Die SPD-Fürsten und die harten Jungs in Grün

Frank Eßers 23.10.2003 17:05 Themen: Repression Soziale Kämpfe
Bericht über Protest am 20.10 vor SPD-Zentrale und Polizeischikanen
Die globalisierungskritische Organisation attac hatte für den 20.10 bundesweit dazu aufgerufen, vor den SPD-Parteibüros gegen Sozialabbau und die Agenda 2010 zu protestieren.

Ich habe an dem Protest in Berlin vor der Bundeszentrale der SPD teilgenommen. Welche Lektion in "Demokratie" uns die in der Berliner Parteizentrale anwesenden SPD-Größen (auch Schröder war anwesend) und die Polizei erteilt haben, das möchte ich Euch berichten:

Ich habe mich mit attac-Mitgliedern am Mehringplatz in der Nähe der SPD-Zentrale um 8 Uhr getroffen. Der Tag war sonnig und schön und wir waren froh, dass wir neben der Kälte nicht auch noch Regen ertragen mussten - denn der war eigentlich vorhergesagt worden.
Wir waren also bester Laune. Die "attacies" hatten Plakate und Schilder mitgebracht, auch ein Megafon, um die Bevölkerung über die Aktion zu informieren - und um dafür zu sorgen, dass die SPD-Größen den Protest auch mitkriegen.
In einiger Entfernung von uns, direkt vor der Parteizentrale protestierten schon lautstark Gewerkschafter von IG BAU und ver.di. Zu denen wollten wir - aber wir durften nicht. Eine für gewalttätige Einsatze bekannte Abteilung der Berliner Polizei war in Montur und mit 15 Mannschaftswagen aufgefahren, und sie drohten uns an, uns zu verhaften, falls wir den Mehringplatz verlassen und zu den Gewerkschaftskollegen gehen würden. Offensichtlich ist die SPD-Führung auf Nummer sicher gegangen: Sie wollte keinen Protest gegen ihren Sozialabbau und hat die "harten Jungs" in Grün geholt.
Ich wollte unbedingt zu den Kollegen von ver.di und IG BAU - schließlich war ich hier, um für eine Zeitung zu berichten. Zwei Beamte haben mich allerdings nicht gelassen. Ich musste den Mehringplatz in entgegengesetzter Richtung zur Parteizentrale verlassen, einen großen Bogen schlagen und auf Umwegen von der anderen Seite her zur den Gewerkschaftern gelangen.
Ich kann Euch verraten: man fühlt sich nicht sehr gut, wenn man über einen friedlichen Protest berichten will und sich dann wie ein Verbrecher dorthin schleichen muss.
Als dann nach 1 ½ Stunden alle "attacies" auf - vermute ich - die gleiche Weise vor der SPD-Zentrale ankamen, drohte die Polizei den Gewerkschaften. Die IG BAU hatte eine Kundgebung angemeldet. Die Polizei sagte nun, dass die Teilnehmerzahl zu hoch sei. In der Anmeldung der Kundgebung seien weniger Teilnehmer angegeben worden. Wenn die attacies nicht sofort verschwänden, dann würde auch die Kundgebung der Gewerkschafter von der Polizei aufgelöst.
Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass alle Protestierenden friedlich waren - und das wusste auch die Polizei: Ein Polizeibeamter sagte in meinem Beisein zu einem attac-Mitglied: "Sie sehen alle anständig und vernünftig aus und deshalb werden wir sie auch nicht durchsuchen".
Und seit wann darf die Polizei androhen, eine angemeldete gewerkschaftliche Protestkundgebung aufzulösen? Offensichtlich muss die Regierung demokratische Grundrechte außer Kraft setzen, um ihren Sozialkahlschlag durchziehen zu können.
Nach der letzten Drohung der Polizei mussten die attacies die IG BAU-Kundgebung verlassen - allerdings wechselten sie nur auf die andere Straßenseite. Dort haben sie weiter protestiert. Immerhin konnten attacies und Gewerkschafter ca. 15 Minuten gemeinsam protestieren.
