ImmigrantInnen in der EU: Hungerstreiks

diverse 09.04.2008 14:27 Themen: Repression Soziale Kämpfe
Bereits seit Juli 2007 finden in mehreren Internierungslagern verschiedener EU-Staaten Hungerstreiks von ImmigrantInnen gegen die schweren Menschrechtsverletzungen innerhalb dieser Zentren statt, so in Österreich, Frankreich, Belgien und Spanien... Aktuelle Berichte über die beiden letzteren
HUNGERSTREIK IN BELGIEN: REGELUNG ODER TOD
(aus dem Dossier. Willkommen? Die anderen EuropäerInnen),
Giovanni de Paola, Brüssel, 14.03. 2008
150.000 ImmigrantInnen fordern in Brüssel die Regulierung. Alle sind seit mindestens 10 Jahren in Belgien und wollen BürgerInnen sein, denen alle üblichen Recht zugestanden werden. Ihre Kampfmethode: Hungerstreik

"Regularisation ou mort!"( Regulierung oder Tod), das ist das Ultimatum der 150.000 ImmigrantInnen ohne Papiere, die das Gebäude Nr. 91 in der Rue Royale in Brüssel besetzt halten. Seit Anfang Januar diesen Jahres befinden sie sich im Hungerstreik. Die Rue Royale ist eine der Hauptstrassen der europäischen Metropole und verbindet den Justizpalast mit der gotischen Kirche mit barrockem Eingang, Sainte-Marie.
Die San Papiers/Papierlosen fordern aus dem Umstand der Klandestinität heraus, von hier, dem Zentrum Europas, die Regelung ihrers Status. Sie sind SüdamerikanerInnen. AfrikanerInnen und AsiatInnen. Aufgrund des Rechts auf Bildung für alle die wenigstens seit zwei Jahren zwischen Valonia, Flamen und der Region um die Haupstadt Brüssel leben, gleich ob es sich um reguläre ResidentInnen handelt oder nicht, gehen alle Kinder der Sans Papiers zur Schule. Sie sprechen fliessend Flamisch und Französisch, im Gegensatz zu vielen der Erwachsenen, die gezwungen sind Schwarzarbeiten zu verrichten und vollkommen prekär und verarmt zu leben.
Auch wenn man nur zufällig durch die Rue Royale kommt, ist es nicht schwer auf eine Ambulanz mit eingeschalteter Sirene zu stossen. Wahrscheinlich benötigt ein Migrant/eine Migrantin gerade medizinische Hilfe, denn der Hungerstreik schwächt die Teilnehmenden erheblich. Der Arzt, der die San-Papiers der Rue Royale versorgt, befindet sich in ständiger Alarmbereitschaft. Länger als zwei Monate zu hungern geht an die Substanz aller Kräfte..., die Sans Papiers nehmen in Kauf zu sterben, denn sie können nichts anderes tun. Sie halten dieses Gebäude besetzt, weil sie diesen Weg der Kriminalität vorziehen. Sie riskieren zu sterben während sie darauf warten, dass die Regierung die Regulierung anordnet.
Nach 9, 10 manchmal sogar 14 Jahren Aufenthalt in Belgien verlangen sie nicht mehr, als sich nicht mehr verstecken zu müssen, belgische BürgerInnen zu werden und mit erhobenem Kopf umhergehen zu können. Sie fordern dieselbe Rechte vor dem Gesetz zu haben wie jene (und das sind nicht Wenige), die dieses Land im Grunde nicht lieben und seine sofortige Teilung wünschen.
www.Café.babel.com


