Zum BIG Leipzig Aufruf

Kurzer Einwurf zum BIG Leipzig Aufruf. Müßig ist es, sich an den meist verkürzten Positionen der israel-solidarischen Gruppen abzuarbeiten.

Die unreflektierte Palästina-Solidarität und die unreflektierte Israel-Solidarität sind zwei Seiten der selben Medaille. Beide ergeben sich aus einer unbewussten Identifikation mit der bürgerlichen Gesellschaft, sowie als verschärfendes Moment: Hype der Identitätspolitik und des Narzismus. 

Beide haben nicht viel verstanden aus den Lehren der Corona Zeit und / oder dem Ukraine Krieg. Eine materialistische Analyse wird nicht vorangetrieben, einseitige staats-affine, idealistische Parteinahme dafür gerne.

Wie gesagt, es ist müßig, und es bringt nicht wirklich irgendwas voran.

Eigene Positionen zu entwickeln, das wäre der Bringer. Wie es ja auch versucht wird, aber da ist noch viel Luft nach oben, was Qualität angeht. Selbstredend ist die linke Szene ein Abbild der Gesellschaft, vorallem wenn sie affirmativ zu ihr ist, und kann so auch keine Perspektive entwickeln, die -heute und jetzt- über sie hinausgeht.

Um wertvolle Stellungsnahmen zu verbreiten, hier eine kleine Auswahl:

 

Hendrik Wallat - Das progressive Ticket https://knack.news/11094

"Der uns allen strukturell aufgezwungene Pragmatismus wird erst dann – dann aber: durch und durch – moralisch verwerflich und politisch verkehrt, wenn er sich zum einen nicht selbst reflektiert und zum anderen die Maßstäbe der Vernunft als Basis aller Kritik an das Bestehende anpasst: wenn aus der Tatsache der Übermacht des Bestehenden der fatale Schluss gezogen wird, das Denken selbst pragmatistisch in seinem Anspruch auf Wahrheit zu reduzieren, wenn also der reale Widerspruch nicht mehr bewusst erkannt und skandaliert wird, sondern in der Theorie harmonistisch stillgestellt wird. Diese verliert somit ihren Anspruch auf Wahrheit, der sie notwendig in Widerspruch zu dem Bestehenden setzt, und verkommt zu einer Ideologie, mit er es sich in diesem eingerichtet wird.

Wie schwierig es ist, sich auf dem scharfen wie schmalen Grat dieser objektiven Widersprüche zu bewegen, ohne abzustürzen, zeigt insbesondere der Kampf gegen den Antisemitismus. Bereits Adorno und Horkheimer haben diesen Drahtseilakt in ihrer Kritischen Theorie vollführen müssen. So setzen sie einerseits zur Bekämpfung des Antisemitismus auf die Ausbildung von Ich-Stärke, (politische) Pädagogik und notfalls staatliche Gewalt, während sie andererseits in ihrer spekulativen Theorie der Genese des europäischen Antisemitismus zeigen, dass jene psychologischen und politischen Mittel nicht das Andere des Antisemitismus, sondern zivilisationsgeschichtliche Momente sind, die sich von diesem nicht trennen lassen."

 

https://www.medico.de/nie-wieder-fuer-alle-19348

"Die Rückseite der öffentlich eingeübten militärischen Solidarität mit Israels Regierung ist das Totalversagen deutscher Außenpolitik. Das hat erhebliche Folgen: Die deutsche Politik und ihre offensichtliche ethische Inkohärenz, die selbst mit dem Wort Doppelstandards nicht mehr angemessen beschrieben werden kann, werden weltweit von Intellektuellen, Regierungen, der Zivilgesellschaft und antikolonialen Bewegungen aufmerksam registriert und scharf kritisiert. Der schon jetzt entstandene Schaden, der nicht nur auf geopolitischer und zwischenstaatlicher Ebene, sondern auch im Alltag von Stiftungen, Kultureinrichtungen und globalen zivilgesellschaftlichen Kooperationen erzeugt wird, ist dramatisch. Die Langzeitfolgen sind unabsehbar. Die westliche Unterstützung für den Krieg gegen eine seit bald zwei Jahrzehnten eingeschlossene Bevölkerung in Gaza, aber auch die autoritären, obrigkeitsstaatlichen Maßnahmen in Deutschland gegen palästinensische und zunehmend auch linke jüdische Stimmen, markieren einen Einschnitt, dessen historische Dimension schon jetzt nicht mehr bestritten werden kann."

