Roma in Bulgarien

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Die Gründe für die Auswanderung der meisten Roma in Bulgarien vor allem in westliche Staaten der EU liegen einerseits in der Hoffnung auf bessere ökonomische Perspektiven in den Aufnahmestaaten. Andererseits ist es der manifeste Rassismus der (weißen) Bevölkerungsmehrheit, der letztendlich für die Emigration verantwortlich ist.

Das Ende der sozialistischen Herrschaft und der Übergang zur kapitalistischen Wirtschaftsweise bedeuteten für die Roma in Bulgarien einen Einschnitt in negativer Art. Von allen sozialen Gruppen waren die Roma von Entlassungen am stärksten betroffen. Der Journalist Norbert Mappes-Niediek stellte mit Recht fest: „Wo die Hälfte der Arbeitsplätze wegfiel, braucht es nicht viel Phantasie, sich vorzustellen, warum unter den vielen Betroffenen auch so gut wie alle Roma zu finden waren. Sie hatten die schlechtesten Jobs und die schwächste Stellung bei den Betriebsführungen. Sie waren noch immer am schlechtesten ausgebildet. Als die Wirtschaft sich langsam wieder zu erholen begann, tat sie es ohne die Roma. Sie hatten schon vor dem Kommunismus nichts besessen und gingen bei der Rückerstattung von Grund und Boden ebenso wie bei Privatisierungen entsprechend leer aus. Bildung war in der Marktwirtschaft noch wichtiger als im Sozialismus. Was die meisten Roma davon mitbekommen hatten, reichte nicht aus.“[1]

Die Folgen sind unübersehbar: Wie in allen anderen osteuropäischen Ländern sind die Roma in Bulgarien die Bevölkerungsgruppe mit der höchsten Analphabetenquote, der bittersten Armut, kürzesten Lebenserwartung und höchsten Kindersterblichkeit, allenfalls geduldet am Rande der Gesellschaft, verfolgt, gedemütigt, vogelfrei.

Neben den Roma gibt es in Bulgarien zwei große Minderheiten: türkischstämmige Bulgar_innen und „ethnische“ Bulgar_innen muslimischen Glaubens (Pomak_innen). Die Zahl der in Bulgarien lebenden Roma ist schwer zu fassen. Laut den Angaben der letzten Volkszählung aus dem Jahre 2011 gibt es offiziell 325.000 Roma, was knapp fünf Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht. Da aber davon auszugehen ist, dass die Befragten aus Angst vor Diskriminierung ihre eigene Identität  häufig leugnen, ist von einer deutlich höheren Zahl auszugehen. Spekulationen darüber, dass die Roma ca. 10%[2] oder sogar 15%[3] der Gesamtbevölkerung Bulgariens ausmachen, sind nicht seriös. Das Bild der in Vorstadtslums wohnenden Roma ist seit der Migration von Bulgar_innen nach Dortmund verbreitet, von denen viele aus den Stadtteilen Stolipinovo in Plovdiv und Fakulteta in Sofia stammten.[4] Diese Siedlungen besitzen in weiten Teilen kein Frisch- und Abwassersystem sowie keine ausreichende Versorgung mit Elektrizität. Nach genauerer Betrachtung muss jedoch festgestellt werden, dass  55 Prozent der Roma in den Städten und 45 Prozent auf dem Land leben. Die Roma leben in allen Provinzen Bulgariens, ihr höchster Anteil an der Gesamtbevölkerung liegt in der Provinz Montana (12,5%) und der Provinz Sliwen (12,3%).

Roma in Bulgarien sind nicht als monolithisches Gebilde im Bereich der Kultur und Glaubens anzusehen. Die am weitesten verbreitete Gruppe der Roma in dem Land sind die yerlii oder die „lokalen Roma“, die wiederum in die bulgarischen (daskane roma) und türkischen Roma (horahane roma) unterteilt sind. Erstere sind vor allem orthodoxe und protestantische Christ_innen, während die letzteren Muslim_innen sind. Insgesamt gesehen sind  Roma in Bulgarien überwiegend muslimischen Glaubens. Die kulturelle Emanzipation und der Gebrauch des Romanes in Erziehung, Massenmedien, Verlagen etc. stecken immer noch in den Anfängen.

