[Le] Von Debatten die keine sind und der Freude am Gemeinsamen

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Sich selbst in Scherben legen – Ein Beitrag zur Leipziger „Nicht-Debatte“

Frühling kommt auf, alle wuseln vor sich hin in ihren Projekten und bringen diese voran. Ab und zu treffen sich Fuchs und Hase und tauschen sich aus, sind begeistert Input zu bekommen und laden sich angesichts der Begeisterung der Anderen mit Energie auf. Erfrischt durch Lob und schlauer durch die gegenseitige konstruktive Kritik, gehen sie wieder auseinander und basteln fröhlich weiter an dem, was sie je nach Gusto Revolution oder Revolte nennen.

 So wäre es schön. Doch Frühling kommt gar nicht auf, die Sonne letzten Freitag war nur angetäuscht, der Ofen ist wieder an und vielleicht schneit es sogar doch noch irgendwann. Und hier in Leipzig, bzw. im Leipziger Internet, sind auch gar nicht alle gutwillig miteinander und streiten sich konstruktiv. Nein, nein, vielmehr finden sich dauernd irgendwelche Texte, die ziemlich rabiat daherkommen und irgendwie so gar keine Lust auf etwas Gemeinsames machen.

Das mit dem Frühling ist nicht so schlimm.

Das mit den Texten jedoch schon.

Die Welt ist groß und wir sind komplex. Einige Wahrheiten sind einfach, wie die, dass kein Mensch über den anderen zu herrschen habe, oder das Respekt gegenüber dem lebenden Planeten die Grundvorraussetzung zum Fortbestand ist. Doch schon der Umstand, dass diese Wahrheit gar nicht von allen so gesehen, von Einigen bewusst verschleiert und durch die gesellschaftlichen Strukturen vollständig verdeckt wird, ist dann gar nicht mehr so einfach zu erklären. Noch schwieriger als die Erklärung, warum die Welt ist, wie sie ist, ist der Versuch etwas daran zu ändern. Da stellen sich viele, viele Fragen. Und während ich mir diese stelle, stellen sich andere Leute die auch. Und dann streune ich so rum und schau mir an, was andere für Antworten haben. Und dann freu ich mich manchmal, weil sie haben Ähnliche oder sogar Schlauere als ich.

Manchmal ärger ich mich, weil ich erst denke, wir hätten die gleichen Antworten, aber dann ist das gar nicht so. Und dann bin ich enttäuscht und zwar manchmal noch viel enttäuschter als von den ganzen Leuten, die erst gar keine Fragen stellen. Weil manche Leute stellen sich ja Fragen, aber finden dann Antworten, die trennen mich von ihnen und wir können da gar nicht zusammen weiter und das ist ziemlich bitter, weil ich will ja gar nicht getrennt von ihnen sein, ich will ja gemeinsame Sache machen. Und das löst dann besonders tiefe Enttäuschung aus. So wie es auch mehr wehtut von einem geliebten Menschen verlassen zu werden, als ihn nie gekannt zu haben.

So eine Enttäuschung erlebe ich seit Längerem häufiger bei Fragen, die eine gewisse Gewichtung zu haben scheinen. Und so schwirrte schon seit längerer Zeit die Idee herum, da vielleicht mal nachzuhaken und eine Diskussion zu suchen. Und vielleicht auch mal außerhalb des eigenen Rudels, mit dem sich eh dauernd unterhalten wird, da dachte ich mir – „oh das scheinen Leute anders zu sehen, ich frage sie mal, ob sie das mal darlegen können.“ Und so habe ich hin-und-her-überlegt, wie spreche ich etwas an, dass ich eher nicht so gut finde und stelle mal ein paar Fragen und schaue mal was andere darauf für Antworten haben. Kurzum, ich schreibe mal einen Text. Ob das eine Debatte wird, ist ja völlig offen, dazu gehören ja mehrere.

Nur war ich dann zu langsam und nun haben sich verschiedene Leute schon geäußert. Da waren ein „Teil der Leipziger Antirepressionsstrukturen“¹ und dann kam ein „Teil linksradikaler Strukturen.“² Dann kamen ein paar Leute, die Bullen angreifen wollen, wann es ihnen passt³ und dann kamen „anonyme Diskutant*innen“4, auf die dann eine Replik von anonymer5 Seite kam.

Und nun habe ich zwar immer noch die gleichen Fragen zu Gewalt und Militanz und Strategie und Allem drum und dran und stehe aber etwas ratlos da.

