Zweiter Transparenzbericht Oktober '24: Weitere 6 Monate eines Transformativen-Gerechtigkeits-Prozesses in Leipzig und Freiburg

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Eine Gruppe von Menschen arbeitet seit einem Jahr an einem Transformativen-Gerechtigkeits-Prozess (TG-Prozess) in Leipzig und Freiburg. Vor einem halben Jahr (April '24) haben wir unseren ersten Transparenzbericht veröffentlicht und wollen nun in einem zweiten Bericht unsere weitere Arbeitsweise transparent machen.

Bei Fragen, Kritik und Anmerkungen könnt ihr uns per Mail erreichen: tg-prozess_le-fr [ä] systemli.org (pgp-Key auf Anfrage).

 

 

Abkürzungen:

TG: Transformative Gerechtigkeit

bP: Betroffene Person

gaP: Gewaltausübende Person

 

Dies ist der zweite Transparenzbericht eines Transformativen-Gerechtigkeits-Prozesses (TG-Prozess), der im September 2023 begann. Zum vollen Verständnis könnt ihr den ersten Transparenzbericht hier nachlesen: https://de.indymedia.org/node/349546. Im ersten Bericht wurde ein Überblick über die ersten sechs Monate des TG-Prozesses gegeben: Die Ausgangssituation, die Entstehung der TG-Gruppe, einzelne Geschehnisse und die Arbeitsweise/Struktur der Gruppe.

Während wir an dem ersten Transparenzbericht geschrieben haben, welcher im April 2024 veröffentlicht wurde, haben wir für uns als TG-Gruppe zwei Workshops zu Community Accountability mit einer professionellen Begleitung organisiert, bei denen auch Raum für Reflexionen zu unserem Prozess war.

 

Entwicklungen mit dem Umfeld der gewaltausübenden Person

Im März mussten wir ein Notfallplenum einlegen, weil wir erfahren haben, dass die gewaltausübende Person (gaP) - entgegen ihrer Behauptungen, dass sie kein oder kaum Umfeld in Leipzig hätte - Teil einer politischen Gruppe geworden war und sich ein Umfeld aufgebaut hatte, das sich mit dem der betroffenen Person (bP) teilweise überschneidet. Die gaP war bereits mehrmals an einem Ort gewesen, der für die bP einen Schutzraum darstellt und nur durch Zufall begegneten die beiden sich dort nicht. Daraufhin wollten wir die Annahme, dass die gaP Teil einer politische Gruppe ist, überprüfen und haben die gaP gebeten uns und der Gruppe gegenüber transparent zu sein. Außerdem haben wir Kontakt zur betreffenden Gruppe aufgenommen. Eine Person der gaP-Gruppe traf sich im Anschluss mit der Awareness-AG der Gruppe und bot Unterstützung im weiteren Umgang an. Unsererseits bestand Vertrauen in die Politgruppe, da sie uns Solidarität für den Prozess vermittelten. Daher verließen wir uns auf einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Prozess innerhalb der Gruppe.

Eine enge Kontaktperson der bP stellte fest, dass sie eng mit einem Freund der gaP befreundet ist und informierte uns darüber. Daraufhin gab es ein Gespräch zwischen den beiden Personen. Der Freund der gaP war gegenüber dem Prozess solidarisch und bot ein Treffen mit der gaP-Gruppe und ein Gespräch mit der gaP selbst an, welches mit zwei Personen aus der gaP-Gruppe stattfand. Daraufhin gab es ein Gespräch zwischen der Kontaktperson und der gaP, welches nach Einschätzung der Kontaktperson nicht gut lief.

Weitere Konsequenz aus dem sich etablierenden Umfeld der gaP war ein Gespräch mit dem Schutzraum der bP. Gemeinsam mit den Personen des Schutzraumes wurde entschieden, dass die gaP keinen Zutritt mehr zu den Räumlichkeiten bekommt. Die gaP wurde darüber nicht informiert, um die bP zu schützen und den Schutzraum zu erhalten.

