… und die Selbstentlarvung der Führer*innen (Debatte um Führung Teil 4)
In vier Teilen will ich mich dem Thema Führung widmen, das auf dem Kollapscamp aufgekommen ist und nun im Nachhinein von den Organisator*innen gesetzt wird. Im Wesentlichen wollen sie das Paradigma der Hierarchiearmut und den Anspruch des Hierarchieabbaus in linken Bewegungen auflösen. - Gerade jenen, die sie nun offensiv fordern, sollten wir nicht in Führungspositionen berufen.
Scully/Cindy Peter mag ja 10 Jahre aktiv in „der“ Bewegung „mit immer mal wieder auch sehr sichtbaren Rollen, wie aktuell beim Kollapscamp“ engagiert sein. Sie mag erfahren haben, das Menschen darin antiautoritären Reflexen nachgehen, die nicht konstruktiv, wertschätzend und zielführend sind.
Solche Erfahrungen habe ich ebenfalls gemacht. Meiner Einschätzung nach werden solche Reflexe und bisweilen sogar Angriffe am häufigsten und vehementesten von Personen hervorgebracht, die selbst die Führung übernehmen wollen. In der Regel steht dahinter eine tiefsitzende persönliche Kränkung, die meistens rein gar nichts mit der Gruppe, in der sie ihre Machtansprüche geltend machen wollen, zu tun hat.
Es ist scheiße, das erfahren zu müssen beziehungsweise festzustellen, dass sich diese Dynamik in linken Gruppen systematisch wiederholt. Dementsprechend fragt Scully sich verständlicherweise: „Wieso sollten Menschen Verantwortung übernehmen wollen, sich Aufgaben stellen, die sie herausfordern, wenn sie sehen, wie mit denen umgegangen wird, die das vor ihnen getan haben“. Darauf gibt es aber eine einfache Antwort: Wenn Menschen sich keine Führungsrollen anmaßen, sondern einzelne machtvolle Positionen und Aufgaben ihnen im demokratischen Gruppenprozess übertragen werden, gibt es kein Problem und niemand sollte scheiße mit ihnen umgehen.
Wer sich seines eigenen Selbstwerts, den eigenen Ressourcen, Fähigkeiten, sozialen Rollen und Aufgaben bewusst ist und damit (größtenteils) zufrieden ist, kann mit den gekränkten Kader-Personen umgehen. Entweder man arbeitet nicht mit ihnen zusammen, bis sie ihr Verhalten reflektieren und verändern. Dabei ist es sinnvoll, sie darin zu unterstützen. Oder dieses Verhalten ist nicht übermäßig ausgeprägt, so das es bearbeitet werden kann oder sogar in die Funktionsweise von selbstorganisierten emanzipatorischen Gruppen einbauen lässt.
Im Text von Scully ist von derartigen Reflexionen leider nichts zu lesen. Dies liegt nicht nur daran, das Führungspersonen ihre Aufgaben und Funktionen mit ihrer sozialen Rolle verwechseln. Sondern sie maßen sich die Führung aufgrund ihrer entwickelten Persönlichkeitsstruktur an, sind sich jener aber in Wirklichkeit ziemlich unsicher. Meiner Lesart wird das klar, wenn sie schreibt: „Ich halte es grundsätzlich für extrem wichtig, dass wir Menschen in leadership-Funktionen haben und ich will und werde es nicht zulassen, dass aufgezwungene Scham und ggf. persönliche Angriffe mich in meiner politischen Arbeit einschränken, weil ich Angst habe, von meinen eigenen Strukturen und Verbündeten angegriffen und ausgeschlossen zu werden.“ – Mit anderen Worten: das bürgerlich-weiße Individuum will sich nicht einschränken und kontrollieren lassen, kein Wissen teilen und Macht abgeben müssen. Es WILL es nicht! Doch warum nötigen Cindy und Tadzio uns ihre aus dem christlichen Patriarchat stammenden Schamgefühle, ihren Geltungsdrang und ihre Allmachtsphantasien auf?