Die sozioökonomischen Verhältnisse sind in Bulgarien wesentlich schlechter als in anderen EU-Mitgliedsstaaten. Die offizielle Arbeitslosigkeit liegt bei ca. 10%, in Wahrheit ist sie wesentlich höher. 19,5% der 15-24jährigen sind arbeitslos und ohne Ausbildung. Die Zahl der langzeitarbeitslosen Menschen liegt bei 46%.[5] Von diesen Verhältnissen sind besonders Roma betroffen. Im Jahre 1997 lebten 84% der bulgarischen Roma unter der nationalen Armutsgrenze, im Jahre 2007 waren es fast 90%. Die Arbeitslosenquote unter Roma ist extrem hoch, Schätzungen liegen bei 70% der erwerbsfähigen Menschen. Diejenigen, die eine Arbeit finden, sind zumeist im Niedriglohnsektor beschäftigt und können davon nicht sich selbst und eventuell andere Familienmitglieder ernähren.[6] 62 Prozent der Roma über 15 Jahren gehen keiner Berufstätigkeit nach, 33% der Männer und 40% der Frauen sind aufgrund von Krankheiten arbeitsunfähig. 40% der Roma besitzen keinen Frischwasseranschluss, 60% keine Kanalisation. 80% haben kein Bad. Die Lebenserwartung liegt deutlich unter dem Landesdurchschnitt, der Zugang zu guter medizinischer Versorgung ist fast unmöglich. Laut der Statistik besitzen weiße Bulgar_innen 23qm Wohnraum, Roma aber nur 10qm.[7] Diese Verhältnisse sind der Grund für eine massenhafte Auswanderung in Richtung Westeuropa. In Bulgarien ist die Emigration als gesellschaftliches Phänomen so bedeutsam, dass das Land 2009 ein Ministerium für die im Ausland lebenden Bulgaren einrichtete.[8]

Vor allem in der Bildungspolitik manifestiert sich die Benachteiligung der Roma in Bulgarien. Es existiert eine Politik der Absonderung von Roma-Kindern im nationalen Bildungssystem. Roma-Kinder und Jugendliche besuchen de facto getrennte „Roma-Schulen“ in der Mehrheit der Roma-Vierteln und Dörfern. Diese „Roma-Schulen“ bieten minderwertige Qualität der Ausbildung, viele haben keine gute personelle Ausstattung und es fehlen Ihnen die notwendigen Einrichtungen wie Computer. Roma-Kinder werden auch oft in Sonderschulen für Kinder mit geistigen Behinderungen oder Internatsschulen für Kinder mit „abweichendes Verhalten“ abgeschoben. Ein Bericht der Open Society aus dem Jahre 2001 bemerkte:  “A monitoring report by the Open Society Institute found that Roma children and teenagers are less likely to enroll in both primary and secondary schools than the majority population, and less likely to complete their education if they do. Between 60-77% of Roma children enroll in primary education (age 6-15), compared to 90-94% of ethnic Bulgarians. Only 6-12% of Roma teenagers enroll in secondary education (age 16-19). The drop-out rate is significant, but hard to measure, as many are formally enrolled but rarely attend classes. The report also indicates that Roma children and teenagers attend de-facto segregated "Roma schools" in majority-Roma neighbourhoods and villages. These ‘Roma schools’ offer inferior quality education; many are in a bad physical condition and lack necessary facilities such as computers. As a result, Roma literacy rates, already below those for ethnic Bulgarians, are much lower still for Roma who have attended segregated schools.”[9]

19% der erwachsenen Roma sind Analphabet_innen, die Quote liegt bei den Frauen dreimal so hoch wie bei den Männern. Bei einem Vergleichswert von 1% bei den weißen Bulgar_innen bleiben 22% der Roma ohne Bildungsabschluss. Die Hochschulreife schaffen 9% der Roma, aber 52% der „weißen  Bulgar_innen. Während 25,6% der weißen Bulgar_innen über einen Hochschulabschluss verfügen, sind es bei den Roma gerade mal 0,5%.

