Tödliche Doppelstandards: Ist Genozid eine rote Linie oder ein verzeihlicher Fehler?
von Peter Gelderloos
https://petergelderloos.substack.com/p/deadly-double-standards
Und dann ist da noch die Frage des anhaltenden Genozid. Ich wünschte, wir könnten einen Scheinwerfer auf diese Progressiven richten und sie fragen: Ist Genozid für dich keine rote Linie? Glaubst du wirklich, dass die politische Linke in Nordamerika oder Europa, wenn sie an der Macht wäre, Israels Genozid an den Palästinenser:innen nicht ermöglicht oder unterstützt hätte?
Kürzlich habe ich gesehen, wie ein weiterer progressiver Politiker mit einer großen Plattform sagte, dass Trumps andauernde Horrorshow ein Beweis dafür sei, dass wir alle mehr hätten tun sollen, um Kamala Harris zu wählen. Diese Art von historischer Amnesie, ob sie nun das Ergebnis von absichtlicher Manipulation oder panischer Kurzsichtigkeit ist, bereitet mir Bauchschmerzen. Ich möchte kurz erklären, warum.
Wir können nicht für das kleinere Übel plädieren, wenn der Unterschied zwischen den beiden Übeln nicht zum Überleben ausreicht. Wenn der Unterschied zwischen zwei Möglichkeiten nicht ausreicht, um über Leben und Tod zu entscheiden, haben wir alle die Verantwortung, beide Möglichkeiten anzuprangern und andere Optionen zu schaffen.
Wenn die Republikaner unter Trump neue Wege finden, um Einwanderer in Angst und Schrecken zu versetzen und den spärlichen Schutz vor Abschiebungen zu schwächen, die Demokraten es aber trotzdem schafften, mehr Menschen abzuschieben, dann ist die ethische und strategische Antwort, gegen beide Parteien und das gesamte System, das sie vertreten, zu kämpfen.
Die Treibhausgasemissionen schießen über den Kipppunkt hinaus, egal ob die Rechten oder die Linken an der Macht sind, so dass immer mehr Wissenschaftler:innen endlich zugeben, wovor Anarchist:innen und andere Radikale schon lange gewarnt haben: dass in den nächsten Jahrzehnten die sehr reale Gefahr besteht, dass Milliarden von Menschen inmitten eines Massenaussterbens sterben1, das über die Hälfte der Arten auf dem Planeten auslöschen könnte.
In dieser Situation ist jeder, der den Kapitalismus als kleineres Übel darstellt, das nachhaltig gemacht werden kann, entweder in schädlicher Unkenntnis dessen, was tatsächlich vor sich geht, oder er hat die psychopathische Fähigkeit, unvorstellbares Leid gegen kurzfristigen Profit einzutauschen.
Und dann ist da noch die Frage des anhaltenden Genozid. Ich wünschte, wir könnten einen Scheinwerfer auf diese Progressiven richten und sie fragen: Ist Genozid für dich keine rote Linie? Glaubst du wirklich, dass die politische Linke in Nordamerika oder Europa, wenn sie an der Macht wäre, Israels Genozid an den Palästinenser:innen nicht ermöglicht oder unterstützt hätte?
Es ist offensichtlich, dass die USA, Kanada, Großbritannien, die Niederlande und Deutschland den Genozid direkt bewaffnen, beliefern und sich militärisch daran beteiligen. Die antisemitische Regierung Ungarns unterstützt Israel in hohem Maße politisch, während Netanjahu hilft, Orbáns Antisemitismus zu vertuschen, und die antifaschistische Regierung Deutschlands zeigt, dass sie wahrhaftig nichts aus dem Holocaust gelernt hat und Israels andauernde Kriegsverbrechen mit ihrem eigenen großen, eigennützigen Stempel absegnet.
