Nachfolger der NSU?

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Experten und Sicherheitsbehörden hatten davor gewarnt: Dass nach dem NSU
neue Neonazi-Terrorzellen entstehen könnten. Nach der Razzia bei
Rechtsextremisten und der Festnahme eines Nauener NPD-Politikers prüfen
die Behörden nun genau das.

http://www.pnn.de/brandenburg-berlin/1055567/

02.03.2016 von Alexander Fröhlich, René Garzke und Hardy Krüger

Nach Razzia und Festnahme von NPD-Politiker in Nauen

Braunes Terror-Netzwerk in Brandenburg?

von Alexander Fröhlich, René Garzke und Hardy Krüger
Maik Schneider

Experten und Sicherheitsbehörden hatten davor gewarnt: Dass nach dem NSU
neue Neonazi-Terrorzellen entstehen könnten. Nach der Razzia bei
Rechtsextremisten und der Festnahme eines Nauener NPD-Politikers prüfen
die Behörden nun genau das.

Nauen - Nach der Razzia in Nauen und der Festnahme des örtlichen
NPD-Politikers Maik Schneider gehen die Sicherheitsbehörden einem
ernsten Verdacht nach. Geprüft wird nach PNN-Recherchen mit Blick auf
den Brandanschlag auf eine als Asyl-Notunterkunft geplante Sporthalle im
August 2015, mehrere Attacken auf Parteibüros und Politiker der
Linkspartei, ob sich die Rechtsextremisten in Nauen zu einer
terroristischen Vereinigung zusammengeschlossen haben.

Nach der entsprechenden Gesetzeslage zur "Bildung einer terroristischen
Vereinigung" werden „Rädelsführer oder Hintermänner“ einer solchen
Organisation mit mindestens drei Jahren Haft bestraft, Maximum sind 15
Jahre. Experten und Sicherheitsbehörden hatten nach Bekanntwerden der
Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) im Jahr 2011
wiederholt vor dem Entstehen neuer Neonazi-Terrorzellen auch in
Brandenburg gewarnt, weil es innerhalb der rechtsextremistischen Szene
zahlreiche „tickende Zeitbomben“ gebe.

NPD-Verbot spielte keine Rolle - aber Angst vor Anschlägen

Dass der Tag der Razzien mit dem Beginn des NPD-Verbotsverfahrens vor
dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zusammenfiel, sei Zufall, hieß
es aus Sicherheitskreisen. Nachdem es zuletzt zahlreiche
rechtsextremistische Anschläge in der 17000-Einwohner-Stadt Nauen
gegeben hatte, befürchteten die Ermittler weitere Attacken und schlugen
deshalb am Dienstag zu.

Die Ermittler prüfen derzeit, ob es Verbindungen zu anderen
rechtsextremistischen Straftaten in der Stadt gibt - und davon gehen die
Sicheheitsbehörden aus, es gab schon im Vorfeld Razzien, allerdings ohne
Erfolg. Im August 2015 war eine Sporthalle, die als Asyl-Notunterkunft
vorgesehen war, durch einen Brandanschlag komplett zerstört worden. Erst
Mitte Februar wurde ein Brandanschlag auf das Auto eines Politiker-Paars
der havelländischen Linken verübt, immer wieder wurde deren Parteibüro
in Nauen attackiert. Bei dem Auto eines Jugendvereins, der sich für
Flüchtlinge engagiert, hatten Rechtsextremisten im April 2015 die Reifen
zerstochen und hinterließen einen Drohbrief.

Aufruf zum Bau von Rohrbomben gegen Flüchtlinge

Zuletzt riefen Neonazis Mitte Februar in Nauen auf Handzetteln offen zum
Einsatz von Sprengsätzen gegen Flüchtlinge auf. In dem zweiseitigen
Pamphlet forderten sie zum "absoluten Widerstand" gegen die "Invasion
der Ausländer" und eine angeblich von den Eliten gewollte Besetzung
Deutschlands "durch sogenannte Flüchtlinge" auf - samt Tipps zum Bau von
Molotow-Cocktails und Rohrbomben sowie einer Anleitung, um
Plastiksprengstoff herzustellen. Der Staatsschutz ermittelt in diesem
Fall wegen des Verdachts auf Volksverhetzung, Verstoßes gegen das
Waffengesetz und der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten.

Kurz darauf gingen bei der Polizei Hinweise ein, dass eine
Traglufthalle, in der Asylbewerber in direkter Nachbarschaft zur
niedergebrannten Sporthalle unterkommen sollen, Ziel eines Anschlags
werden könnte. Daraufhin erklärte die Polizei, dass sie diese Hinweise
als "sehr ernst" einstufe und "nach einer Gefährdungsbeurteilung ihre
Schutzmaßnahmen entsprechend angepasst“ habe, etwa durch "spezielle
Kontrollmaßnahmen" über "die normale Streifentätigkeit hinaus".

