„Die widerliche Vereinigung!“ - Vorabenddemo
„Die widerliche Vereinigung!“
Dieses Jahr am 3. Oktober finden die bundesweiten Feierlichkeiten zum
„Tag der deutschen Einheit“ in Hamburg statt. Mit zahlreichen
Staatsgästen, Popkonzerten und Info-Ständen zu „Institutionen der
Demokratie“ soll zwei Tage lang rund um die Alster die deutsche
Vereinigung gefeiert und Hamburg als „internationale Metropole des
Fortschritts“ präsentiert werden. Doch die Realität sieht weniger rosig
aus! Deshalb werden wir im September und Oktober mit Lesungen,
Podiumsdiskussionen und Konzert die Erzählung des bunten weltoffenen
Deutschlands stören – und gemeinsam diskutieren, wie wir gegen den
aktuellen Rechtsruck aktiv werden können. Denn während sich die
Bundesrepublik als bunt, weltoffen und fortschrittlich feiert,
demontiert sie aktuell das sowieso bereits stark eingeschränkte
Asylrecht mit der EU, deren militärisch abgeschirmten Außengrenzen jedes
Jahr zur tödlichen Falle für tausende Menschen werden. Im Programm der
Feierlichkeiten werden Kunstausstellungen zu „Abfallrecycling“
angekündigt und „Innovationen für Klimaschutz“ gepriesen – während
Klima-Proteste im medialen Diskurs als "Klima-Terror" difammaiert werden
und Deutschland mehr CO2 ausstößt als jemals zuvor. Egal, wie dreist
Unternehmen ihre Produkte mit „Nachhaltigkeit“ bewerben – „grüner
Kapitalismus“ bleibt ein Widerspruch in sich. Und Deutschland, das „Land
der Chancen“ und gesellschaftlichen Teilhabe, wie es in der Ankündigung
der Staatsfeierlichkeiten beschworen wird? Die Armutsquote ist hoch wie
nie, während ein Prozent der Bevölkerung vier Fünftel des Vermögens
hält.
Der Titel der Veranstaltungsreihe „Die widerliche Vereinigung“ nimmt
Bezug auf einen Slogan, mit dem in Hamburg bereits 1990 gegen die
deutsche Einheit als Dammbruch rechter Gewalt protestiert wurde. Denn
ein buntes Fest war die deutsche Einheit abseits der Jubelparaden in
erster Linie für das Kapital, das mit der Treuhand im Osten ein
Laboratorium des Neoliberalismus installierte und statt blühender
Landschaften verbrannte Erde hinterließ. Für rassistische und rechte
Gewalt war die Einheit ein Brandbeschleuniger – weit über 200 Menschen
sind ihr seit 1990 zum Opfer gefallen. Erschlagen, erschossen, verbrannt
durch Neo-Nazis und ganz normale Deutsche, die sich stets sicher waren,
im Namen einer Mehrheit zu handeln, die im nationalen Einheitstaumel
alles andere als schweigend war. „Ansturm der Armen – Flüchtlinge,
Aussiedler, Asylanten“ titelte Anfang der Neunziger der „Spiegel“,
während die Unterkünfte von Geflüchteten brannten und der Bundestag das
Asylrecht – eine der zentralen Lehren aus dem Nationalsozialismus – mit
seinem „Asylkompromiss“ de facto abschaffte.
„Deutschland ist wieder wer, auch weil es sich so mustergültig an den
Holocaust erinnert“: So formuliert es der Autor Max Czollek , der im
Rahmen der Veranstaltungsreihe aus seinem aktuellen Buch
„Versöhnungstheater“ lesen wird. Daran, wie die deutsche Einheit auch in
Hamburg dazu beitrug, dass Nazibanden die Straßen eroberten, werden wir
in einer Veranstaltung mit langjährigen Antifa-Aktivisten Felix Krebs
und Florian Schubert erinnern. Wie sah die damalige Realität des rechten
Straßenterrors aus? Welche Gegenorganisierung gab es – und was lässt
sich dafür für heute lernen? Mit der Schriftstellerin Grit Lemke
(„Kinder von Hoy“), die in der linken DDR-Opposition aktiv war, sprechen
wir darüber, wie Hoyerswerda vor dem Mauerfall als Avantgarde-Stadt des
Sozialismus galt. Und wie nach 1990 der politische, ökonomische und
soziale Zusammenbruch folgte – und 1993 das berüchtigte Pogrom von
Hoyerswerda, dem sich Jahre massiver Gewalt gegen Migrant*innen und
Linke anschlossen. Dass rechte Gewalt in vielen Regionen in
Ostdeutschland (und nicht nur dort) bis heute zum Straßenbild gehört,
wird Jakob Springfeld bei einer Lesung aus seinem Buch „Unter Nazis“
darstellen. Er berichtet aus seinem Alltag als Klima-Aktivist in der
sächsischen Provinz und wird mit uns darüber diskutieren, wie wir
soziale Bewegungen besser miteinander vernetzen und warum Antifaschismus
und Kämpfe für Klimagerechtigkeit zusammengehören.
Nicht zufällig geht der aktuelle Rechtsruck einher mit einem
antifeministischen Backlash. Die sexuelle Selbstbestimmung wird nicht
nur durch die AfD infrage gestellt, sexualisierte Gewalt gerechtfertigt,
Trans-Rechte verweigert Pride-Demos angegriffen. In einer Veranstaltung
beschäftigen wir uns daher mit Fantifa in Ostdeutschland: Wie
organisiert man sich feministisch gegen Nazis und die Zumutungen des
Bestehenden? Ihren Abschluss findet die Veranstaltung mit einer Lesung
von Lydia Lierke und Massimo Perinelli aus dem Buch „Erinnern stören“.
Wie wurde der Mauerfall zu einer gewaltvollen Zäsur für migrantisches
und jüdisches Leben in Ost und West? Gerahmt wird die
Veranstaltungsreihe durch ein großes "Viva la Antifa"-Open Air-Konzerte
mit Danger Dan im Schanzenviertel vor der Roten Flora, bei dem mit
vielen tausend Menschen deutlich machen: „Faschisten hören niemals auf,
Faschisten zu sein/Man diskutiert mit ihnen nicht, hat die Geschichte
gezeigt“.