Offener Brief des Chaiselongue Kollektivs nach Nötigung durch Reil78

Event Datum: 
Sonntag, Dezember 22, 2019 - 19:45
Stadt/Region: 
Freiräume Kultur

Stellungnahme des Chilllabeat e.V. zum Streit auf dem Reil78-Gelände

 

Wer sind die Konfliktparteien?

 

Auf dem Gelände der Reilstraße 78 ist ein Streit entbrannt.

Nach 18 Jahren gemeinsamer Nutzung beansprucht der KubultubuRebell e.V. nun das gesamte Gelände für sich allein.

Dem koexistierenden Chillabeat e.V. wurde die Mitnutzung fristlos gekündigt.

 

Was ist passiert?

 

Das Kollektiv um den KubultubuRebell e.V., also dem Hauptmieter des Reil78Geländes, plant die Übernahme des Geländes,

mit der Begründung, damit Gefahren eines möglichen Rechtsrucks auf kommunalpolitischer Entscheidungsebene entgegenzuwirken. 

 

Dafür sollen die unter dem Namen Chaiselongue bekannten Vereinsräume des Chilllabeat e.V. geschlossen werden. 

 

Am 3. Mai 2019 wurde darüber in einem Basisplenum des Reil78 in Anwesenheit von drei damaligen Betreibern der Chaiselongue abgestimmt. 

 

Erst im August wurde auch der Vorstand des Chilllabeat e.V. darüber informiert,

dass die drei Vertreter dem Vorhaben vor dem Hintergrund der diskutierten Umstände zugestimmt hatten.

Daraufhin wurden seitens des Chilllabeat e.V. neue Handlungsstrukturen geschaffen,

neue Leute für die Vereinsarbeit mobilisiert und nahestehende Vereine für zukünftige Zusammenarbeit motiviert. 

 

Diese Veränderungsprozesse wurden auch fortwährend dem Entscheidungsgremium des Reil78 kommuniziert. 

Dort wurde allerdings weiter beharrlich auf den Auszug des Chilllabeat e.V. und auf die Übergabe der Chaiselongue-Schlüssel gedrängt.

Ungeachtet dessen setzte der Chilllabeat e.V. seine Vereinsarbeit fort und führte weiterhin interne Veranstaltungen und Workshops durch. 

 

Die Fronten verhärteten sich, als der KubultuRebell e.V. (Anfang November) die Wasserversorgung der Chaiselongue trennte und der Chilllabeat e.V. sie wiederherstellte. 

Die Auszugsforderung wurde schließlich mit Drohungen untermauert.

Mediationsvorschläge wurden vom KubultubuRebell e.V. abgelehnt. 

 

Von Gewaltanwendung wollten sich die Vertreter des KubultubuRebell e.V. letztlich explizit nicht distanzieren.

Vertreter des Chilllabeat e.V. installierten Überwachungstechnik für deren Vereinsräumlichkeiten,

die kurze Zeit später von Unbekannten gewalttätig zerstört wurde. 

Am 22. November 2019 wurde eine fristlose Kündigung des Nutzungsvertrages für die Chaiselongue zum 10. Dezember 2019 an den Chilllabeat e.V. ausgestellt. 

Da die Rechtmäßigkeit der Kündigung fragwürdig war, wurde dieser umgehend widersprochen.

Am 9. Dezember 2019 begannen die Vertreter des KubultubuRebell e.V., die Räumung der Chaiselongue eigenmächtig zu vollziehen:

erst wurden Strom- und Wasserversorgung abgestellt und schließlich,

am 11. Dezember, wurden Hausverbote für das Umfeld des Chilllabeat e.V. ausgesprochen. 

Als sich die Anwesenden weigerten das Gelände zu verlassen, wurden sie in der Reilstraße 78 eingeschlossen.

Dabei kam es zu Drohszenarien. 

Vertreter des Chilllabeat e.V. zogen auch die Polizei hinzu. 