Im April begann der Prozess, sich stärker auf das Umfeld zu konzentrieren, da transformative Arbeit mit der gaP für uns nicht absehbar war und wir auch sechs Monate später sagen müssen, dass es im Moment keine transformative Arbeit mit der gaP gibt. Wir sind durch das Verhalten der gaP immer mehr zu diesem Schluss gekommen, da sich die gaP nicht auf uns zubewegt hat und wir uns nach Monaten immer noch im Kreis gedreht haben, was z.B. bedeutete, dass die gaP immer sehr lange brauchte um auf Nachrichten zu antworten und auf einige Anfragen/Forderungen gar nicht reagierte bzw. diese verschleppte. Außerdem war es der Wunsch der bP weg von der gaP zu kommen und sich mehr auf die Community zu fokussieren, wobei wir uns stark mit bestehenden Gegennarrativen auseinandergesetzt haben, die der bP sehr große Angst machten und machen. Wir mussten irgendwann eine Grenze ziehen, um den TG-Prozess nicht immer wieder von der gaP, deren Meinung und Verfassung dominieren zu lassen. Für uns steht der Schutz der bP an erster Stelle.

Ende April fand das geplante Umfeldtreffen online statt. Es haben daran 11 Personen aus dem Umfeld aus Freiburg und Leipzig teilgenommen. Ziele des Treffens waren die Grundsätze von TG-Prozessen zu vermitteln, den Gegennarrativen und Behauptungen der gaP entgegenzuwirken und eine Reflexion des Umfelds darüber anzuregen, wie die von der gaP aufgebaute Gewaltstruktur im Umfeld entstehen und aufrechterhalten werden konnte. Am Treffen nahmen Menschen teil, die dem Prozess solidarisch gegenüber standen, aber auch Menschen, die forderten, den Prozess sofort zu beenden. Dementsprechend hatte das Treffen nicht den gewünschten Effekt. Uns wurde durch das Umfeldtreffen sehr deutlich vor Augen geführt wie kritisch ein paar Menschen aus dem Umfeld dem TG-Prozess oder dem Konzept im Allgemeinen gegenüber stehen, was dazu führte, dass diese Personen den TG-Prozess als ein größeres Problem ansahen als die ursprüngliche Gewalt. Außerdem wurde von einigen Personen das Narrativ der gaP übernommen, ohne sich mit dieser Perspektive kritisch auseinanderzusetzen oder die Perspektive der bP zu hören, was dieser sehr große Angst machte. Grundsätzlich sind wir sehr überrascht, wie unkritisch die Narrative der gaP von einigen Menschen übernommen wurden, ohne zumindest einmal in Kontakt mit dem TG-Prozess zu treten.

Aus dem Treffen entstand eine Gruppe, die nur aus Personen des Umfelds bestand, wozu eine Person des TG-Prozesses gehörte, welche in der gaP-Gruppe mitarbeitet. Diese Gruppe sich zwei mal, aber aufgrund fehlender Zielsetzung verlief deren Arbeit im Sande. Die Teilnehmenden konnten sich nicht auf einen gemeinsamen Zweck einigen und die von uns gewünschte Reflexion war von einigen Teilnehmenden nicht gewünscht.

 

Mentales Befinden der betroffenen Person

Ein schwerwiegendes Resultat aus dem Umfeldtreffen war der komplette Rückzug der bP aus den Treffen/Plena des Prozesses und die erhebliche Verschlechterung des mentalen Zustandes, aufgrund der fehlenden Solidarität und dem wiederholten nicht ernst Nehmen der erfahrenen Gewalt. Diese mental schlechte Verfassung war über das ganze letzte Jahr deutlich zu spüren und spitze sich durch den Umgang des Umfeldes mit dem TG-Prozess zu. Mittlerweile hat sich die bP durch sehr viel Unterstützung stabilisiert.

 

Kommunikation mit der gaP und dem Umfeld

Im April wurde für die Kommunikation zwischen gaP und gaP-Gruppe ein extra Gruppenhandy eingerichtet, um die Kommunikation zu bündeln, Einzelpersonen aus der gaP-Gruppe zu entlasten und Verantwortlichkeiten rotieren zu können.

Als Konsequenz aus dem Umfeldtreffen formulierten wir eine Nachricht mit Kritik an die teilnehmenden Personen.