Die Sozialisten in Spanien gaben ein paar Töne von sich und verzögerten ein oder zwei Lieferungen, aber letztendlich war es kaum mehr als ein symbolischer Protest. Was zum Teufel ist mit der Welt los, dass wir zusätzlich zu all den beschissenen Dingen, die vor sich gehen, sagen müssen, dass ein andauernder Genozid mehr von uns verlangt als symbolischen oder friedlichen Protest? Und was zum Teufel ist los mit den Menschen, dass sie bereits vergessen haben, dass die größte friedliche Protestbewegung in der Geschichte der Menschheit – gegen die US-Invasion in den Irak im Jahr 2003 – sich durch ihre Ineffektivität schnell selbst getötet hat und absolut nichts getan hat, um die Invasion und das Abschlachten von Hunderttausenden von Iraker:innen durch die USA, Großbritannien und Australien2 zu verlangsamen oder zu stoppen?
Kürzlich druckte der Boston Globe, die fortschrittlichste große Zeitung in den USA, einen Artikel der New York Times über die kürzliche Ermordung von zwei Mitarbeiter:innen der israelischen Regierung vor dem Konsulat in DC ab. Der Artikel befürchtete, dass „die Ermordung der israelischen Botschaftsmitarbeiter [...] ein grelles Schlaglicht auf die pro-palästinensische Bewegung in den Vereinigten Staaten wirft und die Auswirkungen, die selbst friedliche Proteste auf die Einstellung gegenüber Menschen mit Verbindungen zu Israel haben könnten. [...] Die Morde bergen auch die Gefahr, dass alle pro-palästinensischen Aktivisten, von denen die überwiegende Mehrheit nicht gewalttätig ist, über einen Kamm geschoren werden.“
Sowohl der Council on American-Islamic Relations als auch Jewish Voices for Peace verurteilten in ausführlichen Zitaten die Gewalt (womit sie die beiden toten israelischen Regierungsmitarbeiter:innen meinten) und sagten Dinge wie „Friedlicher Protest, ziviler Ungehorsam und politisches Engagement sind die einzig angemessenen und akzeptablen Mittel“.
Ich habe von mehreren Personen gehört, dass die beiden getöteten Personen nicht an Israels Genozid beteiligt waren. Um das klarzustellen: Einer war ein IDF-Soldat, der „politische Forschung“ für die israelische Regierung betrieb, während die andere, Sarah Milgrim, in der „öffentlichen Diplomatie“ tätig war und sich selbst als Fördererin des ‚Dialogs‘ und der „Friedenskonsolidierung“ bezeichnete. Ich kann nicht nachdrücklich genug betonen, dass dies eine Schönfärberei ist. Jede große US-Botschaft auf der ganzen Welt hat ähnliche Aufgaben, auch in Ländern, in denen das US-Militär Todesschwadronen unterstützt oder Kriegsverbrechen begangen hat: Der Zweck ist immer, das Image des Heimatlandes zu verbessern, damit es weiterhin mit weniger Widerstand Gräueltaten begehen kann. Die israelische Regierung würde auf keinen Fall jemanden dafür bezahlen, öffentliche Diplomatie zu betreiben, wenn dies auch nur das Eingeständnis eines laufenden Völkermords beinhalten würde.