Am 12. Dezember mobilisierte die Reil78-Fraktion ca. 50 Personen, um das Gelände nach außen abzuriegeln

und Besucher der Chaiselongue am Betreten des Clubs zu hindern.

Lebensmittel und technische Heizmöglichkeiten wurden nicht zu den im Club verbliebenen Personen durchgelassen.

Am Ende ihrer Kräfte haben Freitag Abend die letzten Freunde der Chaiselongue den Club verlassen.

Als am folgenden Tag Kinder ein selbstgebasteltes Plakat in der Reilstraße 78 aufhängen wollten, wo sie noch Wochen zuvor Halloween und

Kinderdisco gefeiert haben, erklärten ihnen die ‘Wachposten’ des Reilgeländes,

dass der Ort für sie zu gefährlich sei und drohten ihnen.

 

 

Was sind die konkreten Vorwürfe?

 

Im Vorfeld der Kündigung bestand der Hauptvorwurf im schlechten Kommunikationsverhalten seitens des Chilllabeat e.V. .

Die Ursachen dieser Vorwürfe sind die in der Vergangenheit im Chilllabeat e.V. nicht ausreichend organisierten

Kommunikationsstrukturen.

Das Fehlen von Ansprechpartnern vor Ort führte zwangsläufig zu dem Eindruck,

mit dem Chilllabeat e.V. keine Absprachen treffen zu können. 

In den sozialen Medien werden auch Vorwürfe geäußert, man hätte nicht

genug gegen Rechts getan und würde somit nicht dem politischen Anspruch des

Gesamtprojektes gerecht. Außerdem wurden gelegentlich rückständige Mietzahlungen

bemängelt.

Im Laufe des Konflikts kamen noch weitere Vorwürfe hinzu: z.B. das erwähnte

Hinzuziehen der Polizei, Installation von Überwachungstechnik und das eigenmächtige

Eingreifen in die Wasserversorgung.

 

Was sagt Ihr dazu?

 

Die Vorwürfe der mangelnden Abgrenzung gegen rechts weisen wir entschieden

zurück!

 

Temporäre Mietrückstände wurde stets entschuldigt und umgehend beglichen.

Die Überwachungstechnik, die lediglich den Eingangsbereich des Clubs filmte,

wurde zum Schutz des Privat- und Vereinseigentums installiert,

nachdem sich die Teilnehmer des Montagsplenums des KubultubuRebell e.V. im Konfliktverlauf

nicht zum Gewaltverzicht bekannt haben.

Auch die Polizei wurde erst gerufen, als gewalttätige Übergriffe zu befürchten waren.

Die Instandsetzung der Wasserleitung wurde abgesprochen und

 achmännisch durchgeführt.

Im Nachhinein erscheint es so, als wäre jeder Vorwand

recht, um den Chilllabeat e.V. aus der Reilstraße 78 herauszudrängen.

 

Sicherlich gab es in der Vergangenheit Konflikte, die man konstruktiver hätte auflösen

können.

Eine Ursache dafür waren auch die schon angesprochenen kaum vorhandenen

Kommunikationsstrukturen im Chilllabeat e.V. .

Wir können den Frust uns gegenüber teilweise verstehen.

Allerdings sind wir stets offen für Kritik und Veränderungen

und haben diesbezüglich in jüngerer Vergangenheit viel nachgearbeitet.

 

Doch warum ist der KubultubuRebell e.V. so blind gegenüber all unseren Bestrebungen,

Missstände der Vergangenheit aufzuarbeiten?

Wo ist die Hilfsbereitschaft, uns bei diesen Bestrebungen zu unterstützen?

Wir können viele Vorfälle im Verlauf des Konflikts nicht nachvollziehen:

Warum hat der KubultubuRebell e.V. für eine solch schwerwiegende Entscheidung nicht

den Kontakt zum Vorstand des Nachbarvereins gesucht?

Warum wiegt der Frust über unsere gemeinsame Vergangenheit soviel mehr als das Bestreben, sich möglichst breit

aufzustellen, möglichst große Vielfalt zu bieten? 

