Wenn 100 Cops deine Party crashen … Stellungnahme zur Räumung der Großbeerenstraße 17a
Die Großbeerenstr. 17A in Kreuzberg wurde am 8. September 2018 besetzt und am 29. Mai 2019 geräumt. Wir wollen hier in einem kurzen Überblick die für einige vielleicht etwas kurios anmutenden Umstände der Räumung beschreiben. Wenn daraus für zukünftige Aktionen gelernt werden kann, wäre damit ein zusätzlicher Zweck erfüllt.
Um den Zeilenumfang der Darstellung einzugrenzen, werden wir uns hier auf die Beschreibung der Räumung am 29. Mai konzentrieren. Eine Zusammenfassung der Ereignisse in der Zeit vom 8. September 2018 bis zum 29. Mai 2019 folgt etwas später in einem weiteren Text.
Die Räumung der Großbeerenstraße 17A
Für den 29. Mai wurde in einer seit dem Tag der Besetzung vertraglich genutzten Wohnung ein Einzugsfest geplant und vorbereitet. Mit der Feier sollte der Wachschutz im Haus und die Eigentümerin den Hauses, die Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft mbH (ASW) damit konfrontiert werden, dass wir uns die seit dem 12. April 2019 aufgezwungene sog 5-Personen-Regelung für die Wohnung nicht weiter bieten lassen. Wir wollten also erreichen, dass wir wieder einen ungehinderten Zugang zur Wohnung haben.
Die sog. 5-Personen-Regelung besagte, dass sich nicht mehr als 5 Personen gleichzeitig in der Wohnung aufhalten. Die Regelung wurde am späten Abend des 12. April 2019 erreicht, nachdem der einen Tag zuvor im Haus postierte Wachschutz eine kalte Räumung versucht hatte und keine Personen mehr ins Haus lies, die in die besetzte Wohnung wollten. Unter Beisein des Niederlassungsleiters Berlin der ASW, eines Vorgesetzten der Wachschützer, einer Bundestagsabgeordneten, unseres Rechtsanwaltes und Vertreter*innen der Hausprojektgruppe wurde die Regelung dann als vorübergehend eingeführt. In den anschließenden Wochen haben wir uns so organisiert, dass stets Personen in der Wohnung waren, um einen erneuten Versuch einer kalten Räumung, sowie die Zerstörung bzw. Unbewohnbarmachung der Wohnung zu verhindern. Die ASW machte klar, dass sie die Einlasskontrolle nicht zurücknehmen wird, sowie einen Räumungstitel erwirken will.
Somit konnte die Wohnung ab dem 12. April nicht mehr als Treffpunkt von Initiativen und Gruppen genutzt werden. Anfang Mai wurde das Haus zudem eingerüstet. Wir entschlossen uns dazu die Wohnung perspektivisch als Wohnraum zu nutzen. Eine Person hat sich Mitte Mai in der Wohnung angemeldet, andere wollten dies zu einem späteren Zeitpunkt tun.
Schon wenige Minuten nach Beginn des Festes (die Gäst*innen waren mittlerweile alle in die Wohnung gelangt) kreuzten die ersten Streifenwagen auf. Kurz darauf fuhr die 13. Einsatzhundertschaft der Polizei auf und ca. 30 Minuten später traf der Niederlassungsleiter Berlin der ASW ein.
Eine Gruppe aus der Hundertschaft hat sofort nach ihrem Eintreffen die unterstützende Sitzblockade vor der Haustür damit konfrontiert, dass sie die Blockade auflösen werde, da geräumt werden sollte. Die Gruppe hat sich jedoch mit dem Argument, dass hier keine Besetzung stattfinde, erst einmal erfolgreich dagegen gewehrt.
Der erste Einsatzleiter und der Leiter der Niederlassung der ASW in Berlin waren jedoch entschlossen aufgrund des "Vertragsbruchs", sowie wegen Hausfriedensbruch umgehend räumen zu lassen. Die Anwesenheit der herbei gerufenen Unterstützer*innen konnte die Umsetzung der Räumung allerdings zunächst verzögern. Außerdem haben Unterstützer*innen versucht mit dem Einsatzleiter der Polizei und dem ASW-Vertreter zu diskutieren und eine Räumung abzuwenden.
Rund zwei Stunden nach Beginn der Polizeieinsatzes gelang es einen Anwalt zu erreichen und hinzuzuziehen: der darauf folgende Polizei-Einsatzleiter, der den bis dahin verantwortlichen ablöste, hörte sich die Argumentation und die Darstellung der Fakten durch den Anwalt zumindest an.
