Maximaler Nervenkitzel: Das sind die Tricks der Glücksspiel-Industrie
<p>Katsching und Klimper-klimper: Mit raffinierten Mechanismen fesseln Anbieter von Glücksspielen Menschen an die Geräte und verdienen Milliarden. In ihrem Vortrag auf dem 39C3 nimmt Forscherin Elke Smith die Tricks auseinander – und zeigt, wo Regulierung ansetzen könnte.</p>
<figure class="wp-caption entry-thumbnail"><img width="860" height="484" src="https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2025/12/creepy-jubel-860x484.jpg" class="attachment-landscape-860 size-landscape-860 wp-post-image" alt="Ein Mann jubelt seinen Smartphone-Bildschirm an." decoding="async" loading="lazy" srcset="https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2025/12/creepy-jubel-860x484.jpg 860w, https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2025/12/creepy-jubel-1200x675.jpg 1200w, https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2025/12/creepy-jubel-380x214.jpg 380w, https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2025/12/creepy-jubel-1536x864.jpg 1536w, https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2025/12/creepy-jubel-660x372.jpg 660w, https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2025/12/creepy-jubel-160x90.jpg 160w, https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2025/12/creepy-jubel.jpg 1920w" sizes="auto, (max-width: 860px) 100vw, 860px" /><figcaption class="wp-caption-text">Gezielt hervorgerufene Ekstase am Bildschirm (Symbolbild) <span class='media-license-caption'> – Alle Rechte vorbehalten IMAGO/Panthermedia, Bearbeitung: netzpolitik.org</span></figcaption></figure><p>Die Slotmaschine rattert, blinkt und klingelt, während ihre Walzen rotieren. Die Lootbox schüttelt sich und pulsiert, als würde sie gleich explodieren, begleitet von anschwellenden Glockenklängen. Für viele Gamer*innen bedeutet das Spaß und Nervenkitzel, ob beim klassischen (Online-)Glücksspiel für Erwachsene oder in Glücksspiel-ähnlichen Games, die teils sogar <a href="https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/computerspiele-gluecksspie...ür Kinder freigegeben</a> sind.</p>
<p>Für die Psychologin und Neurowissenschaftlerin <a href="https://www.hf.uni-koeln.de/40459">Elke Smith</a> bedeutet Glücksspiel dagegen Arbeit. Denn sie erforscht an der Universität zu Köln menschliche Entscheidungs- und Lernprozesse – darunter jene Mechanismen, die beim Zocken im Hintergrund ablaufen. In ihrem <a href="https://media.ccc.de/v/39c3-neuroexploitation-by-design-wie-algorithmen-... auf dem 39. Chaos Communication Congress</a> erklärt Smith die zentralen Tricks von Glücksspiel, die sich inzwischen auch in klassischen Online-Games ausbreiten.</p>
<p>Geschätzt 2,4 Prozent der deutschen Bevölkerung zwischen 18 und 70 Jahren sind <a href="https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/g/g... Gesundheitsministerium süchtig</a> nach Glücksspielen, haben also eine als Krankheit anerkannte <a href="https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK519704/table/ch3.t39/">Verhaltensstörung</a>. Derweil liegen die Umsätze für legales Glücksspiel in Deutschland bei knapp <a href="https://www.dhs.de/unsere-arbeit/dhs-jahrbuch-sucht/">63,5 Milliarden Euro</a>. Dennoch kommt der Vortrag der Glücksspiel-Forscherin Smith ohne Verteufelung aus. Vielmehr umreißt sie den Graubereich zwischen Spaß und Suchtgefahr.</p>
<h3>Deshalb macht Glücksspiel so viel Spaß</h3>
