriebenen Memoiren russischer Offiziere konzentriere.

Wissenschaftliche Bewertungsmechanismen wurden bei dem auf mich ausgeübten Druck ausgesetzt, an ihre Stelle traten persönliche Anschuldigungen und Diffamierungen. Mein damaliger Doktor“vater“ ging jenseits jeglicher anerkannter Methodik sogar so weit, Archivrecherche für überflüssig zu erklären: die Politik der 1850er und 1860er im Westkaukasus ließe sich auch aus den Memoiren der beteiligten Offiziere rekonstruieren – also derjenigen Personen, die an der Planung, Ausübung und Vertuschung der Verbrechen an den Tscherkessen maßgeblich beteiligt waren. Seiner Ansicht nach stellte die Ermordung und Deportation von hunderttausenden Menschen auch nichts besonderes dar, denn die russische Regierung habe „immer schon umgesiedelt“ und - mit „seien-wir-doch-mal-ehrlich“ meine Zustimmung einfordernd - was hätten „die Russen“ denn auch anderes tun sollen, wo doch die (muslimisch geprägte) Bevölkerung an der strategisch sensiblen Schwarzmeerküste ein Sicherheitsrisiko dargestellt habe? Mir verschlug es bei derart kundgetanen Ansichten regelmäßig die Sprache; meine Anläufe, eine Diskussion über die Ramenbedinungen meiner Forschung herbeizuführen, wurden hingegen mehrfach mit Einschüchterungsversuchen beantwortet.

Anders als es immer wieder von außenstehenden Beobachtern darzustellen versucht wurde, habe ich im Zuge meines Widerstandes und Beharrens auf historisch korrekter Darstellungsweisen durchaus nicht nur psychische Druckmittel in Form von Abwertung meiner Leistungen, persönlicher Diffamierung, beleidigenden Äußerungen und Mißachtung durch meine Vorgesetzten erlebt, sondern auch weitaus handfestere Diskriminierungen in der Form, daß Forschungsmittel, die für mein Projekt vorgesehen waren, einbehalten und damit als Druckmittel zu meiner Disziplinierung eingesetzt wurden. In der Folge sah ich mich gezwungen, übermäßig auf meine eigenen Ressourcen zurückzugreifen, ein Verhalten, das letztendlich zur Selbstausbeutung führte. An wen hätte ich mich auch wenden sollen? Die Personalvertretung sah sich außerstande, effektiv einzugreifen, sie sagte mir explizit, sie habe leider keinen Einfluß auf die Mittelverteilung in Drittmittelprojekten und ein offenes Ansprechen von Konflikten habe allzu oft negative Folgen.


Das Fehlen von Ansprechspartnern

In der Theorie hätte ich auch den Ombudsmann der DFG anrufen können, dabei aber praktisch meinen Arbeitgeber gebeten, gegen meinen Arbeitgeber vorzugehen. Zumal wenn es um einen grundsätzlichen Interssenskonflikt in DFG-gefoerderten Forschungsprojekten, an denen Millionensummen und Regierungsinteressen haengen, geht, dürfte die Neutralitaet eines DFG-Ombudsmanns einigermaßen in Zweifel zu ziehen sein. Als regelrecht absurd betrachte ich es jedoch, daß ein formal gesehen privatrechtlichen Verein mehr oder weniger alleine mit einer so wichtigen Aufgabe wie der Wahrung der Grundrechte des einzelnen Forschers betraut wird. Welche Hoffnungen kann ich mir auf faire Beurteilung machen, wenn in dieser Form Abhängigkeiten von einer als Verein konstituierten, milliardenschweren Organisation bestehen? Letztendlich ist ein so grundsätzlicher Konflikt, wie ich ihn erlebt habe, in den Richtlinien der DFG auch gar nicht vorgesehen: hier ist zwar viel von „guter wissenschaftlicher Praxis“ im Sinne eines angemessenen Umgangs mit Daten und geistigem Eigentum sowie geeigneter Betreuung von Nachwuchswissenschaftlern die Rede, jenseits dieser eher technischen Voraussetzungen für gute Wissenschaft fehlt es jedoch an einem umfassenderen Verständnis von akademischer Freiheit und den zugehörigen Regelungen. Es wird offensichtlich gar nicht erst in Betracht gezogen, daß gestandene Wissenschaftler unlautere Eingriffe in die Forschungsfreiheit eines Nachwuchsakademikers tätigen könnten.

