Anmerkung zu dem Kommentar von "Ostdeutsche Antifas" zu "Zeit zu Handeln"

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Anmerkung zu dem Kommentar von "Ostdeutsche Antifas" zu "Zeit zu Handeln"

Dies ist ein weiterer Debattenbeitrag zur vorhergehenden Diskussion. Zeit zu handeln

Veröffentlichte um den AfD-Parteitag diesen Aufruf (https://zeitzuhandeln.net) auf den Antifas reagierten (https://de.indymedia.org/node/378420).

 

Die radikale Linke und ihr Wirken.

Teil der Lösung oder Teil des Problems ?

Die vorausgegangenen Texte beziehen sich in gewisser Weise auf eine Analyse des IST-Zustands der Gesellschaft, in der dieser sogenannte Rechtsruck stattfindet. Zeit zu handeln, nennt Liberale und sozialdemokratische Parteien als Teil des Problems und unterstellt ihnen, die Proteste gegen die AfD zu vereinnahmen. Die ostdeutschen Antifas zeigen diese Schwachstelle in der Analyse auf. Auf diese Weise unterstellen wir den Liberalen und Sozialdemokraten ein Bewusstsein über die aktuelle gesellschaftliche Situation, das zwar in sich schlüssig klingt, doch ob dieses Bewusstsein überhaupt vorhanden ist, wird von uns an dieser Stelle in Frage gestellt. Werfen wir einen Blick auf das Bewusstsein der radikalen Linken und ihre eigene Wirkungsmacht. Dazu können wir festhalten, dass vom eigentlichen Kernproblem abgelenkt wird. Problematisch ist in diesem Fall:

 

1.            Auf Bundesebene sind linksradikale Strukturen nicht in der Lage, derartig große, in der Gesellschaft wahrnehmbare Proteste aufzubauen.

Eine symptomatische Erscheinung der fehlenden Wirkungsmacht ist, dass bürgerliche Organisationen als Fremdkörper und/oder Gegenspieler gewertet werden. Dabei sind „die Bürgerlichen“ oft diejenigen, mit denen das eigene Weltbild und die eigene Position nicht in Einklang zu bringen sind und bei denen Kampfformen wie Reformismus eher angesagt sind als Revolutionsromantik. Allein wenn berücksichtigt wird, wer den Text "Zeit zu handeln" unterzeichnet hat, zeigt die inhaltliche Verrohung auf, die dringend diskutiert werden muss.  Hier seien die Schlagworte Sozialfaschismusthese, Gelbe Gewerkschaften, bürgerlicher Feminismus, Parteijugenden, bürgerlicher Antifaschismus genannt, die in der Praxis als Abgrenzung genutzt werden, um den eigenen Standpunkt hervorzuheben und als Ausschlusskriterium für eine Zusammenarbeit genutzt werden, die den eigenen Splitterprotest legitimieren. Abgrenzung statt Diskurs, Alles selber machen, statt Hegemonie zu erkämpfen, Unbequeme Situationen aushalten oder Wohlfühlzone schaffen, in der man die Meinungshoheit behält? Das sind unserer Einschätzung nach selbstgemachte Probleme, die eine Wirkung der radikalen Linken, die theoretisch breit in das bürgerliche Milieu möglich wäre, unterbinden. Und genau da stellt sich die Frage – mit allen, die es ehrlich meinen? Aber meinen wir es eigentlich selbst ehrlich, wenn wir nicht den Ton angeben können? Ist das Bewusstsein über die zersetzende Art der Politik, die breite Teile der radikalen Linken betreiben, eigentlich vorhanden? Ohne Gewerkschaften, bürgerliche Parteien und diejenigen, die lieber in einer kapitalistischen Demokratie mit liberaler, konservativer oder sozialdemokratischer Regierung leben als in einer kapitalistischen Demokratie unter faschistischer Herrschaft, wird der Kampf schwer. Mit Blick auf das Kräfteverhältnis werden wir das Anrollen der AfD nicht stoppen können, wenn die radikale Linke so weitermacht wie bisher. Da hilft der Text von "Zeit zu handeln" wenig, wenn einige der Unterzeichnergruppen ein Teil des Problems sind.

