Gestern vor dem Willy-Brandt-Haus in Berlin

Bernd Kudanek alias bjk 21.10.2003 12:57 Themen: Repression Soziale Kämpfe
ATTAC-Aktivisten "bedrohten" gestern nachmittag die Berliner SPD-Zentrale
Furchtsame GenossInnen alarmierten die kasernierte Miliz
Gestern vor dem Willy-Brandt-Haus in Berlin
zitiert aus:  http://www.carookee.com/forum/freies-politikforum/1/836248#836248
dort sind auch Fotos veröffentlicht

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bjk und der Lange von der grünen Miliz
gestern nachmittags vor dem Willy-Brandt-Haus in Berlin

Von dem Aktionstag der ATTAC gegen die Agenda 2010 am 20.10. auch in Berlin wußte ich dank Internet schon länger. Doch obwohl vorgemerkt, hatte ich?s alzheimerverdächtig bis gestern mittag wieder vergessen. Dann las ich in indymedia den Beitrag von ?langschläfer?, mit dem ich diesen Thread eröffnet habe, und meine Neugier war auf?s Neue entfacht - - - ich mußte hin!

Also ab in die U-Bahn bis Hallesches Tor und dann 3 Minuten Fußweg zum ausgeschilderten Willy-Brandt-Haus, der SPD-Bundeszentrale! Doch statt diskutierender und protestierender Menschenmassen sah ich zunächst nur ein paar mobile Absperrgitter, wohl eine der ?Schutzmaßnahmen? von heute vormittag von feigen SPD-Granden vor dem gefürchteten persönlichen Bürgerkontakt. - - - Sollte ich etwa allein auf weiter Kreuzberger Flur bleiben? Und das in DEM SZENE-BEZIRK Berlins?! :rolleyes:

Aber dann kamen schon gemessenen Schritts neun schwarzgekleidete und zylinderbehütete Gestalten mit merkwürdigen Transparenten und sammelten sich vor dem Haupteingang der SPD-Zentrale (1. Foto). Erst dachte ich tatsächlich an eine Unternehmer-Initiative, denn die ?Botschaften? auf den Transparenten und die auf seriös gestylte Aufmachung verwirrten meine Sinne.

Kaum hatte ich distanziert mein erstes Foto geschossen, kam auch ein schwarzgekleidetes charmantes weibliches Wesen auf mich zu, drückte mir ihren Fotoapparat in die Hände und bat mich, die ganze Gruppe zu knipsen. Was blieb mir als Kavalier auch anderes übrig?! Und schon kam die nächste dunkle Gestalt mit gezückter Digitalkamera auf mich zu, vor allem wegen dem Zylinder als männliches Wesen zu erkennen, und bat mich, auch mit seinem Apparat ein Gruppenfoto zu machen. Gesagt - getan, doch dann wollte ich wissen, von welcher Organisation sie denn seien, denn die merkwürdige Aufmachung und die noch merkwürdigeren provokanten Transparente ließen wohl eher kaum auf ATTAC, dem eigentlichen Organosator dieses Aktionstages schließen.

Alles schmunzelte und klärte mich dann auf - - - sie seien sehr wohl von ATTAC-Berlin und würden hier eine Satire-Aktion veranstalten! Na ja, da mußte auch ich lachen, die Pointe war ihnen gelungen! ? Aber in die SPD-Zentrale kamen wir trotzdem nicht rein, es war so gegen 15:30 Uhr. Also marschierten wir in den Innenbereich, die Ladenpassage, aber auch hier, quasi im Dienstboten-Eingang, wurde uns von einem massiven SPD-Zerberus der Zutritt in?s SPD-Allerheiligste verwehrt (2. Foto)!

Da standen wir nun wie bestellt und nicht abgeholt. Doch plötzlich waren Polizeisirenen zu hören und kurze Zeit später kamen im Laufschritt einige Revier-Polizisten und wurden sogleich von dem Zerberus eingelassen. Die Polizisten redeten mit der SPD-Rezeption, blickten hin, blickten her und dann kamen auch zwei von ihnen und baten uns sehr freundlich, doch den Innenbereich des Gebäudes zu verlassen. Man sah ihnen an, wie peinlich ihnen diese Aufforderung war und wie sie drucksten, uns, die wir ganz friedlich nur herumstanden, das mitteilen zu müssen. Auf meine Frage, wer sie denn gerufen hätte, erhielten wir zur Antwort, von der SPD-Zentrale sei im Revier angerufen worden, die GenossInnen fühlten sich von einer Zusammenrottung dunkler Gestalten bedroht - wortwörtlich! Und deshalb seien sie auch mit eingeschaltetem Martinshorn schnellstmöglich herbeigeeilt, schon das Schlimmste befürchtend!

