Benetton vs. Mapuche / Update

kh. 04.06.2004 16:51 Themen: Antirassismus Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Update zum Feature vom 20. 5.: Im Prozeß der Firma Benetton gegen die Mapuche-Familie Curiñanco wurde diese zwar am 26. 5. von der Anklage der widerrechtlichen Landaneignung (die das Recht auf den Kopf stellte) freigesprochen, das umstrittene Land am 31. 5. aber der Firma zugesprochen. Der Prozeß ist für die Mapuche Argentiniens von exemplarischer Bedeutung, da ihnen weitgehend das Eigentumsrecht an dem ihnen von alters her gehörenden Land vorenthalten wird.
Zur Vorgeschichte siehe:
 http://de.indymedia.org/2004/05/83922.shtml
 http://de.indymedia.org/2004/05/84361.shtml und andere Links beim Feature

Bilder:
2. Im Gerichtssaal; Foto: Seb. Hacher ? juiciomapu2_107

Dieser Prozeß beleuchtet die zwielichtige Entstehung des noch heute vorherrschenden Großgrundbesitzes in Argentinien (und ähnlich in ganz Lateinamerika) durch Landraub von den indigenen Völkern, die keinen ?Landbesitz? in unserem Sinne kannten, sondern die sich einfach als Teil dieses Landes betrachteten. -

Der Anwalt Benettons Dr. Iturburu Moneff präsentierte Fotokopien von über hundert Jahre alten Dokumenten, die als Nachweis des Eigentumsrechts der Firma dienen sollten (Besitzurkunden von 1896). Darauf war jedoch u. a. von einer Landschenkung die Rede, die der argentinische Staat 1885 und 1896 an englische Konzessionäre gemacht hatte. Verstärkt wurde dieser Prozeß der ?Landvergabe? durch den sogenannten ?Feldzug in die Wildnis? (Campaña al Desierto), bei dem unter den indigenen Völkern Patagoniens ein Blutbad angerichtet wurde. Auf einem der Dokumente war von einem Landvermesser ausdrücklich vermerkt, daß in dem ?verschenkten? Gebiet, das heute zur Estancia Benettons gehört, zwei Indiosiedlungen bestanden hatten. Die heutige Benetton-Estancia (Viehfarm) Leleque wurde damals dem Londoner Henry Rushton Roger geschenkt.

1891 schlossen sich zehn der begünstigten Grundbesitzer zur Argentine Southern Land Company Ltd. (Compañia Tierras del Sud Argentina) zusammen. Diese bestand als Konsortium britischer Grundeigentümer bis kurz vor dem Falkland-Krieg 1982, als sie an argentinische Eigentümer ? oder Strohmänner - übergeben und nationalisiert wurde, offenbar um der Beschlagnahme zu entgehen. Der neue Vorsitzende war ein argentinischer Großgrundbesitzer Hume. 1991 kauften die Benetton die Firma für 50 Millionen Dollar.

Der Verteidiger Dr. Macayo meldete starke Zweifel an, ob die ursprünglichen Besitztitel jemals existiert haben und stellte damit sogar die Existenzberechtigung dieser Gesellschaft in Frage. Er führte Beispiele dafür an, wie mehrmals krass gegen damals geltende Gesetze verstoßen worden war und daß deshalb die damaligen Landschenkungen illegal gewesen seien.

Benettons Anwalt präsentierte Vermessungsurkunden des Grundstücks von 1892 und bezeichnete diese als ausreichende Dokumentation. Zu einer Neuvermessung sei die Firma nur im Fall des Verkaufs verpflichtet. Diese Behauptung wird jedoch von einem Eintrag im Grundbuch widerlegt. Wie der Verteidiger ausführte, würde dies außerdem zu einer Benachteiligung Dritter führen. Es stellte sich heraus, daß die Firma nicht einmal im Handelsregister der Provinz Chubut verzeichnet ist und daß es dort keine Institution gibt, die die Einhaltung der Bestimmungen überwacht.