Leider stellt sich Tadzio Müller als das beste Beispiel für problematische Führungspersonen selbst so heraus, das man dabei nur Fremdscham empfinden kann. Er kann offensichtlich nicht zwischen sich und der Bewegung unterscheiden. Für emanzipatorische soziale Bewegungen ist eine derartige Über-Identifikation von Einzelpersonen mit ihr aber höchst problematisch. Denn dies bedeutet letztendlich, dass engagierte Menschen sich abhängig vom willkürlichen, unberechenbaren und autoritären Verhalten Einzelner machen. Die Gefolgschaft wird damit dem Willen der Führung untergeordnet und dient als Handlanger des bereits gesetzten Plans. Die Erfahrung zeigt: Wer so denkt, kann für selbstorganisierte, emanzipatorische Bewegungen äußerst problematisch werden. Im schlimmsten Fall kippen die leaders um und rächen sich am Subjekt, das sich von ihnen nicht anführen lassen wollte.
Wir können hier noch mal einen Blick zurück auf die basisdemokratischen Mechanismen werfen, die Jo Freeman vorgeschlagen hat, um intransparente und explizite Führungsansprüche von Einzelnen ins Leere laufen zu lassen. Damit erscheinen mir Cindy Peter und Tadzio Müller nicht als geeignet, um dauerhaft machtvollen Positionen und Aufgaben auszuüben. Ganz ehrlich, ich würde keiner Person über den Weg trauen, die ihr Mindset aus dem Bereich des neoliberalen Managements entlehnt und glaubt: „Es sind leader, die die ausgetretenen Pfade verlassen, Ideen pushen und neue Wege und Türen öffnen, die wir alle dann benutzen (können)“. Als wenn Personen zur Führung geboren wären – während andere eben folgen würden. What the fuck?! Das Kollapsdenken scheint bei einigen bürgerlichen Individuen nun ihre Phantasien von archaischen Horden hervorzukehren. Offenbar sind wir alle von einer Gesellschaft geprägt, in der es viel zu viele schlechte Apokalypse-Filme gab...
Hin und wieder zeigen sich Menschen beeindruckt von der Initiative, dem Charisma, der scheinbaren Klarheit und dem Tatendrang selbsternannter Führungspersonen. Respekt für deren kontinuierliches Engagement, eine Wertschätzung ihres zuverlässigen Einsatzes und eine Würdigung ihrer Fähigkeiten sind sicherlich völlig okay. Doch ehrlichen Respekt, Wertschätzung und Würdigung sollte allen Beteiligten in emanzipatorischen sozialen Bewegungen für ihre jeweiligen Fähigkeiten, Tätigkeiten, Sichtweisen und Seinsweisen zukommen – auch und gerade, wenn sie dies nicht offensiv und krampfhaft einfordern.
Eine Kultur der gegenseitigen Respekt, Wertschätzung und Würdigung ist in vielen Fällen noch weiter zu entwickeln. Doch anmaßenden Führer*innen geht es um mehr: um die Aneignung von Macht und Ausübung von Macht durch sie als Personen. Wenn es heißt, sie würden ja so viel tun und reißen, sie hätten einen Plan – dann wird selten danach gefragt, wen sie zur Erreichung und Aufrechterhaltung ihrer Machtposition zur Seite gedrückt und vergrault haben... Dagegen braucht es kollektive Organisierung, mit der die individualisierte Überhöhung Einzelner gar nicht erst erstrebenswert erscheint und möglich wird.
Zusammengefasst: Viele Punkte, die in der Debatte um Führung angestoßen werden, sind berechtigt und wichtig. Die propagierte Führerschaft ist – zumindest aus anarchistischer Perspektive – aber ein absoluter Holzweg. Damit wird eine komplexe Debatte um die schwierige Organisation von selbstorganisierten emanzipatorischen Gruppen abgekürzt. Das Thema von verschieden verteilten Machtressourcen und Fähigkeiten und wie sie sinnvoll mit unterschiedlichen sozialen Rollen und Aufgaben verbunden werden können, wird umschifft. Stattdessen geschieht (zumindest im Hintergrund) eine Essentialisierung vermeintlicher Führer-Typen, ohne, dass jene ihre Privilegien reflektieren und Macht teilen müssten. Das Coming-Out der Kader-Personen wird die Arschlöcher nicht aufhalten. Sondern nur die freiwillige, kontinuierliche, verbindliche und zielgerichtete Organisation von Gruppen in emanzipatorischen sozialen Bewegungen. Darum lasst uns nicht verhärten.
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