Ein herzliches Gelächter machte die Runde! - - - Für so feige und furchtsam vor dem persönlichen Kontakt mit friedlichen Bürgern hatten wir die GenossInnen nun doch nicht gehalten - selbst die freundlichen Revierpolizisten mußten schmunzeln. - - - Wir verließen also den Innenbereich. :p

Und da waren sie schon - die kasernierten Milizen, gleich mit zwei Mannschaftswagen gegen neun "gefährliche" Demonstranten und bjk als Sympathisanten! Die vor Aktionismus dampfenden Milizen übernahmen jetzt das Kommando und die braven Revierpolizisten verließen das "bedrohliche" Geschehen.

Ein Milizenpärchen wie Paul und Klärchen, sie etwa 165 cm, er cirka 195 cm, verlangten, von der eigenen staatstragenden Wichtigkeit überzeugt, unsere Personalausweise. Ich fragte die Milizin, ob ich, normalgekleidet, mich denn auch wie die schwarzgekleideten ausweisen müsse. Die Milizin erwiderte mit Ja. Ich fragte warum. Der lange Miliz sprang ein und fragte mich, ob ich dazugehöre. Ich antwortete ihm, das nicht gerade aber ich sei Sympathisant. Dann müsse ich den Ausweis zwecks Personalüberprüfung übergeben, so barsch der lange Miliz, die Milizin nickte erleichtert. Ich weigerte mich und wollte wissen, mit welcher Begründung ich diesem Ansinnen Folge leisten solle. Der lange Miliz murmelte etwas, was ich nicht verstanden habe. Ich fragte also noch einmal und wieder murmelte er Unverständliches und wendete sich ab, sodaß ich ihn nochmals etwas lauter fragte.

Da drehte sich der lange Miliz aggressiv zu mir um und motzte mich an, ob ich ihn verarschen wolle und wenn ich nicht zu den Demonstranten dazugehöre, solle ich mich verpissen! Sprach´s und ging. - - - Oha!!! - - - Da war er bei mir richtig! Jetzt wollte ich´s wissen! Und bestand bei der Milizin auf einer Anzeige gegen diesen kampfuniformierten Rüpel. Schnippisch sagte sie, erst müsse ich ihr den Personalausweis zwecks Feststellung der Personalien geben und wenn das abgearbeitet sei, könne ich immer noch meine Anzeige aufgeben. So gab ich ihr meinen Ausweis und wartete und hörte zu, wie ein intelligent ausschauender Milizenoffizier den ATTAC-Aktivisten in ruhigem Ton und geschulter Rethorik erläuterte, daß sie eine ungenehmigte Demo veranstalteten und es deshalb eine Anzeige geben würde. Auf die sachlichen Erwiderungen der ATTAC-Leute, die Demo sei doch genhmigt und Teil 1 habe doch bereits heute vormittag stattgefunden, entgegnete der geschulte und sich intelligent präsentierende Milizenoffizier, das Demo-Ende sei aber mittags gegen 12 Uhr von dem Veranstalter offiziell für beendet erklärt und damit betrieben die neun schwarzgekleideten eben leider doch eine unerlaubte Demo. Per Telefonanruf klärten die ATTAC.Leute und mußten kleinlaut aber erbost über den eigenmächtigen ATTAC-Menschen von heute mittag dem Milizenoffizier recht geben. :rolleyes:

Diskussion und Procedere zogen sich hin. Nachdem der Milizenoffizier und ich uns immer wieder interessiert beäugt hatten, sprach ich ihn auf die Rüpelei seines langen Untergebenen an. Er druckste, wiederum intelligent und gekonnt, Rede - Gegenrede und dann schmunzelten wir beide uns an, ich zeigte mit dem Finger auf den Langen, der gerade am Mannschaftswagen herumlümmelte. Da konnte der lange Miliz nicht mehr an sich halten und kam herüber, zeigte mir provokativ seinen Ausweis zum Notieren seiner Personalien. Ich griente ihn nur an und sagte ihm, daß er sich voll krass danebenbenommen hätte. Dann grienten wir alle in der Runde, die Luft war raus und wir erhielten unsere Ausweise wieder, ich wurde auf Veranlassung des intelligenten Milizenoffiziers aus der Anzeigenliste gestrichen, er feixte mir noch zu, die ganze Angelegenheit würde eh im Papierkorb landen - - - und dann löste sich die ganze spannende Angelegenheit auf. Jeder ging seines Weges aber zuvor hinterließ ich den ATTACs noch unsere Forums-URL, - - - ausdrücklich mit dem Hinweis des "Netzwerks gegen soziale Kälte". Man hört und sieht sich bestimmt wieder.

bjk
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Ergänzungen

Mehr zum 20.10.