Die Polizei hatte sich zu diesem Zeitpunkt allerdings schon Zugang zum Treppenhaus verschafft und verschanzte sich vor der besetzten Wohnung. Der Einsatzleiter kündigte dann folgendes Vorgehen an: die Wohnung werde in jedem Fall gestürmt und die Personalien, der in der Wohnung Anwesenden aufgenommen. In der Folge würde der Wachschutz nur noch die polizeilich gemeldete Person und vier Freund*innen in die Wohnung lassen. Deren Personalien sollten dann zwecks Eilantrag auf Räumungstitel an die ASW weitergeben werden.
Vor diesem Hintergrund erschien den in der Wohnung befindlichen Personen ein weiteres Ausharren als aussichtslos. Sie gingen schließlich auf einen "Verhandlungsvorschlag" ein, wonach alle Personen die Wohnung ohne Angabe der Personalien verlassen können, der Wachschutz den Zugang kontrolliert und die Polizei abzieht. Im Nachgang verhinderte die Polizei noch eine spontane Demonstration und brach entgegen der Abmachung auch in die Wohnung ein.
Am nächsten Tag wurde das Wohnungsschloss ausgetauscht, die Wohnung zerstört und unbewohnbar gemacht und die Möbel und persönliche Sachen der Nutzer*innen an einem anderen Ort gebracht. Ein Versuch mit anwaltlicher Unterstützung nochmals in die Wohnung zu kommen, verhinderte der Wachschutz. Dieser bewacht bis heute das Haus und verhindert jeden Zugang zum Treppenhaus, ausgenommen sind dabei die verbliebenen regulären Mieter*innen.
Soweit zum Stand der Dinge am 16. Juni 2019.
Im Rückblick sehen wir einige Schwachpunkte, die wir stichwortartig anreißen wollen.
Naivität in Bezug auf die Gegenseite - Bei der Überlegung am 29. Mai den Einzug zu feiern sind wir davon ausgegangen, dass es aufgrund der rechtlichen Situation zu keiner polizeilichen Räumung kommt. Das die Einsatzhundertschaft so schnell aufkreuzte und die Situation so schnell eskalierte, damit hatten wir also nicht gerechnet und waren entsprechend nicht darauf vorbereitet. Das heißt auch, dass wir die Bewertung des Niederlassungsleiter der ASW in Berlin, der die Anwesenheit von mehr als fünf Personen in der Wohnung als Hausfriedensbruch klassifizierte, so nicht ahnen konnten. Unsere Einschätzung war es auch, dass wir das Signal der Geschäftsführung in Köln falsch interpretierten, die über die Vermittler*innen einen neuerlichen Konzeptvorschlag der Hausprojektgruppe anfragte (siehe oben). Die Räumung am 29. Mai lag in einer verabredeten Frist, bis wann sich die Geschäftsführung dazu äußern wollte. Das die ASW innerhalb dieser Frist räumen lässt, dies hatten wir nicht angenommen. Die ASW – höchstwahrscheinlich auch die Polizei - hat sich an diesem Abend über die juristischen Sachlage und der abgesprochenen Antwortfrist einfach hinweggesetzt, mit den Worten des Vertreters der ASW vor Ort: 'Das ist mir egal.' Angesichts der Erfahrungen, die seit Jahren mit Polizei und Wohnungsunternehmen gemacht werden, ist die Verdrängung der Tatsachen nicht so einfach erklärbar.
Von Anfang der Besetzung an hatten wir auf eine Dialogbereitschaft mit der Eigentümerin gesetzt, um mit dieser Strategie unsere Forderungen, und vor allem die politischen und offengelegten Widersprüche, die es um die Immobilie Großbeerensraße 17a gibt, in eine breitere Öffentlichkeit zu bringen. Zu dieser Strategie gibt es in den hiesigen real existierenden Machtverhältnissen eine Menge politischer Widersprüche und ob das auch ein Weg sein kann, auch wenn es nur ein strategischer Aspekt neben vielen anderen ist, muss offen diskutiert werden – dazu später mehr.