Andere, wirklich unabhängige Organisationen und Ansprechspartner gibt es in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern nicht. Es scheint schlicht und einfach das Bewußtsein dafür zu fehlen, daß Wissenschaftsfreiheit nicht einfach pauschal vorhanden, sondern aktiv bewahrt, immer wieder verteidigt und erkämpft werden muß. Die Nicht-Präsenz des Themas Wissenschaftsfreiheit in der deutschen Öffentlichkeit ist somit keineswegs ein Zeichen dafür, daß alles in bester Ordnung ist, sondern ein Zeichen fehlender Aufmerksamkeit und Wachsamkeit, womit im Ernstfall umfassender Ausgrenzung, Defamierung und Viktimisierung eines betroffenen Wissenschaftlers Tür und Tor geöffnet werden – insbesondere natürlich bei einem so wenig signalträchtigen und öffentlichkeitswirksamen Thema wie der Tragödie der Tscherkessen im Westkaukasus.


Gesellschaftliche Marginalisierung - Schmerzliche Erfahrungen

De facto befinde ich mich seit spätestens 2008 in einem rechtlichen Vakuum, in dem ich ohne effektive Einspruchmöglichkeiten und fern von den Kontrollmechanismen einer kritischen Öffentlichkeit permanent den Macht- und Unterdrückungsphantasien diverser, offenbar besser angepaßter Mitmenschen ausgesetzt bin. Die hier in Kurzform folgende Schilderung des von mir erlittenen Unrechts möchte ich durchaus nicht so verstanden wissen, daß ich auf narzisstische und unreflektierte Weise den Verlust meines wissenschaftlichen Ansehens und damit meiner gesellschaftlichen Stellung und der damit verbundenen Privilegien beweine - auch wenn die Abruptheit des Fallengelassenwerdens manchmal schwer zu verkraften ist. Mein Mitgefühl gilt vielmehr all denjenigen, die aus den unterschiedlichsten Gründen eine ähnliche Entwertung und Ausgrenzung aus dem normalen gesellschaftlichen Leben erfahren mußten, oder von Anfang an nie wirklich teilhaben durften. Die Marginalisierung kritischer Wissenschaft in einem System, das immer mehr auf direkte politische und ökonomische Verwertbarkeit setzt, und der gesellschaftliche Ausschluß von Menschen, die aus den einen oder anderen Gründen nicht die Kriterien ökonomischer Profitabilität erfüllen - beides steht für mich nicht in Konkurrenz zueinander, sondern gehört zusammen, und zeitigt nicht zuletzt auch ähnliche Folgen für die Betroffenen.

 Kehren wir zurück zu meiner sich stetig verschlechternden Situation im Konflikt mit meinen akademischen Vorgesetzten: Nachdem sich mit dem auf mich ausgeübten Druck zwar nicht mein Willen brechen ließ, ich aber durch dem permanenten überhöhten Arbeitsdruck unter unterdurchschnittlichen Arbeitsbedingungen ohne entsprechende Urlaubszeiten krank wurde, mußte ich einen de-facto Ausschluß aus dem deutschen Gesundheitssystem erfahren. Medizinische Behandlung und wo nötig auch Krankschreibungen wurden mir schlicht und einfach mit der Begründung verweigert, meine Krankheit sei bedingt durch meinen Konflikt am Arbeitsplatz, und Fehlzeiten würden diesen somit nur noch verschärfen. Meine Beschwerden wurden abgetan als rein psychosomatisch bedingt, so, als ob es sich dabei um Einbildung handele. Im Nachhinein hat mir ein türkischer Arzt bestätigt, daß das Lipom, daß sich in meinem Rücken gebildet hatte, nun auf Nerven drückt und ständige Verspannungen und Schmerzen hervorruft, u.U. mit einer einfachen Sprizte hätte zum Schrumpfen gebracht werden können (wohingegen es aufgrund seiner mittlerweile erreichten Größe nun aufwendig herausoperiert werden müßte). Diese eine Spritze und ein wenig Zeit zur Erhohlung von den Zumutungen meines Anstellungsverhältnisses – ich erhielt sie nicht; ich und die erfolgreiche Fertigstellung meiner Arbeit waren diese Aufmerksamkeit und Fürsorge, so habe ich es zumindest verstanden, nicht wert.

