Die Neue Volksfront in Frankreich – ein weiterer Angriff gegen den proletarischen Klassenkampf

Event Datum: 
Donnerstag, Juli 25, 2024 - 19:00
Stadt/Region: 
Von der Tragödie zur Farce... Veranstaltung im RAUM Rungestr. 20, 10179 Berlin

Wer hätte das gedacht? Nachdem bei den Europawahlen Anfang Juni auch in Frankreich die Rechtsradikalen einen grandiosen Wahlerfolg einfuhren, woraufhin der demokratische Sonnenkönig Macron den „republikanischen Geist“ beschwörend Neuwahlen ausrief und die Linke des Kapitals zur Unterstützung der „republikanischen Front“ gegen das Rassemblement National sogar eine „Neue Volksfront“ in Leben rief, gewann diese Neue Volksfront nach der zweiten Stichwahl am 7. Juli und errang 180 von 577 Sitzen der Nationalversammlung. Macrons bürgerliches Bündnis landete auf Platz zwei und die Rechte um Le Pen nur auf Platz drei. Die bürgerliche Linke auch in Deutschland triumphiert, parlamentarische Blindschleichen und senile Altstalinisten sehen darin einen beispielhaften antifaschistischen Erfolg. Spätestens wenn die Volksfront aus Mélenchons LFI, den Sozialdemokrat:innen, Pseudo-Kommunist:innen, Grünen und der "linken" Zentrumspartei PP als parlamentarischer Mehrheitsbeschaffer in das System der französischen Präsidialdiktatur eingebunden ist, wird dieser Triumph jedoch schnell in Katzenjammer übergehen. Es ist nicht nur Zweckoptimismus, wenn Spitzenkandidat Bardella, dessen Rassemblement National mit 126 Sitzen stärkste Einzelpartei geworden war, trotz seiner Niederlage gegen die „republikanische Front“ positiv auf die Verdoppelung der Zahl seiner Abgeordneten verweisen und eine positive Dynamik für seine Bewegung konstatieren kann.

Als Marxist:innen lassen wir uns nicht von politischen Kombinationen blenden, sondern analysieren die sozialen Ursachen der politischen Prozesse. Während die Linke des Kapitals die abgehalfterte Volksfront aus der Mottenkiste der Geschichte holt, wissen wir, dass sie als stalinistisches Manöver gegen den Klassenkampf geschaffen wurde und damals wie heute einen Schlag nicht „gegen den Faschismus“ sondern in kongenialer Ergänzung mit den Rechtsradikalen gegen das Proletariat darstellt. Wenn auch – um keine verkürzten historischen Analogien zu bedienen - die damalige Tragödie für das kampfstarke französische Proletariat heute eher als Farce durch das linke Kleinbürgertum nachgespielt wird, das nach Kräften daran arbeitet die Arbeiter:innen in die Hände der rechten Demagog:innen zu treiben.

Von der Tragödie zur Farce

An den Anfang seiner brillanten Schrift „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ hatte Karl Marx 1852 die Bemerkung Hegels gestellt, „dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen“, und ergänzt: „Er hatte vergessen hinzuzufügen: Das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“ (MEW 8, S.115) Wie treffend ist Marx dann folgende Beschreibung für die kleinbürgerliche und antifaschistische Linke in den Zeiten der heutigen Krise (die leider nicht revolutionär, sondern durch ökonomischen Niedergang und Krieg gezeichnet höchst konterrevolutionär ist): „Gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienst herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüme, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neue Weltgeschichtsszene aufzuführen.“ (ebenda)

Die Volksfrontpolitik war im Frankreich der 1930er Jahre eine direkte Folge der konterrevolutionären Degenerierung der Kommunistischen Internationale zum außenpolitischen Instrument der Sowjetunion. Während auch in Frankreich unter dem Druck der Wirtschaftskrise, des drohenden Krieges und einer noch relativ starken (wen auch sozialdemokratisch-stalinistisch kontrollierten) Arbeiterbewegung die faschistische Diktatur eine Option für das Kapital wurde, verharrte die stalinistische Kommunistische Partei Frankreichs noch Anfang 1934, als die liberal-bürgerliche Regierung der sog. „Radikalen“ Partei mit Hilfe eines militanten rechten Aufmarsches durch ein Notverordnungskabinett ersetzt wurde, in den politischen Vorgaben der „Sozialfaschismustheorie“. Es waren weniger die gewerkschaftlichen Mobilisierungen gegen die Rechtsentwicklung, als die Vorgaben aus Moskau, die einen jähen Richtungswechsel einleiteten. Im Mai 1935 unterzeichnete Russland einen „Beistandspakt“ mit Frankreich, dessen Unterstützung fortan im Zentrum der KPF-Politik stand, die jetzt für „Bündnisse mit allen Kräften“ eintrat, die an der „Erhaltung des Friedens und der Demokratie interessiert“ wären. Dementsprechend richtete sie sogar an die bürgerlich-liberale Partei der „Radikalen“ das Angebot der Herstellung einer „Volksfront für Frieden, Arbeit und Freiheit“. Mit der Etablierung einer Volksfrontregierung von Sozialisten und „Radikalen“ 1936 sahen die Stalinist:innen dieses Ziel erreicht, sie ersetzten die rote Fahne durch die Trikolore, unterstützen die Entwaffnung der Arbeiter:innen, machten ihren Frieden mit der französischen Kolonialpolitik und tolerierten sogar entgegen ihrer antifaschistischen Phraseologie den sog. „Nichteinmischungspakt“ in den spanischen Bürgerkrieg. Demgegenüber kündigte 1938 die Radikale Partei die Volksfront auf, übernahm die Regierung, führte u.a. die 48 Stunden Woche wieder ein (in der Rüstungsindustrie sogar die 60 Stunden Woche) und verbot letztendlich im September 1939 die KPF. Es folgte das kurze Intermezzo der neuen politischen Linie der Kommunistischen Internationale, die vor dem Hintergrund des „deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrages“ den internationalen Hauptfeind jetzt in England und Frankreich sah (bis sich mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 wieder alles änderte).