Rassismus gegen Roma hat eine jahrhundertealte Tradition, der je nach historischen Begebenheiten mal stärker und mal schwächer ausgeprägt war. Vor allem nach dem Ende des kommunistischen Regimes in Bulgarien sehen sich die Roma in Bulgarien durch gewalttätige rassistische Ausschreitungen bedroht. Rassismus wegen ihrer Hautfarbe, Sprache und Kultur gehört für die Roma in Bulgarien, die gemeinsam mit den bulgarischen Türken landesweit die größte Minderheit stellten, genauso wie diskriminierende Behandlungen durch Behörden, Polizei und Justiz zum Alltag. Rassistische Übergriffe werden oft von den Strafverfolgungsbehörden als Kavalierdelikte behandelt.[10]

Die Rechtsbeihilfe für Roma (Human Rights Project/Legal Defense of the Gypsies) mahnt eine Reihe von Menschenrechtsverletzungen an. Darin ist immer wieder von unverhältnismäßigen und brutalen Reaktionen der Polizei bei Bagatellvergehen von Roma die Rede. In der Nacht vom 19.6.2003 wurden mehrere Roma in einer Bar von Dobrich von Polizeibeamt_innen, die dort die Personalien überprüften, brutal zusammengeschlagen. Einige Roma erlitten Rippenbrüche, einer Frau wurde eine Pistole in den Mund geschoben.

Ein Fall von institutionellem Rassismus schaffte es 2010 in die internationalen Schlagzeilen. Im März 2010 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass Bulgarien das Diskriminierungsverbot und das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren verletzt habe.[11] Es wurde argumentiert, dass in diesem Fall „eine unterschiedliche Behandlung aufgrund ethnischer Zugehörigkeit“ vorläge. Ein Bezirksgericht hatte 2005 gegen eine Romni, die wegen Betrugs schuldig gesprochen worden war, eine Freiheitsstrafe verhängt, obwohl die Staatsanwaltschaft eine zur Bewährung ausgesetzte Strafe empfohlen hatte. Das Bezirksgericht hatte argumentiert, dass eine Bewährungsstrafe insbesondere von Angehörigen von Minderheitsgruppen nicht als Strafe angesehen werde. Es ist davon auszugehen, dass die Zahl solcher Fälle, die es nicht in die Öffentlichkeit schaffen und als solche geahndet werden, sehr hoch ist. Der Alltagsrassismus, wenn er als solcher überhaupt problematisiert wird, durchdringt die gesamte bulgarische Gesellschaft und führt bei den Betroffenen zu Resignation, Frust und Selbstabwertung.

In Sofia und anderen Städten bildeten sich dem Ende des Sozialismus militante rassistische Gruppen zumeist von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen, die Jagd auf Roma machten. Am 29.10.1991 attackierte eine Gruppe von Student_innen der Lovech-Sportschule drei Roma in einer Diskothek. Drei Tage später starb ein Rom an einer durch die Schläge verursachten Gehirnblutung. Am 31.10.1993 wurde der Roma-Club in Varna überfallen und das Mobiliar zerstört. Im Winter 1992/93 wurden mehrfach bettelnde Roma-Straßenkinder von Student_innen einer Elite-Hochschule systematisch verprügelt.

Im Spätsommer 2007 wurde bei einer Schlägerei zwischen Roma und weißen Bulgar_innen in der Kleinstadt Samokow ein 17-jähriger Rom zu Tode geprügelt, was die örtlichen Behörden als normale Schlägerei zwischen Jugendlichen ohne jeglichen rassistischen Hintergrund herunterspielten.[12]