SPANIEN: HUNGERSTREIK IM INTERNIERUNGSLAGER ALUCHE (MADRID)
In dem madrider CIE Aluche, einem der Internierungszentren für AusländerInnen, in welchen irreguläre ImmigrantInnen bis zu 40 Tagen festgehalten werden können, während ihre "Rückführung" eingeleitet wird, sind die dort festgehaltenen Immigranten am 07. April in Hungerstreik getreten. Sie wehren sich damit gegen die unmenschliche Behandlung, der sie tagtäglich ausgesetzt sind. Ausserdem wollen sie dadurch die für kommenden Samstag geplante Demonstration vor dem Zentrum unterstützen, zu der AntirassistInnen aufgerufen haben, um die Situation in den CIE's sichtbar und bewusster zu machen.
Die Internierten sagten bei einem Telefonat mit dem Red Ferrocarril Clandestino und dem Büro für soziale Rechte Patio Maravillas, dass sie alle in Hungerstreik getreten sind, weil die Behandlung nicht so ist, wie sie zu sein hat: Obwohl die Mehrzahl der InsassInnen krank ist, werden sie nicht behandelt und erhalten keine Medikamente. "Sie gehen in der schlimmsten Weise mit uns um, als ob wir Kriminelle wären". Der Telefonpartner schilderte auch ganz konkrete Fälle, bei welchen insbesondere Insassen afrikanischer Herkunft betroffen sind: "Einer der Farbigen wurde in den Unterleib geschlagen. Es geht ihm sehr schlecht. Einem anderen, einem Marokkaner, haben sie beinahe einen Fuss gebrochen. Er musste operiert werden. Ein weiterer junger Mann, der am Magen operiert wurde bekommt nun keine Medikamente. Er ist krank und sie halten ihn in einer Kerkerzelle isoliert, wie bei einer Bestrafung...".

Die ImmigrantInnen im CIE von Madrid sandten einen eindringlichen Hilferuf an die Aussenwelt, da sie Repressalien seitens der Direktion befürchteten. Diesem folgte noch Abend des 07.April die Aktualisierung, dass der Direktor des Zentrums Aluche die Aufstandsbekämpfungseinheiten als Antwort auf den Hungerstreik angefordert hat. In Madrid selbst wurde mit einer Demonstration vor dem Abgeordnetenkongress für die Schliessung der "europäischen Guantánamos" reagiert...
Quelle:  http://estrecho.indymedia.org/newswire/display/73429/index.php
Audios in Spanisch: Zeugenaussagen von InsassInnen der CIE´s:  http://www.masvoces.org/spip.php?article1476


Bereits im vergangenen März war ein Bericht der
Komission für Zivile Freiheiten, Justiz und Inneres der Kommunitären Kammer erschienen, welches die Zustände in den Internierungszentren für AusländerInnen (CIE) als menschenunwürdig bezeichnet. Die Komission, welche die Zentren von Barcelona, Madrid, Malagá, Algeciras und Fuerteventura inspiziert hat, kam zu den folgenden Ergebnissen: "Das dort herrschende System ist explizit streng und ein typisches Gefängnissystem. Die "sin papeles" (Papierlosen) befinden sich dort praktisch die gesamte Zeit über in Zellen. Die hygienischen Zustände sind beklagenswert". Natürlich wurden diese Angaben vom Innenminister dementiert. Die Komission, deren Bericht in Zusammenarbeit mit der "Spanischen Komission zur Unterstützung von Flüchtlingen" (CEAR) entstanden ist, fordert indessen von der spanischen Regierung u.a. "die Flexibilisierung des Gefängnissystems und eine "radikale Verbesserung" der Bedingungen in den Internierungszentren.

AUCH HUNGERSTREIKENDE IMMIGRANTEN/TINN IN "FREIHEIT" ERLEIDEN SCHWERE REPRESSIONEN

Am 04. April befanden sich die Mitglieder der Gewerkschaft Immigrierter ArbeiterInnen/ Sindicato Obrero Inmigrante (S.O.I.) seit 2 Monaten im unbefristeten Hungerstreik, siehe:
 http://de.indymedia.org/openposting/index.shtml
Inzwischen sind von den anfänglichen Teilnehmenden noch 33 übrig; manche haben vor der Repression seitens der Regierungsvertretung in Jaén, siehe  http://de.indymedia.org/2008/03/210686.shtml kapituliert, andere sind aus wirtschaftlichen Gründen als SaisonarbeiterInnen zu anderen Ernten weitergezogen. Ein Grossteil der sog. irregulären ImmigrantInnen in Spanien überlebt als WanderarbeiterInnen in der Landwirtschaft, siehe auch:  http://de.indymedia.org/2007/01/167253.shtml
und www.de.indymedia.org/2008/02/20881.html

