Deutsche-Soziale Union (DSU)

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In der Deutschen Sozialen Union (DSU) fand der NS-Aktivist Otto STrasser in der BRD ein neues Betätigungsfeld. Die Partei war vor allem mit seiner Person und seinen politischen Vorstellungen verbunden.

Deutsche Soziale Union (DSU)

 

Der spätere Begründer der DSU, Otto Strasser (10.09.1897- 27.08.1974), begeisterte sich für das völkische Denken von Arthur Moeller van den Bruck und dessen „mitteleuropäische Reichsidee“.[1] Nach dem Münchener Hitler-Putsch vom 09.11.1923, bei dem sein Bruder Gregor verhaftet und verurteilt worden war, entschloss sich auch Otto Strasser, der NSDAP beizutreten.[2] Gemeinsam mit seinem Bruder verfolgte Otto Strasser einen „antikapitalistischen“, „sozialrevolutionären“ Kurs der NSDAP, der teilweise die Streiks der sozialdemokratischen Gewerkschaften unterstützte. Am 01.03.1926 gründeten die Brüder den Kampf-Verlag, der sich zum publizistischen Sprachrohr des „linken Flügels“ der NSDAP entwickelte. In dem Verlag gaben sie eine Reihe von Broschüren, die „Berliner Arbeiterzeitung“ und eine Zeitschrift mit dem Titel „Der nationale Sozialist“ heraus. Gregor und Otto Strasser missbilligten Hitlers Haltung gegenüber den christlichen Kirchen und das „Bonzentum“ der höheren NSDAP-Führer. Hitler wiederum empfand die „nationalrevolutionären“ Vorstellungen der Brüder Strasser als störend bei seinen Bemühungen um eine Verständigung mit finanzkräftigen Wirtschaftskreisen. Nach einer zweitägigen Aussprache zwischen den Brüdern Strasser und Hitler im Mai 1930 zog Otto Strasser den Trennungsstrich, indem er am 04.07.1930 in seiner Zeitung die Parole ausgab „Die Sozialisten verlassen die NSDAP“.[3] Gregor Strasser blieb in der NSDAP, weil er noch immer hoffte, den Kurs Hitlers beeinflussen zu können. Otto Strasser gründete mit einem kleinen Kreis von Anhängern eine „Kampfgemeinschaft revolutionärer Nationalsozialisten“, die sich durch Zuwachs aus anderen Gruppen der „Konservativen Revolution“[4] schließlich zur „Schwarzen Front“ ergänzte.[5] In der Folgezeit versuchte Strasser, Mitglieder und Sympathisanten der KPD für die „Kampfgemeinschaft“ zu gewinnen, und trat bei gemeinsamen Diskussionsveranstaltungen auf. Wegen der zunehmenden Bedeutungslosigkeit der Strasserschen Publikationen stellte der Kampf-Verlag am 01.10.1930 seine Tätigkeit ein. 1933 veröffentlichte Strasser „Vierzehn Thesen zur deutschen Revolution“, in denen er vor einer angeblichen Bevormundung durch das „artfremde Judentum“ warnte.[6] Nach der „Machtergreifung“ gehörten die Abtrünnigen der NSDAP zu den ersten Opfern. Otto Strasser wurde rechtzeitig vom damaligen Reichsinnenminister Frick vor einem gegen ihn geplanten Anschlag gewarnt. Durch die Vermittlung seines Bruders gelang es ihm, in der Nacht zum 10.05.1933 über die Grenze bei Kufstein zu entkommen.[7] Über die Stationen Prag, Schweiz und Portugal emigrierte er 1943 nach Kanada. In der Zeit der Emigration schrieb Strasser neun Bücher und andere Schriften, die sich mit der Person und der Rolle Hitlers, mit dem Nationalsozialismus als Bewegung und Ideologie und mit der Frage nach der „Erneuerung“ Deutschlands beschäftigten.[8]