Kurz vor den bulgarischen Präsidentschaftswahlen 2011 kam es zu den schlimmsten rassistischen Ausschreitungen gegen die Minderheit der Roma seit Jahrzehnten. Nachdem ein Rom in der Stadt Katuniza, 160 Kilometer östlich von Sofia, für den Tod eines 19-Jährigen Jugendlichen verantwortlich gemacht worden war, kam es zu pogromartigen Ausschreitungen durch rechten Gewalttäter_innen.[13] Mehrere Häuser und Autos des Beschuldigten wurden in Brand gesetzt. Fußballhooligans aus dem benachbarten Plovdiv schlossen sich den gewaltsamen Ausschreitungen an. Bei Auseinandersetzungen mit den angerückten Sicherheitskräften starb ein 16-jähriger Junge angeblich an Herzversagen, fünf Menschen wurden verletzt. Die Polizei nahm seitdem rund 400 Randalierer_innen fest. Zudem wurde der Rom selbst festgenommen. Ihm wurde vorgeworfen, den Jugendlichen absichtlich überfahren zu haben. Verschiedene Roma-Organisationen machten der Polizei den Vorwurf, erst zu spät gegen die Randalierer_innen eingegriffen zu haben. Tatsächlich verstanden die Rechten die zögerliche Haltung der staatlichen Ordnungskräfte als Freibrief für weitere rassistische Ausschreitungen gegen Roma und andere Minderheiten. In der Folgezeit weiteten sich die Ausschreitungen gegen Roma auf ganz Bulgarien aus.

Vor allem die extrem rechte Partei Ataka organisierte die Proteste in der Hoffnung, bei den anstehenden Präsidentschafts- und Kommunalwahlen am 23.10.2011 Stimmengewinne verbuchen zu können. Rund 2.200 Menschen gingen in insgesamt 14 Städten auf die Straße, in den Nächten weiteten sich die Proteste dann zu Gewaltexzessen aus. Nach Zusammenstößen mit der Polizei wurden in Blagoewgrad zum wiederholten Male Dutzende von Randalierer_innen festgenommen. Zuvor hatten rechte Skinheads Jugendliche im Roma-Viertel angegriffen. In den Tagen nach den Ausschreitungen in Katuniza demonstrierten in der Hauptstadt Sofia bis zu 2.000 Menschen.[14] Vor allem Jugendliche zogen wiederholt mit rassistischen und nationalistischen Parolen wie „Zigeuner zu Seife“ oder „Alle Zigeuner raus“ durch die Straßen und liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei.[15] In Plovdiv bewarfen rechte Skinheads ein von Roma bewohnten Haus mit Steinen und Knallkörpern und wurden erst durch die Polizei daran gehindert, das Gebäude zu stürmen. In Varna verletzte ein jugendlicher Rechter eine Roma am Kopf, die ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Die landesweiten Unruhen in Bulgarien führten zu massenhaften Festnahmen in mehr als einem Dutzend Städten. Beamt_innen  internierten mehr als 160 Menschen und konfiszierten kleine Sprengsätze, Messer und Schlagstöcke. Die jüngsten Auseinandersetzungen gelten in dem ärmsten Land der Europäischen Union als die schwersten Krawalle seit 1997. Damals löste eine Wirtschaftskrise mit folgender Hyperinflation Unruhen aus. Die Proteste wurden erstmals in den sozialen Netzen im Internet organisiert. Die bulgarische Polizei beobachteten mehrere Facebook-Gruppen. So wurden etwa im Internet vorsätzlich Mitteilungen über angeblich durch Roma begangene Verbrechen verbreitet, die es in Wirklichkeit nie gegeben hat.

 Der Vorsitzende von Ataka, Volen Siderov, bezeichnete in einer Rede vor dem Präsidentenpalast die „Islamisierung“ und die „Zigeunerisierung“ als die eigentlichen Probleme Bulgariens. Weiterhin verlangte er den Abriss der Roma-Siedlungen in den Städten und die Wiedereinführung der Todesstrafe. Die regierende konservative GERB wies wider besseren Wissens Einschätzungen zurück, es habe sich bei den jüngsten Ausschreitungen um Gewalt zwischen „ethnischen Volksgruppen“ gehandelt und verwies jeden rassistischen Hintergrund in das Reich der Spekulation. Der Präsidentschaftskandidat der GERB, Rosen Plevneliev, stellte fest: „Das waren rein kriminelle Taten und keine ethischen Spannungen“[16]