Denn ich habe ja immer noch Lust mit Leuten gemeinsame Sache zu machen und dazu gehört auch gemeinsam zu diskutieren und sich vielleicht auch mal über eine Sache zu streiten. Aber nun weiß ich ja gar nicht mehr, ob das Anderen genauso geht.

Denn irgendwie – und da ist der erwähnte Strang an Texten nur ein Beispiel – wirken viele Texte und „Debatten“ innerhalb dieses Wustes namens „linker Szene“ gar nicht so auf mich, als ob Leute da ein gemeinsames Verspüren haben und Gemeinsamkeiten suchen. Vielmehr erscheint es mir als ob sich gerade viele Leute uneinig über so einige Punkte sind - aber so uneinig sie sich in der Sache sind, so einig scheinen sie sich zu sein, das es gar nicht darum geht, sich miteinander zu streiten. Vielmehr scheint es ein gemeinsames Verständnis zu geben, mensch müsste aus der eigenen Scherbe6 heraus möglichst heftig gegen andere wettern, weil diese Leute ja eh so verloren für die eigene Scherbe sind, dass es gar nicht mehr darum geht nach Brücken und Verbindungslinien zu suchen.

Ich schreibe extra viel „scheint“ weil ich weiß es ja nicht. Ich kann ja nur interpretieren was Leute schreiben. Aber mir fehlt da einfach das Verständnis, was sich Anderes dabei gedacht wird, als deutliche Abgrenzung, wenn ich mir die obengenannten Texte so durchlese. Und so sind die gegenseitigen Kritiken auch für mich mal treffend und mal nicht aber trotzdem bleibt in der Bilanz eher ein Beiseitetreten und die Lust verlieren. Und das - das weiß ich sogar und muss mich das gar nicht fragen – geht so Einigen anderen auch so.

Ich mache das im Folgenden an zwei Texten fest, mensch könnte genauso gut aber nur als Beispiel die momentane „Debatte“ zu Sexarbeit in Leipzig (analog wie digital) nehmen, an ihr ließe sich das Gleiche herausarbeiten, oder die Auseinandersetzungen über eine salafistische Moschee vor einem Jahr.

Wenn ein Text wie „Vive la militance“ mit einer verallgemeinernden Unterstellung beginnt und danach in Superlativen ertrinkt und mit einer generalisierten Unterstellung nach der nächsten arbeitet, ja dann finde ich vielleicht den Anstoß zur Debatte gut, aber muss erstmal tief durchatmen. Weil antrainiert habe ich mir – gerade in der linksradikalen Szene – einen Impuls dann in ähnlichem Tonfall zu antworten. Daraus wird aber dann keine Debatte, sondern wenn überhaupt ein Schlagabtausch. Das ist ja so, wie wenn mich ein Mensch anschnauzt. Dann habe ich auch Lust zurückzuschnauzen. Wenn ich das aber mache, ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch, dass das Ganze nicht unbedingt zu Zusammenkommen führt. Weil ich es aber gut finde mich mit Leuten, wenn dann über einen inhaltlichen Punkt, nicht aber über blöden Tonfall zu zerstreiten, muss ich erstmal durchatmen, wenn ich so einen Text lese.

Diese Zeit haben andere trefflich genutzt und sich die Mühe gemacht eine umfassende Replik auf „Vive le militance“ zu formulieren.

Und so habe ich mich über den Tonfall der Replik darauf auch erst gefreut. Ich finde es schlau und förderlich aus der eigenen Perspektive heraus zu schreiben, was denn so ein Gewerfe mit Gemeinheit mit den vermeintlich Gemeinten macht (und gemeint sind in dem Text „Vive la militance“ ja alle).

Und dann las ich weiter und dann ging ich aber auch wieder verloren. Denn das, was die Replik dem Vorgänger vorwirft, macht sie dann ja erneut selbst. Sie generalisiert den Scherbenhaufen der Leipziger Szene in eine Dichotomie hinein. In dieser gibt es dann „die Postautonomen“, die „die Autonomen“ ständig arrogant und vereinnahmend schlecht machen.

Und irgendwie passiert es dann in der Replik auch auf einmal, dass die sachlich falsche Gemeinmachung verschiedener Texte mit verschiedenen Aktionen aus „Vive le militance“ erst kritisiert und dann doch auch vollzogen wird.

