Erinnern heißt Handeln! Aufruf zum antikapitalistischen Block 2015!

Event Datum: 
Freitag, Mai 1, 2015 - 10:30
Stadt/Region: 
Anti­ka­pi­ta­lis­ti­scher Block auf der 1.Mai-Demonstration Treff­punkt 10.30 Uhr | Stüh­lin­ger Kirch­platz beim Stand vom Lin­ken Zen­trum Frei­burg ¡adelante!

Erin­nern heißt Han­deln!
Damals wie heute: Gemein­sam gegen Faschis­mus, Krieg und Reaktion!

Krieg in der Ukraine und Syrien, auto­ri­täre Spar­po­li­tik und die sich ver­schär­fen­den Klas­sen­kämpfe in Süd­eu­ropa, der Wahl­sieg Syri­zas in Grie­chen­land, der weg­wei­sende Auf­bruch in Rojava, eine immer auto­ri­tä­rer wer­dende Gesetz­ge­bung in der Tür­kei und neu­er­dings auch in Spa­nien, die Fes­tung Europa, rechte Mas­sen­mo­bi­li­sie­run­gen und Wahl­er­folge in der BRD, staat­li­che Unter­stüt­zung für die faschis­ti­sche Mör­der­bande des NSU, Waf­fen­lie­fe­run­gen an reak­tio­näre Regime in vom Wes­ten erst desta­bi­li­sier­ten Kri­sen­re­gio­nen, die Durch­set­zung von Frei­han­dels­ab­kom­men und immer aggres­si­ver auf­tre­tende Impe­ria­lis­men ver­deut­li­chen: an rele­van­ten The­men, mit denen man sich die­ses Jahr anläss­lich des 1. Mai aus­ein­an­der­set­zen könnte, man­gelt es wahr­lich nicht. Allzu offen­sicht­lich befin­det sich der Kapi­ta­lis­mus in der Krise, allzu offen­sicht­lich pro­du­ziert er bei sei­nen Ver­su­chen der Kri­sen­be­wäl­ti­gung immer neue, gewal­ti­gere Kri­sen, allzu offen­sicht­lich trägt die Krise zu einem Erstar­ken reak­tio­nä­rer und faschis­ti­scher Kräfte in wei­ten Tei­len Euro­pas bei.

Die Geschichte lehrt uns: Erin­nern heißt Han­deln!
Den­noch stel­len wir den Tag unse­rer Klasse die­ses Jahr nicht in den direk­ten Zusam­men­hang mit die­sen Ent­wick­lun­gen, son­dern unter das Zei­chen des Erin­nerns. Mit Erin­nern mei­nen wir dabei weder ein moral­ge­tränk­tes Ritual noch die Beschäf­ti­gung mit Geschichte im Sinne der bür­ger­li­chen Wis­sen­schaft: Erin­nern ist für uns immer die Aneig­nung und Ver­tei­di­gung unse­rer Geschichte. Erin­nern heißt für uns immer auch kämp­fen. Dies bedeu­tet nicht nur, dass uns unsere Geschichte antreibt, moti­viert und uns Ver­pflich­tung ist, son­dern auch, dass wir als Linke um die Deu­tungs­ho­heit unse­rer Geschichte kämp­fen müs­sen. Und genau auf die­sem Gebiet sehen wir gra­vie­rende Ent­wick­lun­gen im Gange.

Dass sich 2015 die Befrei­ung von Ausch­witz durch die Rote Armee, das Ende des Zwei­ten Welt­kriegs, die Befrei­ung Euro­pas vom Faschis­mus sowie eine ganze Reihe wei­te­rer Ereig­nisse, die für das kol­lek­tive Gedächt­nis der Lin­ken wich­tige Bezugs­punkte bil­den müs­sen, zum 70. Mal jäh­ren, ist dabei für uns weni­ger ent­schei­dend als die Mas­si­vi­tät des gegen­wär­ti­gen all­um­fas­sen­den geschichts­po­li­ti­schen Angriffs von rechts. Denn die­sem kön­nen sich bald keine Zeit­zeu­gen mehr in den Weg stel­len und seine Wir­kungs­macht reicht bis in die Linke hin­ein. Wenn zum Bei­spiel für die Geschichte des Deut­schen Faschis­mus auf der einen Seite Götz Aly bis weit in die alter­na­tive Szene zum Stich­wort­ge­ber wird oder Guido Knopp „uns Deut­schen“ ein Geschichts­bild auf den Leib schnei­dert, das von ökono­mi­schen Struk­tu­ren, Pro­fi­teu­ren und Ver­ant­wor­tung der Eli­ten, aber auch vom Wider­stand der Arbei­ter­be­we­gung nichts wis­sen will, ist es höchste Zeit zu inter­ve­nie­ren.

