NPD-Hetze gegen Pol:innen

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Die NPD macht sich die tief sitzenden antipolnischen Ressentiments in der deutschen Bevölkerung zunutze. Im Vorfeld der Landtagswahlen im Herbst 2011 in Mecklenburg-Vorpommern machte die NPD gegen die seit Mai herrschende Freizügigkeit für Arbeitnehmer_innen aus Polen mobil. Mit kleineren Parteiveranstaltungen vor allem entlang des Grenzgebietes zu Polen wollte die NPD ihre „Präsenz“ zeigen und sich als „Kümmerer“ aufspielen, die die „Sorgen“ der deutschen Bevölkerung ernst nehmen müssten.

Die Aufhebung der Freizügigkeitsbeschränkungen[1] für einige mittelosteuropäische EU-Beitrittsstaaten von 2004 (Polen, Ungarn, Tschechische Republik, Estland, Lettland, Litauen, Slowakei, Slowenien) im Jahre 2011 wurde wie die jetzige Diskussion von rassistischen Stereotypen mitbestimmt. Dabei richtete sich die Hetze vor allem gegen Pol_innen, die ab diesem Datum in der BRD uneingeschränkt arbeiten durften. Vor allem in den strukturschwachen deutschen Grenzgebieten zu Polen mit hoher Arbeitslosigkeit agitierten die NPD und andere Neonazis gegen „Billiglöhner, die in unseres soziales Netz einwandern.“[2]

Dabei konnten sich die extremen Rechten auf einen fest verwurzelten antipolnischen Rassismus innerhalb weiter Teile der deutschen Bevölkerung stützen. Die Amadeu-Antonio-Stiftung bemerkte: „So ist die Gefahr vor ‚billigerer Konkurrenz aus dem Osten‘ kein neues Bild in Deutschland. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts beschuldigte man polnische Beschäftigte im Ruhrgebiet und in der Landwirtschaft die Löhne zu drücken. In den 1920er Jahren und in der Zeit des Nationalsozialismus wurden polenfeindliche Stereotype politisch instrumentalisiert.“[3]

Zu DDR-Zeiten kauften polnische Staatsbürger bis zur Schließung der Grenze 1980 wegen des „Solidarnosc-Bazillus“[4] vor allem billige und in ihrem Land schwer zu bekommende Waren wie Kinderkleidung oder Lebensmittel ein. Da die SED-Regierung das Warenangebot nicht erhöhte, kam es vor, dass Einwohner_innen der grenznahen Städte wie Görlitz oder Frankfurt/Oder vor leeren Regalen standen. Die Verantwortung für diesen Engpass wurde bei den „Schacher-Polen“ gesucht und nicht bei der SED-Führung. An manchen Geschäften hingen sogar Schilder mit der Aufschrift „Kein Verkauf an Polen“, die Assoziationen an die NS-Zeit weckten.[5] Im Zuge des Solidarnosc-Kongresses Anfang September 1981 und der Streiks in Polen drohte die SED-Regierung damit, ihre wirtschaftlichen Hilfen einzustellen und stellte Pol_innen in kollektivierender Weise als faul und arbeitsscheu dar: „Kein Volk kann ohne Arbeit leben, wie seine Gesellschaft oder Politik auch immer gestaltet sein mag. Das ist nicht antipolnisch, sondern einfach nur logisch gedacht.“[6]

Mitte August 1990 versuchten Anhänger_innen der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten die Grenze von Görlitz nach Zgorzelec zu überqueren und forderten in revisionistischer Manier ein „Bundesland Schlesien“.[7] Als am 8.4.1991 das deutsch-polnische Abkommen für eine visafreie Einreise für Tourist_innen in Kraft trat, griffen Neonazis an den Grenzorten in einer Aktion „Kein Pole kommt nach Deutschland“ in Frankfurt/Oder, Görlitz und Guben polnische Reisebusse und PKW‘s mit Steinen und Feuerwerkskörpern an, was zu fünf verletzten Personen führte.[8] Anwohner_innen solidarisierten sich mit den Neonazis und spendeten mitunter Beifall. Angriffe auf polnische Staatsbürger_innen durch deutsche Neonazis war in der Folgezeit der Normalzustand.