<figure id="attachment_506703" aria-describedby="caption-attachment-506703" style="width: 760px" class="wp-caption aligncenter"><img decoding="async" id="longdesc-return-506703" class="size-large wp-image-506703" tabindex="-1" src="https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2025/12/39c3-elke-smith-frame-1200... alt="Psychologin Elke Smith auf dem 39C3" width="760" height="415" longdesc="https://netzpolitik.org?longdesc=506703&referrer=506679" srcset="https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2025/12/39c3-elke-smith-frame-1200... 1200w, https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2025/12/39c3-elke-smith-frame-860x... 860w, https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2025/12/39c3-elke-smith-frame-1536... 1536w, https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2025/12/39c3-elke-smith-frame-2048... 2048w" sizes="(max-width: 760px) 100vw, 760px" /><figcaption id="caption-attachment-506703" class="wp-caption-text">Psychologin Elke Smith auf dem 39C3. <span class='media-license-caption'> - Alle Rechte vorbehalten media.ccc.de</span></figcaption></figure>
<p>Ein besonders auffälliger Glücksspiel-Mechanismus, den Smith hervorhebt, sind <strong>audiovisuelle Effekte</strong>, die bei hohen Gewinnen noch stärker werden. Darunter fallen zum Beispiel die zu Beginn erwähnten klingelnden und glitzernden Slotmaschinen und Lootboxen. Gerade bei einem Gewinn können virtuelle Funken sprühen, Goldmünzen hageln und Fanfaren blasen. Solche Elemente sind kein bloßes Beiwerk, sondern tragen dazu bei, Menschen durch Reize zu belohnen und damit zum Weiterspielen zu motivieren.</p>
<p>Sogenannte <strong>Near Misses</strong> sind Fälle, in denen Spieler*innen den Eindruck bekommen, nur ganz knapp verloren zu haben, etwa wenn bei der Slotmaschine das Gewinnsymbol fast getroffen wurde. Zwar macht es finanziell keinen Unterschied, ob man knapp oder deutlich verliert – es fühlt sich aber anders an.</p>
<p>Ein weiterer Mechanismus, den Smith hervorhebt, sind als Verluste getarnte Gewinne, auf Englisch: <strong>losses disguised as wins</strong>. In diesem Fall bekommen Spielende einen Bruchteil ihres Einsatzes als scheinbaren Gewinn zurück, begleitet mit audiovisuellen Belohnungsreizen.</p>
<p>Bei der Jagd nach Verlusten („<strong>chasing losses</strong>“) versuchen Spieler*innen wiederum, das verlorene Geld aus vorigen Runden durch immer weitere Einsätze wieder zurückzuholen.</p>
<p>Nicht zuletzt kann sich Glücksspiel auch der sogenannten <strong>Kontroll-Illusion</strong> („illusion of control“) bedienen. Das ist eine <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kontrollillusion">kognitive Verzerrung</a>: Üblicherweise können Menschen durch ihre Entscheidungen tatsächlich ihre Umwelt beeinflussen, dazu lernen und ihre Fähigkeiten verbessern. Beim Glücksspiel dagegen haben Entscheidungen oftmals keinen Einfluss auf das Ergebnis – es fühlt sich nur so an. Als Beispiel nennt Smith die Entscheidung, wann genau man bei einer Slotmaschine den Knopf drückt, <a href="https://link.springer.com/article/10.1007/s10899-017-9699-x">um die rollenden Walzen zu stoppen</a>.</p>
<h3>Mechanismen breiten sich in Spiele-Apps aus</h3>
<p>Diese und weitere Mechanismen sind nicht auf (Online-)Casinos begrenzt, sondern verbreiten sich auch in klassischen Spiele-Apps, wie Smith ausführt. Die Integration von Glücksspiel-Elementen wie Zufall, Risiko und Belohnung nennt sie „Gamblification“ – und deren Effekte hat sie selbst untersucht.</p>
<p>Gemeinsam mit Forschungskolleg*innen hat Smith gemessen, wie Zuschauer*innen auf YouTube-Videos reagieren, in denen Gamer*innen sich beim Öffnen von Lootboxen filmen. Solche Videos erreichen auf YouTube ein Millionenpublikum und zeigen: Glücksspiel-Mechanismen wirken möglicherweise sogar dann, wenn man anderen nur beim Spielen zuschaut.</p>
<p>Konkret haben die Forschenden Views, Likes und Kommentare von 22.000 Gaming-Videos mit und ohne Lootboxen miteinander verglichen. Das Ergebnis: Der Lootbox-Content hat das Publikum messbar stärker eingenommen als anderer Gaming-Content: mehr Views, mehr Likes, mehr Kommentare. „Dieses erhöhte Engagement könnte mit den Glücksspiel-ähnlichen Eigenschaften der durch Lootboxen vermittelten Belohnungsstruktur zusammenhängen“, heißt es auf Englisch in dem Paper, das im Mai 2025 beim Journal <a href="https://www.nature.com/articles/s41598-025-01482-5">Scientific Reports erschienen</a> ist.</p>