Geschichte wird gemacht
„Die Gedan­ken der herr­schen­den Klasse sind in jeder Epo­che die herr­schen­den Gedan­ken, d.h. die Klasse, wel­che die herr­schende mate­ri­elle Macht der Gesell­schaft ist, ist zugleich ihre herr­schende geis­tige Macht.“ — Karl Marx/ Fried­rich Engels: Die deut­sche Ideo­lo­gie (1846)

Man kommt nicht umhin, fest­zu­stel­len, dass die geistig-moralische Wende, die Hel­mut Kohl 1980 pro­pa­giert hatte, weit­ge­hend abge­schlos­sen ist. Unter die­sem Schlag­wort sollte der Stär­kung der Lin­ken, die in Folge der Ereig­nisse um 1968 ein­ge­tre­ten war, ein kon­ser­va­ti­ver geschichts­po­li­ti­scher Roll­back ent­ge­gen­ge­setzt wer­den, und in die­sem Sinn auch wie­der ein natio­na­le­res Geschichts­bild geformt wer­den. Zur Stär­kung der außen­po­li­ti­schen Rolle der BRD, um eine Part­ner­schaft mit dem Wes­ten auf Augen­höhe zu errei­chen, bedurfte es der Lösung der BRD aus ihrer „demü­ti­gen“ Rolle, die sie nach 1945 ange­nom­men habe. Not­wen­dig ein­her ging damit die Rela­ti­vie­rung der Schre­cken des Zwei­ten Welt­kriegs und des faschis­ti­schen Massenmordes.

Wie tief­grei­fend und erfolg­reich die­ser geschichts­po­li­ti­sche Angriff war, ist heute über­all mit Hän­den zu grei­fen. Etwa wenn grüne Poli­ti­ker Kriege nicht trotz, son­dern gerade wegen Ausch­witz füh­ren wol­len; wenn der neu­rechte „Ver­fas­sungs­schüt­zer“ Eck­hard Jesse anläss­lich des Jah­res­tags der nach Gurs depor­tier­ten Juden in der Frei­bur­ger Uni­ver­si­tät über den „wei­chen Extre­mis­mus“ der Links­par­tei spricht; wenn wir uns die dop­pelte Unver­schämt­heit anhö­ren müs­sen, dass das KZ Buchen­wald „1945 in die Unfrei­heit befreit“ wurde; wenn es nor­mal gewor­den ist, das Nazi-Regime und die DDR als die „bei­den deut­schen Dik­ta­tu­ren“ zu bezeich­nen.
Doch ver­wun­dern braucht uns diese Geschichts­ver­dre­hung nicht. Der Fort­be­stand eines (mili­tan­ten) Anti­kom­mu­nis­mus, die Kon­ti­nui­tät faschis­ti­scher Funk­tio­näre in den Insti­tu­tio­nen nach 1945, die gezielte Aus­rich­tung deut­scher Geheim­dienste gegen die Linke oder heut­zu­tage die Ver­stri­ckun­gen deut­scher Behör­den in den NSU-Komplex: all das beweist, wo der Staat steht. Und damit geht logi­scher­weise ein­her, dass er und mit ihm die Pro­fi­teure die­ses Gesell­schafts­sys­tems ein star­kes Inter­esse an einer bür­ger­li­chen Deu­tungs­ho­heit über die Geschichte haben müssen.

Unsere Geschichte aneig­nen!
Dass wir mit einer rech­ten Umdeu­tung der Geschichte, die sich oft hart an der Grenze zum Revi­sio­nis­mus befin­det, in jüngs­ter Ver­gan­gen­heit noch stär­ker kon­fron­tiert wer­den, hängt mit zwei Punk­ten zusam­men: zum einen kön­nen sich die Opfer des Faschis­mus nicht mehr gegen ihre Ver­ein­nah­mung weh­ren. Je weni­ger Men­schen ihre mora­li­sche und poli­ti­sche Auto­ri­tät als anti­fa­schis­ti­sche Wider­stands­kämp­fer in die Waag­schale der geschicht­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung wer­fen kön­nen, desto mehr sind wir gefor­dert, unsere Geschichte leben­dig zu hal­ten. Dies beinhal­tet die Ein­nahme eines Klas­sen­stand­punkts auch im Rin­gen um die Geschichts­bil­der. Auf die ebenso bewe­gende wie wort­ge­wal­tige Unter­stüt­zung von Auschwitz-Überlebenden, die 1999 anläss­lich der ers­ten offe­nen mili­tä­ri­schen Betei­li­gung Deutsch­lands an einem Angriffs­krieg nach 1945 klar stell­ten, dass man Jugo­sla­wien nicht in ihrem Namen bom­bar­die­ren kann, wer­den wir in naher Zukunft nicht mehr zäh­len können.