Weiter unten auf der Seite hat der Globe diesen Artikel veröffentlicht: „Mindestens 60 Menschen durch israelische Angriffe im Gazastreifen getötet, während Israel nur minimale Hilfsgüter ins Land lässt. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza wurden innerhalb von 24 Stunden mindestens 60 Menschen durch israelische Angriffe getötet, während Israel nur minimale Hilfsgüter in den Gazastreifen ließ und viele Menschen in Gaza von einer Hungersnot bedroht sind.“
Dieser Artikel verzerrt das Geschehen in mehrfacher Hinsicht. Seit dem 7. Oktober 2023 lässt Israel den Gazastreifen verhungern und setzt den Hunger als Waffe ein, was ein Kriegsverbrechen und eine Form des Völkermords ist. Manchmal lassen sie ein wenig Nahrung hinein, manchmal lassen sie keine Nahrung hinein. Der winzige Konvoi, den Israel letzte Woche zugelassen hat, war nicht „minimal“, sondern völlig unzureichend, um die anhaltende Hungersnot zu lindern, die durch die vorangegangenen zwei Monate verursacht wurde, in denen Israel die Lebensmittellieferungen vollständig eingestellt hatte. Die Bewohner:innen des Gazastreifens sind nicht, wie in dem Artikel behauptet, „stark von einer Hungersnot bedroht“; sie leiden seit über einem Jahr an einer Hungersnot, Israel hat diese Bedingungen bewusst herbeigeführt, und Tausende von Palästinenser:innen sind bereits an der Hungersnot gestorben. In nur zwei Tagen (in derselben Woche wie der Angriff auf die israelischen Konsulatsmitarbeiter:innen) starben 29 Menschen im Gazastreifen an akutem Hunger, und schätzungsweise 71.000 palästinensische Kinder unter fünf Jahren leiden an akuter Unterernährung, die zu vorzeitigem Tod und lebenslanger Behinderung sowie chronischen Gesundheitsproblemen führen kann. Nehmen wir nun diese beiden Artikel zusammen. Jemand tötet zwei israelische Regierungsangestellte, die hohe Gehaltszahlungen erhalten, um dabei zu helfen, eine andauernde Gräueltat zu vertuschen und Israels politische Position in der Welt zu verbessern, während Israel verspricht, das Abschlachten fortzusetzen. Obwohl wahrscheinlich mehr als 300.000 Palästinenser:innen in einer kalkulierten Kampagne des Völkermordes durch Bomben, Gewehre, Hungersnöte und in die Höhe schießende Krankheitsraten getötet wurden, ist es nach Ansicht der Progressiven nicht zu rechtfertigen, zwei Menschen zu töten, die an diesem Völkermord mitschuldig sind, selbst nachdem die Campus-Besetzungsbewegung über ein Jahr lang und ohne großen Erfolg versucht hat, eine Reihe von Institutionen -- die Universitäten -- friedlich dazu zu bringen, sich von dem Genozid zu distanzieren. Nicht nur das, sondern die Schüsse auf das Konsulat, die von einer einzigen Person verübt wurden, sind ein Schandfleck und sollten möglicherweise Anlass sein, die gesamte Bewegung zu demobilisieren. Währenddessen ermordet das israelische Militär in derselben Woche 60 palästinensische Zivilist:innen in einem Gebiet, in dem es absichtlich 2 Millionen Menschen dem Hungertod aussetzt, und Israels Unterstützer:innen und Geschäftspartner:innen werden überhaupt nicht beschmutzt, sie können einfach erhobenen Hauptes herumlaufen?
Hier sind einige relevante Fakten, die in der Mainstream-Diskussion über den Genozid selten erwähnt werden.
- Wöchentlich reißt der israelische Staat zusammen mit paramilitärischen Siedler:innen palästinensische Häuser nieder, zerstört palästinensische Obstgärten und Ackerland und raubt palästinensisches Land. Im Durchschnitt werden jedes Jahr mehr als 1000 palästinensische Häuser zerstört und 2000 Hektar palästinensisches Land gestohlen, auf das jedes Jahr durchschnittlich 12.000 israelische Siedler:innen strömen. (2000 Hektar Land entsprechen fast 3700 Fußballfeldern.)
- In den zehn Jahren vor der Offensive vom 7. Oktober tötete das israelische Militär etwa 1000 palästinensische Kinder und insgesamt über 4000 palästinensische Zivilist:innen. Sie verletzten über 100.000 Palästinenser, von denen viele dauerhaft behindert sind.
- Nach Zählung der UNO hat Israel mehr als 16-mal so viele Palästinenser:innen getötet und 30-mal so viele Palästinenser:innen verletzt (d.h. die Palästinenser:innen sind nicht die Aggressor:innen: die Zahl der von Palästinenser:innen getöteten Israelis ist verschwindend gering, und alle diese Tötungen geschehen auf palästinensischem Land, in das die Israelis eindringen).