Für diese aggressive Stimmung gegen Roma und die türkische Minderheit sind vor allem die rassistische Partei Ataka und der Bulgarische Nationalbund (BNS) verantwortlich. Nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft in Bulgarien orientierten sich die geistigen Eliten des Landes vor allem an nationalistischen Denkschemata aus der Vergangenheit. Fast 500 Jahre lang war Bulgarien eine Provinz des Osmanischen Reiches.[17] Für Bulgarien begann ihre Geschichte der Neuzeit erst mit der „Nationalen Wiedergeburt“ und dem Beginn des bewaffneten Widerstandes gegen die Osman_innen 1876. Dieser Aufstand endete mit dem Massaker von Batak; die Osman_innen liquidierten dort tausende aufständische Bulgar_innen sowie Teile der Zivilbevölkerung. Das Massaker von Batak wurde zu einem nationalistischen Gründungsmythos des bulgarischen Staates, auf das sich rechte Parteien und Organisationen immer wieder beziehen.

Die rassistische Partei Ataka verbreitet Hetze vor allem gegen bulgarische Türken und Roma. Ataka wurde im April 2005 gegründet und erreichte bei den Parlamentswahlen zwei Monate später bereits 8,8% der Stimmen. Bei der Europawahl 2007 erhielt die Partei 14,2% und entsandte 3 Abgeordnete ins Europäische Parlament. Die Partei gewann 7,3 % der Stimmen bei den Parlamentswahlen 2013 und stellte mit 23 Abgeordneten die viertstärkste Fraktion. Die Wähler_innen von Ataka sind zum größten Teil die Verlierer_innen des Transformationsprozesses nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Regimes. Roma werden als Konkurrent_innen um die kärglich bemessenen sozialen Leistungen begriffen und eignen sich daher wunderbar als Sündenböcke für die eigene Situation. Dass in Bulgarien seit Jahrzehnten eine neoliberalistische Wirtschaftspolitik betrieben wird, die mit zur Verelendung innerhalb der Bevölkerung beiträgt, wird nur in Ansätzen kritisiert. Dagegen sind führende Mitglieder von Ataka Student_innen, Facharbeiter_innen oder auch Unternehmer_innen, die mit Demokratie, Menschenrechten oder kulturellem Pluralismus nicht viel anfangen können und stattdessen von einem autoritären völkischen Staat träumen. In ihrem nationalistischen Pathos berufen sie sich ideologisch auf den Beginn des bewaffneten Widerstandes gegen die Osmanen im Jahr 1876, der mit Massakern der Osman_innen gegen die bulgarische Bevölkerung endete.[18] Aus dieser historischen Begebenheit erklärt sich auch ein tief sitzender Hass gegen die türkische Minderheit und den Islam im Allgemeinen, die noch immer kollektiv für die Verbrechen von 1876 verantwortlich gemacht werden. Seit 2011 betreibt die Partei einen eigenen Fernsehkanal (alfa). Ihr Vorsitzender Volen Siderov bezeichnete den Schweizer Rechtspopulisten Christoph Blocher als Vorbild.[19] Ataka möchte die türkischsprachigen Fernsehprogramme in Bulgarien verbieten und den orthodoxen Glauben als Staatsreligion verankern. Damit wird eine imaginäre kulturell-religiöse Trennungslinie durch die bulgarische Gesellschaft gezogen und festgestellt, wer dazu gehört und wer nicht.[20]

