[GÖ] BFE und “Cop Culture”

Event Datum: 
Sonntag, Januar 25, 2015 - 18:00
Stadt/Region: 
25.1.2015 | 18 Uhr | ZHG der Universität, Raum 007 Referent: Prof. Dr. Rafael Behr, Akademie der Polizei Hamburg Moderation: Christoph Lohnherr, Journalist Ankündigung als PDF. Die Veranstaltung findet in Kooperation mit amnesty international Göttingen statt und wird unterstützt von der Grünen Hochschulgruppe Göttingen. „Gerade im Hinblick auf das Konfliktpotenzial durch gewaltbereite Störer bei Demonstrationen ist die Einführung einer zusätzlichen BFE ein klares Signal für eine konsequente Sicherheitspolitik." - Uwe Schünemann (CDU), damaliger Innenminister Niedersachsens, auf der Einführungsveranstaltung der Göttinger Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) am 29.11.2012.

Zwei Jahre nach ihrer Stationierung in Göttingen hat der Konflikt um die umstrittene Polizeieinheit seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Bei dem Versuch, die Abschiebung des aus Somalia über Italien nach Deutschland geflüchteten Abidwaali S. durchzusetzen, verletzte die Göttinger BFE im April 2014 mehr als ein Dutzend Abschiebungsgegner*innen durch Schmerzgriffe, Faustschläge und Pfefferspray. 50 Gruppierungen und zahlreiche Einzelpersonen fordern aktuell in einem offenen Brief an die rot-grüne Landesregierung die sofortige Abschaffung der Göttinger BFE. Kritisiert werden insbesondere überzogene Gewaltanwendung und der "Korpsgeist" der BFE, der eine Verfolgung von Polizeigewalt angesichts fehlender Kennzeichnungspflicht unmöglich macht.

Doch was ist dran an den schwerwiegenden Vorwürfen? Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) stellte sich hinter die Göttinger BFE und erklärte, diese sei nicht die "Prügeleinheit", zu der sie immer wieder erklärt werde.

Der Referent, Prof. Dr. Rafael Behr, ist Dekan des Fachhochschulbereichs der Akademie der Polizei Hamburg. Er leitet dort die Forschungsstelle Kultur und Sicherheit (FoKuS). Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in den Bereichen Organisationskultur und Empirische Polizeiforschung. Seine Arbeit trägt maßgeblich zur Erforschung der Polizeikultur ("Cop Culture") bei, das heißt der Herausbildung eines informellen Wertesystems aus Männlichkeitsritualen und gruppenprozessualen Phänomenen wie Korpsgeist innerhalb der Polizei. Rafael Behr war vor seiner akademischen Laufbahn selbst 15 Jahre Polizist. Seine Dissertation verfasste er auf Grundlage von Tiefengesprächen mit einer Frankfurter BF-Einheit. Neben seiner Tätigkeit an der Hamburger Polizeiakademie setzt er sich unter anderem für die Einführung einer allgemeinen Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt*innen ein.

In der Podiumsveranstaltung wird die innerhalb der Polizei und speziell in BFEn herrschende Cop Culture, auch im Hinblick auf die Auswirkungen von Anonymität, beleuchtet. Abstrahiert von der Situation in Göttingen wird diskutiert, inwiefern das hinter dem Agieren und der Grundkonzeption von BF-Einheiten stehende Verständnis von Polizeiarbeit im Kontext des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit problematisch für einen demokratischen Rechtsstaat ist.

Die Veranstaltung findet in Kooperation mit amnesty international (ai) statt. ai ist eine weltweit agierende unabhängige Menschenrechtsorganisation und fordert in Deutschland insbesondere die Einrichtung unabhängiger Ermittlungsstellen für Fälle von Polizeigewalt und die Einführung einer allgemeinen Kennzeichnungspflicht.

Moderiert wird die Veranstaltung von Christoph Lohnherr. Der Journalist ist Redakteur beim Stadtradio Göttingen.

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Hintergrundinfos:

Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten sind spezialisierte Einheiten der Bundespolizei und der Bereitschaftspolizeien der Länder. Sie bestehen aus circa 40 Beamt*innen, der Frauenanteil liegt durchschnittlich unter 5 Prozent. Haupteinsatzgebiete sind Demonstrationen und andere Großveranstaltungen, bei denen sie mutmaßliche Straftäter*innen aus größeren Menschenmengen festnehmen sollen. Sie agieren oft in rechtlichen Grauzonen, insbesondere durch ihren Einsatz von sogenannten "Zivilen Tatbeobachtern". In fast allen Bundesländern gibt es mindestens eine BFE (Niedersachsen: 5) oder vergleichbare Einheiten.

BFEn geraten seit langem bundesweit immer wieder in den Fokus der Kritik. Bei den umstrittenen Polizeieinsätzen anlässlich gesellschaftlicher Großkonflikte wie Castor-Transporten, Stuttgart 21 und den Protesten gegen die Naziaufmärsche in Dresden spielten sie eine maßgebliche Rolle. Immer wieder werden zahlreiche Verfahren wegen Körperverletzung ohne Ergebnis eingestellt, da die BFE-Beamt*innen nicht identifiziert werden konnten.

Ende 2014 wurde ein saarländischer BFE-Beamter wegen Körperverletzung im Amt und Strafverfolgung Unschuldiger zu 18 Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt.

In Göttingen gerieten insbesondere zwei BFE-Einsätze massiv in die öffentliche Kritik und führten zu Diskussionen im Landtag: Die gescheiterte Durchsetzung einer Abschiebung im April 2014 und Anfang 2012, als Beamt*innen der BFEn Hannover und Göttingen innerhalb und vor dem ZHG der Universität zahlreiche Demonstrant*innen verletzten, die friedlich gegen eine Veranstaltung mit Innenminister Schünemann protestiert hatten. Acht Anzeigen wegen Körperverletzung wurden auf Grund der (angeblichen) Nichtermittelbarkeit der BFE-Beamt*innen eingestellt

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