Die tiefsitzenden antipolnischen Ressentiments zeigten sich auf beim „Brötchenkrieg“ im Sommer 1995. Auf die Eröffnung einer Bäckerei in Frankfurt/Oder, die deutlich billigere Backwaren aus Polen bezog, reagierten Frankfurter Bäcker_innen mit der Drohung eines Lehrstellenboykotts. Die Handwerkskammer rief gar zum Verbot des Verkaufs polnischer Backwaren in der Oderstadt auf.[9] Polnische Student_innen, die an der Frankfurter Viadrina eingeschrieben waren, wurden häufig Opfer von rassistischen Gewalttaten. Der BWL-Student Adam Twardoch erzählte: „Laut in der Straßenbahn polnisch zu reden, traue ich mich nicht.“[10] Der ehemalige Rektor der Viadrina, Hans Weiler, berichtete: „Ausländische Angehörige von Mitarbeitern drängen auf einen Wegzug aus Frankfurt, weil sie die Anpöbelungen in der Öffentlichkeit nicht mehr ertragen können.“[11] In dem Gebiet um Frankfurt/Oder gründeten sich selbsternannte „Bürgerwehren“, die ihr Eigentum vor „Wirtschaftsflüchtlingen“ und „illegaler Einwanderern aus dem Osten“ schützen wollten. Die Forderung nach einer stärkeren Grenzüberwachung verbanden sie mit einem harten Durchgreifen gegen „Schieber“ und „Schwarzarbeiter“ aus Polen.[12]

Die Migration von Arbeitnehmer_innen aus den mittelosteuropäischen Staaten wurde von der NPD und „Freien Kameradschaften“ als Gefahr für deutsche Arbeiter_innen im Besonderen und für die von ihnen angestrebte deutsche „Volksgemeinschaft“ im Allgemeinen vermittelt. Im Sinne Carl Schmitts wird ein sich feindlich gegenüberstehendes homogenes Konstrukt von authochthonen und migrierenden Arbeitnehmer_innen gezeichnet, wo es keine Solidarität untereinander gibt und eine ökonomische Konkurrenzsituation besteht. So hieß es in einem neonazistischen Aufruf: „Der deutsche Arbeitnehmer wird infolge dieser Fremdarbeiterinvasion in einen Konkurrenzkampf um seinen Arbeitsplatz gedrängt werden.“[13] Die Bremer NPD agitierte: „Die Herstellung der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit ist die beste Methode, um nationale Mindestlohnregelungen zu unterlaufen und in Deutschland weiterhin eine große industrielle Reservearmee von Lohndrückern im Sinne des Großkapitals zu erhalten.“[14] Ein Plakat der NPD-Mecklenburg-Vorpommern mit der Aufschrift „Polen-Invasion stoppen“ im Vorfeld der Kommunalwahlen 2009 wurde in der Folge wegen Volksverhetzung verboten. Dass im Hotel- und Gaststättengewerbe sowie in der Pflegebranche in Mecklenburg-Vorpommern Arbeitskräftemangel herrschte, wurde von der NPD nicht thematisiert.[15]

Im Vorfeld der Landtagswahlen im Herbst 2011 in Mecklenburg-Vorpommern machte die NPD gegen die seit Mai herrschende Freizügigkeit für Arbeitnehmer_innen aus Polen mobil. Mit kleineren Parteiveranstaltungen vor allem entlang des Grenzgebietes zu Polen wollte die NPD ihre „Präsenz“ zeigen und sich als „Kümmerer“ aufspielen, die die „Sorgen“ der deutschen Bevölkerung ernst nehmen müssten. Bei diesen Veranstaltungen hob die NPD die angeblich fatalen Auswirkungen der Freizügigkeit hervor. Dies seien „verschärfte Konkurrenz“ und „Billiglöhne“, von denen insbesondere die Menschen in der Grenzregion zu Polen betroffen wären.