Von seinem kanadischen Exil aus bemühte sich Strasser, seine früheren Gefolgsleute und Sympathisanten zu vereinigen. Das bereits bestehende System von „Strasser-Beauftragten“ in Amerika sollte auf die westlichen Zonen übertragen werden.[9] Neben seinem „Generalbevollmächtigten“ Kurt Sprengel waren folgende „Strasser-Beauftragte“ tätig: Erich Wiechmann in Niedersachsen, Hans Giessen in Nordrhein-Westfalen, Hans Kampf und später Rudolf Knochenhauer in Hessen sowie Waldemar Wadsack in Bayern. Seine Anhänger sollten während seiner Abwesenheit die Gründung einer „Deutschen Freiheits-Partei“ vorbereiten. Im Mai 1947 wurde Strassers in Argentinien herausgegebene Schrift „Deutschlands Erneuerung“ auf einer Tagung in Stuttgart als programmatische Plattform gebilligt.[10]

Am 18.10.1948 gründeten ehemalige Anhänger Strassers in Bad Kissingen den „Bund für Deutschlands Erneuerung“ (BDE), dessen vordringliche Ziele die Sammlung weiterer Strasser-Anhänger und die Unterstützung der Bemühungen um die Rückkehr Strassers aus dem Exil waren. Der Gründer und Vorsitzender des Bundes war Waldemar Wadsack aus München.[11] Der BDE verstand sich als „eine Schulungsgemeinschaft zum Studium und zur Propagierung jener neuen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Ordnung, die wir für die Erneuerung Deutschlands (und Europas) für notwendig halten und die in dem Buch ‚Deutschlands Erneuerung’ im Einzelnen dargelegt ist. (…) Gemäß dieser Aufgabe und Struktur des BDE können – und sollen – dessen Mitglieder in allen demokratischen Organisationen und Parteien wirken, wobei statutenmäßig jede Zusammenarbeit mit totalitären Organisationen und Parteien ausgeschlossen ist.“[12]

Die Schulungs- und Agitationstätigkeit des BDE kam nicht wie gewünscht voran, da sie an mangelhaften finanziellen Mitteln litt, was auch durch die nicht erfolgte Lizenzierung der BDE-Landesverbände (Bayern, Hessen, NRW, Niedersachsen, Baden-Württemberg) mitverursacht war. Trotz zahlloser Briefe, Mahnungen und Weisungen Strassers aus Kanada kam die BDE-Arbeit nicht voran, bis sein neuer Stellvertreter Bruno Fricke 1950 aus Paraguay über die Schweiz illegal in die BRD kam, um die Arbeit voranzutreiben.[13]

Strassers Anhänger im BDE hatten in den folgenden Jahren wenig Erfolg mit ihren Sammlungsbestrebungen. Das lag vor allem an dem Umstand, dass Otto Strasser sowohl von ehemaligen Nationalsozialisten als auch von anderen extrem rechten Personen wegen seiner Emigration mit Vorbehalten betrachtet wurde.[14]

Eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ermöglichte Strasser 1955 die schon früher angestrebte, bis dahin aber verweigerte Rückkehr nach Deutschland. Am 03.05.1955 verkündete Strasser einen Plan zur „Wiedervereinigung Deutschlands“, der gesamtdeutsche Wahlen, eine gesamtdeutsche Regierung und „doppelseitige Rückversicherungsverträge“ vorsah, die ein souveränes, neutrales und bewaffnetes Gesamtdeutschland ermöglichen sollten. Deutschland, Österreich, Schweden, Jugoslawien und die Schweiz waren als eine „Brandmauer“ vorgesehen, „um mögliche Auseinandersetzungen zwischen der NATO und den Staaten des Warschauer Paktes in außereuropäische Bereiche abzudrängen“.[15]

Am 17.06.1956 gründete sich in Anwesenheit von ca. 400 Personen in Miltenberg die Deutsch-Soziale Union (DSU) mit dem Zusatz „Strasser-Partei“.[16] Die ganz auf die Person Strassers zugeschnittene Partei gab sich in ihrem „Aktionsprogramm“ als mittelstandsfreundlich und nationalistisch aus. Das „Aktionsprogramm“ bestand aus sieben Punkten:[17]

 