Verlink-er 21.10.2003 - 13:30
Erst mal danke für diesen herrlichen Artikel :-)
Hier ist der Artikel vom "Langschläfer", der eingangs erwähnt wird:
 http://de.indymedia.org/2003/10/63718.shtml
Danach gabs an anderen Orten noch weitere Aktionen (150 bei Siemens und 50 Leute aufm Alex)


Weitere Artikel bei Indymedia zum gestrigen Aktionstag:

Dresden: Besetzung zum Aktionstag. mit Fotos
 http://de.indymedia.org/2003/10/63764.shtml

Kundgebung zum Aktionstag in Dresden
 http://de.indymedia.org/2003/10/63776.shtml

Aktionstag 20.10. in Saarbrücken
 http://de.indymedia.org/2003/10/63761.shtml

Marburg: SPD-Büro besetzt
 http://de.indymedia.org/2003/10/63736.shtml

Aktionstag 20.10. in Rostock
 http://de.indymedia.org/2003/10/63754.shtml

Insgesamt sollen ja in mindestens 20 Städten Aktionen geplant worden sein - vielleicht kommen ja noch mehr Berichte/Zusammenfassungen...

Noch mehr:

Verlink-er 21.10.2003 - 13:36

Berlin und so weiter

Anmerkung 21.10.2003 - 14:00
"Sollte ich etwa allein auf weiter Kreuzberger Flur bleiben? Und das in DEM SZENE-BEZIRK Berlins?!"
Ja. Berlin hat seit vielen Jahren keine wirkliche Opposition mehr gesehen. Nach der erfolgreich verlaufenen NOlympia-Kampagne verschwand die Linke berlins. Heute gibts nur noch kleine Zirkel, die in ständigenm gegenseitigen Grabenkämpfen liegen. Antikapitalistische Mobilisierungen bringen in Berlin nie mehr als ein paar hundert Leute auf die Strasse (In Hamburg sind immerhin einige tausend möglich!). Das jetzt gerade entstehende Sozialforum ist daher vielleicht so etwas wie ein kleiner Hoffnungsschimmer.

In Bremen demonstrierten gestern übrigens 2000(!!!) Menschen gegen die Agenda 2010. Bericht:  http://de.indymedia.org/2003/10/63794.shtml

Nix mit Anzeige!

Grundrechtler 21.10.2003 - 14:34
Also wenn wegen der Anzeige noch was kommt, müsst ihr euch mal auf´s Grundgesetz berufen.
Spontane Demonstrationen können jederzeit angemeldet werden und bedürfen keiner amtlichen Genehmigung. Die Bullen können dann Auflagen erteilen, bei Nichtbeachtung dieser Auflagen dürfen sie euch in Gewahrsam nehmen oder - je nach Verstoß - wegen "Verstoß gegen das Versammlungsgesetz" anzeigen. Laut dem Grundsatz der Verhältnismaßigkeit der Mittel sollten aber zunächst Platzverweise ausgesprochen werden, schließlich ist die systematische Kriminalisierung von Protest nicht Sinn des Versammlungsgesetzes.
Leider sieht die Realität mal wieder ganz anders aus und die Bullen benutzen und dehnen die Gesetze für ihre einsatztaktischen sowie politischen Interessen. Eine Antwort auf diese Praxis zu finden ist natürlich nicht einfach. Moralische bzw. rechtsstaatsgläubige Appelle dürften nicht viel bewirken, militanter Widerstand könnte zunächst die Umstände nur noch schlimmer werden lassen.
Am Ende muss es natürlich jedeR selbst entscheiden - ich halte eine Mischung aus öffentlicher und argumentierender Agitation und autonomer und militanter Gegenwehr an der richtigen Stelle für den richtigen Weg.
Dazu ein paar Termin-Anregungen:
Am 25. Oktober (näxten Samstag) in Magdeburg gegen den Gesinnungsparagraphen 129 (StGB) demonstrieren!
Am 1.11. gegen Sozialabbau die Straßen Berlins einnehmen.
Und außerdem: Am Beispiel der Atompolitik den repressiven Staatsapparat aufzeigen und ihn mal wieder richtig herausfordern. "Betriebsstörungen" bei der Bahn, "Hase und Igel" auf der Castor-Straße und "Feierabendpartys" vor den Polizeikasernen. Wir sind am Zug!

Auch in München...

FAU 21.10.2003 - 15:39
...gab´s eine kleine aber feine Aktion vor dem Arbeitsamt der überhaupt besten Plattform für Veranstaltungen dieser Art, mit Bühne und Infomaterial wurden die Ant-Harz-Gesetze kritisiert und so mancher Bürger lauschte den Rednern bei ihrer Situationsdarstellung.

Bericht über die Proteste vormittags in Berli

Frank Eßers 23.10.2003 - 17:25
Schaut mal ins open posting vom 23.10 oder unter www.genossetabu.de.vu - da findet Ihr einen Bericht über den attac/Gewerkschafter-Protest vorm Willy-Brandt-Haus am vormittag ("Die SPD-Fürsten und die harten Jungs in Grün")

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Respekt — gogo