Attac wurde auch schikaniert, was die Aktionen (allesamt harmlose, friedliche) selbst betraf: So durfte ein Aktivist keine Schröder-Maske aufsetzen ? angeblich wegen des "Vermummungsverbotes".
Trotz des Ernstes der Lage hat der Protest allen riesigen Spaß gemacht. Die Kollegen Bauarbeiter haben ein großes Transparent gehalten, auf dem stand: "Aus Solidarität gegen Sozialabbau: 2 X HUPEN". Das haben dann auch viele Autofahrer getan - und die Straße vor der Bundeszentrale der SPD am Halleschen Tor ist viel befahren.
Die attacies waren lustig und einfallsreich: Sie trugen schwarze Mülltüten, auf denen stand: "Lohnsklave" und dann: "Verkäuferin, 2 Euro/h" oder "Monteur, 41, 3 Euro/h". Das sollte zeigen, worum es bei der Agenda 2010 in Wahrheit geht: um Billiglöhne fürs Kapital.
Eine ganze Familie war sogar extra aus Kassel angereist (über 400 Kilometer), um an der attac-Aktion teilzunehmen. Ich habe mit dem Vater gesprochen. Er ist ver.di-Mitglied und hat aus dem Internet von dem Protest erfahren. Familienvater Peter sprühte nur so vor Energie und hat die ganze Zeit gute Laune verbreitet - trotz seiner Wut über die Politik der Regierung. Er sagte mir, dass er sich Sorgen um seine 12-jährige Tochter mache: - "Die Sachen, die jetzt von der Regierung beschlossen werden, muss die Generation meiner Tochter ausbaden". Mutter und Tochter haben mit einem Transparent ganz vorne gestanden und darauf gewartet, dass sich mal einer von den SPD-Bonzen blicken lässt, um mit den Protestierenden zu reden. Denn reinlassen wollte die keinen. Aber es kam niemand.
Später habe ich dann in den Nachrichten gesehen, dass SPD-Fraktionsvorsitzender Müntefering an die heruntergelassenen Jalousien der Parteizentrale getreten ist, zwei Lamellen auseinander gezogen hat und durch die Lücke zu und herübergeguckt hat. Die SPD-Bonzen haben sich tatsächlich abgeschottet, uns den Rücken zugedreht und die Rollos heruntergelassen. Wir waren denen scheißegal. Die haben uns lieber die Polizei auf den Hals gehetzt. Nun, da kann man sehen, wie "bürgernah" die SPD-Führung ist.
Als dann auch die Medien ankamen, mussten Schröder und Co reagieren (sie haben dafür allerdings 3 Stunden gebraucht). Sie sagten, dass drei Protestierende in die Parteizentrale dürften - zu einem Gespräch mit irgendeinem Abteilungsleiter der SPD: allerdings ohne Vertreter der Presse (!!!!!).
Die angeblichen Argumente der Regierung für den Sozialabbau und die Agenda 2010 sind so schlecht, dass die SPD-Fürsten sich nicht einmal getraut haben, im Beisein der Presse mit attac und den Gewerkschaftern zu diskutieren.
Die Journalisten waren natürlich alles andere als begeistert, dass sie daran gehindert werden sollten, ihren Job zu machen. Attac hat dann ruhig und sachlich versucht, doch noch ein Gespräch zu organisieren, bestand allerdings darauf, dass die Presse dabei sein darf. Das war auch der Wille der anderen Kundgebungsteilnehmer, die darüber abgestimmt haben (Ja, Herr Schröder: WIR WISSEN, was Demokratie ist). Die SPD-Oberen haben das immer wieder abgelehnt. Es war nichts zu machen.
Die Polizei droht mit Auflösung friedlicher Kundgebungen, die Presse darf ihre Arbeit nicht tun, die SPD-Fürsten verschanzen sich vor den Bürgern - Ich habe mich da schon gefragt, was Schröder und Co. unter Demokratie verstehen.
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Ergänzungen

Weitere Berichte vom Aktionstag am 20.10.

