Wenn widersetzen, dann richtig!

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<strong>Eine notwendige Kritik an der Kampagne gegen den AfD-Bundesparteitag in Essen</strong>

Ende Juni 2024 will die Bundes-AfD ihren Parteitag in den Essener Grugahalle abhalten. Es wird das erste Zusammenkommen der Partei nach den Kommunal- und Europawahlen am 9. Juni sein und damit auch die erste Bundesversammlung nach dem verkorksten Wahlkampf rund um die beiden Spitzenkandidaten Bystron und Krah und dem Rauswurf der AfD aus der Fraktion der extremen Rechten im Europaparlament. Gleichzeitig wird der Essener Parteitag das zentrale Event der Partei vor den anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im September. In allen drei Bundesländern ist mit Wahlsiegen der, vom faschistischen Teil geführten, Landesverbände zu rechnen. Zudem ist zu erwarten, dass genau dieser offen faschistische Teil um Björn Höcke in Essen weiter an der Ausweitung seines innerparteilichen Einflusses arbeiten wird.
Auf den Punkt gebracht: Das Treffen in Essen hat für die AfD eine nicht zu unterschätzende Bedeutung.

Seit einigen Wochen mobilisiert die Kampagne „Widersetzen“ bundesweit zu Protesten gegen das Treffen der Rechten in Essen. Mittlerweile hat diese Mobilisierung an Fahrt aufgenommen und es scheint so, als könnten die Proteste in Essen zu einer der größeren Anti-Rechts-Mobilisierungen in diesem Jahr werden.
Die Dynamik, die aktuell rund um den Parteitag entsteht, ist in Zeiten der bundesweiten Rechtsentwicklung ein Hoffnungsschimmer. Bei genauerem Hinschauen entpuppt sich jedoch die Widersetzen-Kampagne als mindestens kritikwürdig, wenn nicht sogar schwierig. Der Grund ist nicht, dass nach Essen mobilisiert wird. Es sind die politischen und praktischen Koordinaten, in denen sich die Widersetzen-Kampagne und damit mindestens ein gewichtiger Teil der gesamten Essen-Mobilisierung bewegt.

 

<strong>Aktionskritik</strong>

Zu aller erst das Positive: Den längst notwendigen Schritt von symbolischen Aktionen hin zu konkreterem Widerstand gegen die AfD vollzieht die Widersetzen-Kampagne. In Aufruf und Werbetexten ist die Rede davon, sich dem „Parteitag der AfD massenhaft zu widersetzen“, es ist vom „Verhindern“ die Rede. Dabei wolle man auch „mit Mitteln des zivilen Ungehorsams“ arbeiten. Klingt im ersten Moment gut, aber bei genauerem Betrachten fällt auf: Wie das geschehen soll, ist nicht näher gefasst. Denn vom Blockieren des Parteitags spricht im Aufruf niemand.

Es bleibt maximal verklausuliert, wenn die Verfasser:innen davon sprechen, sich „massenhaft der Raumnahme der AfD zu widersetzen“. Warum sich hier nicht offen zu dem augenscheinlich gefassten Plan bekannt wird, zu versuchen, den Ablauf des Parteitags mittels Massenblockaden oder Straßenbesetzungen wohl mindestens stark einzuschränken, bleibt das Geheimnis der Kampagne.

So oder so ist es ein Fehler. Zum einen, weil das politische Signal, endlich mal mehr zu tun als „mehr zu sein“, mit keinerlei konkreter Substanz gefüllt wird und damit die eigentliche Offensive zum lauen Lüftchen verkommt.
Und andererseits, weil es ein Schritt ist, der den Erfahrungen der antifaschistischen Bewegung zuwider läuft: Dort, wo das Verhindern von rechten Großveranstaltungen mittels Massenprotesten erfolgreich war, dort wurde zuvor bewusst offen dafür geworben.

