Prozessbericht – Widerstand im Gefahrengebiet

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 Am 27.05.2020 fand der Berufungsprozess im Widerstandsverfahren gegen eine Person statt, die im Oktober 2017 am Dorfplatz kontrolliert wurde: http://4sy6ebszykvcv2n6.onion/node/84398

Am Vortag haben die Bullen des Berliner Staatsschutz die Richterin über den Aufruf zur Prozessbegleitung informiert, welche dann den Saalwechsel anordnete. Somit fand der Prozess im Sicherheitssaal 101 statt. Die Zuschauenden mussten sich einer Durchsuchung unterziehen und ihre Ausweise kopieren lassen. Am Eingang für die Prozessbeteiligten wurden Hamburger Gitter aufgestellt, um die Angeklagte zu durchsuchen.

Vor dem Verfahren wollte der Staatsanwalt einen Deal vorschlagen, dies wurde abgelehnt, ohne sein “Angebot” zu hören.

 

Aufgrund der Durchsuchungen der Zuschauenden, verzögerte sich der Beginn des Prozesses.

Sobald die solidarischen Zuschauer*innen Platz genommen haben, hat die Angeklagte eine politische Prozesserklärung verlesen (s.u.).

Die erste Bullen-Zeugin “Spassova”, eine 28-jährige Beamtin, die zum Tatzeitpunkt in der 36. EHU arbeitete, hat charmant versucht, die Richterin und die Staatsanwaltschaft von der Legitimität ihrer Anzeige zu überzeugen. Sie wäre zärtlich vorgegangen und die Angeklagte sei konstant unkooperativ und “bockig” gewesen. Sie hätte die gesamte Zeit geschwiegen und gelangweilt auf die Maßnahmen reagiert. Dieses respektlose Verhalten führte dazu, dass sie Zwang anwenden musste.

Die Zeugin meint, dass es normalerweise immer gut funktioniert, wenn man die Personen isoliert, dann werden sie gefügiger als in der Gruppe.

Beim Führen zum Leerfahrzeug fand dann der Widerstand statt, indem sich die Angeklagte gegen die Laufrichtung stemmte, sich aus dem Griff winden wollte und die Beine angehoben hat und somit stellenweise getragen werden musste.

Im Auto bemerkten sie dann noch einen ACAB-Aufnäher und drohten mit einer weiteren Anzeige wegen Beleidigung.

Nach der einstündigen Maßnahme gab es einen Platzverweis, deren Annahme die Angeklagte ebenfalls verweigerte. Die Zeugin wollte sie dann erneut aufforden dem Platzverweis nachzukommen und wurde dabei von solidarischen Menschen aufgehalten, die sich vor die Angeklagte stellten.

Die Maßnahme an sich findet sie total legitim, weil in der Rigaer ja immer schlimme Dinge passieren, wie Landfriedensbrüche, Beleidigungen, Steinwürfe, Pyro, Schmierereien, Farbbomben, Lärmbelästigungen – vor allem gegen die Polizei, aber manchmal sprechen sie auch Passant*innen an und bedanken sich für ihre Präsenz.

Grundlage der Maßnahmen, die sie dort regelmäßig durchführen, ist das ASOG und insbesondere die Einstufung als kriminalitätsbelasteter Ort. Wie weit dieser reicht, sei keine öffentliche Information, aber der Dorfplatz gehört definitiv dazu.

Der zweite Bullen-Zeuge “Voigt” ist 32 Jahre alt und versah seinen Dienst ebenfalls in der 36. EHU. Er konnte angeblich ohne jede Vorbereitung, rein aus dem Gedächtnis, eine fast identische Aussage zu der von der vorangegangenen Zeugin tätigen.

Im Anschluss an die beiden Aussagen wurde ein Tätigkeitsbericht zu dem Abend angefordert, welcher in der Akte erwähnt wurde. Dieser wurde verlesen, führte aber zu keiner weiteren Erkenntnis, abgesehen davon, dass sehr viele Menschen kontrolliert und durchsucht wurden. Zudem wurde bekannt, dass die Cops ihre Einschätzungen zur Auslastung der, von ihnen als relevant eingestuften, Szene-Locations im Kiez in solchen Berichten notieren.

Darauf folgten die Plädoyers. Die Anwältin forderte Freispruch, weil die gesamte Maßnahme rechtswidrig war.

Der Staatsanwalt, kurioserweise dieses mal nicht von der politischen Abteilung wie in der ersten Instanz, meinte, dass ihm die politische Erklärung vom Anfang egal sei, es ist ja keine Einlassung oder ein Geständnis und wird deswegen nicht berücksichtigt. Seiner Meinung nach ist das ASOG prima und alles war rechtmäßig. Er forderte 40 Tagessätze á 30 Euro.

Die Richterin brauchte keine 5 Minuten, um sich zu entscheiden. Als sie den Saal betreten hat, blieb ein*e Zuschauer*in sitzen, was sie irritierte. Sie fand dieses Verhalten respektlos, wollte jedoch nicht streiten und hat einfach weitergemacht.

In ihrer Begründung teilte sie mit, dass auch sie mit der politischen Erklärung nichts anfangen kann. Solange das ASOG so ist, muss sie nach dem Gesetz urteilen.

Wenn ihr das so schwer fällt, sollte sie vielleicht den Job wechseln.

Sie findet ebenso, dass die Maßnahme rechtsmäßig war, der KBO ist bekannt und alles mit dem ASOG gedeckt. Die Bullen-Zeug*innen sind glaubwürdig, wie auch sonst, der Widerstand hat also stattgefunden.

