Zur Entwicklung des Staatskapitalismus

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Artikelserie zum Staatskapitalismus, Teil 1:

Zur Entwicklung des Staatskapitalismus

Ist der Staatskapitalismus der Sozialismus ? Oder ist der Staatskapitalismus ein nötiger oder möglicher Zwischenritt zum Sozialismus ? Oder ist der Staatskapitalismus einfach nur Kapitalismus ? Diesen Fragen soll in der Artikelserie nachgegangen werden. Der hier vorliegende erste Teil wird sich mit der Entstehung des Staatskapitalismus und dessen Ursachen beschäftigen.

Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, beeinflußte die Geschichte Rußlands und der ganzen Welt wesentlich. Merkmale des von ihm geschaffenen „Sozialismus" war und ist die Diktatur einer zentralistisch von oben gelenkten Partei die vom Staat Besitz ergriffen hat und als Bürokratie über das Proletariat und die Arbeiterklasse herrscht. Diese herrschende Staats und Parteibürokratie ist die zwingende Folge der von Lenin durchgesetzten Wirtschaftspolitik, die mit der Privatisierung der Landwirtschaft und der „neuen ökonomischen Politik" (NÖP) begann. Diese Wirtschaftspolitik war eine Abkehr vom 1918 beschlossenen Sozialistischen Parteiprogramm der Bolschewiki, wie es im „ABC des Kommunismus" der Partei erläutert wird. Dieses gilt als klassische Darstellung des Marxismus und war Leitlinie der Bolschewiki zur Zeit des Bürgerkrieges, dem sogenannten Kriegskommunismus.

Doch wie kam es zu dieser 180 ° Wende in der Wirtschaftspolitik der Bolschewiki ? Ein Punkt ist das Bündnis Ulianows mit der deutschen Heeresleitung. Lenin befand sich vor der russischen Revolution in der Schweiz im Exil und hatte selbigen Feind wie die deutschen Militärdiktatoren im 1 Weltkrieg, die Generäle Hindenburg und Ludendorf, nämlich die Herrschende Klasse Rußlands. Dies führte zum Bündnis, Lenin bekam großzügige Unterstützung von den deutschen Generalen an Geld und Ausrüstung und wurde nach der Februarrevolution 1917 samt Gefolgschaft per Militärsonderzug nach Rußland gefahren. Die deutschen Generale erhofften sich durch einen Erfolg Ulianows den Zusammenbruch des Zarenreiches, einen Friedensvertrag und einen freien Rücken um Truppen von der Ostfront an die Westfront verlegen zu können. Die Rechnung der Generale ging auf und auch die von Ulianow. Dieser gewann mehr Einfluß in der Partei aber auch in ganz Rußland, weil mit dem Geld durch Einstellung von Sekretären ein zentralistischer und von oben gelenkter Parteiapparat voran getrieben wurde.

Die von Lenin versprochene Landreform, das verteilen und privatisieren des Acker und Weidelandes das in der Hand von Großgrundbesitzern war, stand nicht im Parteiprogramm der Bolschewiki und schuf einen riesigen privatkapitalistischen Sektor in Rußland, anstatt sozialistischer Produktion wie vorgesehen. Diesem großen kapitalistischen Sektor genügte das Privateigentum jedoch nicht. Die Bauern wollten mit ihren Produkten handeln, Profit erzielen oder es wurde nur für Eigenbedarf produziert und mit den Naturalien illegal gehandelt. Es kam wegen der Privatisierungen zu einer großen Krise in der Wirtschaft, die Versorgungslage der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln wurde dramatisch schlecht. Anstatt aber die Privatisierung rückgängig zu machen, wurde 1921 mit der „neuen ökonomischen Politik" (NÖP) der Rubel und das Geld wieder eingeführt, Handel und Profit mit Nahrungsmitteln legalisiert. Ökonomisch bedeutete dies kapitalistische Verhältnisse auf dem wichtigen Sektor der Ernährung, der Nahrungsmittelproduktion, Genussmittelproduktion und der Raumordnung, das heißt Privateigentümer hatten auf weiten Flächen zu bestimmen. Doch die landwirtschaftliche Produktion blieb auch durch die Entfesselung des kapitalistischen Marktes krisenhaft, wie es bei kapitalistischer Produktion nicht anders möglich ist. Diese bürgerliche Produktionsweise Bedarf eines Staates, einer Herrschenden Klasse oder eben einer Partei und Staatsbürokratie.