Nach dem Umfeldtreffen wurde ein neues Treffen mit der gaP vereinbart. Unser Ziel war es, konkrete Absprachen treffen und ein Begegnungskonzept entwickeln zu können. Dieses konnte im Mai mit der gaP, deren Vertrauenspersonen und Personen aus der gaP-Gruppe stattfinden. Am Anfang des Treffens wurde der Konsens festgelegt, dass es um konkrete Absprachen und keine anderen Themen bezüglich des Prozesses gehen sollte. Das Gespräch kippte allerdings schnell und die gaP äußerte Empörung darüber, dass es ein Treffen mit der oben genannten Kontaktperson gegeben hatte. Nach dem Hinweis auf den anfangs festgelegten Konsens, verließ die gaP mit den Vertrauenspersonen den Raum. Die gaP und die Vertrauenspersonen besprachen sich daraufhin eine Stunde und die gaP kam nicht mehr zum Gespräch zurück. Die Vertrauenspersonen führten dann das Gespräch mit der gaP-Gruppe weiter.

Unser Vorschlag für das Begegnungskonzept bestand darin, dass die gaP per Nachricht  abfragen kann, ob eine Teilnahme an "Szeneveranstaltungen" möglich wäre. Unser Ziel wäre, dass die bP ohne Angst und Zusammenbrüche Veranstaltungen besuchen kann. Im Gespräch selbst konnte dazu keine Einigung gefunden werden.

In einem späteren Nachrichtenwechsel meinte die gaP selbst, dass sie sich dieses Modell vorstellen könne. Auf die Nachfrage, ob das Modell für die nächsten sechs Monate dann erstmal so laufen könne, kam bis heute (Stand September) keine Antwort. Gleichzeitig ist es in den letzten Monaten immer wieder vorgekommen, dass die gaP sich auch ohne fertige Absprache vor dem Besuch von Szeneveranstaltungen bei uns gemeldet hat und abgefragt hat, ob dies okay ist.

Nach dem Gespräch mit der gaP entschieden wir als TG-Prozess, die Arbeit mit der gaP und dem Umfeld der gaP aufzugeben und uns auf die Einhaltung der Absprachen und die Betroffenen-Arbeit konzentrieren zu können.

 

Externe Beratung für den TG-Prozess

Im Mai und Juni fand außerdem eine externe Beratung von einem erfahrenen TG-Prozess zu unserem Prozess statt.

Im Juni gab es eine Beratung zwischen einer externen Gruppe, die speziell die Supportarbeit in TG-Prozessen begleitet, und der bP-Gruppe. Dabei haben wir sehr positives Feedback für unsere Arbeit bekommen. Außerdem wurde uns dringend geraten, mehr auf unsere Grenzen zu achten und den Fokus weg von der gaP und auf die bP zu lenken. Diesen Hinweis haben wir uns sehr zu Herzen genommen und ausführlich reflektiert, was wir unter Betroffenenunterstützung verstehen und wie wir es in Zukunft schaffen können, den Prozess weniger stark von der gaP beeinflussen zu lassen. Wir haben gemeinsam mit der bP neue Wege gefunden, ihren emotionalen Zustand zu verbessern.

Im Juni entschieden wir uns außerdem für eine Veränderung unserer Plenumsstrukturen. Bisher hatten wir in der Betroffenengruppe und gaP-Gruppe jede oder alle zwei Wochen pleniert und als Großgruppe hatten wir uns einmal im Monat getroffen, was wir inzwischen alles etwas reduziert haben.

 

Ereignis Ende Juli

Ende Juli mussten wir an einem Freitag feststellen, dass aufgrund technischer Probleme Nachrichten nicht an das gaP-Gruppen-Handy zugestellt werden konnten. Deswegen verpassten wir die eine Woche alte Ankündigung, dass die gaP eine Veranstaltung im o.g. Schutzraum der bP mitorganisiert hatte und auch vor Ort eingebunden sein würde. Die Veranstaltung wurde außerdem von Menschen der o.g. Politgruppe mitorganisiert, die mit den Vorwürfen gegenüber der gaP vertraut sind. Daraufhin fuhren einige Menschen aus dem Prozess zum besagten Schutzraum und informierten die Veranstaltenden darüber, dass die gaP Zutrittsverbot zum Ort habe. Mit den Verantwortlichen des Schutzraumes wurde abgesprochen, dass das Zutrittsverbot weiterhin durchgesetzt würde. Gleichzeitig wurde versucht die gaP zu erreichen und die bP zu informieren. Aufgrund dieser Ereignisse fanden wir heraus, dass unsere Kontaktperson aus o.g. Politgruppe (ausschließlich) solidarisch mit der gaP ist, fast nur deren Perspektive auf den TG-Prozess kennt und starke Kritik am Prozess hat, welche uns nie mitgeteilt wurde. Außerdem sollte die gaP Teil der Awareness-Struktur sein, was uns fassungslos machte.