Gute Beispiele dafür sind die Proteste gegen die Nazi-Großaufmärsche in Dresden 2010 und 2011 – auf die sich die Widersetzen-Kampagne selbstbewusst in einem nd-Interview bezieht. Damals konnte zwei Jahre in Folge Europas größter Naziaufmarsch durch Blockaden verhindert werden. Angestoßen auch aus der radikalen Linken, arbeiteten damals im Bündnis Dresden Nazifrei unterschiedliche gesellschaftliche Kräfte, darunter auch Gewerkschaften, auf Augenhöhe erfolgreich zusammen.
Dresden Nazifrei ist aber, anders als die Widersetzen-Kampagne, offen und selbstbewusst mit dem Plan umgegangen, die Veranstaltungen der Faschist:innen zu blockieren. Öffentliche Blockadetrainings inklusive. Deswegen hatten sie am Ende Erfolg . So schrieb das Bündnis Dresden Nazifrei in seiner Nachbereitung zum Erfolg 2010: „(…) Wichtig war die klare Ankündigung blockieren zu wollen – und dieses auch ernsthaft, entschlossen und in aller Konsequenz vorzubereiten. (…)“(siehe Auswertungsvortrag von Dresden Nazifrei: https://archiv.dresden-nazifrei.com/images/stories/material/dresden-nazifrei-prsentation.pdf)

In der Bezugnahme im nd durch die Widersetzen-Kampagne wird aber noch ein zweiter wichtiger Aspekt augenscheinlich bewusst außen vor gelassen. So äußert sich eine Vertreterin der Kampagne gegenüber dem nd wie folgt: „(…) Wir knüpfen bewusst an die Mobilisierungen von Dresden Nazifrei an. Da gab es über Jahre große Naziaufmärsche, die erst verhindert werden konnten, als das Bündnis immer breiter wurde und da sogar Wolfgang Thierse in der Blockade saß. Die Polizei hat damals eingesehen, hier sitzt ein breiter Ausschnitt der Bevölkerung auf der Straße, und hat nicht geräumt. (…)“. Das ist aber nur die halbe Wahrheit.
Es ist zwar richtig, dass die Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteuer:innen ein gewichtiger Faktor für den Dresdener Erfolg war, aber es war eben nicht nur die Zusammenarbeit, sondern auch das Zusammenspiel (!) unterschiedlicher Aktionsformen, das zum Erfolg geführt hat. Wolfgang Thierse hatte daran übrigens einen völlig zu vernachlässigenden Anteil.

Deshalb wollen wir die „Dresdener Choreografie“ etwas genauer betrachten: Ohne Frage gab es massenhaften zivilen Ungehorsam durch Sitzblockaden rund um den Startort der Nazidemo, aber es gab eben auch massenhaft militante Auseinandersetzungen und Barrikaden auf möglichen Marschrouten. Auf dem Weg zu den Blockaden haben zudem nicht wenige Finger Polizeiketten durchbrochen. (Ein persönlicher Nachbericht: https://de.indymedia.org/2010/02/273237.shtml)

Zusammen haben diese Aktionsformen eine Situation geschaffen, in der es der Polizei unmöglich war, die Lage so zu kontrollieren, dass der Nazi-Aufmarsch hätte durchgesetzt werden können. Und das trotz tausender Uniformierter, schwerem Gerät und harter Repression. Hinzu kam der offensive antifaschistische Selbstschutz, der einerseits den zivilen Ungehorsam abgesichert hat und andererseits größere Nazigruppen selbstbewusst in die Schranken gewiesen hat. <cite>(Dazu Dresden Nazifrei: „ (…) Ein erhebliches Gefahrenpotential entstand durch die tausenden von der Polizei unbegleiteten Nazis. Dass es nicht zu mehr Überfällen auf Linke, MigrantInnen, Blockierende und AnwohnerInnen in der Neustadt und dem Hechtviertels kam, war dem Schutz der Blockaden durch zahlreiche Antifagruppen im Umfeld zu verdanken. Ohne diese Unterstützung wären die Blockaden einer Gefahr durch Naziangriffe ausgesetzt gewesen. (…)“)</cite>