„Wir Über­le­ben­den von Ausch­witz und ande­ren Mas­sen­ver­nich­tungs­la­gern ver­ur­tei­len den Miß­brauch, den Sie und andere Poli­ti­ker mit den Toten von Ausch­witz, mit dem von Hit­ler­fa­schis­ten im Namen der deut­schen Her­ren­men­schen vor­be­rei­te­ten und began­ge­nen Völ­ker­mord an Juden, Sinti und Roma und Sla­wen betrei­ben. Was Sie tun, ist eine aus Argu­men­ta­ti­ons­not für Ihre ver­häng­nis­volle Poli­tik gebo­rene Ver­harm­lo­sung des in der bis­he­ri­gen Mensch­heits­ge­schichte ein­ma­li­gen Ver­bre­chens. […] Welt­frie­den und inter­na­tio­nale Sicher­heit wer­den jetzt gefähr­det, indem gegen ein Grün­dungs­mit­glied der UNO Krieg geführt wird, Krieg von deut­schem Boden aus, Krieg gegen ein Land, das größte Opfer im Kampf gegen Hit­ler erbrachte und Unschätz­ba­res zur Befrei­ung Euro­pas vom Faschis­mus leis­tete. Sich als Begrün­dung für einen sol­chen Krieg auf Ausch­witz zu beru­fen, ist infam.“

(Esther Beja­rano, Peter Gin­gold, Kurt Gold­stein, Wal­ter Bloch, Henny Drei­fuß, Gün­ter Hän­sel, Wer­ner Stertzenbach)

Der zweite Grund, warum eine rechte Umdeu­tung der Geschichte gerade jetzt ener­gi­scher auf­tritt, ist die Offen­ba­rung der Krise des Kapi­ta­lis­mus mit dem Aus­bruch der Finanz­krise 2008. Je offen­sicht­li­cher sich das Gerede von „der Alter­na­tiv­lo­sig­keit des Kapi­ta­lis­mus“ und „dem Ende der Geschichte“ als falsch ent­puppt, desto aggres­si­ver wird ver­sucht wer­den, Alter­na­ti­ven zu dis­kre­di­tie­ren.

So, wie es ist, wird es nicht blei­ben!

Was tun? Wie kön­nen wir uns gegen die Umdeu­tung unse­rer Geschichte weh­ren? Wir müs­sen uns wie­der ein leben­di­ges Geschichts­bild aneig­nen, das uns Moti­va­tion und Ver­pflich­tung, Antrieb und Selbst­be­wusst­sein in den tages­po­li­ti­schen Kämp­fen gibt. Eine der wich­tigs­ten Auf­ga­ben dabei ist das Nie­der­rei­ßen des tota­li­ta­ris­mus­theo­re­ti­schen Dog­mas mit all sei­nen Aus­wir­kun­gen – auf die Geschichts­schrei­bung von Faschis­mus, Krieg und Wider­stand, aber auch auf die Dämo­ni­sie­rung der Arbei­ter­be­we­gung und ihrer Staa­ten. Wir müs­sen unsere Geschichte gegen Angriffe von rechts ver­tei­di­gen. Und das tun wir am bes­ten, wenn wir im Wis­sen um unsere Geschichte – all ihrer Ver­dienste und Errun­gen­schaf­ten, aber auch der Feh­ler und Nie­der­la­gen – vor­an­schrei­ten und uns bewusst hal­ten: So, wie es ist, wird es nicht blei­ben! In die­sem Sinn wol­len wir auch die­ses Jahr mit einem anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen Block auf der tra­di­tio­nel­len 1. Mai-Demonstration in Frei­burg einen ers­ten Schritt tun, bei dem wir für eine Aneig­nung und Ver­tei­di­gung der Geschichte der Lin­ken, unse­rer Geschichte, eintreten.

„Aber heute haben wir alle diese Erfah­rung, heute muss jeder wis­sen was Faschis­mus bedeu­tet. Für alle künf­ti­gen Gene­ra­tio­nen gibt es keine Ent­schul­di­gung, wenn sie den Faschis­mus nicht ver­hin­dern.“ — Peter Gingold

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