Zugang für Forschung: So müssen Online-Dienste ihre Datensilos öffnen

<p>Große Online-Plattformen sind für viele schon lange Teil des Alltags. Wie sie im Detail funktionieren, wissen aber weitgehend nur die Betreiber. Diese Blackboxen soll der Digital Services Act öffnen. Nun hat die EU-Kommission Details für den Datenzugang für Forschende veröffentlicht.</p>
<figure class="wp-caption entry-thumbnail"><img width="860" height="484" src="https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2025/07/DSA-Forschungszugang-860x4... class="attachment-landscape-860 size-landscape-860 wp-post-image" alt="Die Silhouette eines Mannes, dahinter nebulöse Datenstrukturen." decoding="async" loading="lazy" srcset="https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2025/07/DSA-Forschungszugang-860x4... 860w, https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2025/07/DSA-Forschungszugang-1200x... 1200w, https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2025/07/DSA-Forschungszugang-380x2... 380w, https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2025/07/DSA-Forschungszugang-1536x... 1536w, https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2025/07/DSA-Forschungszugang-660x3... 660w, https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2025/07/DSA-Forschungszugang-160x9... 160w, https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2025/07/DSA-Forschungszugang.jpg 1920w" sizes="auto, (max-width: 860px) 100vw, 860px" /><figcaption class="wp-caption-text">Die Wissenschaft soll Online-Dienste besser erforschen können, sieht der Digital Services Act der EU vor. <span class='media-license-caption'> &#8211; Alle Rechte vorbehalten <a href="https://www.imago-images.de/st/0817082026?searchID=3ed735e8-ee37-4a29-bb... >IMAGO / Ikon Images</a></span></figcaption></figure><p>Die EU-Kommission macht den Weg ein Stück weit frei für Forscher:innen, die Zugang zu den Datenschätzen großer Online-Dienste wie Facebook oder Google suchen. Ein am Mittwoch veröffentlichter delegierter Rechtsakt regelt nun die <a href="https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/news/commission-adopts-delegate... der Zugangsbedingungen</a>. Zugleich steht ab sofort ein <a href="https://data-access.dsa.ec.europa.eu/home">Portal</a> bereit, das Forschenden sowie betroffenen Online-Diensten Informationen über den Status ihrer Anträge und Zugänge liefern soll.</p>
<p>Die Regeln sind Teil des <a href="https://netzpolitik.org/2024/digital-services-act-welche-regeln-fuer-onl... Services Act (DSA) der EU</a>. Dieser soll ein sicheres Online-Umfeld schaffen und stellt insbesondere an sehr große Online-Dienste höhere Anforderungen als vorher. Dazu zählt unter anderem, dass sie Forschenden Zugang zu einigen ihrer Daten geben müssen. Bislang fiel es oft schwer, die Funktionsweise von Online-Diensten und die von ihnen potenziell ausgehenden systemischen Risiken unabhängig zu erforschen, da es kein gesetzlich verbrieftes Recht gab, auf die oft als Geschäftsgeheimnisse betrachteten internen Daten zuzugreifen.</p>
<p>Die Verabschiedung des Rechtaktes sei ein „entscheidender und überfälliger Schritt“ für den Zugang von Forschenden zu Plattformdaten, sagt Joschka Selinger von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Es handle sich um „das letzte Puzzleteil, damit Forschende in der EU erstmals den umfassenden Anspruch auf Zugang zu Daten von großen Online-Plattformen geltend machen können“, sagt der Jurist.</p>
<h3>Zeitfristen für Anträge</h3>
<p>Den groben Rahmen steckt bereits <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32022R206... 40 des DSA</a> ab. So läuft der Zugang stets über die nationalen Koordinatoren für digitale Dienste (auf Englisch: Digital Services Coordinator, DSC). In Deutschland ist die Stelle bei der <a href="https://netzpolitik.org/2024/geschichten-aus-dem-dsc-beirat-was-ist-eige... angesiedelt</a>. Dem Rechtakt zufolge haben diese Stellen 80 Werktage Zeit, um über Anträge auf Zugang zu entscheiden.</p>
<p>Forscher:innen müssen hierbei einige Bedingungen erfüllen: Sie müssen einer Forschungsorganisation, in der Regel einer Hochschule, angehören. Und sie müssen kommerziell unabhängig sowie bereit sein, ihre Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit anschließend frei zur Verfügung zu stellen. Zudem müssen sie in ihrem Antrag auf Zugang einigermaßen detailliert beschreiben, welche Daten sie genau anfordern und welches Format sowie welchen Umfang sie haben.</p>