In programmatischer Hinsicht setzte Siderov ganz auf die rassistische Karte: er versprach, „Bulgarien an die Bulgaren zurückzugeben“ und „die Zigeuner dorthin zu stecken, wo sie hingehören – in Lager“. Kurz nach der erfolgreichen Wahl war auf einem Forum auf der Homepage von Ataka eine Liste mit den Namen von 1.500 bulgarischen Jüd_innen zu sehen, die als „eine von der Pest verseuchte, gefährliche Rasse“ dargestellt wurden.[21] Im Jahre 1999 nahm Siderov an einer internationalen Konferenz von Holocaust-Leugner_innen in Moskau teil. In Kommentaren wurden Jüd_innen als „Mitglieder einer gefährlichen Rasse“ beschimpft, die „es verdienen, vernichtet zu werden.“[22] Bei den Parlamentswahlen 2009 konnte Ataka das Ergebnis von 2005 noch steigern und kam auf 9,3% der Stimmen. Am 20. Mai 2011 kam es vor der Banja-Baschi-Moschee in Sofia zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern von Ataka und Moscheebesucher_innen. Fünf Menschen, darunter zwei Mitglieder der Partei wurden dabei verhaftet. Führende Politiker_innen des Landes sprachen von einer „beunruhigenden Eskalation der Fremdenfeindlichkeit und des religiösen Hasses“.[23]

Der 2001 gegründete Bulgarische Nationalbund (BNS), unter ihrem Anführer Bojan Rasate verbreitet nationalistische Hetze gegen die türkische Minderheit, Roma, die Europäische Union und den „Zionismus“. Die Jugendorganisation der BNS, die „Bulgarische Nationale Garde“ tritt in der Öffentlichkeit in schwarzen Hosen, braunen Hemden, schwarzen Hosenträgern und schwarzen Baretten auf; die Anlehnung an die Uniformen der SS ist gewollt. Die meisten ihrer Mitglieder kamen aus der Skinhead-Szene der frühen 1990er Jahre und orientierten sich an deutschen Neonazis. Sie wurde 2007 angeblich zum „Schutz vor Zigeunerübergriffen“ gegründet. Der letzte Auslöser der Gründung des BNS soll der Umstand gewesen sein, als hunderte jugendliche Roma im Sommer 2007 randalierend durch ein Viertel von Sofia zogen, nachdem sie von rechten Skinheads angegriffen worden waren. Rasate bemerkte: „Bereits seit 17 Jahren ist die bulgarische Bevölkerung in ihrer Heimat systematischen Beschränkungen und unkontrollierten Ausschreitungen vonseiten der Minderheit der Roma ausgesetzt, und der Staat sieht teilnahmslos zu. Die Zigeuner prügeln, stehlen, vergewaltigen und töten ohne eine adäquate Antwort seitens der Macht."[24]

Die „Bulgarische Nationale Garde“ griff eine Schwulen- und Lesbenparade in Sofia im Juni 2008 mit Steinen und Molotowcocktails an.[25] Am 7.2.2009 marschierte Rasate mit mehreren hundert Gesinnungsgenossen am Todestag des bulgarischen Generals Hristo Lukov, der 1938 den faschistischen „Bund der bulgarischen nationalen Legionen“ (SBNL) gegründet hatte, mit Fahnen und Transparenten durch Sofia und skandierten „Bulgaren, erwacht!“[26] Rasate steht in Kontakt mit der NPD und der rumänischen extrem rechten „Nua Dreapta“, die ähnlich wie die BNS in Rumänien eine Pogromstimmung gegen die dort ansässigen Roma schürt. Er ist auch „Landesleiter“ oder „Vertreter Bulgariens“ der neofaschistischen „Europäischen Aktion“ (EA), die von Bernhard Schaub und anderen Schweizer Neonazis ins Leben gerufen wurde. Auf einer Zusammenkunft der EA im September 2911 drückte Rasate seine Solidarität mit bekannten Holocaustleugnern aus.[27]