Und ZackBumm kommt der Moment, wo ich von einem zustimmenden Kopfnicken in ein Dilemma gerate. Denn nun mag ich einige postautonome Gruppierungen und ihr Verhalten oft auch nicht sonderlich, aber ich hab ja auch meine Probleme mit gewissen Texten und Inhalten aus insurrektionalistischer Ecke. Und dann habe ich mal Seiten, wo ich mich als Teil von autonomen Projekten sehe und dann aber auch Seiten, wo ich mich dolle nicht als Teil von Zusammenhänge fühle, die auch irgendwie „autonome Gruppen“ sind. Nun gibts aber in dem Text nur noch zwei Seiten.

Und richtig schlimm wird es dann an der Stelle, wo diese Dichotomie gedanklich schon vollzogen ist und dann das große Draufgehaue losgeht, wo verschiedene Punkte angesprochen werden, die inhaltlich durchaus interessant, aber nur noch in einem gedanklichen Rahmen der sich ausschließenden Seiten angesiedelt sind. Gehöre ich nun auch zu den „ gewissen Leuten, die immer alles erst ausdiskutieren wollen“, weil ich ein Miteinander streiten und Sich-In-Frage-Stellen wichtig finde? Und darf ich dann trotzdem noch zustimmen bei der Aussage, dass ein Schreiben zu einem Baggerbrand nicht jedem gefallen muss oder dass ich es gut und richtig finde den Gefangenen vom Kreuz Funken in die Nacht zu zaubern?

Das betrifft ja den anderen Text genauso – was mache ich mit meinen ganzen eigenen Ideen zu Basisarbeit, wenn ich doch auch oft erfreut bin, wenn ich höre, dass irgendwas mit Farbe besudelt wurde und nicht finde, dass das Eine das Andere ersetzt?

Also da ist nun dieser eine Text, er sagt er will debattieren, aber er wirft zuvor mit ganz viel Schmutz und verallgemeinert und dann ist da dieser andere Text, der am Schluss ziemlich deutlich sagt, dass er selber gar nicht debattieren will (und die anderen das ja auch nicht wollen).

Und das in einer Situation, in der wir als Bewegung kaum große kollektive Momente haben, indem sich jetzt schon eine Haltung der schnellen Distanzierungen breitgemacht hat. Eine Bewegung, die an dem Punkt ist Gegenkundgebungen zu Kundgebungen und Aufrufe zum Verhindern von Veranstaltungen anderer Splitter zu lancieren.

So stehe ich ratlos da in einer Stadt, die in einem Landstrich liegt, in dem der Rechtsruck nicht stattfindet, sondern die autoritäre Wende längst vollzogen ist. In einer Welt, die brennt und frage mich ganz konkret, wie das denn nun aussehen soll mit dem Rumstreunen und sich Kraft geben und sich gegenseitig bestärken und Widersprüche aushalten und dann mit einer Vielfalt von Taktiken für eine Welt kämpfen in der viele Platz haben – all diese schönen Gründe, warum ich unbedingt zu den Autonomen wollte und die die Postautonomen sich in ihre Textbücher geschrieben haben.

Und nun bin ich leider gar nicht am Schlauesten und weiß irgendwie so Alles. Aber so, wie alle anderen auch, kann ich ja einfach mal schreiben, was mir dazu so einfällt:

Ich denke, ohne Debatte kommen wir nicht weiter. Denn die von allen Seiten eingeforderte Solidarität kommt ja nicht von ungefähr. Ich bin dann solidarisch, wenn ich grundsätzlich denke, dass Menschen mit ihren Handlungen in ähnliche Richtungen zielen wie ich auch. Nun haben aber die Schurk:innen der Replik recht, wenn sie bemängeln, wie viele Debatten gestartet werden. Ich starte nun halt eben keine Debatte auf Augenhöhe, wenn ich mein Gegenüber erstmal in den Boden ramme, oder mich mittels Distanzierungen auf Twitter und Facebook über mein Gegenüber erhebe.

Ich kann nicht erwarten, dass Menschen auf mich und meine Perspektive „Rücksicht“ nehmen, wenn ich mich (öffentlich) von ihnen lossage. Soweit so zugestimmt mit den Schurk:innen der Replik. Allerdings: Es ist den Schurk:innen natürlich überlassen zu sagen, dass sie mit niemanden reden wollen und sich in Schweigen hüllen (wobei 11 Din-A4-Seiten ja nicht unbedingt Schweigen sind). Nur irgendwie wirds dann halt auch schwierig. Wenn ich Handlungen nicht mehr kritisieren und mich darüber austauschen darf, dann wird der Raum zugemacht hier in Austausch zu treten. Dann gehts auch nicht mehr darum ein Verständnis der verschiedenen Blicke auf eine Sache zu entwickeln und sich vielleicht auch mal gegenseitig von etwas zu überzeugen oder zumindest zu akzeptieren. Was halt dann eher passiert, dass alle halt irgendwie dort bleiben wo sie sind. So sitzen dann alle auf ihren Schollen und die Gezeiten gesellschaftlicher Stimmungen und Meinungen treiben sie dann mal auseinander und mal zusammen – momentan jedoch wohl eher auseinander. Womit es dann eher schwierig wird ist die Sache mit der Solidarität, wenn es darauf ankommt. Denn wenn ich mit niemanden reden will, oder andere Perspektiven zulassen, muss ich mich auch nicht wundern, wenn Leute irgendwann keine Lust mehr haben, sich auf mich zu beziehen oder mich einzuladen – geschweige denn für mich einzustehen.