- Die UNO bläht die Zahlen zu Israels Gunsten auf, indem sie eine niedrigere Messlatte für die Registrierung von Verletzungen von Israelis ansetzt und zugibt, dass sie Opfer, die überwiegend Palästinenser:innen treffen, wie „Zugangsverzögerungen“ [d.h. Krankenwagen, die an Kontrollpunkten aufgehalten werden] und „nicht explodierte Sprengkörper“, nicht zählen. Mit anderen Worten, auf einen Israeli kommen etwa 20 getötete Palästinenser.
Dies ist kein geheimer Völkermord. Es ist nicht so, dass Israel es effektiv vertuschen würde. Erst diesen Montag [26.5.25] hielten Israelis ihren jährlichen, staatlich finanzierten und von der Polizei unterstützten rassistischen Marsch durch das muslimische Viertel von Jerusalem ab, bei dem sie die ethnische Säuberung von 1967 feierten, als Israel ganz Palästina eroberte, und bei dem sie Pro-Völkermord-Parolen wie „Gaza gehört uns“, „Tod den Arabern“ und „Mögen ihre Dörfer brennen!“ riefen, während sie palästinensische Geschäfte und Häuser verwüsteten und plünderten.
Die einzigen, die nicht zugeben können, dass Israel der eindeutige Aggressor ist, sind weiße Rassist:innen, die sich weigern zu glauben, dass palästinensisches Leben irgendeinen Wert hat.
Seit der Hamas-Offensive in Gaza am 7. Oktober 2023 haben die IDF begonnen, viel mehr Kinder in der Westbank zu töten, wobei die Westbank von der PLO kontrolliert wird, einer Anti-Hamas-Organisation, die nichts mit den Angriffen vom 7. Oktober zu tun hat. Und sie beschleunigten ihren Landraub und die gewaltsame Vertreibung – ebenfalls Akte des Genozids – in der Westbank.
Die Behauptung, Israel nutze den Krieg, um eine ethnische Säuberung durchzuführen, ist nicht ganz korrekt, denn ob sich die Palästinenser:innen nun zum Widerstand erheben oder nicht, die israelische Regierung und die paramilitärischen Siedler:innen töten Palästinenser:innen und rauben ihnen ihr Land. Niemand kann auf ein einziges Jahr in diesem Jahrhundert verweisen, in dem Israel nicht palästinensische Gemeinden durch Hauszerstörungen, Landraub, Folter, Masseninhaftierungen und tödliche Gewalt auslöscht. Es gibt kein modernes Israel ohne ethnische Säuberung.
(Ich empfehle nachdrücklich diesen historischen Überblick von Al Jazeera, der viele Karten und Bilder enthält, die die fortschreitende Besetzung Palästinas darstellen, sowie diese Chronologie der Besatzung und die Beschreibung von Amnesty International über 50 Jahre Enteignung)
Die meisten Todeszahlen, die in den Medien genannt werden, beinhalten nicht die Zehntausende von Palästinenser:innen, die einen vorzeitigen Tod gestorben sind, weil das israelische Militär und das Apartheidregime ihnen den Zugang zu Lebensmitteln und Medikamenten verwehrten. Und in der Regel werden Palästinenser:innen, die sich gegen das genozidale israelische Regime wehren, nicht berücksichtigt. Die Studie über die 126 palästinensischen Kinder, die 2023 im Westjordanland getötet wurden, lässt zum Beispiel einfach alle Kinder aus, die „in Feindseligkeiten verwickelt“ waren, was, soweit ich weiß, bedeutet, dass sie Steine geworfen oder Nachrichten für Widerstandsgruppen überbracht haben.
Dennoch werden die israelischen Todesopfer gezählt, auch wenn es sich um Soldat:innen handelt, die Kriegsverbrechen begehen. Israelische Paramilitärs – mit Uzis und Scharfschützengewehren bewaffnete Siedler:innen, die auf kürzlich gestohlenem Land leben – werden in den Nachrichten routinemäßig als „Zivilisten“ bezeichnet.