Mehreren der Streikenden wurde von anfang an mit Abschiebung gedroht oder zu verstehen gegeben, dass sie "Probleme mit den entsprechenden Behörden bekämen, wenn sie in dieser Gewerkschaft bleiben würden". Schon im Februar waren 12 von ihnen verhaftet und eine Person abgeschoben worden. Deportierte dürfen spanisches Territorium fünf Jahre lang nicht wieder betreten. Es haben immer wieder selektive Razzien nach dem Kriterium der Hautfarbe in den Strassen und willkürliche Durchsuchungen von Unterkünften stattgefunden. Selbst aus einer offenen Pension mussten die SOI-Mitglieder fliehen und Unterschlupf in den einzigen beiden zur Verfügung stehenden Privatwohungen suchen. Demonstrationen und Infotische wurden ihnen mit dem Argument, "diese würden die öffentliche Sicherheit gefährden", untersagt. Bei Anhörungen wegen gerichtlicher Eingaben hiergegen musste der Sprecher der SOI mit einem Pflichtverteidiger vorlieb nehmen; der Anwalt, der seine kostenlose Unterstützung angeboten hatte, wurde abgelehnt.

Trotzdem ist es den fast gänzlich papierlosen GewerkschafterInnen gelungen mit zahlreichen wichtigen Behörden und Organisationen vor Ort Gespräche zu führen, darunter mit der Union der KleinagrarierInnen, (UPA), der Gewerkschaft UGt oder der Delegierten für Bildung und der Junta Andalucía. Die SOI schaffte es sogar, dass bei ihrer Pressekonferenz am 01. April 12 verschiedene Medien anwesend waren. Im spanischen Fernsehen TVE ist der Mitschnitt jedoch auf drei Minuten reduziert und zensiert worden.
Da die streikenden "sin papeles" der SOI über keine Einkünfte mehr verfügten, mussten und müssen sie während ihres Protestes erhebliche Entbehrungen auf sich nehmen; an manchen Tagen hatten sie "ausser Reis nichts zu essen".
Dennoch wird die SOI sich mit dem geplanten Generalstreik der immigrantischen ArbeiterInnen in den USA im Rahmen der 01.Mai- Aktionen koordinieren. Näheres darüber bald hier und auf www.labournet.de, international, Solidarität...

Sindicato Obrero Inmigrante (S.O.I.)
Telefon: +34 695 959 121
E-Mail:  sindicato.soi@gmail.com


WEITERE LINKS:

Das panoptische Gehirn der Festung Europa
 http://de.indymedia.org/2007/11/199949.shtml

Borderline-Europe- Menschenrechte ohne Grenzen e.V.
 http://borderline-europe.de/
 http://no-racism.net
www.transfronterizo.net
frontexwatch - deutschsprachige Seite, noch im Aufbau:
 http://frontex.antira.info
Planet Antira
frontex auf dem europäischen polizeikongreß
www.euro-police.noblogs.org
Frontex-Artikel:
Frontex sorgt für Tausende Tote
 http://de.indymedia.org/2007/12/203719.shtml
Videos und immer aktuelle Informationen zur europäischen Festungspolitik gibt es z.B. auf:
www.fortresseurope.blogspot.com
(für die mehrsprachige Seite werden auch ÜbersetzerInnen gesucht, hauptsächlich von Italienisch und auch Englisch in Deutsch; Kontakt:
 g.delgrande@redattoresociale.it

"Europas Gier ist Afrikas Hunger" und "Wer nicht bleiben kann, muss fliehen"; www.monde-diplomatique.de
www.stopepa.de
www.biopiraterie.de
www.kritische-oekologie.de
www.afrikas-perspektive.de
www.forumue.de

Rassistische Repression ist auch politisch begründete Gefangenschaft:
 http://de.indymedia.org/2008/04/212754.shtml
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Ergänzungen

Sans Papiers - Frankreich

Huenuel 10.04.2008 - 17:30
Ein paar persoenliche Eindruecke zur Situation der Sans Papiers in Frankreich, unter anderem zu Protestaktionen in den Abschiebezentren bei Paris:  http://huenuel.blogsport.de/

Fotos zu der demo am 5. April (Frankreich)

Rock on ! 10.04.2008 - 19:28