Leo Trotzki, der diese Politik mit der Autorität eines alten bolschewistischen Revolutionärs kritisierte und den die Stalinisten deshalb 1940 ermordeten, stellte trotz seines falschen Verständnisses von sog. „Arbeiterparteien“ und der Definition der kapitalistischen Sowjetunion als „degenerierter Arbeiterstaat“ sowie seinen illusorischen Hoffnungen mit organisatorischen Kniffen wieder in die revolutionäre Offensive kommen zu können, den konterrevolutionären Charakter dieser Volksfrontpolitik treffend dar: „Die Volksfront (ist) das Komplott der Arbeiterbürokratie mit den schlimmsten politischen Ausbeutern der Mittelklasse, nur imstande, in den Massen den Glauben an den revolutionären Weg zu töten und sie der faschistischen Konterrevolution in die Arme zu treiben.“ (Frankreich am Wendepunkt, März 1936)

Schon in seinem Text „Wohin geht Frankreich?“ vom November 1934 hatte Trotzki, der von Juli 1933 bis zu seiner Ausweisung im Juni 1934 im Exil in Frankreich war, richtig die sozialdemokratisch-stalinistische Auffassung kritisiert, „ein Bündnis mit den (bürgerlich-liberalen) Radikalen sei ein Bündnis mit den 'Mittelklassen' und somit eine Schranke gegen den Faschismus. Diese Leute sehen nichts als die parlamentarischen Schatten. Sie haben keine Ahnung von der wirklichen Entwicklung der Massen und jagen der überlebten Radikalen Partei nach, die ihnen unterdessen die Rückseite zugekehrt hat. Sie glauben, in der Epoche einer großen sozialen Krise könne man das Bündnis mit den in Bewegung gekommenen Massen durch einen Block mit der kompromittierten und dem Untergang geweihten parlamentarischen Clique ersetzen.“

Die noch heute gültige Klarheit dieser Aussagen Trotzkis zeigt sich auch angesichts der aktuellen Farce der Neuen Volksfront, die vor der Stichwahl 127 Kandidat:innen zurückgezogen hatte, um den besser platzierten Kandidat:innen des Regierungsbündnisses Ensemble Platz zu machen. Umgekehrt taten dies 81 Bewerber des Macron-Lagers. Diese offene Unterstützung des Kriegstreibers und Sozialräubers Macron (gegen dessen per Dekret durchgesetzte Lebensarbeitszeitverlängerung sogar das Rassenblement National demagogisch auftritt) treibt die von sozialer Deklassierung betroffenen Kleinbürger:innen aber auch die Arbeiter:innen in die Arme der Rechtsradikalen, die nur ihre nächsten politischen Erfolge abzuwarten brauchen. Die neue Volksfront wartet demgegenüber geduldig auf den Lohn des geretteten Präsidenten: Er solle doch bitte einen der ihren zum Premierminister ernennen. „Doch das ist nur die übliche Praxis, darauf hat man keinen Rechtsanspruch. Der Präsident kann sich also über den Vorschlag hinwegsetzen und jemand anderes ernennen. Doch das wäre ein Affront gegen die Wähler, die durch die Republikanische Front den Sieg vieler RN-Kandidaten verhindert und so letztlich auch nicht wenigen von Macrons Kandidaten zu ihrem Parlamentssitz verholfen haben“, hofft und bittet der Direktor der „kommunistischen“ Zeitung L'Humanité im ND-Interview am 9. Juli.

Das dieses Anbiedern der Neo-Stalinisten an die Macht genauso scheitern wird, wie bei ihren Vorgängern deutet sich allerdings schon an. Innenminister Gérald Darmanin propagiert eine „Koalition der Ideen“, an der sich auch die gemäßigten Sozialist:innen beteiligen sollen und Macron umwirbt gleich die Abgeordneten der verschiedenen Lager, um eine Mehrheit für bestimmte Gesetzesvorhaben zu bekommen.