Allen Beteiligten war dieses Ineinandergreifen bewusst, alle waren bereit sich – trotz unterschiedlichster Ansätze – genau darauf einzulassen.<cite>(Dazu Dresden Nazifrei: „ (…) Dies bedeutete konkret, sich für die Planungen der Proteste 2010 einige Schritte aufeinander zuzubewegen. Teile des zivilgesellschaftlich-bürgerlichen Spektrums brachten den Mut auf, aus dem Raum des Symbolischen herauszutreten und die Bereitschaft einen kollektiven Regelübertritt zu begehen. Das Antifa-Spektrum ließ sich auf eine gemeinsame Aktion ein, deren Charakter transparent gemacht wurde. (…)“</cite> Nicht ohne Grund rief Dresden Nazifrei auch mit dem Satz „Wir sind solidarisch mit allen, die mit uns das Ziel teilen, den Naziaufmarsch zu verhindern.” auf nach Dresden zu kommen und schrieb hinterher dazu: „Damit haben wir einen kalkulierbaren, kollektiven Regelverstoß für viele Menschen ermöglicht und uns zugleich bewusst einer Spaltung in „gute” und „böse” AntifaschistInnen verweigert.“. Nicht ohne Grund wurde das Bündnis im Nachhinein genau wegen dieses Schulterschlusses mit massiver Repression überzogen.

Die Widersetzen-Kampagne lässt diesen Erfahrungswert nicht nur außer Acht, sie konterkariert ihn durch die Beschreibung der gewünschten Protestchoreografie in ihrem Aufruf. Da wird der Wunsch nach „“bunten“ zivilen Ungehorsam“ geäußert und dazu aufgerufen „Musikinstrumente und geeignete Spiele“ mitzubringen. Jede:r, der/die sich schon mal an der Blockade einer AfD-Veranstaltung beteiligt hat, weiß, dass Brettspiele o. Ä. völlig deplatziert sind, wenn man ernsthaft den Plan verfolgen möchte, den Parteitag zu verhindern. Das ist vielen Menschen, die in Essen auf die Straße gehen werden, völlig klar. Es bleibt abzuwarten, wie die Widersetzen-Kampagne auf dynamischere Proteste reagiert. Momentan wirkt es so, als sei hier wenig Solidarität zu erwarten.

Denn: völlig ohne Grund distanzieren sich die Urheber:innen zudem von „Gewalt“ und bedienen sich damit genau dem Instrument bürgerlicher Politik, das antifaschistische Proteste in gut und böse spaltet und ihnen dadurch Handlungsoptionen und Wirkmacht nimmt.

Sich mit einem solchen Aufruf selbst in die Tradition der Dresden-Proteste zu stellen ist ein Hohn gegenüber all jenen, die zwei Jahre in Folge in Schnee und Kälte den Wasserwerfern, Polizeihundertschaften und Nazis mit Blockaden getrotzt haben.

Gleichzeitig ist es im Kampf gegen Rechts ein großer qualitativer Schritt zurück sowie ein konzeptioneller strategischer Fehler. Und das in einer Situation, welche wesentlich dramatischer ist als zu Beginn der 2010er Jahre. Damals war Björn Höcke Teilnehmer einer gesellschaftlich geächteten Veranstaltung am Bahnhof Neustadt in Dresden, heute ist er heimlicher Chef einer z. T. offenen faschistischen Partei, welche sich anschickt im Herbst drei Landtagswahlen zu gewinnen. Wer also, wie die Widersetzen-Kampagne, in Anbetracht zunehmender Stärke und Verankerung faschistischer Kräfte sich im Vorfeld selbst die Flügel stutzt und den Widerstand spaltet, der hat aus der Geschichte nichts gelernt.