„a) Wiedervereinigung des deutschen Volkes auf der Grundlage der souveränen Neutralität Deutschlands!,

b) Ablehnung der allgemeinen Wehrpflicht; dafür Aufbau einer deutschen Nationalarmee aus Freiwilligen sowie Schaffung eines Jugend-Volksdienstes für Mädchen und Jungen!,

c) Abbau der Bürokratie und damit der übergroßen Macht des Staates. Errichtung eines Wirtschaftsparlamentes neben dem politischen Parlament!,

d) Reform des gesamten Finanz- und Steuerwesens und dadurch Rettung des Bauerntums und des Mittelstandes!,

e) Aufbau einer wahren Volks-Wirtschaft durch Anteil aller Schaffenden an Besitz, Leitung und Gewinn der von ihnen mitgeschaffenen und miterhaltenden deutschen Wirtschaft!,

f) Ausdehnung der Pensionsberechtigungen der Beamten auf alle Deutschen!,

g) Wiederherstellung des Rechtstaates sowie völlige Glaubens- und Gewissensfreiheit! (insbesondere Gleichstellung von Simultan- und Konfessionsschulen).“

 

Innerparteiliche demokratische Entscheidungsprozesse traten aufgrund des autoritären Führungsstils Strassers in den Hintergrund. Auf dem Parteitag in Miltenberg wurden die von Strasser vorgeschlagenen Landesvorsitzenden und die Mitglieder der Parteileitung mit überwältigender Mehrheit gewählt. Nach dem Parteitag wurden diverse Landesverbände und Suborganisationen der DSU gegründet, die aber an mangelhaftem personellen Zuspruch litten. Die DSU konnte vorerst nur in einigen Großstädten, darunter Augsburg, München, Nürnberg, Frankfurt, Stuttgart, Köln, Düsseldorf, Hannover und Hamburg kleinere Gruppen von Anhängern bilden.[18]

Am 01.10.1956 erschien die Parteizeitung „Deutsche Freiheit“ zum ersten Mal. Strasser präsentierte am 22.11.1956 einen „Nationalen Plan zur deutschen Wiedervereinigung“, der folgende Schritte zur „Zusammenführung der Teile Deutschlands“ enthielt:[19]

1) Gründung eines „Rats der deutschen Einheit“ neben den existenten Regierungen, der für die Vorbereitung einer Volksbefragung gemeinsam mit diesen Regierungen und den Alliierten verantwortlich ist,

2) Durchführung einer Volksbefragung in der BRD, der DDR, in West-Berlin und im Saarland,

3) Aufbauend auf dem Ergebnis dieser Volksbefragung soll der „Rat der deutschen Einheit“ in eine vorübergehende gesamtdeutsche Regierung umgewandelt werden, die die Wahlen zu einer deutschen Nationalversammlung vorbereitet,

4) Bildung einer gesamtdeutschen Regierung, die Vereinbarungen über einen Friedensvertrag mit den Alliierten vorbereitet.

Dieser als „Aktion Wiedervereinigung“ unterbreitete Entwurf wurde in über 120.000 Exemplaren im In- und Ausland verteilt. In der Bundesrepublik fand dieser Plan kaum Resonanz und entwickelte sich zu einem Misserfolg. Aufgrund der mangelnden Akzeptanz der DSU innerhalb der bundesrepublikanischen Bevölkerung wurde der Parteibeschluss, an den Bundestagswahlen 1957 teilzunehmen, auf dem Uracher Parteitag am 22./23.06.1957 aufgegeben. In den folgenden Monaten bemühte sich die DSU um bessere Kontakte zu anderen rechten Parteien und Gruppen mit dem Ziel, Wahlbündnisse oder Sammlungen rechter Gruppierungen in die Wege zu leiten.[20]