Mit dem antifaschistischen Regenbogen in den Imperialistischen Krieg

Doch selbst wenn Macron diese Hoffnung eines „linken Premierministers“ erhört und die neue Volksfront sich nicht vorher zerlegt, wird sich an der imperialistischen Politik Frankreichs nichts ändern. Das hochverschuldete Frankreich (120 Prozent des Bruttoinlandsproduktes), dessen Kreditwürdigkeit gerade herabgestuft wurde und das sich auf eine Abwärtsspirale von steigenden Zinsen und Schulden zubewegt, muss im Konkurrenzkampf mit seinem imperialistischen „Partner“ Deutschland nicht nur die sozialen Angriffe verstärken, sondern auch seine militärische Dominanz (als einzige Atommacht der EU) ausspielen. Dementsprechend ist auch im Wahlprogramm der neuen Volksfront zu lesen, dass nicht nur die „Lieferung nötiger Waffen“ an die Ukraine fortgesetzt werden muss, sondern auch „UN-Einheiten“ die dortigen Atomkraftwerke schützen sollen. Dessen leistungsstärkstes, das AKW Saporischja, befindet sich aber bekanntermaßen unter russischer militärischer Kontrolle kurz hinter der Frontlinie. Auch hier soll sich also allenfalls das Etikett der zu entsendenden Bodentruppen ändern.

So gering der reale Gehalt für einen Politikwechsel des imperialistischen Frankreich ist, um so größer ist die ideologische Wolke, die von der Linken des Kapitals um das Projekt der Neuen Volksfront gelegt wird. Die Initiative zu ihrer Gründung ging von Abgeordneten von „La France Insoumise“ aus, die die Steilvorlage von Macron nach der Europawahl aufnahmen. Das Konzept eines breiten Bündnisses vermeintlich klassenloser und bürgerlicher Akteure ist älter. Die LFI-Abgeordnete Aurélie Trouvé vertritt schon länger den Ansatz einer „Regenbogen-Koalition“ aus „feministischen, sozialen, radikaldemokratischen, ökologischen und antifaschistischen außerparlamentarischen Kräften“ zu der jetzt angesichts der vermeintlichen „unmittelbaren Gefahr eines Regimewechsels“ (Étienne Balibar) auch liberal-demokratische Parteien gehören sollen. Es wäre absurd von bürgerlichen Linken eine proletarische Politik zu fordern. Dementsprechend ist „das Volk“, wenn auch aufgesplittert in diverse Identitäten (in vermeintlicher Abgrenzung zur ausgrenzenden Volksgemeinschaft), der einzig mögliche Bezugspunkt dieser Bürger, die die soziale Frage allenfalls als eine Frage des Sozialstaates begreifen. Nicht der Klassenkampf ist für sie der Weg zum Ziel der Beseitigung des Kapitalismus, sondern die Auflösung der Klassen im Volk der Weg zur Erreichung einer wirklichen Demokratie, die in ihrem sozialen Kern allerdings genauso demagogisch wie Volksgemeinschaft der Faschisten ist. Somit erschöpft sich die Politik dieser Linken des Kapitals im populistischen Wettkampf mit der Rechten des Kapitals. Dies wird dann auch von Balibar philosophisch auf den Punkt gebracht: „Hier ist nicht der Ort, um das Problem zu diskutieren, wie sich die Pluralität 'emanzipatorischer Interessen' und heterogener historischer 'Subjekte' aus einem Motiv der Lähmung und ständiger ideologischen Rivalitäten in eine politische Kraft verwandeln lässt. Es ist jedoch klar, dass sich dieses Problem der 'Widersprüche im Volk' in aller Dringlichkeit stellt, und zwar schon allein deshalb, weil das Rassemblement National inzwischen in der Lage ist, Anhänger*innen in fast allen Klassen der französischen Gesellschaft zu gewinnen. Die Partei scheint eine Lösung gefunden zu haben, die man als populistisch bezeichnen kann, sie ist tatsächlich auf dem Weg ihr 'Volk' zu finden. Wie wird es der Linken ergehen? Zwischen 'populistisch' und populär gibt es sowohl eine radikale Unvereinbarkeit als auch eine Nähe...“ (Volksfront oder Kartell der Linken? Der Philosoph Étienne Balibar über den Aufstieg des Faschismus in Frankreich und den linken Nouveau Front Populaire im ND vom 6./7. Juni 2024)

Der tiefen Krise des Kapitalismus, die zu sozialer und politischer Instabilität führt und die angesichts der Tatsache, dass der schwache proletarische Klassenkampf den Abgehängten und Deklassierten heute keine revolutionäre Perspektive bieten kann, eine autoritäre Formierung befördert, ist nicht mit Populismus beizukommen. Nur in der Hervorkehrung des Antagonismus, der die imaginäre Identität des Volkes praktisch in Frage stellt und seine demokratische Ideologie ablehnt, kann es eine emanzipatorische Perspektive geben. Nur im Klassenkampf können das subjektive Emanzipationsstreben und die objektive historische Notwendigkeit zusammenkommen und die Möglichkeit einer wirklich freien (kommunistischen) Gesellschaft eröffnen.

Deshalb ist unsere Losung Klasse gegen Klasse und nicht Volksfront!

 

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