Mit der Komplizenschaft von Militär, Polizei und rechten Parteien haben schwer bewaffnete, rassistische und ultranationalistische Siedler:innen den Mainstream der israelischen Politik erobert und bestimmen nun die Tagesordnung. (Klick auf den Link, um eine ausführliche Geschichte zu lesen, wie es dazu gekommen ist.)
Hier noch etwas, was viele nicht wissen:
Die Hamas hat am 7. Oktober 2023 nicht 1.195 Israelis getötet. Ihre Hauptaufgabe war es, Gefangene zu machen, um sie als politisches Druckmittel zu benutzen. Wer wie viele Tote verursacht hat, ist nicht bekannt, aber es ist durch Videoaufzeichnungen und die Aussage des israelischen Militärs selbst gut dokumentiert, dass das israelische Militär das Feuer auf das Musikfestival sowie auf Konvois und Militärbasen voller inhaftierter Israelis eröffnete, weil es eine offizielle Politik ist, israelische Soldaten und Zivilisten in einer potenziellen Geiselsituation zu töten, um dem Feind jedes Druckmittel zu nehmen.
Den Medien zufolge „entführt“ oder „nimmt die Hamas Geiseln“, während Israel „festnimmt“ oder „verhaftet“, obwohl Israel rund 10.000 palästinensische Geiseln aus dem Gazastreifen, der Westbank und Jerusalem außergerichtlich inhaftiert, darunter viele Kinder, welche kein Recht auf ein ordentliches Verfahren haben, „Scheinprozesse“ mit einer Verurteilungsquote von 100 % und systematisch Folter, rassistischer Behandlung und sexueller Gewalt. Darüber hinaus benutzt das israelische Militär Palästinenser:innen, darunter auch Kinder, systematisch als menschliche Schutzschilde und zwingt sie, vor Kolonnen von Soldat:innen zu laufen und Türen und Tunnel zu öffnen, die möglicherweise mit Sprengfallen versehen sind. Und doch verwenden die Medien durchweg eine Sprache, die Israelis und israelische Institutionen als mehr legitim darstellt.
Wir haben es mit einer Reihe von Doppelstandards zu tun, von denen sich viele im gesamten politischen Spektrum wiederfinden und die entweder zur Rechtfertigung von Genozid oder zur Befriedung und Delegitimierung jeglichen echten Widerstands eingesetzt werden.
Israel darf ein Militär haben, aber obwohl die Palästinenser:innen jeden Tag einem Genozid ausgesetzt sind, wird jede:r, der eine Waffe in die Hand nimmt, zum Terroristen. Und wenn ein palästinensisches Kind einen Stein in die Hand nimmt, ist es kein Zivilist mehr und sein Tod wird buchstäblich nicht gezählt. Ein israelischer „Zivilist“ kann jedoch mit einem halbautomatischen Gewehr herumlaufen, unbewaffnete Palästinenser:innen angreifen, ihr Eigentum zerstören und sie mit rassistischen Beleidigungen belästigen, wohl wissend, dass die israelische Militärverwaltung der Westbank sie und ihren systematischen Landraub schützt.
Wir wissen, dass friedlicher Protest nicht in der Lage ist, die Herzen und Köpfe der IDF-Soldat:innen oder der israelischen Regierung zu verändern, und wir wissen auch, dass er nicht in der Lage ist, die Kriegsanstrengungen in einem wirksamen Umfang zu sabotieren.