Die Fixierung der DSU auf die Person Strassers wurde innerhalb der Partei immer mehr als Hindernis empfunden. Auf dem Parteitag in Lohr am 10./11.10.1959 kam es schließlich zum ersten Schritt der Entmachtung Strassers. Strasser wurde zum Präsidenten der Partei ernannt, während die DSU selbst von einem aus drei Personen bestehenden „Vollzugsausschuss“ geführt wurde. Strasser erklärte, dass er sich aus der aktiven parteipolitischen Tätigkeit zurückziehen und ganz der ideologischen Arbeit widmen werde.[21] Auf dem folgenden Parteitag in Friedberg am 12./13.11.1960 ging diese Entwicklung weiter. Die anwesenden Mitglieder ersetzten den Zusatz „Strasser-Partei“ im Parteinamen durch „Partei für Wiedervereinigung und Neutralität“. Es wurde ebenfalls ein neuer Vorstand gewählt; für Strasser blieb der Titel des „Ehrenpräsidenten auf Lebenszeit mit Sitz im engeren Parteivorstand“.[22] Die Wahlen des neuen Vorstandes brachten folgende Ergebnisse: das Amt des Geschäftsführenden Vorsitzenden übernahm Johann Löw, so dass die Parteigeschäftsstelle nach Augsburg verlegt werden musste. Weitere Vorstandsmitglieder waren Wilhelm Jenne, DSU-Landesvorsitzender in Baden, Lothar Ehrlichmann und der Bundesorganisationsleiter Erhard Kliese aus dem Landesverband Nordrhein-Westfalen. Ende 1960 musste die Zeitung der DSU, „Deutsche Freiheit“, aus finanziellen Gründen ihr Erscheinen einstellen. Strasser beschränkte sich von diesem Zeitpunkt an auf die Herausgabe seiner „Vorschau“. Dies war eine Wochenkorrespondenz, für deren Bezug er unter anderem in der „Deutschen Soldaten-Zeitung“ werben ließ.[23]

Strasser selbst erkannte die fehlenden Chancen der DSU innerhalb des bundesrepublikanischen Parteiensystems und arbeitete deshalb auf eine Fusion der DSU mit der Deutschen Freiheits-Partei (DFP) hin, die am 13.01.1962 gegründet worden war.[24] Auf dem Parteitag in Butzbach am 24./25.03.1962 wurde ein Beschluss verabschiedet, der die Selbstauflösung der DSU und die Wiederbelebung des BDE vorsah. Dort wurde ebenfalls eine Empfehlung des Beitritts der DSU zur DFP beschlossen. Diese Empfehlung wurde nur teilweise befolgt, vor allem DSU-Gruppen aus West-Berlin und Niedersachsen kamen ihr nicht nach und arbeiteten selbständig weiter. Im Jahre 1961 hatte sich gezeigt, dass die DSU außerstande war, eigenständiges politisches Gewicht zu erhalten oder im Bündnis mit anderen national-neutralistischen Gruppen politischen Einfluss zu gewinnen. Sie kam nicht über den Status einer Kleinpartei im national-neutralistischen Spektrum hinaus.

Richard Stöss bemerkte zu den Gründen des politischen Scheiterns der DSU: „Die Ursachen der Erfolglosigkeit der organisatorischen und publizistischen Unternehmungen Strassers liegen vor allen aber auch darin, dass weder der BDE und die DSU einen spezifischen Platz innerhalb des rechten Spektrums des westdeutschen Parteiensystems auszufüllen in der Lage waren. (…) Die eigentliche Besonderheit der DSU war die Person, mehr noch: der Name Strassers, der im Zusammenhang mit längst abgeschlossenen Entwicklungen bekannt geworden und nach 1955 kaum einzulösen imstande war, was sich einige Freunde von ihm versprachen. Auf keinen Fall war Strasser die Integrationsfigur, die den westdeutschen Rechtsextremismus nach 1955 hätte einigen können. Die DSU übte innerhalb des westdeutschen Parteiensystems keine erkennbare Funktion aus, sie repräsentierte keine besonderen sozialen Gruppen und sie indizierte keine Legitimationsdefizite, die andere rechtsextreme Parteien nicht auch und originärer repräsentierten.“[25]

Ein weiterer Aspekt für die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit der politischen Ziele der DSU lag darin, dass Strassers Neutralitätskonzept den allgemeinen Verhältnissen und Entwicklungstendenzen der Weltpolitik nicht angemessen gewesen war, da durch den Beitritt der Bundesrepublik zur NATO und der DDR zum Warschauer Pakt scheinbar schwer revidierbare Tatsachen geschaffen wurden.