Nach diesem Abend schrieben wir Anfang August eine Kritik an die Politgruppe. Darin kritisierten wir fehlende Verantwortungsübernahme und dass es nie ein Protokoll zu den Inhalten des Gesprächs zwischen gaP und Politgruppe gab, obwohl das vorher mit der Politgruppe abgesprochen war. Einen Monat später hakten wir in der Politgruppe nochmals per Mail nach, da wir keine Antwort erhielten. Eine Antwortmail hätte uns eigentlich schon eine Woche nach unserer Mail Anfang August erreichen sollen, welche aber aufgrund technischer Schwierigkeiten nicht ankam. Deshalb haben wir die Antwort erst Ende Oktober bekommen.

Kurz nach dem Abend erhielten wir eine Nachricht der gaP, dass es ihr aufgrund der Ereignisse sehr schlecht ginge und sie für einige Monate nicht in Leipzig und nicht erreichbar sei. Das ist bis heute der Fall.

Wir haben der gaP im letzten Jahr sehr viele Angebote gemacht, die es auch für die gaP leichter gemacht hätten. Wir haben dabei immer versucht in keine Straflogiken zu verfallen und unsere Impulse innerhalb des Prozesses zu hinterfragen. Jedoch hat sich die gaP immer wieder aktiv in herausfordernde Situationen gebracht und den Verlauf selbst mitbeeinflusst.

 

Unsere Strukturen

Innerhalb unserer Strukturen fallen im Moment viel weniger Aufgaben und Aushandlungen an, wie noch vor ein paar Monaten. Es gibt jedoch immer wieder Akutsituationen, wie die beschriebene Veranstaltung Ende Juli. Deshalb haben wir in einem Plenum nochmals besprochen unsere Sturkturierung zu verändern, was bspw. bedeutet, dass wir größere Abstände zwischen den Plena haben.
Trotzdem sind noch einige Aufgaben und Aushandlungen offen bzw. im Prozess, wobei uns aber als TG-Prozess die Hände gebunden sind, solange von der gaP und dem Umfeld nichts kommt. Hierzu gehört z.B. die abschließende Einigung auf ein Begegnungskonzept und der Austausch mit der Politgruppe, über das Vorgehen mit der gaP und deren Verantwortung im Prozess.
Wir sind im Moment immer noch fünf Personen in der bP-Supportgruppe und fünf Personen in der gaP-Gruppe und sind somit sehr gut aufgestellt.

Ein Reflexions- und Evaluationbericht mit unseren Einschätzung zum Prozess ist in Planung.

 

Momentanes Fazit

Wir haben diesen Bericht geschrieben, um einen Überblick und eine Zusammenfassung der letzten 6 Monate zu schaffen (seit dem letzten Transparenzbericht im April '24). Das soll uns intern nochmal zur Reflexion anregen und dem eigenen Überblick helfen, aber auch anderen, wie der gaP, ihrem Umfeld, unseren Umfeldern, anderen TG-Gruppen usw. zur Verfügung gestellt werden. Stellt gerne Nachfragen bei Verständnisschwierigkeiten oder Unsicherheiten. Wenn ihr Kritik an Prozessen, Entscheidungen oder anderem habt, dann teilt das sehr sehr gerne mit uns!Meldet euch auch sehr gerne, wenn ihr Erzählungen über den TG-Prozess hört, die euch verwundern. Nur so bekommen wir die Chance darauf einzugehen.

Wir lernen alle gerade viel dazu, reflektieren unsere Arbeit konstant, lassen uns extern beraten und begleiten und geben unser bestes. Natürlich passieren uns auch Fehler und wir sind froh, wenn andere solidarisch Kritik äußern.

Ihr erreicht uns unter tg-prozess_le-fr [ä] systemli.org (Key auf Anfrage).

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