<strong>Inhaltskritik</strong>

Auch was die politische Analyse angeht, fällt die Widersetzen-Kampagne leider hinter bereits Erreichtes zurück. Vielleicht zieht sie auch deshalb die falschen praktischen Schlüsse. Die AfD wird in Aufruf und Interview ausschließlich für ihren Rassismus und ihren Hass bzw. für die Planung eines „antidemokratische Umsturzes“ kritisiert. Eine moralische Kritik, die ohne Probleme auch aus dem Bundeskanzleramt kommen könnte.

Wer richtigerweise von der Gefahr der „Ausbreitung des Faschismus“ schreibt, hat eigentlich auch die Verantwortung, nicht auf der moralischen Ebene der AfD-Kritik stehenzubleiben. Sicherlich ist der rassistische Hass (und in seiner Konsequenz die Deportationsdebatten in und außerhalb der AfD) ein gewichtiger Wesenszug einer faschistischen Partei und ein drängendes Problem – er ist aber bei weitem nicht der einzige. Es ist deswegen notwendig und möglich, die Kritik an der AfD zu erweitern. Auch und gerade, weil das aktuelle Erstarken rechter und faschistischer Kräfte materielle Gründe hat. Nicht wenige wählen die AfD nicht wegen, sondern trotz ihres Rassismus’. Die Rechten kanalisieren geschickt die Wut über und die Angst vor sich verschlechternden Lebensumständen und inszenieren sich als Fundamentalopposition. Und das, obwohl ihre Politik letztlich eine Verschärfung genau dieser Umstände zu Ungunsten der Mehrheit bedeuten würde.

Antifaschistischer Politik muss es also darum gehen, die gesellschaftlichen Umstände, die den Aufstieg der AfD begünstigen, zu verstehen und in Reaktion darauf um die entscheidenden Fragen keinen Bogen zu machen. Die soziale Frage, die tiefgreifende kapitalistische Krise, die Verantwortung der bürgerlichen Parteien für die desolate Lage, aus der die AfD schöpft … das alles spielt in der Widersetzen-Kampagne jedoch keine Rolle.
Der Aufstieg der AfD wird nicht kontextualisiert, sondern isoliert betrachtet, die Partei auf ihren Rassismus reduziert. An die Ursache der Probleme kommt man so nicht und ein Ansatz dafür, wie der Aufstieg der AfD gestoppt werden könnte, kann auf diese Weise nicht entwickelt werden. Entsprechend mau fällt auch die eigene Perspektive aus. Notwendig seien „Räume der Demokratie, der Vielfalt und der Menschlichkeit“. Das ist, gelinde gesagt, viel zu wenig.
Dieser inhaltliche Rückschritt ist insofern umso erstaunlicher, als dass die Kritik am unsozialen Charakter der AfD und deren Spiel mit den Ängsten der Menschen keine linksradikales Alleinstellungsmerkmal ist, sondern sich zurecht in nahezu jeder gewerkschaftlichen Publikation und Studie wiederfindet.

Gleiches gilt für die generelle Rechtsentwicklung. Auch sie spielt in der Widersetzen-Kampagne keine Rolle. Sie verliert kein Wort zur Rechtsentwicklung aller anderen bürgerlichen Parteien. Kein Wort zur Umsetzung von AfD-Forderungen oder die Übernahme von rechten Narrativen und Diskursen durch die Ampel bzw. die CDU/CSU. Kein Wort zur rigorosen Abschottungs- und Abschiebeschiebepolitik der Bundesregierung, kein Wort zur Verschärfung der Versammlungsrechte auf Länderebene, kein Wort zur massiven Aufrüstung bei gleichzeitigen krassen Kürzungen im Sozial- und Gesundheitswesen usw. Weder im Aufruf noch im nd-Interview. Ganz im Gegenteil. Da wird die bundesdeutsche Realität doch etwas verklärt, wenn davon gesprochen wird „in Essen die Gesellschaft der vielen und ihre feministischen, antirassistischen und klimagerechten Errungenschaften“ zu verteidigen.