 

2. These: Neoliberalismus in der radikalen Linken

Ausgehend von Karl Marx' Gedanken - „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt“, widmen wir uns dem Thema Bewusstsein in der radikalen Linken. Was ist eigentlich das Sein? Was bestimmt die aktuelle Zeitepoche, in der wir leben? Ein Niedergang der radikalen Linken ist spätestens seit der Annexion der DDR und dem Untergang der Sowjetunion zu verzeichnen. Wir sprechen hier von einem Prozess, der seit etwa 30 Jahren konstant anhält. Hat sich seitdem gesellschaftlich etwas verändert? Durchaus und zwar hat die gesellschaftliche Ideologie des Neoliberalismus, die Sozialisation und Identität von mutmaßlich 80% der Menschen, die diesen Text lesen werden, nachhaltig geprägt (Leseempfehlung: „Und ich? Identität in einer durchökonomisierten Gesellschaft“, Paul Verhaeghe). Die radikale Linke ist ein Teil dieser Gesellschaft und besonders diejenigen, die noch relativ jung in die Szene einsteigen, sind von dieser neoliberalen Identität geprägt. Dies ist jedoch kein neuer Prozess – sondern ein konstanter, seit Jahren andauernder. Wir nehmen diese Erkenntnis als einen Erklärungsansatz für Erscheinungen, die in den letzten Jahren deutlich wurden. Versteht dies bitte als Diskussionsansatz, denn auch wir, die diesen Text schreiben, können uns davon nicht los sagen. Das eigene Handeln unter derartigen Sozialisationsprozessen spiegelt sich in der politischen Praxis der Vergangenheit wider. Es mag fremd klingen, sich selber in die Rolle des Neoliberalen zu bewegen. Wir sagen dabei aber deutlich: Nur weil wir uns eine Selbstbezeichnung geben, legen wir internalisierte Werte und Normen nicht automatisch ab.

Exemplarisch für innere Zersetzungsprozesse in der radikalen Linken, die uns in der Form und Ausprägung in den 2000er und 2010er Jahren noch nicht bekannt waren, stehen sowohl aktuelle Debatten als auch die Ausprägung des Aktivismus.

2.1 Zersplitterung von zentralen Aktionstagen

 Hamburg und Leipzig bleiben die Sorgenkinder und sind gleichzeitig Aushängeschilder als Hochburgen der Szene. Man beachte hier sowohl den 1. Mai als auch andere Demonstrationen.

 In Hamburg kam es am 1. Mai 2024 zu drei Demonstrationen aus dem linksradikalen Spektrum. Die Autonomen aus der Roten Flora machten erneut ihre anarchistische Demonstration, das von der IL dominierte Bündnis "Wer hat, der gibt" eine große Bündnisdemonstration und der Rote Aufbau wieder ziemlich alleine seine kommunistische Abenddemonstration. Zeitlich wäre es unmöglich gewesen, an allen Demonstrationen nacheinander teilzunehmen. Diese gespaltene Kampfkraft ist ein deutliches Zeichen für bestehende Konflikte zwischen den Spektren, die sich mehr zu einem Antagonismus entwickeln als zu einer einheitlichen Linie.

 In Leipzig kommt es momentan zu zwei linksradikalen Bündnissen, die gegen das neue Versammlungsgesetz demonstrieren. 1 Bündnis von Autonomen und die Linke geprägt und 1 Bündnis aus KA, KO etc.pp.. Konfliktlinie ist hier die mutmaßliche Dominanz von K-Gruppen und Nahostpositionen, die sich ebenfalls zu einem Antagonismus entwickeln.

 Als langjährige Aktivist*innen hat unserer Auffassung nach die Absage der bundesweiten Demonstration in Eisenach das Fass zum Überlaufen gebracht und ein neues Niveau erreicht, in dem die radikale Linke ihre Handlungsfähigkeit beerdigt. Sowohl die Gründe für die Absage, das Absagen der Demonstration und die Provokation von YS sind eine Absage an Diskurs und Konfrontation, wie wir sie führen sollten. Regeln wir so etwas in Zukunft nur noch auf Twitter oder Instagram oder führen wir einen realen Konflikt auf der Straße gegen konkrete faschistische Gefahr?

 Wir nehmen hier keine Wertung der Gründe vor, warum nicht zusammengearbeitet wird. Wir stellen lediglich fest, dass eine Minderung der Kampfkraft kontinuierlich ansteigt, die, wie wir denken, aktuell jedoch verstärkt gebraucht wird, um überhaupt handlungsfähig auf die weiteren Entwicklungen der Faschisierung reagieren zu können. Als Ursache erkennen wir bestimmte Denkweisen an, die dem antifaschistischen Kampf mehr Schaden als Nutzen zufügen, welche sich durch das gesamte Spektrum der radikalen Linken ziehen.

 

2.2 Die K-Gruppen-Debatte

 

Fast tagesaktuell erscheinen Thesen über die autoritäre Linke, der mutmaßlich Einhalt geboten werden muss. Hier nachzulesen:

 

(http://basisgruppe-antifa.org/wp/2024/07/05/thesen-ueber-die-autoritaere...)