In seinen theoretischen Ausführungen bezeichnete Strasser sich selbst als Vertreter eines nationalen Sozialismus mit antimarxistischen und christlichen Wurzeln. Nach 1945 bezeichnete er seinen nationalen Sozialismus als Solidarismus. Seine historischen Vorbilder waren der Prager Sozialist Klofac und Thomas G. Masaryk, der erste Staatspräsident der Tschechoslowakei: „Diese Konservative Idee, die eine Absage an den Materialismus, an den Wahn der Zahl und der Masse ist, die eine Überwindung der Herrschaft des Geldes und des Kollektivs ist, die eine Absage an das Evangelium der Produktion und Konsumption ist und ein Bekenntnis zur Sehnsucht nach Erfüllung des Menschen darstellt, die anstelle des Prinzips der Quantität das Prinzip der Qualität proklamiert, die Unterschiede weder in ‚Gleichschaltung’ aufheben, noch in Selbstzerstörung auflösen läßt, sondern in Harmonie bringen und zusammenfassen will, die wieder um Schönheit und Ehre weiß, statt nur um Reichtum und Macht, die nicht mehr gegen die natürlichen und göttlichen Gesetze luziferhaft rebelliert, sondern sie erkennt und danach handelt – diese konservative Revolution wird die Rettung Deutschlands und Europas sein und sie wird das so oft missverstandene Wort Schillers erfüllen: ‚Und soll am deutschen Wesen noch einmal die Welt genesen!’“ [26] Strassers gesellschaftspolitisches Konzept besteht aus vier Punkten. Im ersten Punkt „Deutscher Sozialismus (Solidarismus)“ strebte Strasser eine Synthese von Freiheit und sozialer Gerechtigkeit an.[27] Freiheit bedeutete für ihn in diesem Zusammenhang die Freiheit des Marktes sowie die Freiheit der Wirtschaft von Monopolen. Soziale Gerechtigkeit sollte durch eine gerechte Verteilung des Staatseinkommens und „den vollen Ertrag des Schaffenden an seiner Arbeit“ erreicht werden. Der Solidarismus trat für die Beseitigung des Privateigentums an Grund und Boden sowie eine Aufhebung der Kapitalrente ein. Mit dem zweiten Punkt „Volksgemeinschaft“ verfolgte Strasser die Idee eines Ständestaates, der durch die Abschaffung des Parteienstaates und des Lobbyismus erreicht werden sollte. Fünf Berufsgruppen (Arbeiter und Bauern, Angestellte und Beamte, Gewerbetreibende, Handwerker sowie freie Berufe) wählen ihre Berufskammern, die auf Bezirks-, Landes- und „Reichsebene“ bestehen. Innerhalb des „Reiches“ sollten Kreise, Bezirke und Länder gebildet werden, an deren Spitze jeweils ein Präsident steht. Diese Landespräsidenten und die Vorsteher der Landesständekammern sollten den „Reichsrat“ bilden, dessen Mitglieder mit den „Reichsministern“ und den Präsidenten der „Reichsberufskammern“ in einem Senat zusammenkommen. Der Senat wählt dann den „Reichspräsidenten“ auf Lebenszeit, der jedoch auch mit drei Viertel der Stimmen des Senats wieder abgewählt werden kann. Der Reichspräsident ernennt die Minister, die zusammen mit ihm die „Reichsregierung“ bilden sollen. Diese Verbindung von Berufskammersystem und autoritärem Staat bezeichnete Strasser als „wahre Demokratie“. Die „völkische Wiedergeburt“ Deutschlands nach der Niederlage im 2. Weltkrieg war der dritte gesellschaftspolitische Schwerpunkt Strassers. Er predigte die „Überwindung des Materialismus-Liberalismus“, die den „historischen oder physischen Untergang eines Volkes als sichtbaren Ausdruck des vorangegangegen inneren Todes“ bedeute.[28] Im letzten Punkt „Nationale Freiheit“ strebte Strasser nach der „Wiedervereinigung“ Deutschlands, was die Voraussetzung für seine „nationale Freiheit“ und seiner „nationalen Wiedergeburt“ darstelle. Die „Wiedervereinigung“ in den Grenzen vom 31.12.1937 und die bewaffnete Neutralität Deutschlands hatte für Strasser Vorrang vor allen anderen Themen. Es wurde die „Einbeziehung der im geschlossenen Siedlungsraum lebenden Deutschen in den deutschen Staat“ gefordert. Der Solidarismus sollte nach Meinung Strassers „antiimperialistisch“ sein. Darunter verstand er die Ablehnung einer direkten oder indirekten Herrschaft eines Staates über andere Staaten. Gleichzeitig schloss er aber einen „Kampf um neuen Lebensraum eines wachsenden Volkes“ auf Kosten eines anderen Staates nicht aus.