Der damalige Vorsitzende der NPD, Holger Apfel, sprach davon, dass die Arbeitnehmer_innenfreizügigkeit ein „globalisierter Verschiebebahnhof“ sei und „als Verrat an den nationalen Interessen Deutschlands“ zu werten wäre.[16] Die über die Grenze zu Polen einwandernden Osteuropäer_innen würden dann ebenfalls irgendwann über „die offene Grenze“ in die BRD kommen. Aus diesem Grund stellte die NPD die Forderung auf, dass die damalige Bundesregierung unter Angela Merkel die vereinbarten Verträge zur Freizügigkeit einseitig aufkündigen müsse, „um den deutschen Arbeitsmarkt vor der Billiglohnkonkurrenz aus dem Osten zu schützen“ und die „Grenzen für Lohndrücker und Wirtschaftsflüchtlinge dicht“ zu machen.[17]

Dies schien offenbar auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein; mit 6% Zweitstimmen schaffte es die NPD den Einzug in den Landtag in Schwerin. In den strukturschwachen Grenzregionen zu Polen erzielte die NPD sogar mehrheitlich zweistellige Stimmenergebnisse. Die von der NPD geschürte antipolnische Hetze stieß auch auf eine breitere Resonanz in der Bevölkerung als es ihr Wahlergebnis vermuten ließ. Unter den Jugendlichen in den Grenzregionen äußerte sich laut einer Studie der Universität Potsdam ungefähr ein Drittel zustimmend zu polenfeindlichen Aussagen.[18]

Die Vorteile der neuen Freizügigkeitsregelung wie der demographische Wandel, die steigende Abwanderung in westliche Bundesländer oder dem boomenden Metropolen Leipzig oder Dresden und den damit einhergehenden Fachkräftemangel wurden von den Agitator_innen der extremen Rechten unterschlagen und somit ein einseitiges Bedrohungsszenario aufgebaut, das Migration insgesamt in der Semantik der Gefahren präsentiert.

Dass das von den extremen Rechten vorhergesagte Schreckensszenario nicht eingetreten ist, beweisen empirische Daten aus den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Brandenburg. Die Migration von Arbeitnehmer_innen aus den mittelosteuropäischen Staaten fiel insgesamt sehr gering aus, negative Folgen für die einheimische Wirtschaft gab es kaum. Die von den extremen Rechten vorausgesagte „Massenzuwanderung“ aus den mittelosteuropäischen Ländern fand nicht statt: Laut der Statistik der Bundesagentur für Arbeit gab es eine Nettozuwanderung von lediglich 79.000 Personen.[19] Die sozialversicherungspflichtige und geringfügige Beschäftigung aus den acht Ländern im Jahr 2011 stieg um 82.000 Personen - und damit etwas stärker als die Nettozuwanderung. Dies lässt sich damit erklären, dass Personen, die bereits als Selbstständige in Deutschland gearbeitet haben, auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgestiegen seien. Die meisten Zuwanderer_innen aus den neuen EU-Mitgliedstaaten arbeiten als Leiharbeiter, im Baugewerbe, in der Industrie und in der Gastronomie. 20.600 von ihnen gingen nach Bayern, gefolgt von Baden-Württemberg (11.700) und Nordrhein-Westfalen (14.800).

Anlässlich des einjährigen Bestehens der Arbeitnehmer_innenfreizügigkeit erklärte Jutta Cordt, Vorsitzende der Geschäftsführung der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit: „Sachsen profitiert nur in geringem Umfang von der uneingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit. Im vergangenen Jahr haben durchschnittlich rund 1.200 Frauen und Männer aus den EU-8-Staaten zusätzlich eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Sachsen ausgeübt. Das waren etwa drei Prozent der bundesweit rund 40.000 zusätzlichen Beschäftigten. Die meisten der 1.200 Personen kamen aus Polen, der Tschechischen Republik und Ungarn. Die Beschäftigungsschwerpunkte lagen in den Bereichen Zeitarbeit, Baugewerbe, Verarbeitendes Gewerbe und im Dienstleistungsbereich. Mit dem Blick auf die künftigen Fachkräftebedarfe der Wirtschaft und dem demografisch bedingten Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials ist das zu wenig. Bis 2025 wird die Zahl der Frauen und Männer im erwerbsfähigen Alter um rund 500.000 zurückgehen. Damit fehlt ein Teil der Arbeitskräfte, die zur Produktivität und Konkurrenzfähigkeit der sächsischen Betriebe beitragen.“[20]