Das Erkennen der Auswirkungen bei Kapazitätsengpass - Nach knapp sieben Wochen Präsenz rund um die Uhr in der G17A gingen unsere Strukturen am Ende „auf dem Zahnfleisch“, die Aufrechterhaltung des Schichtplans blieb an nur wenigen Menschen hängen. Das erklärt mit die auffällige Ungeduld, eine Veränderung der Situation herbeizuführen. Die Hoffnung (oder Naivität), dass wir den Plan uns die Luft zum Durchatmen zu nehmen durchkreuzen könnten, wenn wir unsererseits eine neue Faktenlage schaffen, wurde so gewissermaßen zu einem Selbstläufer. Vereinzelt vorgetragene Einwände, die auf die mangelhafte Planung und die Gefahr einer Räumung hinwiesen, wurden denn auch nicht genug ernst genommen. Dies und andere Gründe führten dazu, dass die Verantwortung für bestimmte Aufgaben und Absprachen hin- und hergeschoben wurde (sich um Anwälte kümmern, Pressekontakt einrichten … generell hat es in der letzten Zeit an Organisationsstrukturen und Aktivist*innen gemangelt, die Verantwortung für bestimmte Aufgaben hätten übernehmen können.
Die Überforderung einzelner (die noch mit vielen anderen Dingen, zum auch Teil persönlicher oder familiärer Art zu tun hatten), sowie interne Kommunikationsschwierigkeiten taten ihr Übriges. Im Nachhinein ist es einfach zu sagen, dass die Aktion hätte noch gestoppt werden sollen – die Diskussion stand jedoch seit längerer Zeit auch unter einem gewissen Aktionsdruck.
Wenn nicht genug mobilisiert wird - Wir haben im Vorfeld keinen ausgeklügelten Plan zur Mobilisierung für den Fall einer Räumungsbedrohung gehabt. Im Nachhinein ist es uns selbst unverständlich, warum nicht auf einen Tag X hin mobilisiert wurde. An dieser Stelle ein dickes Danke an die vielen Menschen, die am 29. Mai aus verschiedenen Stadtteilen herbeieilend solidarisch vor die G17a gekommen sind. Mit noch größerer Unterstützung hätte der Abend vielleicht einen anderen Verlauf nehmen können.
Unvorhersehbaren Dynamiken begegnen - Auch haben wir zu wenig bedacht, dass sich Absprachen, die getroffen wurden, im Zuge des Geschehens und einer sich aufheizenden Situation verändern können/müssen. Wie kann es dann zu neuen gemeinsam getragenen Entscheidungen kommen? Die Erkenntnis könnte sein, dass schon in der Vorbereitung mehr Augenmerk auf die Organisierung von Entscheidung (Entscheidungsstrukturen) gelegt werden muss, damit es auch bei unvorhergesehenen Entwicklungen zu gemeinsam getragenen Absprachen und Vorgehensweisen kommt.
Kurzes Gesamtfazit: Eine 9-monatige Besetzung ohne heftige Repression trotz Berliner Linie, spricht für die ganze Besetzungsaktion. Die Verantwortung für das Scheitern eines Hausprojektes zum solidarischen, nachbarschaftlich-orientierten Wohnen mit dauerhaft bezahlbaren und leistbaren Mieten trägt die ASW. Die Gespräche, die es nach der Besetzung bis Ende Februar 2019 gegeben hat, wurden von dem katholischen Wohnungsunternehmen zu keiner Zeit „ergebnisoffen“ geführt, sondern dienten vor allem dazu Zeit zu gewinnen, um ihre Gewinninteressen gegenüber dem Bezirk durchzusetzen.
Die politische Verantwortung für die Räumung tragen Innensenator Geisel, welcher sich immer verzweifelter und brutaler an der Berliner Linie festzuhalten versucht und die ASW, die sich über die rechtliche Situation hinweggesetzt haben.
Wenn die parlamentarischen und politischen Vertreter*innen im Bezirk und Land dem Treiben der ASW nichts entgegenzusetzen haben (oder es nicht wollen?) - die Menschen im Kiez und im Stadtteil werden die ASW weiter beobachten und Widerstand gegen Verdrängung leisten. Wohnen ist ein Grundbedürfnis und Grundrecht – und Zwangsräumungen und Leerstand sind ein inakzeptabler Skandal. Besetzungen sind ein legitimes und wirksames Mittel dagegen und
ihre permanente Kriminalisierung eine direkte Unterstützung derjenigen, die einen wirtschaftlichen Gewinn aus der Not anderer ziehen.
Wir bedanken uns bei allen ganz herzlich für ihre Unterstützung in den letzten Monaten.
Wir werden in der einen oder anderen Art und Weise weiter mit dafür kämpfen das „Wir Alle Bleiben!“