Verlinker 23.10.2003 - 17:16
Aktionstag gegen Agenda 2010: Kurzer Bericht aus Berlin
 http://de.indymedia.org/2003/10/63718.shtml
Danach gabs an anderen Orten noch weitere Aktionen (150 bei Siemens und 50 Leute aufm Alex)

Berlin am Nachmittag: Gestern vor dem Willy-Brandt-Haus in Berlin
 http://de.indymedia.org/2003/10/63779.shtml

Dresden: Besetzung zum Aktionstag. mit Fotos
 http://de.indymedia.org/2003/10/63764.shtml

Kundgebung zum Aktionstag in Dresden
 http://de.indymedia.org/2003/10/63776.shtml

Aktionstag 20.10. in Saarbrücken
 http://de.indymedia.org/2003/10/63761.shtml

Marburg: SPD-Büro besetzt
 http://de.indymedia.org/2003/10/63736.shtml

Aktionstag 20.10. in Rostock
 http://de.indymedia.org/2003/10/63754.shtml

Aktionstag gegen Sozialabbau Hannover
 http://de.indymedia.org/2003/10/63849.shtml

Aktionstag gegen Agenda 2010 in Tübingen
 http://de.indymedia.org/2003/10/63896.shtml

Aktionen gabs insgesamt in mehr als 20 Städten.

So ist das hier

MacGyver 23.10.2003 - 17:39
Die Stadt Berlin ist angeblich "Pleite" aber für vollkommen übertriebene Polizeiaufgebote scheint immer genug Geld da zu sein...
Und eine Maske zu tragen wenn damit etwas zum Thema ausgesagt werden soll ist normalerweise kein Verstoß gegen Vermummung, nicht immer gleich von den grünen Nüllen einschüchtern lassen!

SPD macht sich lustig

Franjo 23.10.2003 - 18:00
Na Genossetabu,

Fakt ist aber doch dass kaum Leute da waren! Gibt auch Leute in der SPD, die sich jetzt richtig darüber amüsieren. Irgendwie ist das Widerstandspotetial gegen den Sozabbau wohl nicht so groß wie wir glauben. (Zumindest in Berlin). Gibt auch Freie Träger von Jugendeinrichtungen in den Ostbezirken wo im Rahmen der Berliner Kürzungen richtig fies rasiert wird, und die trotzdem stillhalten und den Kopf in den Sand stecken. Frage mich selbst was eigentlich mit den Leuten los ist. Was muß denn noch passieren bis sie aufwachen?

Feige SPD-GenossInnen in Berlin

Bernd Kudanek alias bjk 23.10.2003 - 21:12
Hallo Frank Eßers,

ein prima Bericht! Bei Euch ist es ja am Vormittag noch krasser zugegangen als ich am Nachmittag selber erlebt habe!

Ich werde Deine Homepage  http://www.genossetabu.de.vu in meine Linkseite aufnehmen.

Mit solidarischen Grüßen
bjk
Netzpunkt im Netzwerk gegen soziale Kälte
URL  http://www.carookee.com/forum/freies-politikforum/1/844500#844500

Reife ist
schärfer zu trennen
und inniger zu verbinden

warum die attacies gegangen sind?

Frank Eßers 24.10.2003 - 00:41
Die attacies haben die Kundgebung nicht verlassen, sondern nur die Straßenseite gewechselt und dort (ohne Genehmigung) weiter protestiert. Die attacies haben die Straßenseite gewechselt, weil die Polizei es ernst gemeint hat, 15 Mannschaftswagen da waren, wir nur ca. 40 leute waren und AUSSERDEM der für die angemeldete Gewerkschaftskundgebung verantwortliche Kollege DARUM GEBETEN HAT.

Du hättest es sicher besser gemacht. Dazu haettest Du selbst ernannter Revolutionär allerdings auch DA SEIN MÜSSEN! *ggg* :-)

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