Warum inhaltlich diese offensichtlichen Lücken gelassen werden, darüber kann von außen nur spekuliert werden. Natürlich drängt sich die Interpretation auf, dass mit dem Weglassen mögliche Bündnispartner:innen nicht verprellt werden sollen (weil bspw. die Politik ihrer Bundespartei kritisiert wird). Durch das Aussparen wesentlicher Fragen ist ein Text entstanden, mit dem erst einmal fast alle mitgehen können – einzelne CDU-Gliederungen und FAZ-Leser:innen mal ausgenommen. Verstärkt wird dieser Eindruck durch das Formulieren der zu mobilisierenden Zielgruppe: Die „Zivilgesellschaft“ soll es richten.

Sollte das der Beweggrund für das Entstehen der „Resolution“ sein, so ist er Ausdruck einer falschen strategischen Orientierung im antifaschistischen Kampf. Natürlich ist es richtig, mit Kampagnen an gesellschaftliche Stimmungen anzuknüpfen und mögliche Potenziale zu nutzen – in diesem Fall beispielsweise die sogenannte Correctiv-Welle. Und natürlich ist klar, dass bei breiteren Mobilisierungen grundsätzlich Abstriche gemacht werden müssen.
Aber: Gerade bei größeren Mobilisierungen mit Strahlkraft muss es – in Anbetracht der Rechtsentwicklung und den Potenzialen der Gegenbewegung – momentan darum gehen, Koordinaten ins Progressive, nach links zu verschieben. Auch und gerade im Bündniskontext. Nicht Breite um jeden Preis ist das Gebot der Stunde, sondern Klarheit in Kritik und Orientierung im Kampf gegen Rechts. Wann, wenn nicht jetzt fällt das auf fruchtbaren Boden?

Es ist absolut richtig, in der aktuellen Situation zu versuchen, die Sensibilität innerhalb der Bevölkerung dafür zu nutzen, den Widerstand gegen Rechts auf viel mehr Schultern als bisher zu verteilen. Gelingen wird das aber nicht dadurch, den Menschen einfach Antworten auf eigentlich komplexe Fragen vorzusetzen oder das wiederzukäuen, was sie bereits wissen.
Was ist damit gemeint? Die allermeisten der Mobilisierungen rund um die sogenannte Correctiv-Welle waren ein one-hit-wonder. Wenn der kleinste gemeinsame Nenner „Alle zusammen gegen die AfD“ heißt und die einzige Antwort auf die stärker werdende faschistische Bewegung ein diffuser Vielfaltbegriff ist, dann ist ein Scheitern in den aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen vorprogrammiert. Entsprechend bliebt es an den allermeisten Stellen beim einmaligen Flagge-zeigen, nachhaltige Strukturen und Bündnisse, die der AfD lokal politisch und praktisch etwas entgegensetzen, sind genau deswegen daraus nicht erwachsen.

Auch die Widersetzen-Kampagne scheint den gleichen Fehler zu machen. Die Komplexität der Rechtsentwicklung spielt keine Rolle, die Kritik an der AfD bleibt oberflächlich, progressive gesellschaftliche Perspektiven spielen keine Rolle. Nicht falsch verstehen. Es ist völlig klar, dass seitenlange Aufrufe oder Flugblätter mit Bleiwüsten nicht das Ziel dynamischer Anti-Rechts-Politik sein können. Aber Aufrufe sind eben ein Rahmen, eine gemeinsame Verabredung unterschiedlicher politischer Kräfte. Und Kampagnen bauen diesem inhaltlichen Rahmen auf.