Nach einem erschöpfungsbedingten Zusammenbruch im Herbst 2008 wurde ich Opfer von Polizeigewalt, Einschüchterungen und Drohungen, erlebte physische und psychische Mißhandlungen in einem albtraumhaften dreitägigen Aufenthalt in einem staatlichen Krankenhaus. Es wurde mir vom Personal unter anderem an den Kopf geworfen, jemand wie ich habe keine Behandlung verdient und verdiene es nicht zu leben. Es wurde versucht, mich durch insistierendes suggestives Nachfragen zum „Eingeständnis“ zu bewegen, daß ich auf akademischer Linie versagt habe, den Anforderungen einer Doktorarbeit nicht gewachsen gewesen sei und davon durch unrichtige Beschuldigungen meiner Vorgesetzten hätte ablenken wollen. Das Konzept „Mobbing“ als solches wurde abgelehnt. Im Anschluß an diesen Krankenhausaufenthalt wurde ich dann auf sehr realistische Weise mit dem Wegsperren in die Psychiatrie und mit Zwangsmedikation bedroht, und das ganz ohne daß es eine entsprechende Diagnose oder gesetzliche Grundlage gegeben hätte.
Während mein Versuch, diese meines Erachtens gravierenden und für mich auf lange Zeit traumatisch wirkenden Grundrechtseingriffe zur Anzeige zu bringen, vom zuständigen Amtsgericht innerhalb kürzester Zeit und ohne weitere Überprüfung als per se unglaubwürdig abgeschlagen wurde, sah ich mich in der Folge selbst der Beschuldigung des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und der versuchten Körperverletzung ausgesetzt. Anfang 2009 zog ich, um mich der für mich unerträglich werdenden Situation in Deutschland zu entziehen, ohne jegliche soziale Absicherung dauerhaft in die Türkei – ein Land, das mir nicht zuletzt deshalb nahestand, da es Heimat der weltweit größten nordkaukasischen Diaspora ist.

 Mehr als 2 Jahre nach dem eigentlichen Anlaß kam es, nachdem mir vorher von verschiedenen Seiten zu verstehen gegeben worden war, daß ich mit einer Einstellung des Verfahrens gegen mich rechnen könne, zu einer Verurteilung in meiner Abwesenheit und ohne daß ich von der Verhandlung in Kenntnis gesetzt worden wäre. Was folgte, war eine temporäre Einstellung des Verfahrens auf anwaltlichen Einspruch hin, dann jedoch die Ausschreibung einer Fahndung nach mir, als man das Verfahren wieder aufnehmen wollte und sich anscheinend außerstande sah, mich im Ausland trotz bekanntem Verbleib dementsprechend zu kontaktieren. Erfahren habe ich von diesen Wiederaufnahme-Absichten erst, als ich bei meiner Einreise im August 2012 am Flughafen Stuttgart von der Paßkontrolle festgehalten wurde und zum Unterschreiben einer sogenannten Zustellungsbevollmächtigung genötigt wurde. Hiermit, so wurde mir gesagt, sei die Fahndungsangelegenheit allerdings dann auch beendet. Eine Woche später auf meiner Rückreise in die Türkei am Flughafen trotzdem wieder das gleiche Spiel: der Polizeibeamte an der Paßkontrolle teilt mir vor den Augen und Ohren aller Mitreisenden mit, es liege etwas gegen mich vor. Nachdem ich offensiv das Gespräch mit der zuständigen Richterin suchte, und dabei nicht zu erwähnen vergaß, daß ich mittlerweile als Dozentin an einer Istanbuler Privatuniversität tätig war, wurde diese freundlicher (und auch das ist im Grunde beunruhigend) und räumte ein, es sei ungewöhnlich, daß nach bekannt verzogenen Personen gefahndet werde. Das Verfahren wurde letztendlich im Oktober 2012 eingestellt. Ich frage mich trotzdem, wie man bei einer erneuten Einreise reagieren wird, ob weiterhin ein Eintrag besteht, ob man mich wiederan der Paßkontrolle mit hochgezogenen Augenbrauen mustern und in einen Nebenraum bitten wird.