Wir können akzeptieren, dass die Menschen, die zurückgeschossen und Nazis getötet haben, historisch gesehen das Richtige taten. Wenn man das 19. Jahrhundert oder frühe Zeiten betrachtet, werden viele Menschen auch akzeptieren, dass die indigenen Völker ein Recht auf Selbstverteidigung gegen die genozidale Siedler:innen hatten, die die USA, Kanada, Argentinien, Chile, Australien usw. gründeten. Weniger Menschen werden dieselben Grundsätze beispielsweise auf die Iraker:innen anwenden, die gegen die US-Invasion und die Besetzung ab 2003 kämpften. Eine häufigere Version von NIMBY, Not In My Backyard, ist Not In My Century: So viele Menschen können nicht zugeben, dass die Regierungen, die sie regieren, absolut böse und unrettbar sind, selbst wenn sie Völkermord begehen oder, wie im Falle der NATO, Millionen von Menschen töten. Stattdessen behaupten sie, dies seien schlimme Dinge, die gelöst werden müssten, indem man zur Wahl geht und das kleinere Übel wählt. Dieser Standpunkt ist weder vernünftig, noch fürsorglich, noch nuanciert, noch realitätsnah. Es ist eine panische Distanzierung, die auf Angst, Bequemlichkeit und Eigeninteresse beruht.
Wir müssen in der Lage sein, anzuerkennen, dass die Palästinenser:innen sowohl das Recht als auch die existenzielle Notwendigkeit haben, zurückzuschießen; und wir müssen auch in der Lage sein, die PLO für ihre totale Korruption zu kritisieren und die Hamas dafür zu kritisieren, dass sie eine rechtsextreme, homophobe, patriarchalische, autoritäre Organisation ist. Aber wenn wir nicht einmal den palästinensischen Widerstand und die internationale Solidarität anerkennen können, machen wir uns mitschuldig an der gegenwärtigen Situation, in der die Palästinenser:innen der Korruption und Brutalität der PLO, der unterdrückerischen, autoritären Politik der Hamas und – was bei weitem am schlimmsten ist – den Massentötungen, dem kalkulierten Hunger, der Folter, dem Landraub, der Zerstörung von Häusern, den Bombenangriffen auf Krankenhäuser, dem Rassismus und den Schikanen durch den Staat Israel ausgesetzt sind.
Die Anerkennung des palästinensischen Widerstands, die Unterstützung sinnvoller und wirkungsvoller Solidaritätsaktionen und die Unterstützung der vielen Initiativen und Gruppen, die gegen die Apartheid und für ein freies Palästina und eine freie Welt kämpfen: Das ist die einzige verantwortungsbewusste Antwort auf den Völkermord, der in der einen oder anderen Form seit weit über 60 Jahren stattfindet.
Wenn du jemandem begegnest, der den palästinensischen Widerstand vorschnell verurteilt oder sagt, wir sollten die Demokraten, die Liberalen, die Labour-Partei, die SPD und die Grünen unterstützen – bitte, stell diese Person zur Rede und versuchen zu erklären, wie diese Person den Völkermord legitimiert. Und wenn du zu schüchtern für diese Art der Konfrontation sind, schick Sie dieser Person einfach einen Link zu diesem Artikel.
Keiner von uns ist frei, bis wir alle frei sind.
28.05.2025
1 Wenn Sie bei Google nach der prognostizierten Zahl der Todesopfer der Klimakrise suchen, werden Sie wahrscheinlich Artikel aus dem Jahr 2023 finden, in denen von „einer Milliarde“ Todesopfern in den nächsten Jahrzehnten die Rede ist. Nur wenige dieser Artikel erwähnen, dass die Studie vom August 2023, auf die sie sich beziehen, 1 Milliarde als konservative Schätzung und mehrere Milliarden als wahrscheinliche Todesopfer beschreibt. Konservative Quellen wie die Artikel der University of Chicago und des Weltwirtschaftsforums behaupten, dass es „in der Zukunft“ Hunderttausende oder sogar ein paar Millionen Tote pro Jahr geben „könnte“, und verschleiern damit die Tatsache, dass bereits jetzt jedes Jahr mehrere zehn Millionen Menschen an den Folgen der ökologischen Krise sterben, eine Zahl, die ich in dem Buch „Widerständige Territorien [The Solutions Are Already Here]/ Unrast Verlag“ aufzeige.
2 Die australische Regierung behauptet immer noch, dass das Regime von Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfügte und Verbindungen zu terroristischen Gruppen wie Al-Qaida unterhielt, obwohl beide Behauptungen schon vor der Invasion im Jahr 2003 als Lügen enttarnt waren.