Die NPD hetzt weiter gegen die Freizügigkeitsbestimmungen und macht diese für die „Grenzkriminalität“ verantwortlich: „Seit der (…) Grenzöffnung zu Polen und zur Tschechei (sic) ist Deutschland zu einem riesigen Supermarkt geworden. (…) Autos, Baumaschinen, Fahrräder und Werkzeug verschwinden auf Nimmerwiedersehen, nicht zu vergessen die deutlich gestiegene Zahl von Wohnungseinbrüchen im gesamten Bundesgebiet.“[21]




[1]Deutschland hat seinen Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer_innen aus den EU-8-Staaten schrittweise geöffnet. Das Thema der Arbeitnehmer_innenfreizügigkeit erhielt erstmals 2004 großeAufmerksamkeit in der europäischen Öffentlichkeit und Politik. Vor dem EU-Beitritt von zehn mittel- und osteuropäischen Ländern am 1. Mai 2004 hatten einige EU-Mitgliedstaaten, besonders Deutschland und Österreich, Bedenken. Es wurde befürchtet, dass wegen des großen Lohngefälles eine große Anzahl von Arbeitnehmer_innen für „Lohndumping“ sorgen könnte, sollte die uneingeschränkte Arbeitnehmer_innenfreizügigkeit für die neuen Mitgliedstaaten ab deren EU-Beitritt gelten. Es wurde dann die Regelung vereinbart, dass  zwischen 2004 und 2011 der Arbeitsmarktzugang bereits eingeschränkt möglich war.

[2]www.netz-gegen-nazis.de/artikel/neue-aengste-und-alte-ressentiments-pole...

[3] www.amadeu-antonio-stiftung.de/aktuelles/der-1-mai-arbeitnehmerfreizuegi...

[4] Hacker, J.: SED und nationale Frage, in: Spittmann, I. (Hrsg.): Die SED in Geschichte und Gegenwart, Köln 1987, S. 43-64, hier S. 60

[5] Die Zeit vom 21.6.1991

[6] Neues Deutschland vom 8.9.1981

[7] Borchers, A.: Neue Nazis im Osten, Berlin 1991, S. 76

[8] Siegler, B.: Auferstanden aus Ruinen… Rechtsextremismus in der DDR, Berlin 1991, S. 32

[9] MOZ vom 25./26.8.1995

[10] Zitiert aus Der Spiegel 15/1998, S. 78ff

[11] Ebd.

[12] Aachener Nachrichten vom 21.8.2010

[13] Zitiert aus Zimmermann, J./Wamper, R.: Völkisch und sozial? Neonazistische Agitation gegen die neue EU-Freizügigkeit, in: Kellershohn, H. (Hrsg.): Die „Deutsche Stimme“ der „Jungen Freiheit“. Lesarten des völkischen Nationalismus in zentralen Publikationen der extremen Rechten, Münster 2013, S. 53-60, hier S. 57

[14] Ebd, S. 56

[15] www.amadeu-antonio-stiftung.de/aktuelles/der-1-mai-arbeitnehmerfreizuegi...

[16]www.endstation-rechts.de/news(kategorie/sachsen/artikel/arbeitnehmerfreizuegigkeit-npd-sachsen-ein-freifahrtsschein-fuer-sozial.html

[17] Ebd.

[18]www.netz-gegen-nazis.de/artikel/neue-aengste-und-alte-ressentiments-pole...

[19]www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/133524/arbeitnehmerfreizuegigkeit

[20] Zitiert aus Aachener Nachrichten vom 12.5.2011

[21] Deutsche Stimme 2/2014, S. 1

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