 

(https://knack.news/10191)

 

Dies erscheint uns in Anbetracht der aktuellen Situation mehr als fraglich. Müssen wir uns als radikale Linke damit auseinandersetzen, wie wir jetzt einzelne Spektren einsortieren und wie wir mit ihnen umgehen? Dabei knüpfen wir bei der Diskussion über "Bürgerliche" an, die wir bereits ausführten. Die Roten bekämpfen die Bürgerlichen, die Autonomen die Roten und die Roten dann im Gegenzug wieder die Autonomen (siehe dazu Aktion Rote Flora https://taz.de/Nahost-Konflikt-in-der-linken-Szene/!6007672/). Das "Zeit zu handeln", genau diese Diskussionen nicht weiter ausführt und einen konkreten Vorschlag einräumt, um von dieser Praxis wegzukommen, ist inhaltlich sehr schwach und leider nicht zielführend. Die ostdeutschen Antifas beschreiben mit den immer weiteren Schaffen von -ismen genau jene Konfliktlinien, die eine Einheit mehr unterbinden als schaffen. Wie denn auch anders? Die Abgrenzung wird gezielt gesucht und in die Praxis eingebettet. Wir erinnern an dieser Stelle an die „Fehleranalyse“ der Linkspartei – Schuld am Niedergang ist Sahra Wagenknecht. Die radikale Linke bzw. das linke Spektrum in seiner Gesamtheit ist das Problem des Niedergangs, und eine flapsig formulierte Forderung der Einheit wird dies nicht ändern. 

 

Schlusswort:

Wir wollen uns nicht damit abfinden, dass die aktuelle Situation und der Zustand der radikalen Linken so bleibt, wie er derzeit ist. Wir appellieren an dieser Stelle, sich auf einen ernstgemeinten minimalen Konsens zu verständigen, zur einheitlichen Abwehr faschistischer Gefahr.  Dies ist kein Ding der Unmöglichkeit, sondern eine Frage des Willens und der eigenen Einstellung. Raus aus dem Elfenbeinturm, runter mit den eigenen Anspruch und erwartungen. Wir stellen keine große und wahrnehmbare Bewegung dar, die einen Gegenentwurf zum bestehenden System präsentieren kann. Wir haben keine Kräfte, die effektiv in Klassenkämpfe eingreifen können und schon gar keine, die diese lenken und die Führung beanspruchen können. Auch wenn wir uns das idealerweise wünschen und darauf hinarbeiten. Wir stellen eine Bewegung dar, in der sich einzelne Gruppen mit blindem Vollzeitaktivismus in Nischenthemen verrennen, die eigenen Leute in den Burnout treiben und andere Gruppen denunzieren, bis zur Handlungsunfähigkeit. Das tut weh, so zu hören. Es entspricht dennoch der Realität. Individualismus der im neoliberalismus eingeprägt wurde, das Ideal "wir können das als Gruppe alles schaffen" schafft gerade die Basis dafür, das wir unserer historischen Verantwortung als Antfaschist*innen in einer Republik die aus dem Faschismus entstanden ist nicht gerecht werden.

Es ist 5 nach 12! Und es ist Zeit aufzuwachen und die Hände zu reichen.

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Ergänzungen

Also weder ist der schwarz-rote 1.Mai der Roten Flora zuzuordnen noch wurde der revolutionäre 1.Mai alleine vom Roten Aufbau organisiert. leider sind in dem ganzen Text solche Ungenauigkeiten. 

 

Ihr schreibt "Wir appellieren an dieser Stelle, sich auf einen ernstgemeinten minimalen Konsens zu verständigen, zur einheitlichen Abwehr faschistischer Gefahr." 

Genau dieser Minimalkonsens wurde und wird durch rote Gruppen aufgehoben. Kampf gegen Antisemitismus ist unbedingter, nicht verhandelbarer Teil des Minimalkonsens. Wie soll das mit diesen roten Gruppen gehen, die eben antisemitische Positionen innehaben und verbreiten? Westdeutsche Antifa sollte reflektieren, dass Antifa nur dann konsequenh antifaschistisch agiert, wenn Nazismus, Rassismus, Antisemitismus gleichwertig bekämpft werden. Und gerade bei Antisemitismus heißt das auch in den eigenen Reihen. 

dass ihr die Genoss*innen aus Eisenach so vor den Bug schmeißt, ist Teil des Problems. Eure Solidarität ist keine konsequente. Ihr lasst ostdeutsche Antifa im Kampf gegen Nazis oftmals allein, jetzt macht ihr ihnen ihre und die euch fehlende politisch konsequente Haltung zum Vorwurf und setzt diese gleich mit den antisemitischen Positionen von YS, die den 7.10. faktisch feierten. Ihr habt es über Jahre verpasst, diese Auseinandersetzung mit roten Gruppen zu führen, habt sie und ihre autoritären Strukturen gewähren lassen. Anstelle sich selbstkritisch dem eigenen Versagen zu stellen, zeigt ihr mit Finger auf diejenigen, denen es gelungen ist, klar zu bleiben. Erbärmlich.