Bei einer Untersuchung vor Ort war festgestellt worden, daß bei der Trassierung der Nationalstraße 40 in den 70er Jahren die Grundstücksgrenzen illegal zuungunsten der benachbarten kleinen Grundeigentümer verschoben worden waren. Der Journalist Hernán Scandizzo bezeichnete diese Praktik vor Gericht als systematische Politik der Aneignung indigenen Landes. Die Leute in der Gegend kommentieren das lakonisch so: ?Der starke Wind Patagoniens hat die Zäune verweht, immer in eine Richtung ...? Mapuche-Einwohner von Leleque beklagen sich darüber, daß sich die Firma seit Anfang der 90er Jahre das Tal angeeignet und die schönsten Pampas (Weideflächen) eingezäunt habe, während ihnen nur steiniges Land mit den schlechtesten Böden geblieben sei.

Der Landwirtschaftsverband Patagoniens (der großen Landbesitzer) hatte zuvor in Anzeigen davor gewarnt, den Landforderungen der Indigenen nachzugeben, sonst sei der ?Rechtsstaat? in Gefahr. Wenn andere Mapuche-Familien diesem Beispiel folgen würden, hätte dies ?eine Welle blutiger Gewalt? zur Folge.

Die US-Nichtregierungsorganisation Corporate Watch hat die Compañia de Tierras, die über die Edizione Holding der Familie Benetton gehört, angeklagt, eine neue Conquista indigenen Landes in Patagonien zu betreiben.

Der Kommunikationsdirektor von Benetton widersprach gegenüber Europa Press in Treviso/Italien den Vorwürfen. Alle Landkäufe seien völlig legal gewesen und hätten den Rückhalt der argentinischen Justizbehörden. Das Landproblem Patagoniens sei ein ?historischer Konflikt?, mit dem die Firma Benetton nichts zu tun habe.

Quellen:
Sebastian Hacher: Benetton vs. Mapuche: la cuestión de la tierra, 29. 5. 2004 ?  http://argentina.indymedia.org/news/2004/05/199646.php
 http://www.argentina.indymedia

Sebastian Hacher: Benetton; el nuevo rey de La Patagonia, 3. 10. 2003
 http://argentina.indymedia.org/news/2003/10/138518.php

U. S. Corporate Watch, especializada en Ética empresarial, acusa a Benetton, 1. 6. 2004
 http://www.argentina.indymedia.org/news/2004/05/200064.php


Hier noch die Übersetzung zweier Artikel auf Indymedia Argentina zu diesem Urteil:

I. Verurteilt
Feature von Indymedia Argentina vom 31. Mai 2004
 http://argentina.indymedia.org/features/pueblos/#1139

Das Land gehört Benetton ? in diesen wenigen Worten kann das Urteil des Richters Jorge Eyo zusammengefaßt werden. Wenige Worte, die die Öffentlichkeit mit auffallendem Schweigen aufnahm, einem Schweigen, das die Protestrufe unterdrückte. Im Schweigen verharrten auch die Vertreter der Gesellschaft Benetton, die den Gerichtssaal verließen, ohne Erklärungen abzugeben, vor den Augen von über hundert Anwesenden, die sie verurteilten. Ein Schweigen, das von Atilio und Rosa unterbrochen wurde, die mit seit Jahrhunderten gültigen Worten erklärten, daß es für sie niemals Gerechtigkeit geben wird, daß Großgrundbesitz und Staat gemeinsame Sache machen, daß der Kampf nicht zu Ende ist, daß die Geister ihrer Vorfahren alles wüßten, was hier geschehen sei und daß sie sie auf ihrem Wege begleiten würden.

In den nächsten Tagen werden die Mapuche die Schritte festlegen, mit denen sie ihren Kampf fortsetzen wollen. Sicher ist, daß dieser nicht beendet ist. Patagonien ist neuerlich zum Großgrundbesitz verdammt worden und der Landwirtschaftsverband [der Großgrundbesitzer] erhebt seine Gläser, um auf das Fortbestehen seines Rechtsstaates anzustoßen.