<p>Womöglich könnte das zum Problem werden, sagt Selinger: &#8222;Der delegierte Rechtsakt löst das strukturelle Ungleichgewicht zwischen Forschenden und Plattformen nicht auf.&#8220; Forschende wüssten am Beginn des Antragstellungsprozesses nicht, welche Daten sie am Ende erhalten würden. „So müssen sie quasi im Blindflug Vorkehrungen zu Datensicherheit und Datenschutz treffen“, sagt Selinger. Formalisierte Beteiligungsrechte, welche die Position der Forschenden deutlich hätten aufwerten können, enthält der Rechtsakt jedoch nicht, bedauert der GFF-Jurist.</p>
<p>Für einen gewissen Ausgleich könnten zumindest die nun vorgeschriebenen Datenkataloge sorgen, in denen Online-Dienste Informationen über verfügbare Datensätze, deren Struktur und Metadaten offenlegen müssen. „Das hilft, präziser zu formulieren, was man anfragt“, sagt Jakob Ohme vom Weizenbaum-Institut, der zugleich am <a href="https://dsa40collaboratory.eu">„DSA 40 Data Access Collaboratory“</a> beteiligt ist.</p>
<h3>Breit gefasste Datenzugänge</h3>
<p>Auch Ohme hält den Rechtsakt für einen „zentralen Schritt für die Umsetzung von Artikel 40 des DSA“. Dabei habe die Kommission einige wichtige Punkte aus der öffentlichen Konsultation aufgegriffen und beispielsweise die Rolle der DSCs gestärkt, begrüßt der Forscher. Aufgrund des straffen Zeitrahmens könnten sich Online-Anbieter nicht länger durch Verzögerung entziehen, so Ohme.</p>
<p>Positiv bewertet er auch die breit gefassten Datenzugänge. Der Rechtsakt benenne ausdrücklich sensible Daten wie Inhaltsvorschläge, Engagement-Daten oder personalisierte Empfehlungssysteme, sagt Ohme. „Für die Kommunikations- und Sozialforschung ist das ein echter Fortschritt.“</p>
<p>Ein zweischneidiges Schwert sind die relativ hohen Voraussetzungen für den Zugang. Hierbei werde der Datenschutz ernst genommen, indem der Zugang an klare Anforderungen gebunden ist, so der Datenforscher. Unter anderem müssen Forscher:innen Datenschutz-Folgenabschätzungen erstellen und sichere Verarbeitungsumgebungen schaffen. „Für viele sozialwissenschaftliche Forschungsprojekte bedeutet das neue Hürden, aber auch mehr Vertrauen in den Prozess“, sagt Ohme.</p>
<p>Trotz der &#8222;vielversprechenden Formulierung&#8220; im Rechtsakt könnten Online-Dienste dennoch versuchen, zu mauern, mahnt Oliver Marsh von AlgorithmWatch. In der Vergangenheit habe sich wiederholt <a href="https://algorithmwatch.org/de/dsa-risikobewertungsberichte/">beobachten lassen</a>, &#8222;dass viele Plattformen bei der Einhaltung und Umsetzung verschiedener Artikel des DSA &#8211; von der Bereitstellung öffentlicher Daten bis hin zu Risikobewertungen &#8211; kaum oder schlecht geliefert haben&#8220;, sagt Marsh. &#8222;Die Regulierungsbehörden müssen gegenüber den Plattformen entschlossen auftreten, um sicherzustellen, dass die an sich vielversprechenden Vorschriften der Forschung tatsächlich helfen.&#8220;</p>
<h3>Praxis wird entscheidend</h3>
<p>Insgesamt handle es sich jedenfalls um einen erfreulichen Schritt, der für die Forschung vieles klarer mache, sagt Jakob Ohme – selbst „wenn offene Fragen zur praktischen Umsetzung bleiben, insbesondere was konkrete Zugangspfade und Abstimmungen auf nationaler Ebene angeht.“</p>
<p>Ähnlich sieht dies Joschka Selinger von der GFF. Um das „enorme Potenzial“ von Artikel 40 für die Forschung mit Plattformdaten zu heben, müssten Forschende und die DSCs diesen Rahmen jetzt mit Leben füllen. „Vor allem die Digital Service Coordinators haben bei der Durchsetzung der Zugangsansprüche eine zentrale Rolle und müssen die Wissenschaftsfreiheit robust gegenüber Big Tech geltend machen.“</p>
<p>In Kraft treten die Regeln nicht unmittelbar, ab ihrer Veröffentlichung gilt eine dreimonatige Begutachtungsfrist für das EU-Parlament und den EU-Rat. Zumindest die DSCs haben in ihrer letzten Sitzung den Rechtsakt in der vorliegenden Form <a href="https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/news/press-statement-european-b...„herzlich begrüßt“</a>. Sollte erwartungsgemäß kein Widerspruch anderer EU-Institutionen kommen, gilt der Rechtsakt nach Verstreichen der Frist. Danach können DSCs formell über die ersten Zugänge für die Wissenschaft entscheiden.<span class="vgwort"><img decoding="async" src="https://vg03.met.vgwort.de/na/f32a4904aeb343bca91714bcf2c14904" width="1" height="1" alt="" /></span></p>
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Autor/Gruppe: 
Tomas Rudl
Themen: 
feed-date: 
Donnerstag, Juli 3, 2025 - 17:53