Die „Wiedererrichtung des Reiches“, das Konzept der „Volksgemeinschaft“ und der Solidarismus Strassers enthielten keine expliziten Bezüge zum Antisemitismus. Jedoch zeigt ein Beispiel, dass die DSU nicht frei war von antisemitischen Stereotypen. Anfang März 1961 erklärte Manfred Stambula, langjähriger Vertrauter Otto Strassers, bei einem Vortrag, dass man sich „weitgehend distanzieren von der physischen Liquidation der Juden“ müsse. Als „Entschuldigung“ zog er heran, dass „die Polen schon vor Hitler gegen die Juden vorgegangen“ seien.[29]

Die Zahl der Mitglieder der DSU in der gesamten Bundesrepublik betrug laut den Schätzungen von Stöss nicht mehr als 650 Personen.[30] Die Mitgliederzahl des BDE lag noch wesentlich darunter. Die DSU verfügte über eingetragene Landesverbände in allen westdeutschen Bundesländern. Politische Aktivitäten gingen aber im Wesentlichen von den Landesverbänden in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, im Saarland und vor allem in Nordrhein-Westfalen aus. Der NRW-Landesverband war einer der aktivsten in der gesamten Bundesrepublik. Durch eine äußerst zentralistische Struktur versuchte die DSU in Nordrhein-Westfalen ihre Kräfte zu bündeln. Die hohe Stellung des Landesverbandes NRW zeigte sich auch dadurch, dass auf dem Alsfelder Parteitag am 28./29.01.1961 die Verlegung der Parteigeschäftsstelle nach Essen beschlossen wurde.Seit 1958 kam es vor allem in Ennepetal und Hagen zu politischen Aktivitäten einer DSU-Gruppe um Erhart Kliese. Kliese hatte sich innerhalb der DSU für den Aufbau einer „einsatz- und kampfstarken Kaderorganisation“ auf der Basis von „Fünf-Mann-Zirkeln“ ausgesprochen, um den Organisationszustand der DSU zu verbessern.[31] Die DSU-Gruppe um Kliese beteiligte sich in Ennepetal und Hagen 1958 an den Landtagswahlen und 1961 an den Kommunalwahlen. In beiden Fällen bekamen die DSU-Kandidaten 0,0% der Stimmen.[32]

Die DSU besaß in Nordrhein-Westfalen zwei kurzlebige publizistische Periodika: erstens die „DSU-Nachrichten Dortmund“, die von 1961 bis zum Februar 1962 erschienen, und die „Afrika- und Orientinformationen“ aus Bad Godesberg (August 1956-März 1957).

 

 

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die im Juni 1956 gegründete Deutsch-Soziale Union (DSU) ganz auf die Person Otto Strassers zugeschnitten war. Der autoritäre Führungsstil Strassers behinderte in vielen Fällen innerparteiliche demokratische Entscheidungsprozesse. Die wesentlichen Ziele der DSU waren die „Wiedervereinigung“ Deutschlands in den Grenzen von 1937 und die Neutralität Deutschlands jenseits der NATO und des Warschauer Paktes. Die DSU verfolgte einen nationalen Sozialismus mit antimarxistischen und christlichen Wurzeln und einem zentralistischen Staatsverständnis. Der NRW-Landesverband der DSU besaß eine exponierte Stellung innerhalb der Partei, die Parteigeschäftsstelle befand sich in Essen. Eine regionale Verankerung innerhalb der Bevölkerung besaß die DSU in Nordrhein-Westfalen nicht, bei Wahlen war sie nicht mehr als eine rechte Splitterpartei.

 




[1] Weiß, V.: Thomas Mann, Dmitri Meneschkowski und Arthur Moeller van den Bruck im Kampf gegen „den Westen“, in: Kauffmann, H./Kellershohn, H./Paul, J. (Hrsg.): Völkische Bande. Dekadenz und Wiedergeburt – Analyse rechter Ideologie, Münster 2005, S. 90-122, hier S. 104ff

[2] Jenke, Verschwörung von Rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, a.a.O., S. 268

[3] Ebd.