Was von diesen Schikanen bewußt intendiert ist, was auf strukturelle Ausschlußmechanismen und unreflektierte „persönliche“ Antipathien gegen einen widerspenstigen Außenseiter zurückzuführen ist, der quasi exemplarisch den Zorn und die Abwehrreflexe all derjeniger auf sich zieht, die sich schweigend anpassen oder von ihrer Machtstellung profitieren - ich weiß es schlicht und einfach nicht. Was ich sagen kann ist, daß mir in der Folge meiner Weigerung, den aus meiner Sicht durch und durch unlauteren Anweisungen und Intentionen meiner akademischen Vorgesetzten Folge zu leisten, der sprichwörtliche Boden unter den Füßen weggezogen wurde und ich Dinge erleben mußte, die für mich bisher jenseits des Vorstellbaren und jenseits der mir bekannten deutschen Normalität lagen. Ja, ich mag mich in vielem ungeschickt verhalten haben, denn Situationen, wie ich sie erlebt habe, waren auf meiner geistigen Landkarte nicht vorgesehen. Vorgesehen waren sie jedoch auch nicht in meinem sozialen Umfeld, das offenbar nicht minder überfordert war und, anstatt mich zu unterstützen und zu beschützen es vorzog, zu schweigen, wegzuschauen, zu beschwichtigen und anzuschuldigen. Unliebsamen Wahrheiten ins Auge zu sehen hätte bedeutet, auch ein Stück weit seine eigene Normalität und liebgewonnene Gewißheiten preiszugeben. Da ist es vielen offensichtlich einfacher gefallen, statt dessen mich und das mir Widerfahrene auszublenden. Vorgesehen ist ein Fall wie meiner offensichtlich auch nicht in staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen, die beide keinerlei Anlaufstelle bieten und deren Exponenten statt dessen mantrahaft die eigene Nicht-Zuständigkeit wiederholen.

Unverständnis und Schweigen

Frühere Versuche, Öffentlichkeit herzustellen, sind fast allesamt gescheitert – anfänglich sicher auch an der Schwierigkeit, für mich äußerst traumatische Erfahrungen klar und präzise in Worte zu fassen, zuallervorderst aber an den Reaktionen meiner Umwelt, die allen Versuchen. das Unsagbare zur Sprache zu bringen, mit tiefem, hartnäckigem Schweigen begegnete. Journalisten reagieren nicht, entsprechende Leserkommentare, die zumindest ansatzweise Zensur und Repressionen in Deutschland zu thematisieren versuchen, werden nicht freigegeben. Manchmal kommt es auch zu direkten Gegenangriffen auf meine persönliche Integrität, zu Angriffen und Anzweifelungen, die völlig ohne eine Überprüfung meiner Schilderungen auf ihren Wahrheitsgehalt auskommen. Mit wird schlicht eine Diskussion verweigert. Auf geschickte Weise weiß man dabei meine wissenschaftlichen Leistungen von mir als Menschen abzutrennen; dieselben Personen, die durchaus einräumen, daß meine wissenschaftliche Arbeit vorzüglich sei, geben vor, darin keinerlei Anhaltspunkte für die Glaubhaftigkeit meiner Person zu finden. Offenbar möchte ich auch dann noch durch falsche Beschuldigungen Aufmerksamkeit auf mich ziehen, wenn ich dies fachlich gesehen gar nicht nötig habe und mir mit diesem Verhalten zudem noch Karriere und Ruf ruiniere.

