OLG rügt Verweigerung eines ADHS-Medikaments

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Immer mal wieder habe ich über Shortys Kampf um Cannabis berichtet; jetzt hat er vor dem Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe einen gerichtlichen Erfolg gegen die Justizvollzugsanstalt Freiburg errungen, die ihm nämlich kurz und bündig im August 2018 sein Medikament gegen sein ADHS entzogen hatte.

 

 

Die Vorgeschichte

 

Shorty ist 41 Jahre und seit 2014 sitzt er in der Justizvollzugsanstalt Freiburg in Sicherungsverwahrung. Da bei ihm ADHS diagnostiziert wurde, bekam er Medikinet verordnet. Am 11.8.2018 kam es zu einem, wie es die JVA nennt, „Täuschungsversuch“.

 

Täglich zwei Mal wurde Shorty in das Krankenrevier vorgeführt, um dort in Anwesenheit eines Sanitäters das Medikament einzunehmen; schon lange hatte er von fehlendem Hungergefühl berichtet und erheblich abgenommen. Offenbar eine Nebenwirkung des Medikaments (weshalb Shorty in anderen Verfahren seit Jahren um die Versorgung mit medizinischem Cannabis kämpft und schon drei Mal vor Gericht gegen die JVA Freiburg, die sich seinem Wunsch konsequent verweigert, obsiegte). Diesmal behielt er die Tablette in der Hand anstatt sie zu schlucken. Der zur Bewachung eingesetzte Stationsbeamte L. wies den anwesenden Beamten des vollzugseigenen Sanitätsdienstes H. darauf hin, dass Shorty augenscheinlich die Tablette nicht geschluckt habe. Was sich dann als zutreffend erwies.

 

Der Hinweis von Shorty, er habe die Tablette später schlucken wollen, weil er endlich mal essen wolle und das könne er nicht, wenn er die Tablette jetzt schlucken müsse, er hätte sie selbstverständlich später eingenommen, interessierte die JVA nicht.

 

 

Der Entzug des Medikaments und die erste gerichtliche Klage

 

Am 15.8.2018 teilte die Anstalt Shorty mit, ihm werde die Versorgung mit dem Medikament auf Grund dieses „Täuschungsversuchs“ entzogen. Hiergegen klagte er dann vor dem Landgericht Freiburg.

 

Dieses entschied nach Anhörung der Anstalt, dass alles rechtmäßig verlaufen sei, denn die regelmäßige Verabreichung eines Medikaments sei eine ärztliche Entscheidung, die nur in engen Grenzen gerichtlich überprüfbar sei. Durch den „Täuschungsversuch“, den Shorty eingeräumt hatte, habe er sich als „nicht verlässlich erwiesen“ (Beschluss 4.12.2018, Az.: 13 StVK 343/18).

 

 

Das Oberlandesgericht rügte Landgericht und Vollzugsanstalt

 

Gegen den Beschluss des Landgerichts zog Shorty mit der Rechtsbeschwerde (§ 116 StrVollzG) vor das Oberlandesgericht Karlsruhe. In einem wegweisenden Beschluss vom 25.2.2019 (Az.: 2 Ws 25/19) zerpflücken auf sieben Seiten der Vorsitzende und die beiden Beisitzerinnen des 2. Strafsenats die Entscheidung der JVA Freiburg und des Landgerichts Freiburg.

Der Senat bemängelt schon die Darstellung der Entscheidungsgründe des Landgerichts, d.h. einfachste handwerkliche Fehler werden dem Landgericht vorgehalten. Aber auch inhaltlich beanstandet der Senat die Entscheidungen. Zwar träfe es zu, dass Sicherungsverwahrte keine freie Arztwahl hätten, aber hieraus folge eine besondere Pflicht für die Gerichte, Maßnahmen in diesem Bereich sorgfältig zu prüfen. Auch wenn in erster Linie dem Anstaltsarzt die Beantwortung von Fragen der Wahl der richtigen Behandlungsmethode und des medizinisch Erforderlichen obliegen würden, sei es nicht nachvollziehbar, weshalb wegen eines „Täuschungsversuchs“ die medizinische Versorgung mit einem zuvor für notwendig erachteten Medikament eingestellt werde.

 

Der Senat verpflichtete die Anstalt, neu zu entscheiden. Für interessierte Leserinnen und Leser hier der Hinweis, dass auf der Internetseite des OLG Karlsruhe die Entscheidung in ein paar Wochen anonymisiert veröffentlicht werden wird.

 

 

Ausblick

 

Warum überhaupt ein „Täuschungsversuch“? Weil die Haftanstalt nur zu zwei von ihr zuvor genau festgelegten Zeitpunkten die Einnahme des Medikaments zugelassen hat. Es gibt hier morgens um 8 Uhr und mittags um 13 Uhr die sogenannte „Sani-Sprechstunde“ und dort muss man die verordneten Medikamente, die nicht im Haftraum aufbewahrt werden dürfen, einnehmen; es gibt keinerlei Flexibilität. Man muss sich das mal vor Augen führen, seit August 2018 wird Shorty die eigentlich für notwendig gehaltene medikamentöse Versorgung verweigert. Erst vor dem Oberlandesgericht, also nach einem sechs Monate dauernden Rechtsstreit erzielte er diesen Erfolg.

 

Wie hier mit Menschen umgegangen wird, die nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 4.5.2011, in NJW 2011, 1933 ff) ein – Zitat – „Sonderopfer“ für die Gesellschaft erbringen, weil ihnen nämlich aus rein präventiven Gründen die Freiheit entzogen wird, das ist schon frappierend. Weder aus der JVA Freiburg, noch aus den übrigen Haftanstalten, die die Sicherungsverwahrung vollstrecken, ist besseres zu berichten – und letztlich gilt das auch für Knäste an sich.

 

Der gefangene Mensch, sein Körper, ist dem Personal der jeweiligen Haftanstalt ausgeliefert: der Körper wird vermessen, eingesperrt, kontrolliert und diszipliniert. So erfreulich dann im Einzelfall auch ist, wenn ein Senat eines Gerichts der unteren Instanz und der Vollzugsanstalt attestieren, es nicht so genau genommen zu haben mit „Recht und Gesetz“, substantiell ändern wird das nichts. Wird der Anstaltsarzt Dr. S., der die medikamentöse Versorgung absetzte zur Rechenschaft gezogen werden? Muss der Jurist der Anstalt oder der Richter des Landgerichts, die die Entscheidung rechtfertigten, mit Konsequenzen rechnen? Nein, und nochmals nein.

 

Das ist der Vollzugsalltag 2019!

 

Thomas Meyer-Falk, z. Zt. Justizvollzugsanstalt (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

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