Ein als Kleinkrimineller registrierter Neonazi ist auf der Flucht

Bei den Razzien am Dienstag in mehreren Städten wurden am Dienstag zwei
Haftbefehle vollstreckt. Insgesamt drei Personen – der Nauener
Stadtverordnete und Kreistagsabgeordnete Maik Schneider (29) von der
NPD, der 28-jährige Dennis W. und die 22-jährige Frauke K. – sind
dringend tatverdächtig, im Mai 2015 das Auto eines Polen aus
fremdenfeindlichen Motiven angezündet zu haben. Das Auto war zu diesem
Zeitpunkt vor einem Wohnhaus in Nauen abgestellt. „Die Spurensicherung
ergab, dass der Brand mit Brandbeschleuniger verursacht worden war“,
sagte ein Polizeisprecher.

Bei den insgesamt sechs Durchsuchungen am Dienstagmorgen in Nauen,
Potsdam und Schönwalde-Glien konnten die Ermittler Maik Schneider und
die 22-jährige K. festnehmen. Nach Dennis W., der der Polizei als
Kleinkrimineller und mit Drogendelikten bekannt ist, wird gefahndet. Er
wurde weder in seiner Wohnung noch an seiner Arbeitsstelle angetroffen.
Die Ermittler stellten umfangreiche Beweismittel – Laptops, Handys,
Datenträger, Videokameras und schriftliche Unterlagen – sicher. Diese
müssten nun ausgewertet werden, hieß es. Weiterhin stellten die Fahnder
mehrere Tonträger mit rechtsextremistischer Musik, geringe Mengen Drogen
sowie mehrere Tausend Euro Bargeld sicher.

Die beiden Verhafteten, Schneider und K., wurden noch am Dienstag einem
Haftrichter vorgeführt. Schneider sitzt nun in Untersuchungshaft. Die
22-jährige Frauke K. wurde wieder auf freien Fuß und ihr Haftbefehl
außer Vollzug gesetzt.

Maik Schneider - eine Schlüsselfigur der Neonazi-Szene

Schneider gilt im Havelland als Schlüsselfigur der rechtsextremistischen
Szene. Für die NPD sitzt er in der Nauener Stadtverordnetenversammlung
und im Kreistag, außerdem gilt er als einer der Köpfe der Neonazi-Gruppe
„Freie Kräfte Neuruppin/Osthavelland“. Daneben wird er von der NPD als
„Ansprechpartner für Potsdam“ geführt. In der Vergangenheit meldete
Schneider zahlreiche Anti-Asyl-Demos in Brandenburg an, auch bei
mindestens zwei der rechten Pogida-Demonstrationen in Potsdam war er.

Schneider war auch an den ausländerfeindlichen Tumulten bei einer
Sitzung der Nauener Stadtverordneten im Februar 2015 beteiligt. Bei
dieser sollte über den Bau eines Flüchtlingsheims in der Stadt
abgestimmt werden. Neonazis schlugen von außen gegen die riesige
Fensterfront, riefen lauthals „Ausländer raus“. Der Saal musste geräumt
werden. Der Rädelsführer damals: Maik Schneider. Danach wurde gegen ihn
ein Strafverfahren wegen Landfriedensbruchs eingeleitet. Die Tumulte
waren eine Initialzündung für die Nauener Neonazis: Seitdem gab es in
der Stadt zahlreiche Anti-Asyl-Proteste, einige von Schneider
angemeldet. Die Märsche endeten, nachdem im August 2015 die Sporthalle
brannte.

Seit 2007 als Neonazi aktiv

Brisant an dem Fall: Schneider, ausgebildeter Erzieher, hatte einem
Bericht der Tageszeitung "Märkische Allgemeine" zufolge auch den
fremdenfeindlichen „Abendspaziergang durch Jüterbog“ im November 2015
mit 150 bis 200 angemeldet. Nach dem Aufmarsch wurde der
Flüchtlingstreff der evangelischen Kirche in Jüterbog durch eine
Explosion zerstört.

Maik Schneider ist seit spätestens Anfang 2007 im Neonazi-Milieu
bekannt, etwa durch die diversesten Aufmärschen in Brandenburg. In
dieser Zeit war er auch in verschiedenen Organisationen aktiv: Nicht nur
bei der NPD und den Freien Kräften, sondern auch im Umfeld des
Kampfbundes Deutsche Sozialisten (KDS) und des mittlerweile verbotenen
Vereins „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ). Bei einer NPD-Demonstration
in Potsdam fiel Schneider 2012 auf: Er führte in der Nähe der
Gegendemonstranten - außerhalb der NPD-Versammlung - ein Messer mit
sich. Szenebeobachtern zufolge wurde gegen ihn deshalb eine Strafanzeige
wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz gefertigt. Schneiders
Ausrede: Er habe mit dem Messer lediglich seinen Kohlrabi schälen wollen.

Die Landespolitik sah sich durch Razzia und die Festnahmen in Nauen am
Dienstag in ihrer Linie bestätigt. "Das ist ein harter Schlag für die
Nazi-Szene im Havelland“, sagte die Linke-Landtagsabgeordnete Andrea
Johlige der Deutschen Presse-Agentur in Potsdam. „Das zeigt, dass die
monatelange Arbeit der Sicherheitsbehörden erste Früchte trägt.“
Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sagte: „Die Nauener Vorfälle
bekräftigen, dass das Verbotsverfahren gegen die NPD berechtigt ist. Die
Verhaftungen zeigen: die NPD ist direkt und indirekt für Gewalttaten
verantwortlich.“

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