Belastende Dokumente gibt es nicht

Ralf Streck 25.04.2006 20:46 Themen: Weltweit
Seit sechs Monaten läuft vor dem spanischen Nationalen Gerichtshof ein Prozess gegen 56 Mitglieder der baskischen Linken. Das Verfahren bekommt seit der Waffenruhe der Untergrundorganisation ETA eine neue Bedeutung. Wir sprachen mit dem Hauptangeklagten Xabier Alegría, für den 51 Jahre Haft gefordert werden. Das Verfahren wurde am Montag erneut bis zum 8. Mai vertagt. Ein Angeklagter hatte kurz nach der Vorbereitung seiner Aussage, einen Herzinfarkt erlitten und liegt seither im Koma.
Sie wurden mehrfach als angebliches Mitglied der ETA verhaftet und saßen mehrere Jahre in Untersuchungshaft. Sind Sie der gefährlichste Angeklagte, wie man Ihnen vorwirft?

Es spricht für sich, dass ein Prozess erst nach fast acht Jahren stattfindet und ich stets auf freien Fuß kam. Ich wurde inhaftiert, als die Tageszeitung und das Radio Egin 1998 "vorläufig" verboten wurden, einer politischen Vorgabe folgend, die Ministerpräsident Aznar auf den Punkt brachte: "Hat jemand geglaubt, wir würden uns nicht trauen?". Dann wurde ich im beim Verbot der Organisation Ekin 2000 wieder verhaftet, die für ein sozialistisches Baskenland warb, weil ich bei Vorstellung auf der Pressekonferenz auftrat. Vor drei Jahren wurde ich erneut verhaftet, als Aznar zum Generalangriff blies, auch die moderaten Nationalisten angriff, und die Tageszeitung Egunkaria schließen ließ. All die vielen Organisationen, die in diesen Jahren verboten wurden, sollten der ETA angehörten. Als Beleg dafür dienten bestimmte Leute, wie ich, die Ermittlungen gehen bis in die 80er Jahre zurück.

Doch die 100.000 Aktenblätter der Vorermittlungen wurden der Verteidigung vorenthalten.

Als wir uns im Januar die Einsicht erkämpfen, wurde auch klar warum. Da gab es einen Ordner über die angeblichen ETA-Verbindungen. Da fand sich nur der Satz, dass es keine gesicherten Hinweise darauf gäbe. Über mich, als klarster Ausdruck für die angeblich Steuerung der linken Unabhängigkeitsbewegung durch die ETA, fanden sich nur wenige Daten: Wohnort, Auftreten auf Pressekonferenzen und Artikel, die ich für Zeitungen geschrieben hatte. Dann fand sich eine Radionachricht, wo behauptet wurde, die Koordination für eine Sozialistische Alternative (KAS), in der ich tätig war, sei ein Teil der ETA. Auf solch einer Basis sprach der Ermittlungsrichter Baltasar Garzón viele Verbote aus und ließ etliche Menschen inhaftieren. Angeblich sollten sich in den seit fast 20 Jahren geheimen Akten die Beweise finden, dass die baskisch Linke von der ETA gesteuert ist. Es handelte sich aber um den Versuch, öffentliche politische Handlungen, die im legalen Rahmen des spanischen Staats stattfanden, rückwirkend zu illegalisieren.

Ihre Vernehmung hatte sich immer wieder verzögert und es gab schließlich eine neue Wendung. Die Hauptanklagedokumente tauchten nicht auf und wurden vom Gericht verworfen.

Diese Dokumente sollten belegen, dass ich über KAS für die ETA diverse Organisationen gesteuert und darüber Berichte geschrieben hätte. Die seien bei der ETA gefunden worden. Dabei seien auch interne Dokumente der Zeitung Egin gewesen, die die organische Verbindung der Zeitung zur ETA belegten. Es gibt sie nicht, obwohl dies die Guardia Civil stets behauptete.

Wird sich der Friedensprozess auf das Verfahren auswirken? Die Stimmung hat sich schon geändert, sie durften sich nun sogar politisch erklären.

Das ist das Ergebnis der gesamten Entwicklung. Durch sein drastisches Vorgehen hatte das Sondergericht selbst betont, dass hier ein politischer Prozess läuft. Nach dem Scheitern des vorgezogenen Verfahrens gegen die Jugendlichen, wo auch keine Verbindung zur ETA bewiesen wurde, lastete starker Druck auf der Kammer. Nun ist sie unsicher, was in dieser Situation von ihr erwartet wird. Es ist klar, dass viele Verfahren vor dem Gerichtshof keine juristische Basis haben und es keine prozessualen Garantien gibt, Anklagen beruhen oft nur auf Folteraussagen. Bei meiner letzten Verhaftung wurde auch ich gefoltert und habe mich und andere belastet. Nun wurde das Verfahren erneut bis zum 8. Mai vertagt. Jokin Gorostidi, der schon im Prozess von Burgos saß, als der Diktator Franco die baskische Linke aburteilen wollte, liegt im Koma. Er sollte am Montag aussagen, erlitt aber nach der Vorbereitung der Aussage mit seinem Anwalt einen Herzinfarkt.

Das ganze zeigt, dass man nun Zeit gewinnen will. Das Verfahren, an dem noch Unterverfahren hängen, wird nicht eingestellt. Man wird es weiter als Druckmittel nutzen und als Verhandlungsmasse im Friedensprozess aufrecht erhalten. Das Ziel, die Illegalisierung der gesamten linken Unabhängigkeitsbewegung, ist längst ohnehin längst gescheitert

© Ralf Streck, Donostia - San Sebastián den 24.04.2006 (aktualisiert)

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Ergänzungen

Agur eta ohore!

Ernst 27.04.2006 - 10:28
Nun hat auch der Macroprozess sein erstes Opfer gefordert.
 http://www.gara.net/idatzia/20060427/art161763.php

Steht auch hier schon was

Paul 27.04.2006 - 14:33
 http://de.indymedia.org/2006/04/144907.shtml Sonntag Ehrung für Jokin Gorostidi in Deba. Die Angeklagten fordern, den Nationalen Gerichtshof dicht zu machen. Es ist ein Sondergericht, das 1976 nach dem Tod Francos aber noch vor der Einführung der Demokratie und den ersten Wahlen geschaffen wurde. Es ersetzt das frühere Sondergericht mit dem Namen „Gericht für Öffentliche Ordnung“ (TOP). Der Gerichtshof ist Ausdruck der politisierten Justiz und sollte eigentlich nur eine begrenzte Zeit bestehen. Seine Befugnisse werden allerdings immer weiter ausgeweitet. Vor den TOP war Jokin Gorostidi zweifach zum Tod im Prozess von Burgos verurteilt worden, nach Protesten weltweit, mußte das in Lebenslänglich umgewandelt werden. Nach dem Ende der Dikatur wurde er amnestiert.

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Warum, ihr Nationalisten — NEIN, sonts Antimdrohungen

@Nein — Paul