Mit antiziganistischen Hetzparolen versucht die BNS Stimmung zu machen. Rasate sagte in einem Interview: Zu Beginn muss ich betonen, dass wir im Gegensatz zu anderen patriotischen Organisationen die Zigeuner nicht als Teil des bulgarischen Volkes betrachten. Von fremder Kultur rede ich bewusst nicht, weil sie keine Kultur haben. (…) Wir können heute nicht daran denken, die Zigeuner einfach umzubringen. Die Zeiten sind andere. Aber derzeit werden die Zigeuner gegenüber den Bulgaren bevorzugt. Das Gesetz gilt nicht für alle. (…) Für eine Zigeunerfamilie bedeuten mehr Kinder: mehr Sozialhilfe und mehr Arbeitskräfte, als Bettler, Diebe, Prostituierte. Die Einnahmen fließen in die Haushaltskasse.“[28]Weiterhin sprach sich Rasate für einen „Ariernachweis“ aus, da „die Menschen unterschiedlich geschaffen“ wurden. Er definierte die „bulgarische Rasse“ als „weiß mit europäischen Gesichtszügen“.[29] Vertreter_innen von Ataka und des BNS nahmen am „Fest der Völker“ in Jena, der neofaschistischen Demonstration zum „Antikriegstag“ in Dortmund sowie an den Dresdener Kundgebungen anlässlich der alliierten Bombardierungen teil.[30]




[1]www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2012/dezember/das-elend-der-roma-und-d...

[2]www.euractiv.de/soziales-europa/analysen/geschlossene-gesellchaft-zur-la...

[3] Hollmann, G.: Osteuropa nach dem Ende des Sozialismus, München 2005, S. 89

[4]In Stolipinovo wohnen unter erbärmlichen Bedingungen ca. 45.000 Personen, die meisten sind Roma. Seit der Durchsetzung der kapitalistischen Ordnung im Jahre 1989 gab es fast keine Investitionen in die Infrastruktur. Es wurden dort immer mehr illegale Wohnungen errichtet, was zu großen Problemen für die Strom- und Wasserversorgung und die Abfallentsorgung führte. Diese Probleme waren für eine Hepatitis Typ A-Epidemie im Jahre 2006 in Stolipinovo verantwortlich, an der mehr 600 Personen erkrankten.

[5] http://ec.europa.eu/esf/main.jsp?catld=372&langld=de

[6]www.euractiv.de/soziales-europa/analysen/geschlossene-gesellchaft-zur-la...

[7] Ebd.

[8] Montag Stiftung Urbane Räume (Hrsg.): Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien. Hintergrund, Herausforderungen und Handlungsansätze. Erfahrungen aus nordrhein-westfälischen Städten, Köln 2012, S. 6

[9]Barany, Z.D.:The East European gypsies: regime change, marginality, and ethnopolitics. Cambridge 2002, S. 408

[10] Pinkert, R./Stegemann, U.: Rechte Parteien in Bulgarien. Eine Einführung, in: Antifaschistisches Infoblatt, Nr. 97, Winter 2012, S. 50-51, hier S. 50

[11] http://amnesty.de/jahresbericht/2011/Bulgarien

[12]www.taz.de/!4157/

[13]www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,788920,00.html

[14]www.fr-online.de/politik/bulgarien-hass-auf-roma-,1472596,10919666.html

[15]www.dw-world.de/dw/article/0,,15424686,00.html

[16] Zitiert aus www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,788920,00.html

[17]Härtel. H.-J./Schönfeld, R.: Bulgarien. Vom Mittelalter bis in die Gegenwart, Regensburg 1998, S. 16f

[18]Mayer, G./Odehnal, B.: Aufmarsch. Die rechte Gefahr aus Osteuropa, St. Pölten/Salzburg 2010, S. 261

[19]Ebd., S. 266

[20] Reinfeldt, „Wir für Euch“, a.a.O., S. 116

[21] Pinkert/Stegemann, Rechte Parteien in Bulgarien, in: AIB, a.a.O., S. 50

[22]Ebd., S. 267

[23]Frankfurter Rundschau vom 22.5.2011

[24] www.taz.de/!4157/

[25]Mayer/Odehnal, Aufmarsch. Die rechte Gefahr aus Osteuropa, a.a.O., S. 271

[26]Ebd., S. 269

[27] Pinkert/Stegemann, AIB, a.a.O., S. 51

[28]Mayer/Odehnal, Aufmarsch. Die rechte Gefahr aus Osteuropa, a.a.O., S.273ff

[29]Ebd., S. 275

[30] Pinkert/Stegemann, AIB, a.a.O., S. 51

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