 

http://wp.links-netz.de/?p=610

"Dass viele Menschen hierzulande den 7. Oktober gleichgültig hingenommen oder mit Freude begrüßt haben; dass in Deutschland heute viele jüdische Menschen in Angst und Sorge leben: all das ist eine zu Recht skandalisierte Wahrheit. Zu dieser Wahrheit gehört aber ebenso, dass tote arabische und palästinensische Menschen die wenigsten wirklich zu bewegen und manche nicht einmal zu interessieren scheinen. Das steht für das, was Georgio Agamben „Homo sacer“ genannt hat: Menschen, die so entmenschlicht und degradiert wurden, dass die Verletzung ihrer Rechte oder ihre Ermordung nicht als Verbrechen gilt und sie ohnehin nur als amorphe Masse erscheinen. Solche Doppelstandards führen zu Unglaubwürdigkeit und zur Abwendung von der deutschen Selbstgerechtigkeit. Und was in der deutschen Auseinandersetzung gilt, ereignet sich auch im Globalen. Es kommt zu einem immensen Glaubwürdigkeitsverlust der in der Ukraine hochgehaltenen „regelbasierten“ und „wertegeleiteten“ Außenpolitik. Der Krieg gegen Gaza wird verteidigt, Erdoğans Krieg gegen die Kurd:innen verschwiegen. Prinzipien oder der Einsatz für werte- und regelbasierte Politik und das Völkerrecht sehen anders aus."

 

http://wp.links-netz.de/?p=679

„Was sich in Deutschlands politischer Mitte, die auch Ausdruck einer neuen Republik in Zeiten heraufziehender Krisen ist, seitdem breitmacht, ist eine neue Begeisterung für die Lösung politischer Probleme durch Polizei, Militär und Machtvollkommenheit. Ein neuer Autoritarismus der Mitte, der bis nach links ausstrahlt“ (Neumann 2023).

Es ist offensichtlich, dass sich die deutsche Gesellschaft darauf verständigt hat das ‚Flüchtlingsproblem‘ und die gesellschaftlichen Verwerfungen, die aus der Vielfachkrise (Demirović et al 2011) folgen, repressiv zu lösen. „Ideologisch und faktisch wird eine sicherheitsstaatliche ‚Wohlstandsfestung‘ konstituiert, die ihre Grenzen schließt und mit technisch immer ausgefeilteren Maßnahmen überwacht, sich auf militärische Interventionen zwecks Befriedung einer zunehmend konflikthaft werdenden Peripherie einrichtet und die auf die Folgen gesellschaftlicher Spaltungen und Polarisierungen nur noch mit den Mitteln repressiver Überwachung und ‚Kriminalitätsbekämpfung‘ reagieren zu können glaubt“ (Hirsch 1995, 160)[4]. Die ‚imperiale Lebensweise‘ (Brand/Wissen) wird mit der Waffe in der Hand verteidigt. Das ist gemeint, wenn von der Verteidigung unserer Werte, oder der regelbasierten internationalen Ordnung, gesprochen wird. Im Rest der Welt wird es auch so verstanden.