Dass es anders geht, das zeigt z. B. der Aufruf zur „Die rechte Welle brechen!“-Großdemonstration in Stuttgart Ende Februar 2024. Eine Kampagne, deren inhaltliches Fundament am Ende über 90 Organisationen unterzeichneten und an der, trotz explizit linker Ausrichtung und antikapitalistischen Inhalten, mehr als 10.000 Menschen teilnahmen. Auch in kleineren Städten sind entsprechende Ansätze durchaus anknüpfungsfähig. Erst vorletztes Wochenende demonstrierten, trotz Unwetterwarnung, über 1000 Menschen im baden-württembergischen Reutlingen. Auch hier war die Grundlage ein linker Aufruf, der von fast 50 Gruppen und Organisationen, darunter viele Gewerkschaftsgliederungen, getragen wurde.

Sicherlich ist der Weg nach vorne, hin zu einer linken Einheitsfront von unten, der steinigere von beiden, mit vorprogrammierten Widersprüchen und Herausforderungen. In unseren Augen ist es aber der richtige. Wann, wenn nicht jetzt, kann es gelingen, komplexere Sachverhalte, wie etwa den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus, oder aber die Notwendigkeit von antifaschistischem Selbstschutz diskutierbar und anschlussfähig zu machen? Die Angst, dabei andere mit tiefgreifenderen Analysen und Positionen zu verschrecken, ist schließlich nur dann begründet, wenn in der Zusammenarbeit die eigene Haltung zum unverrückbaren Maßstab gemacht wird.

<strong>Nicht alles, was glänzt, ist Gold.</strong>

Es kann gut sein, dass es der Widersetzen-Kampagne Ende Juni gelingt, den AfD-Bundesparteitag stark einzuschränken bzw. teilweise zu verhindern. Die objektiven Voraussetzungen dafür sind nicht schlecht: Bezuschusste Busse und eine Messehalle in verhältnismäßig urbanen Gebiet. Hinzu kommt, dass es momentan durchaus im Interesse der Regierenden ist, dass der reaktionären Partei ein Schuss vor den Bug gesetzt wird. Der soll aber einen vordefinierten Rahmen (inhaltlich und praktisch) bloß nicht überschreitet. Eine bunte Straßenblockade auf Basis moralischer Kritik und mit positivem Bezug zur Demokratie würde da gut in eine Vorstellung von „Widerstand“ passen, der am Ende bei rot-grün endet.

Sollte es also in Essen gelingen viele Menschen auf die Straße zu bringen und den Parteitag stärker einzuschränken, wäre das zwar vordergründig ein Erfolg, langfristig gesehen aber ein Pyrrhussieg. Erkauft durch politische und praktische Rückschritte. In der Konsequenz also ein Bärendienst an all jenen, die alltäglich versuchen die Grenzen des antifaschistischen Widerstands in Richtung tatsächlichen Kampfs zu verschieben und dabei bemüht sind, möglichst viele Menschen zu integrieren.

Noch bitterer macht es das Ganze dadurch, dass die Widersetzen-Kampagne augenscheinlich nicht nur von linken Kreisen innerhalb der Gewerkschaften und der Linkspartei forciert, sondern auch von den Resten der Interventionistischen Linken (IL) getragen wird. Also eben jener Kraft, die in Dresden maßgeblich mitverantwortlich war für den politischen und praktischen Erfolg.

<strong>Nachtrag</strong>

Die notwendige Kritik an der Widersetzen-Kampagne heißt nicht, dass es falsch wäre nach Essen zu fahren. Das Gegenteil ist der Fall. Dort wo in diesen Zeiten Bewegung im Kampf gegen Rechts ist, dort sollten antifaschistische Kräfte präsent sein und gemeinsam mit allen, die es ernst meinen, Widerstand gegen AfD und Co organisieren. Im Juni 2024 in Essen, aber auch im kommenden Herbst, wenn die AfD in drei Bundesländern aller Voraussicht nach die Landtagswahlen gewinnen wird.
Abseits des konkreten Tuns ist jedoch auch eine Auseinandersetzung darüber notwendig, welche strategische Orientierung den Kampf gegen Rechts aktuell wieder erfolgreich macht. Wir denken, der Widersetzen-Ansatz ist es nicht.


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