Lebendige Bewegung kommt nicht aus einer autoritären Debatte in der es darum geht, alle auf eine Linie zu bringen. Hinter solchen Wünschen einer großen Versammlung nach der sich alle einig sind, sind tatsächlich ziemlich arrogant, haben sie wahrscheinlich viel mit der Ansicht zu tun; „die anderen (Linken) seien an der Misere schuld“, weil sie halt falsch denken. Aber lebendige Bewegung hat viel mit Kommunikation und Austausch zu tun, mit miteinander plaudern, sich zuhören und gegenseitig prüfen. Daraus kann ja erst eine Lust auf das Gemeinsame entstehen, nicht um uns gegenseitig zu überzeugen, dass wir alle das Gleiche zu tun hätten. Sondern um uns ein Gefühl der Kollektivität und des gegenseitigen Rückhaltes zu geben.

Damit uns dies gelingt, ein paar Vorschläge. Vielleicht taugen sie ja irgendwem etwas.

Der erste Vorschlag wäre ja, die eigenen Identitäten mal in Frage zu stellen. Bei revolutionärer oder radikaler Politik gehts nicht darum, sich innerhalb einer Jugendbewegung eine Subkultur zu suchen, sondern sich aufgrund der eigenen Überzeugungen für den Einsatz in passend erscheinenden Projekten einzubringen.

Wenn ich soweit bin, kann ich auch damit beginnen, die mir ansozialisierten Dauerprojektionen auf Andere innerlich zu bekämpfen und nicht dauernd an der Sache vorbei Leute mit Aktionen, Inhalten und Labels in Verbindung zu bringen, die vielleicht manchmal passen, oft aber eher Ausdruck meiner Projektion sind.

Ein zweiter Vorschlag ist, sich von dem gesellschaftlich vorgegebenen Druck der dauernden Spontanpositionierung zu befreien. Vielleicht erstmal mit anderen Menschen in eine Diskussion und einen Austausch zu treten, bevor ich dem Druck des schnelllebigen digitalen Raumes nachgebe und Positionierungen und Distanzierungen auf Facebook, Twitter oder sonstwo lostrete.

Daraus folgend der konkrete Vorschlag einen Input aus Berlin aufzugreifen und vielleicht wieder mehr und spontaner offene Versammlungen7 einzuberufen, wenn ein Thema als gewichtig und viele betreffend erscheint. Also vielleicht das nächste Mal, wenn was Großes passiert zu sagen: „Wir machen mal nen Raum auf und dann laden wir ein und versuchen ins Gespräch zu kommen.“ Bevor wir uns zuhause hinsetzen und in unserer Filterblase gegenseitig bestärken, dass wir schon wüssten was denn nun richtig ist, oder schlimmer noch uns anmaßen zu wissen, was der „Konsens innerhalb der radikalen Linken“ sei.

Wenn wir es als dritten Vorschlag dann auch noch umgesetzt kriegen, ein Kommuninkationsniveau miteinander zu erreichen, dass weniger von Abwertung und Polemik, sondern mehr von sachlicher Kritik und wohlwollendem Umgang geprägt ist – dann erreichen wir vielleicht einen Punkt, indem wir auch wieder in der Lage sind, uns in all unseren Scherben gegenseitig mit Energie aufzuladen um unserer (teilweise getrennten) Wege zu gehen.

 

 

Fragend schreiten wir voran,

Keiner oder Alle – Alles oder Nichts

 

¹ https://de.indymedia.org/node/45055

² https://de.indymedia.org/node/45356

 ³ https://de.indymedia.org/node/58746

 4 https://de.indymedia.org/node/60036

 5 https://de.indymedia.org/node/62464

 6 http://magazinredaktion.tk/Scherbentheorie.php

 7 https://finsternis.noblogs.org/files/2015/02/SK.pdf → 1. Text

 

 

 

 

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