Rassist:innen und Antisemit:innen

Auch die aufkeimenden Auseinandersetzungen um den neuen Antisemitismus sind von einer erschreckenden Entdifferenzierung geprägt. Der Versuch der deutschen Gesellschaft, die eigene Geschichte zu relativieren und den Antisemitismus zu externalisieren ist, wie in all den Kriegen seit den 1990ern, in denen Deutschland stets gegen die eigene Geschichte kämpfte, offensichtlich. Vielleicht lässt sich die deutsche Geschichte so gleich mit abschieben. Im Zusammenhang mit Antisemitismus und vor allem mit dem Nahostkonflikt zeigt sich ein weiteres Problem, dass sich mit der Dominanz der Identitätspolitik verschärft hat. Die jeweiligen Kollektive, mit denen man sich identifiziert, sind als homogene Kollektive gedacht. So ist der Begriff des Postkolonialismus, der zumindest auch als eine Reaktion auf vereinfachende antimperialistische Positionen gedacht war, mittlerweile, zumindest in der Verallgemeinerung – wieder da angekommen, wo man eigentlich wegwollte: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Was dazu führt, dass sich eine, wo gehobelt wird fallen auch Spähne-Mentalität breit gemacht hat, die verhindert, Hamas als das zu benennen was sie ist: Eine Terrorgruppe, die einen mörderischen religiösen Fundamentalismus als Befreiungskampf vermarkten will. Auf der anderen Seite wird kaum zur Kenntnis genommen, dass die israelische Regierung in weiten Teilen rechtsextrem ist und unter dem begründeten Verdacht steht, Menschen- und Völkerrechtsverbrechen zu begehen. Die Situation ist deshalb so verfahren, weil auf beiden Seiten Kräfte das Sagen haben, die kein Interesse an Frieden haben.

Entscheidend dafür, dass keine ernstzunehmende Auseinandersetzung hierzu geführt werden kann, ist die Ausweitung sowohl des Rassismus-[5] wie des Antisemitismusbegriffs in den letzten Jahren (siehe Brumlik 2021). Letztlich lässt sich die Welt so einteilen: in Rassisten auf der einen Seite und Antisemiten auf der anderen. Und so verläuft die Diskussion, unterhalb des Rassismus/Antisemitismus Vorwurfs geht eigentlich nichts mehr. Auch hier dominiert das taktische Moment, es wird nicht um Inhalte gerungen, vielmehr wird das gegenüberstehende Kollektiv im Wettbewerb der Opfergemeinschaften zu übertrumpfen, bzw., zu diskreditieren versucht. „Der Grund, aus dem die gegenseitigen Debatten zwischen den Zionistinnen und ihren postkolonialen Kritikerinnen und Kritikern so heftig sind, liegt weniger in ihrer Unterschiedlichkeit als darin, dass sie sich in ihrem Bekenntnis zur Identität so erschreckend ähneln“ (Boehm 2022, 153).[6] Die völlige Dekontextualisierung und Moralisisierung ermöglichen es letztlich, dass Antisemitismus und Antirassismus (bei Gelegenheit[7]) problemlos in den westlichen Militarismus unter rechter Hegemonie eingegliedert werden können (Neumann 2023)."

 

https://emrawi.org/?Der-Antisemitismus-der-Antisemitismus-Bekampfer-3426

"Auch rechte politische Akteure wie Trump, Orban oder die AfD sind vehemente Israelunterstützer, während gleichzeitig ein drastischer Anstieg antisemitischer Vorfälle in den eigenen Reihen zu verzeichnen ist. Mehr noch, rechte proisraelische Jüdinnen und Juden stehen oft wissend an der Seite von Antisemiten – die Freundschaft von Orban und Netanjahu ist dafür nur ein Beispiel. (Natürlich weiß Netanjahu von den antijüdischen Verteufelungen Orbans gegenüber seinem jüdischen »Widersacher« Soros). Wie Sonia Combe in einem Beitrag für Le Monde Diplomatique vom April letzten Jahres argumentiert hat, erhöhen diese immer öfter auftretenden Kombinationen die Bedrohung für »die Juden selbst, da sich beispielsweise in den USA Republikaner im Kongress das Recht herausnehmen, antisemitische Verschwörungstheorien zu verbreiten und sich gleichzeitig als Unterstützer Israels zu präsentieren«. Die Theorie des strukturellen Antisemitismus und die indirekte Anschlussfähigkeit antisemitischer Einstellungen im proisraelischen Lager funktioniert also durchaus auch umgekehrt. Und gerade der gegenwärtig häufig formulierte Vorwurf, dass sich das israelkritische Lager des Antisemitismus schuldig mache, fördert eine proportionale Verzerrung dessen, in welchem Lager tatsächlich mehr antisemitische Tendenzen vorzufinden sind. Die diskursive Verzerrung, die dies zur Folge hat, ist nicht nur hoch gefährlich, sondern hat ebenfalls eine historische Parallele, wie nun gezeigt wird.