Doch wie argumentierte Ulianow (Lenin), wie begründete er seinen Kurs auf den Staatskapitalismus ? Ulianow ging davon aus, das 1917 in Rußland nicht der Sozialismus sondern der Kapitalismus auf der Tagesordnung stand. Sein Werk: „Der Imperialismus als höchstes und letztes Stadium des Kapitalismus" (1916 Zürich) reichte 100 Jahre weit in die Zukunft. Der Sozialismus war damit in Rußland in die Zukunft verschoben, wenn eben dieses höchste und letzte Stadium des Kapitalismus erreicht sein würde. Rußland produzierte 1916 sogar noch weitgehend feudalistisch. Diese Annahme leitete er aus dem historischen Materialismus von Marx und Engels falsch ab, indem er meinte das jedes Land diese kapitalistische Phase durchlaufen müßte, und nicht nur die wirtschaftlich fortgeschrittenen Länder. Ulianows Revolution war daher eine bürgerliche Revolution, eine die den Feudalismus abschaffte und dafür die kapitalistische Produktion einführte.

Diese bürgerliche Produktionsweise Bedarf eines Staates, einer Herrschenden Klasse oder eben Ersatzweise einer Partei und Staatsbürokratie, zu der die Bolschewiki zunehmend wurden. Die Industrie blieb in der Hand der Partei und des Staates und mußte erst aufgebaut werden. Auch auf diesem Sektor war keine sozialistische Produktion mehr möglich, wie sie die Leitsätze des Parteiprogrammes und des Marxismus vorsehen. Arbeiter und Bauernräte waren ökonomisch entmachtet und wurden von der immer mächtiger werdenden Staats und Parteibürokratie immer weiter ins Abseits gedrängt. Und die Armee, die Soldatenräte ? Im Bürgerkrieg hatte es den Kriegskommunismus gegeben. Räte und Rätetruppen agierten selbständig und.organisierten Produktion und Verteilung der Güter sowie die Verteidigung gegen kapitalistische Armeen. Dies war effizient gewesen, eine solide wirtschaftliche und politische Organisation, die den Kapitalisten überlegen gewesen war. So konnten die kapitalistischen Armeen zwar vorrücken doch erhob sich in ihrem Rücken dafür immer wieder die Rätemacht mit ihren Truppen. Die Rote Armee war zu ihrer Gründung 1918 eine Freiwilligenarmee ohne Dienstgrade gewesen, die auf den roten Garden und den Rätetruppen basierte. Lenin und Trotzki führten jedoch bald wieder Offiziersränge ein und etablierten eine Hierarchie, für die sie auch auf zaristische Generäle und Offiziere zurückgriffen. Die allgemeine Wehrpflicht wurde eingeführt, den Räten dadurch ihre Soldaten genommen.

So waren auch die Truppen, die bewaffneten Formationen, dem zentralistischen und bürokratischen Parteiapparat unterworfen worden, die Räte vollständig entmachtet. Am Ende des Bürgerkrieges wurden große Teile der Armee in Industriebrigaden oder Holzfällerbrigaden umgewandelt, immer noch hierarchisch gegliedert und unter Befehl der Führung. So verteidigte die Staats und Parteibürokratie ihre Macht ständig und baute sie immer mehr aus, links gegen Räte und Aufstände des Proletariates und rechts gegen aufkommende Kulaken, kapitalistische Händler und Produzenten die an Einfluß gewannen und die Macht der Staats und Parteibürokratie in Frage stellten. Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili (Stalin) war der logische Führer dieser Partei und Staatsbürokratie, er konnte ihre Interessen am besten durchsetzen.

Doch wie argumentierte Ulianow (Lenin), wie begründete er seinen Kurs auf den Staatskapitalismus ?