II. Esquel: Benetton behält ? für?s erste ? das Land, ist aber in Schwierigkeiten

von Sebastian Hacher ((i)), Montag, 31. 5. 2004, 11:17 pm
 sebastian@riseup.net
 http://www.argentina.indymedia.org/news/2004/05/200038.php

Richter Jorge Eyo entschied heute, daß das Land, um das sich Benetton und die Mapuche-Familie Curiñanco-Nahuelquir streiten, der italienischen Firma gehört, obwohl er fünf Tage zuvor anerkannt hatte, daß ein Straftatbestand der widerrechtlichen Aneignung nicht vorliegt.

Kurz nach 7 Uhr abends kamen Atilio Curiñanco und Rosa Nahuelquir in den Gerichtssaal, begleitet von etwa hundert Personen, die sich spontan versammelt hatten, um den Prozeß zu verfolgen.

Wenige Stunden vor der Verlesung des Urteils sagte uns Rosa: ?Wenn sie uns das Land nicht zurückgeben, wird der Kampf, den wir begonnen haben, nicht hier haltmachen. Nicht nur für uns, sondern auch für den Rest unserer Brüder und Schwestern, die in der gleichen Situation sind und sich nicht dazu entschließen, diesen Weg zu gehen.?

Atilio bestätigte ihre Worte: ?Das ist eine große Kränkung für mich als Mensch, wegen der Anzeige, die diese Person [der Verwalter der Benetton-Estancia, Ronald Mac Donald] gegen uns erstattete. Denn er zerstörte einen Teil unseres Lebens und schädigte uns moralisch und materiell, aber wir haben nicht die Kraft verloren, weiterzukämpfen. Möge dies ein Beispiel für unser Volk, für unsere Brüder sein. Der Kampf wird nicht hier haltmachen, denn dieser Kampf heute ist nicht nur der Unsere, sondern der aller.?

Wenn die Firma Benetton heute auch ein Stück Land gewonnen hat ? das verglichen mit der Gesamtheit ihres Landbesitzes minimal ist ? verlor sie dagegen eine Schlacht, in der sie sich als Sieger fühlte: der öffentlichen Meinung. In Esquel, in Argentinien und in der ganzen Welt wissen jetzt Tausende, daß es ein Monopolunternehmen gibt, das Eigentümer einer eingezäunten Provinz [dh. von Ländereien in Provinzgröße] ist, die auf dem Blut und Schweiß eines verfolgten und ausgestoßenen Volkes errichtet ist, das aber die äußerste Unbotmäßigkeit besitzt, leben zu wollen.

Atilio und Rosa und dem Volk der Mapuche im allgemeinen wurden nicht nur die Zuneigung und Solidarität Tausender Menschen in der ganzen Welt zuteil, sie legten auch die Mechanismen bloß, mit denen die Latifundien in unserem Land errichtet werden, mit einem Staat, der fähig ist, einen Teil der Welt an das ausländische Kapital zu verschenken und seine legitimen [Landes-]Kinder auszustoßen.

Benetton hat definitiv ein Problem. Heute haben wir gesehen, wie die Geschichte gleichsam über den Gerichtssaal schwebte: sie glich einem Vogel, der mit den Schwingen gegen die Decke stieß, entsetzt darüber, sich selbst zu wiederholen. Aber wir hörten auch einen Schrei: ?Marici Weu?. Und manche sagen, das bedeute in der Sprache Kastiliens [Spanisch]: ?Zehnfach sind wir am Leben, zehnfach werden wir siegen?.

Beim Verlassen des Gerichts, während ein paar Tränen des Protestes trockneten, wurde darüber diskutiert, wie es weitergehen soll. Wie Rosa heute sagte: ?Jetzt werden sie sich auf das, was kommen wird, gefaßt machen müssen, denn wir werden unsere Hände nicht in den Schoß legen?.
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Ergänzungen