<p>Um ihre Online-Spiele zu optimieren, können Anbieter auf A/B-Testing mit großen empirischen Datenmengen zurückgreifen, erklärt Smith in ihrem Vortrag. Das heißt: Sie können Features einfach ausprobieren und messen, was am besten funktioniert. Schließlich bekommen sie täglich kostenlos neue Daten von Millionen Gamer*innen. Auf diese Weise entstehen Produkte, die von Anfang an so gestaltet sind, dass sie die Belohnungsmechanismen der Spieler*innen am besten ausnutzen. Smith nennt das „Neuroexploitation by design“.</p>
<h3>Das sind die Ansätze für Regulierung</h3>
<p>Gegen Ende ihres Vortags geht Smith auf Ansätze ein, um die Gefahren von Glücksspiel-Mechanismen einzudämmen. In Deutschland gibt es etwa den <a href="https://www.gluecksspiel-behoerde.de/de/fuer-gluecksspielanbieter/gesetz...ücksspielstaatsvertrag</a>. Manche Normen zielen direkt auf Glücksspiel-Mechanismen ab: So muss bei einem virtuellen Automatenspiel etwa ein einzelnes Spiel mindestens fünf Sekunden dauern, der Einsatz darf einen Euro pro Spiel nicht übersteigen. Das soll das Feuerwerk aus Risiko und Belohnung eindämmen.</p>
<p>Ob Lootboxen in die Kategorie Glücksspiel fallen, beschäftigt internationale Gerichte und Gesetzgeber <a href="https://netzpolitik.org/2024/gaming-warum-lootboxen-in-deutschland-noch-... seit Jahren</a>. In Deutschland hatte jüngst der Bundesrat <a href="https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2025/0501-0600/517-25(B).pdf">strengere Regeln gefordert</a>. Am 21. November hielten die Länder fest, dass Lootboxen und andere Glücksspiel-ähnliche Mechanismen in Videospielen besser reguliert werden sollen, um Suchtgefahr zu reduzieren. In <a href="https://www.gamestar.de/artikel/counter-strike-global-offensive-lootboxe... und den Niederlanden</a> gibt es bereits strengere Regeln.</p>
<p>Auf EU-Ebene gibt es derzeit kein spezifisches Recht zur Regulierung von Lootboxen, wie die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags den <a href="https://www.bundestag.de/resource/blob/547466/43e2f93576b9b57ff78a773afa... im Herbst 2024 zusammenfassen. Allerdings kommen je nach Kontext verschiedene EU-Gesetze in Frage, etwa das Gesetz über digitale Dienste (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32022R206...), das manche Anbieter dazu verpflichtet, Risiken für ihre Nutzer*innen zu erkennen und zu minimieren. Derzeit plant die EU-Kommission zudem den Digital Fairness Act, der Lücken <a href="https://netzpolitik.org/2025/digital-fairness-act-grosse-wuensche-fuer-m... Verbraucherschutz schließen</a> soll.</p>
<p>„Ich denke, es wäre wichtig, vor allem junge Menschen vor diesen Mechanismen zu schützen“, warnt Smith mit Blick auf Glücksspiel-Mechaniken in Spielen. Damit verweist die Forscherin auf eine Leerstelle in den aktuellen <a href="https://netzpolitik.org/2025/400-schulen-besucht-was-kinder-im-netz-erle... um Jugendschutz im Netz</a>, die vor allem um <a href="https://netzpolitik.org/2025/social-media-bann-in-australien-startet-ein... für soziale Medien</a> kreisen.</p>
<p>Ein fertiges Regulierungs-Konzept für Glücksspiel-Mechanismen hat die Forscherin zwar nicht. In welchem Spannungsfeld man sich bei dem Thema bewegt, bringt sie jedoch in Reaktion auf eine Frage aus dem Publikum auf den Punkt: „Gibt es einen Bereich vom Spieldesign, der Spaß macht, Nervenkitzel birgt, profitabel ist für die Anbieter und im Bereich des sicheren Spielens liegt?“</p>
<span class="vgwort"><img loading="lazy" decoding="async" src="https://vg03.met.vgwort.de/na/8cbaaa33927a42d7ba54daf0f4567406" width="1" height="1" alt="" /></span><hr id="spenden" /><p>Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen. <br>Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus <a href="https://netzpolitik.org/spenden/?via=rss">jetzt mit einer Spende</a>.</p>