Ulianow ging davon aus, das 1917 in Rußland nicht der Sozialismus sondern der Kapitalismus auf der Tagesordnung stand. Sein Werk: „Der Imperialismus als höchstes und letztes Stadium des Kapitalismus" (1916 Zürich) reichte 100 Jahre weit in die Zukunft. Der Sozialismus war damit in Rußland in die Zukunft verschoben, wenn eben dieses höchste und letzte Stadium des Kapitalismus erreicht sein würde. Rußland produzierte damals sogar noch weitgehend feudalistisch. Diese Annahme leitete er aus dem historischen Materialismus von Marx und Engels falsch ab, indem er meinte das jedes Land diese kapitalistische Phase durchlaufen müßte und nicht nur die wirtschaftlich fortgeschrittenen Länder. In: „Werden die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten" (1917) wird deutlich, das es ihm einzig und allein um die Macht der Partei ging und nicht um das Proletariat, der Klasse die den Sozialismus verwirklichen könnte. In „Staat und Revolution" endkoppelte er den Nebenkriegsschauplatz „Staat" völlig vom Hauptschlachtfeld des Klassenkampfes, der materiellen Produktion und Verteilung der Güter. Seine reale Wirtschaftspolitik war jedoch eine kapitalistische und seine Staats und Parteibürokratie konnte nie Absterben, mußte sich so zur Herrschenden Kapitalistenklasse entwickeln.

Ulianows Revolution war daher eine bürgerliche Revolution, eine die den Feudalismus stürzte und eine kapitalistisch bürgerliche Entwicklung aus Rußland selbst heraus ermöglichte. Und Leopold Bronstein (Trotzki genannt) ? Eigentlich war der mit Ulianow lange in Gegnerschaft gewesen, eben weil er in seiner frühen Theorie von der Permanenten Revolution darauf hinwies, das es in Rußland keine nur bürgerliche Revolution geben könne, da das Proletariat gezwungen sei die Macht selbst zu ergreifen, weil das kapitalistische Bürgertum in rückständigen Ländern keine fortschrittliche Rolle als Herrschende Klasse mehr spielen könnte. 1917 trat er jedoch in die Bolschewistische Partei ein und wurde zur wichtigsten Stütze Ulianows in der Partei, half ihm seinen Staatskapitalistischen Kurs durchzusetzen, der auf heftigen Wiederstand in und außerhalb der Bolschewiki stieß. Nach Ulianows Abgang kritisierte Bronstein die Staats und Parteibürokratie, wurde daher von dieser ausgeschaltet.

Nach all diesen Überlegungen ist die eingangs gestellte Frage zu beantworten, der Staatskapitalismus ist gewöhnlicher Kapitalismus, kein Sozialismus und auch kein Weg zum Sozialismus. Doch selbst wenn man der damaligen Argumentation von Ulianow folgt, das es damals „zu früh" für den Sozialismus gewesen sei, kann das wohl kaum für heute gelten, der Sozialismus steht auf der Tagesordnung ! Staatskapitalisten agieren aber auch heute wie damals Ulianow, als wenn es auch heute „zu früh" für den Sozialismus sei, als wenn der Staatskapitalismus der Sozialismus wäre oder weigstens ein Weg in diese Richtung. Sozialismus beruht jedoch auf sozialistischer Wirtschaftsweise und darauf aufbauend sozialistischen Rätestrukturen und nötigenfalls rätesozialistischer Verteidigungskräfte. Wie eben im Programm der Bolschewiki, den Leitsätzen des Marxismus, dargelegt.

 

Gottenheim, 4.1.2015

Artikel von Siegfried Buttenmüller, Waltershofer Straße 20, 79288 Gottenheim (Nebenberuflich freier Autor und Publizist)

Mail. sigi79288@t-online.de T: 01708316502

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Verweise zum Artikel

http://marxists.org/deutsch/archiv//bucharin/1920/abc/index.htm

( Programm der Bolschewiki, Leitsätze des Marxismus)

http://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1918/russrev/

(Rosa Luxemburgs Kritik an der Politik der Bolschewiki)

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