Da er aber im unteren Bereich lag, entschloss sie sich zu einer Verurteilung von 30 Tagessätzen á 30 Euro, entgegen dem Urteil vom Amtsgericht mit 70 Tagessätzen á 20 Euro.

Dadurch, dass dieser Prozess politisch geführt und nicht einfach der Strafbefehl angenommen wurde, konnten wir gemeinsam die Isolation durchbrechen und auch den Mythos, dass dieses Verhalten zu höheren Strafen führt, ein weiteres mal entkräften. Genauso zeigt die kurzfristige Saalverlegung, dass öffentliche Aufrufe und politisch geführte Prozesse ein geeignetes Mittel sind, um die vorher geplanten Abläufe der Gerichte ein wenig durcheinander zu bringen und damit den Wunsch der Justiz, schnell und unproblematisch Urteile "zustellen" zu können, erschwert werden kann.

 

Die Prozesserklärung:

Der Polizeistaat

Im "Gefahrengebiet" der Rigaer Straße, im Polizeisprech auch als kriminalitätsbelasteter Ort bezeichnet, ist die Polizei seit vielen Jahren dauerpräsent. Diese Präsenz führt zu Konflikten zwischen Menschen, die sich dort aufhalten und der Polizei.

Die so geschaffene Situation wird durch die Politik provoziert und durch die Medien aufgebauscht, um die Notwendigkeit von Intervention zu rechtfertigen. Das ASOG wurde ausgeweitet und bedingt vor allem an sogenannten kriminalitätsbelasteten Orten, welche ebenfalls durch die Polizei als solche kategorisiert werden, die Narrenfreiheit der Polizei.

Denn in so ausgewiesenen Gebieten hat die Polizei mehr Befugnisse, unter anderem können sie nach dem ASOG verdachtsunabhängige, gefahrenabwehrrechtliche Kontrollen durchführen und Menschen durchsuchen. Von diesen Befähigungen machen sie auch ausgiebig Gebrauch.

Mitunter wurden im Gebiet rund um die Rigaer Straße bis zu 1880 Personalien in 6 Wochen festgestellt.

So treten die so kontrollierten Personen in Polizeidatenbanken einfach häufiger in Erscheinung, da jede Kontrolle selbst zu einem Vorgang wird.

In der Folge ist es nur logisch, dass bei gehäuften Kontrollen mehr Anzeigen erstattet werden, vor allem wenn die Polizei die Menschen, die sich in diesem Gebiet aufhalten unter einen Generalverdacht stellt und sich ihnen gegenüber aggressiv und provokant verhält.

Dieser Dauerkonflikt ist politisch und führt auch zu persönlichen Feindschaften der Polizist*innen gegenüber den Menschen, die sich dort aufhalten. Aufgrund der Befugnisse durch das ASOG können sie so real, ohne jedes Korrektiv, beliebig viele Anzeigen schreiben und somit ihre Anwesenheit und Maßnahmen selbst legitimieren. Eine hohe Zahl an Anzeigen scheint die Gefährlichkeit zu belegen, die wiederum den Polizeieinsatz legitimiert.

Sowohl die persönliche als auch die politische Überzeugung der Polizist*innen und der steuernden Behörden ist im ASOG nicht bedacht, stellt aber einen relevanten Teil ihres Handels dar. Eine gesetzliche Einhegung und juristische Überprüfung gibt es hierfür nicht. Dies hat bedeutende Auswirkungen.

Dass die Polizei keine abstrakte Behörde ist, die bloß ihre Vorschriften ausführt, wird in dem polizeilichen Handeln deutlich. Menschen werden dauerhaft schikaniert, attackiert und die Polizei geht so weit, in Hauseingängen Zementsäcke aufzuschlitzen und darauf zu urinieren. So geschehen in der vergangenen Woche.

Darüber hinaus wird die persönliche und politische Feindschaft in Drohbriefen deutlich, die mindestens ein ehemaliger Mitarbeiter des LKA 5 verfasst und verschickt hat. Hierbei wurden Namen, Adressen und Bilder von Personen, die er der linken Szene zurechnete, veröffentlicht und die erwähnten Personen wurden damit bedroht, dass diese Informationen und weitere, beispielsweise an Neonazis weitergegeben werden. Der Polizist wurde zu einer Geldstrafe verurteilt.

Bei einem Vorfall, wie dem hier verhandelten, ist es nicht verwunderlich, dass es zu einer Strafanzeige kommt. Wie sollte sonst legitimiert werden, dass über Stunden mehrere Personen aufgehalten werden und sich Durchsuchungen unterziehen müssen. Wenn die Kontrollen nichts ergeben würden, gäbe es auch keine Rechtfertigung für weitere Präsenz und Kontrollen in dem Gebiet.

Dasselbe Konzept wird in der Akte zu diesem Verfahren Blatt 17 durch das LKA 521 angewandt . Das LKA 5 bemüht sich auch während dieser Ermittlung, eine Gefährlichkeit zu konstruieren, indem Strafverfahren aufgezählt werden, die sie selbst eingeleitet haben. In nur einem der genannten Verfahren kam es zu einer Verurteilung, in den anderen zu Freisprüchen und Einstellungen. Diese Aufzählung dient nur der Legitimation der eigenen Ermittlungsarbeit und dem Versuch, das Gericht zu beeinflussen.

Auch die spontane Verlegung des Gerichtssaals auf Anraten der Polizei fördert einmal mehr die Einschätzung der Gefährlichkeit.

Abgesehen von jeder verwertbaren juristischen Schuld oder Unschuld, ist jede polizeiliche Analyse die Grundlage der nächsten polizeilichen Analyse.

 

 

 

 

 

 

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