Ein vergessener, verdrängter Völkermord und Olympia 2014

Ob die Beschäftigung mit dem Thema des russischen Völkermordes an den Tscherkessen in Deutschland grundsätzlich zu derartigen Reaktionen und Konsequenzen führen muß? Bekannt ist, daß dieses Thema in etlichen Ländern, wenn nicht gar als politisches Tabu, dann doch zumindest als Karriere-Killer anzusehen ist und Menschen, die sich dennoch damit beschäftigen, beruflich benachteiligt, eingeschüchtert und mitunter auch bedroht werden. In meinem Falle wird das konkrete Umfeld eine nicht zu vernachlässigende Rolle gespielt haben. Was ich an dieser Stelle sagen kann ist, daß meine Beschäftigung mit diesem Thema für mich persönlich die Konsequenz hatte, daß ich nun – zumindest ein Stück weit – teilhabe an der Unsichtbarkeit der Tscherkessen selbst, der Sprach- und Rechtslosigkeit einer Volksgruppe, die bisher vergeblich versucht hat, ein vertuschtes und vergessenes Kolonialverbrechen ins allgemeine Bewußtsein zurückzuholen und Gerechtigkeit einzufordern.

 Nun stehen die Olympischen Winterspiele in Sochi an, die im wahrsten Sinne des Wortes auf den Gebeinen der Opfer des russischen Kolonialismus ausgetragen werden sollen – denn die olympischen Bauarbeiten haben Massengräber zum Vorschein gebracht. Zum einen wird hiermit die russisch-europäische Mißachtung der Rechte und Belange der massakrierten und vertriebenen Nordkaukasier erneut auf eklatante Weise vor Augen geführt, zum anderen aber bieten sich gerade auch hierdurch neue Einspruchs- und Interventionsmöglichkeiten. Nicht zuletzt angesichts dieser einmaligen Chance auf eine diskursive Öffnung hin bin ich nun nicht mehr länger zu schweigen bereit. Mir ist so unmißverständlich vermittelt worden, daß ich kein Teil mehr dieser offiziösen deutschen Gesellschaft bin, daß ich mittlerweile auch die letzten Bedenken, gegen deren ungeschriebene Gesetze zu verstoßen und damit weiter unliebsame Konsequenzen auf mich zu ziehen, abgelegt habe. Warum sollte ich weiterhin noch die Macht des weißen Mannes stützen, die weder mir noch den Menschen an meiner Seite nützt? Der Schmerz hat mich befreit, meine Solidarität gilt nun offen denjenigen, für die die Macht des Westens nicht Menschenrechte, nicht Glück, nicht Frieden, nicht Chancengleichheit bedeutet.

Es gibt Dinge, die gesagt werden müssen, beschrieben und geschrieben werden müssen um jeden Preis. Dinge, die höher stehen als das persönliche Glück, das gesellschaftliche Ansehen und die Sicherheit des Einzelnen. Ich habe, so schwer es mir auch fällt, und so sehr ich mir immer wieder gewünscht habe, es gebe einen Weg, meine Situation im Stillen zu bereinigen, ohne Erregen öffentlichen Aufsehens, nun meine Wahl getroffen. Es ist an der Zeit, die ethnischen Säuberungen im Nordkaukasus an die Öffentlichkeit zu zerren und damit einhergehend auch die Mechanismen des Schweigens und der Repression, die die Aufdeckung genozidaler Gewalt in Europas Kolonien verhindern und blockieren, zu thematisieren. Nicht in einem Jahr, nicht in zweien, nicht in einer mir immer wieder von positionierungsunwilligen Zeitgenossen vorgegaukelten unbestimmten Zukunft, sondern jetzt.   
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