[4] Die „Konservative Revolution“ war eine geistig-politische Strömung der deutschen Rechten, die sich nach dem verlorenen 1. Weltkrieg und dem Zusammenbruch des Kaiserreiches 1918/19 in Abgrenzung zu der als reaktionär verachteten Monarchie und ihrer Repräsentanten sowie der verhassten Demokratie formierte. Die wichtigsten Vertreter der „Konservativen Revolution“ waren Arthur Moeller van den Bruck, Carl Schmitt, Oswald Spengler, Edgar Julius Jung, Hans Freyer, Othmar Spann, Ernst Niekisch, Ernst Jünger und Hans Zehrer. Den Versprechen der Französischen Revolution „Liberté, Egalité, Fraternité“ stellten sie die Hoffnung auf „alte-neue“ Werte entgegen. In seinem Werk „Das Dritte Reich“ führt Moeller van den Bruck aus: „Der Konservative Mensch sucht heute wieder die Stelle, die Anfang ist. Er ist notwendiger Erhalter und Empörer zugleich. Er wirft die Frage auf: was ist erhaltenswert? Aber er sucht auch (...) anzuknüpfen, nicht abzubrechen - wie der revolutionäre Mensch.“ Das Ziel der „Konservativen Revolution“ war nicht der Erhalt der bestehenden oder die Wiederbelebung einer früheren Ordnung, sondern der Sturz der Weimarer Republik, um eine neue Ordnung zu schaffen, die erst dann konserviert werden könnte. Vgl. dazu Cremet, J./Krebs, F./Speit, A.: Jenseits des Nationalismus. Ideologische Grenzgänger der „Neuen Rechten“-Ein Zwischenbericht, Hamburg/Münster 1999, S. 22ff

[5] Vgl. dazu Moreau, P.: Nationalsozialismus von links: die „Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten“ und die „Schwarze Front“ Otto Strassers, 1930–1935,  Stuttgart 1985

[6] Wistrich, R.S.: Wer war wer im Dritten Reich. Ein biographisches Lexikon, München 1983, S. 264

[7] Jenke, Verschwörung von Rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, a.a.O., S. 268

[8] Ebd., S. 269

[9] Stöss, R.: Die Deutsch-Soziale Union, in: Ders. (Hrsg.): Parteien Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, Band 2 CSU-DSU, Opladen 1986, S. 1243-1278, hier S. 1246

[10] Gossweiler, K.: Die Strasser-Legende. Auseinandersetzungen mit einem Kapitel des deutschen Faschismus, Berlin 1994, S. 110

[11] Jenke, Verschwörung von Rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, a.a.O., S. 269

[12] Stöss, Die Deutsch-Soziale Union, in: Ders., Parteien Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, a.a.O., S. 1246

[13] Ebd., 1248

[14] Jenke, Verschwörung von Rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, a.a.O., S. 271

[15] Stöss, Die Deutsch-Soziale Union, in: Ders., Parteien Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, a.a.O., S. 1250

[16] Ebd., S. 1251

[17] Ebd., S. 1258

[18] Jenke, Verschwörung von Rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, a.a.O., S. 273

[19] Ebd.

[20] Stöss, Die Deutsch-Soziale Union, in: Ders., Parteien Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, a.a.O., S. 1252

[21]. Jenke, Verschwörung von Rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, a.a.O., S. 276

[22] Ebd.

[23] Ebd.

[24] Stöss, Die Deutsch-Soziale Union, in: Ders., Parteien Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, a.a.O., S. 1253

[25] Ebd., S. 1277

[26] Strasser, O.: Deutschland und der 3. Weltkrieg, München 1961, S. 18f

[27] Stöss, Die Deutsch-Soziale Union, in: Ders., Parteien Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, a.a.O., S. 1255

[28] Ebd., S. 1257

[29] Rheinische Post vom 08.03.1961

[30] Stöss, Die Deutsch-Soziale Union, in: Ders., Parteien Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, a.a.O., S. 1272

[31] Ebd., S. 1273

[32] Ebd., S. 1271

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