(...) Und heute, nach dem Holocaust, lässt sich Deutschland nur oder endlich wieder (patriotisch) lieben, wenn man auch Israel liebt."

 

https://knack.news/11484

"Heute verdoppeln sie ( die Antideutschen, Anmerkung ), nachdem dies durch die Haltung weiter Teile der Linken zu Corona und zum Ukrainekrieg schon geschehen ist, bereits zum dritten Mal den Diskurs der Regierung. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass viele, die aus der radikalen antideutschen Linken kamen, schließlich zu SteigbügelhalterInnen dessen wurden, was sie einst düster vorausahnten: islamfeindliche Agitation ebenso wie den Ruf nach Kriegseinsätzen als angeblich letztes Mittel gegen die Gefahr eines neu aufkommenden Faschismus. Hätten sie ihre linke (National)Staatskritik ernst genommen, würde ihnen das Elend ihres eigenen Anteils an der Homogenisierung des deutschen Volkskörpers (diesmal über den Antisemitismus) genauso aufgehen wie die tragische Fehleinschätzung des real existierenden israelischen Nationalstaats und der Hoffnungslosigkeit angesichts dessen Politik einen sicheren Ort für JüdInnen in dieser Welt zu schaffen. Israel und seine Alliierten zerbomben gerade jede Zukunft für Menschen jüdischen Glaubens.

Aber auch die PalästinenserInnen und viele ihrer UnterstützerInnen gehen offenkundig dem Mythos des Nationalstaats auf den Leim. Die Wiederauflage der Idee eines Befreiungsnationalismus als antikolonialer Perspektive ignoriert alle Aporien dieser Idee und ihrer Geschichte. Fatal ist gerade deshalb, dass die Protestierenden mit Slogans wie „From the river to the sea …“ alle hinter sich bringen wollen, angefangen bei den VerfechterInnen eines säkularen Gesamtstaates, bis zu denen, die für die Vertreibung eines Großteils seiner gegenwärtigen Bewohnerinnen und Bewohner eintreten, weil sie die Nachfahren von „Kolonisatoren“ seien. Diese bewusste Uneindeutigkeit verweist darauf: Niemand soll aus der Bewegung ausgeschlossen sein, wenn es um die palästinensische Nation geht.

Es geht dann lediglich noch darum, auf welcher Seite wer steht: Palästina oder Israel? Ist die entsprechende Seite einmal gewählt, so sind die gegenseitigen Vorwürfe fast spiegelbildlich: Die andere Seite würde eine Täter-Opfer-Umkehr betreiben, reales Leid leugnen, sei antisemitisch bzw. rassistisch."

 

 

Und noch etwas zur Allgemeinen Diskussion: Von Genozid zu reden - ohne zu erklären warum man das tut / näher auf den Begriff einzugehen - dämonisiert Israel und führt zu keiner produktiven Auseinandersetzung.

Umgekehrt gilt aber auch: Dem Vorwurf nicht gründlich nachzugehen, weil man den Abgrund nicht sehen will, führt auch zu keiner wertvollen Auseinandersetzung.

https://forensic-architecture.org/investigation/a-cartography-of-genocide

https://www.vice.com/en/article/israeli-intelligence-health-ministry-dea...

https://www.972mag.com/lavender-ai-israeli-army-gaza/

 

 

 

 

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