Eben dieses Bestreben meinen wir auch in den gemeinsamen Statuten der Reil78 verankert zu wissen. 

Wo ist die an der Mauer des Geländes dreisprachig propagierte Solidarität, wenn es um die eigenen Nachbarn geht,

die essenziell dazu beigetragen haben, dass es diesen Freiraum überhaupt gibt? 

 

Das Wort Solidarität verkommt zur Phrase, wenn es nur für ganz bestimmte Situationen und Menschen gilt. 

Wo ist die Kommunikationsbereitschaft, die Bereitschaft, Dispute und Probleme sachlich zu bearbeiten? 

Vor fünf Jahren gab es bereits einmal eine Mediation, während der über Ansprüche des KubultubuRebell e.V. gegenüber Chilllabeat gesprochen wurde.

Damals wurden vom Chilllabeat e.V. viele Zugeständnisse gemacht.

Die gemeinsame Nutzung der Chaiselongue, die damals vereinbart wurde, wurde nie vom KubultubuRebell e.V. in Anspruch genommen.

Heute erscheint es so, als würde die Reil78 sich an diese Zeit erinnern und auf unsere

Gesprächsangebote nicht eingehen aus Angst, die Mediation könnte erfolgreich sein.

Das Ziel der Auseinandersetzung scheint damals wie heute wesentlich profanerer Natur

zu sein…

 

Schon länger beunruhigt uns die Tendenz zur Exklusion - nicht bloß im Umfeld des

KubultubuRebell e.V. .

Oft führen augenscheinlich kleine Verfehlungen zu

Denunzierungen und Ausschluss aus dem kompletten sozialen Umfeld. 

Nun sind wir selbst von einem Hausverbot auf dem Gelände der Reilstraße 78 betroffen, was für alle

Sympathisanten des Chaisekollektivs ausgesprochen wurde.

Dass nun jeder, der Bezug zur Chaiselongue hatte, denunziert und in Sippenhaft

genommen und regelrecht vom Gelände gemobbt wird, ist perfide.

Hinter vorgehaltener Hand erfahren wir viel Solidarität, auch von Leuten, die gar nicht so viel mit der

Chaiselongue zu tun haben.

Zum Teil weil sie selbst Opfer dieser Exklusion geworden sind oder auch weil sie dieses Phänomen ebenso argwöhnisch beobachten.

Anderseits erfahren wir gerade auch Ablehnung von Leuten, die mit dem Konflikt gar nichts zu tun

haben. Noch ist unklar wie weitreichend der Verfolgungsdrang ist. Dürfen wir nächstes

Jahr nicht mehr mit unseren Familien zum VL-Jahresfest?

 

Erschreckend finden wir, für die Ablehnung von Gewalt Konsens ist, die Ausmaße der

uns entgegengebrachten Aggressionen, den ‚Geht-oder-Sterbt‘-Habitus, der gewiss ein

Novum bei innerlinken Konflikten darstellt.

Viele haben sicherlich schon gemerkt, dass diese Art der Auseinandersetzung in einer kleinen Stadt wie Halle

mit den sich vermischenden Freundeskreisen, Szenen und Kollektiven mehr Probleme aufwirft, als

dass sie welche löst.

 

Warum geht Ihr denn nicht einfach?

 

Wir sind ein etablierter Teil von Halles Subkulturlandschaft, der weit über die

Stadtgrenzen hinaus beliebt ist.

Wir arbeiten in einer Nische in Halle, die einer leider scheinbar immer seltener werdenden Tradition folgt:

der Inklusion. Wir halten es für unabdingbar, diese Arbeit, gerade an diesem Ort weiterzuführen, ganz besonders jetzt,

wo wir scheinbar hier an genau diesem Anspruch zu scheitern drohen.

 

Trotz alledem werden wir uns, unseren Idealen folgend, auch weiterhin kommunikationsbereit zeigen.

Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen