LKW-Fahrer demnächst im Streik? Nuit debout in den Pariser banlieues: Polizeigewalt wichtiges Thema

 

Frankreich: Der Kampf gegen die Neue Arbeitsrechts-„Reform“
22. Bericht von Bernard Schmid / Paris

 

Leseauszug

….Eine Berufsgruppe, deren Arbeitsniederlegung ggf. beträchtliche Auswirkungen auf die Ökonomie des Landes – ja, im zugespitzten Falle gar tatsächlich eine „blockierende Wirkung“ – haben könnte, sind die LKW-Fahrer. Insofern ist es absolut nicht unwichtig, dass diese Beschäftigtengruppe nun gegen das geplante „Arbeitsgesetz“ in Bewegung zu kommen scheint.

Nach der (nicht unbedingt als progressiv einzustufenden) Branchengewerkschaft des Dachverbands FO/Force Ouvrière droht nunmehr auch die Branchensektion der CGT mit einem Streik der Fernfahrer gegen die geplante „Reform“ im Arbeitsrecht. Vgl. in der bürgerlichen Presse: http://www.lepoint.fr, oder bei linken Medien:http://www.revolutionpermanente.fr

Ihr Streik könnte u.U. wirklich eine durchschlagende Wirkung haben, falls er auch noch mit einem Ausstand der Eisenbahner zusammenfallen sollte. Diese demonstrieren am kommenden Dienstag, den 10. Mai in Paris vom Montparnasse-Bahnhof aus gegen die geplanten bahninternen Zumutungen für die dortigen Lohnabhängigen, besonders im Bereich der Arbeitszeitpolitik. Ab 16 Uhr an dem Dienstag sollen sie sich zusammen mit der Platzbesetzerbewegung auf der Pariser place de la République einfinden. Und falls sich auf Unternehmensseite nichts rührt, wollen die Eisenbahner/innen erneut ab dem 17./18. Mai streiken, dieses Mal auch längerfristig. Die CGT-Eisenbahner (die innerhalb des Dachverbands CGT in den letzten Wochen eine eher rechtslastige Position einnahm und in Sachen Ausweitung der Kämpfe aufs Bremspedal trat & tritt) will dann drei Tage hindurch streiken. Andere Kräfte, wie die linke Basisgewerkschaft SUD-Rail, rufen für den Fall jedoch zu einem unbefristeten Streik auf, über dessen Fortführung dann alle 24 Stunden in Vollversammlungen beraten werden soll (grève reconductible, wörtlich „verlängerbarer Streik“). Und sie rufen dazu auf, die Rücknahme des geplanten „Arbeitsgesetzes“ mit in den Forderungskatalog der Bahnbeschäftigten zu integrieren. Bislang beschränkt dieser sich weitgehend auf bahninterne Streitpunkte.

Die Platzbesetzerbewegung ruft nun dazu auf, parallel dazu und in möglichst vielen Sektoren ab dem 18. Mai ebenfall zu „verlängerbaren Streiks“ aufzurufen und diese zu unterstützen.....

 

….Am vergangenen Mittwoch, den 03. Mai hatte der Verfasser beschlossen, einmal mehr - nach einem jüngsten Abstecher in Malakoff südlich von Paris - einer Nuit debout-Versammlung einer der Pariser banlieues (Vor- oder Trabantenstädte) beizuwohnen. Dieses Mal fiel die Wahl auf das geradeaus nördlich von Paris gelegene Saint-Denis.

Dort hatten sich am 13. April erstmals rund 400 Menschen zu einer „wachen Nacht“ getroffen. Damals fiel die Mobilisierung zusammen mit einer Besetzungsaktion von Eltern in zahlreichen Schulen der Stadt, gegen Unterrichtsausfälle durch die Nicht-Ersetzung von Lehrkräften und allgemein gegen die Vernachlässigung des Départements (d.h. des ärmsten Verwaltungsbezirks in Frankreich, ohne Überseegebiete, neben dem ländlichen Armutsraum Limousin). Doch in den folgenden Wochen erlahmte die Mobilisierung ein wenig. Dazu trug bei, dass der Verdacht einer Verbindung mit dem – von, vereinfachend ausgedrückt, „Reformkommunisten“ geführten – Rathaus von Saint-Denis aufkam. Dieses liegt räumlich direkt neben dem Versammlungsort, im Schatten der Basilika der Stadt (dort liegen Generationen französischer Könige beerdigt). Eine Anmelderin der ersten „Nacht“-Kundgebung am 13. April war zudem als Angestellte im Rathaus beschäftigt, und der Einfachheit halber hatte man dieses um die Zur-Verfügung-Stellung von Schirmdächern gebeten. Doch das Gerücht einer vorgeblichen Abhängigkeit vom Rathaus schadete der Protestbewegung. Darauf reagierte diese nun, indem sie an diesem Mittwoch gänzlich auf jegliche Hilfe auf dem Rathaus, auch rein materieller Natur, verzichtete.

Als ich eintreffe, kommt zur Theorie bereits die Praxis hinzu: Rund 200 Menschen drängen sich am Eingang der Basilika, um diese zu besetzen. Es geht darum, den Protest von Wohnungslosen aus der Stadt zu unterstützen. Zu ihnen zählt eine Gruppe von Menschen, die bis zum 18. November 2015 in Sozialwohnungen (zum Teil wohl auch in squats) in einem relativ heruntergekommenen Gebäude in der 48, rue du Corbillon in Saint-Denis lebten. An jenem 18. November 2015 kam es jedoch zur Erstürmung des Gebäudes durch Eliteeinheiten der französischen Polizei, weil sich einer der Teilnehmer – sogar der führende Kopf – der Pariser Mordattentate vom 13. November des Jahres nebst Komplizen dort verschanzt hatte. Die Polizei nahm keine Rücksicht auf Verluste, sondern hielt mit der Bleispritze drauf, was das Zeug hielt. 5.000 Schuss Munition wurden binnen weniger Stunden abgefeuert. Dabei wurden auch die Wohnungen einer zweistelligen Zahl von Menschen schlichtweg zerstört. Das Hauptproblem ist jedoch, dass ihnen bis heute keine Ersatzwohnungen angeboten wurden, sondern sie in provisorischen Behelfsunterkünften hausen müssen.

Die Besetzung eines historischen Orts wie der Basilika ist natürlich dazu geeignet, Aufsehen auch über den Platz hinaus zu erwecken. Nach einer halben Stunde trifft jedoch die Bereitschaftspolizei (CRS) ein, um drei oder vier Zivilpolizisten der BAC (Brigades anti-criminalité) zu entsetzen. Diese hatten sich hinter der Kirchentür verbarrikadiert, um das Eindringen weiterer Protestierer/innen – fünf bis sechs Menschen befanden sich innerhalb des Kirchenraums – zu verhindern. Die Polizei (CRS) fährt ihre Schilde aus, drückt die Menschen vor der Kirchentür zur Seite. Doch ein erster Anlauf scheitert, die Menschenkette ist stärker, und die Polizeibeamten ziehen ab. Doch nach zwanzig Minuten kommen sie mit Verstärkung wieder. Nun gelingt es ihnen, die Kette zu reißen. Wer nicht freiwillig weicht, fliegt auf allen Vieren die Treppe vor dem Eingang zur Basilika hinunter. Nach weiteren zwanzig Minuten ist alles vorbei. Doch Dutzende von Einwohner/innen haben sich rund um den Schauplatz gesammelt.

Danach fährt die Nuit debout-Veranstaltung im Sitzen fort. Gezeigt wird ein Film über Polizeigewalt, mit einer Einführung von Amal Bentounsi, die sich sehr zu diesem Thema engagiert, auch auf der PARiser place de la République. Ihr Bruder wurde am 21. April 2012 in der Pariser Vorstadt Noisy-le-Sec durch die Polizei erschossen. Er war ein mehrfach vorbestrafter Urheber von Eigentumsdelikten, doch wurde er von hinten in den Rücken erschossen und nicht „in Notwehr“ – wie der polizeiliche Todesschütze behauptete. Letzterer wurde dennoch vor einem halben Jahr gerichtlich freigesprochen, nachdem auch die Staatsanwaltschaft in der Verhandlung eine fünfjährige Haft (mit Bewährung) sowie eine Verpflichtung zu psychiatrischer Behandlung gegen ihn beantragt hatte. Dieses Skandalurteil, so sehen es jedenfalls viele, regte viele zu weiterem Engagement an.

Polizeigewalt, Rassismus und ähnliche Themen sind hier in Saint-Denis noch stärker prägende Themen der Platzbesetzung, als in der Pariser Kernstadt. Knapp 100 Menschen bleiben bis kurz vor Mitternacht.

Mindestens fünfzehn Pariser Vorstädte haben inzwischen ihre eigene Nuit debout. Als nächste plant nun auch Nanterre, am kommenden Wochenende ihre erste Platzbesetzungsveranstaltung zu organisieren.

Quelle: http://www.trend.infopartisan.net/trd0516/t300516.html

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