Urteil des Verfassungsgerichts über Gefangenenlöhne

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Am 20.06.2023 urteilte das Bundesverfassungsgericht über die Gefangenenlöhne im Strafvollzug und bewertet diese als verfassungswidrig, weil zu gering bemessen um Gefangenen den „Wert“ der zu leistenden Arbeit angemessen zu vermitteln.

 

 Das Verfahren

 

Die beiden vom BVerfG entschiedenen Verfahren gehen zurück auf Klagen eines Insassen aus Bayern, der dort eine lebenslange Haftstrafe verbüßt und eines mittlerweile in Sicherungsverwahrung befindlichen Gefangenen aus NRW. Schon 2016 (Bayern) und 2017 (NRW) wurden die Verfassungsbeschwerden erhoben, nachdem die beiden Gefangenen vor den jeweiligen Instanzgerichten unterlegen waren. Sie rügten in ihren Verfassungsbeschwerden, jene aus Bayern wurde von der Dortmunder Professorin Christine Graebsch begleitet, dass der jeweilige Stundenlohn von circa 1,50 Euro verfassungswidrig niedrig angesetzt sei.

Am 27. und 28. April 2022, also vor über einem Jahr, verhandelte das BVerfG mündlich, geladen waren diverse Sachverständige von Justizministerien, Fachverbände aus dem Sozialbereich, aber auch ein Vertreter der Gefangenengewerkschaft (GG/BO).

Während die Vertreter*innen der Justizverwaltungen die Gefangenenlöhne für angemessen hielten, wurde von den Sozialverbänden und anderen massive Kritik geäußert: Von den „Löhnen“ könne keine Schuldenregulierung erfolgen, Unterhaltszahlungen seien bei einem Monatsverdienst von 200 oder 300 Euro auch nicht leistbar. Für die Zeit nach einer Entlassung aus der Haft sei zudem prägend, dass der „Wert“ von Arbeit durch diese geringe Entlohnung nicht vermittelt würde. Die Gegenseite wandte ein, dass Gefangene im Schnitt unproduktiver seien als Vergleichsgruppen in Freiheit, zudem seien die Anstalten nicht mehr konkurrenzfähig, müssten sie höhere Löhne zahlen. Auftraggeber würden ins Ausland abwandern.

 

Das Urteil

 

Sechs, bzw. sieben Jahre nach Einreichung der Verfassungsbeschwerden, erklärte das BVerfG die entsprechende Vergütungsregelungen aus Bayern und NRW für den dortigen Strafvollzug für „unvereinbar“ mit dem Resozialsierungsgebot
(https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/06/rs20230620_2bvr016616.html). Es beanstandete die Regelungen als „in sich nicht schlüssig und widerspruchsfrei“. Aus dem Resozialisierungsgebot folge die Pflicht für die Landesgesetzgeber, die Arbeit in Haft so zu vergüten, dass Gefangenen der „Wert“ von Arbeit vermittelt werde, sie Schulden regulieren könnten und vor allem auch für die Zeit nach der Entlassung lernen, wie wichtig bezahlte Arbeit sei, was einen großen Einfluss auf ein straffreies Leben habe.

Allerdings machte das Gericht keine Vorgaben, wie hoch nun die Erhöhung auszufallen habe, es seien auch „nicht-monetäre“ Bestandteile denkbar, z.b. eine frühere Entlassung, wenn entsprechend gearbeitet worden ist. Zudem wurde eine Übergangsfrist bis 30.06.2025 gesetzt, bis dorthin müsste eine rechtliche Neuanpassung erfolgen. Eine rückwirkende Nachzahlungsfrist für die zu geringen „Löhne“ lehnte das Gericht ab, da dies zu „erheblichen hauswirtschaftlichen Unsicherheiten“ für die Landeshaushalte führe.
Die Länder seien zudem zu einem strikten Monitoring, bis hinunter auf die Ebene einzelner Anstalten, verpflichtet, um so eine bessere Datenlage z.b. über den Einfluss von (regelmäßiger) Arbeit auf die Rückfälligkeit zu gewinnen.

 

Kritik und Ausblick

 

Schon 2002, also vor 21 Jahren, entschied das Gericht, dass die Entlohnung gerade noch verfassungsrechtlich vertretbar sei. Die schon vor sechs, bzw. sieben Jahren eingereichten Verfassungsbeschwerden dann so lange liegen zu lassen, spricht auch für sich. Erneut konnte sich das Gericht zudem nicht dazu durchringen, die Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung festzulegen, im Gegenteil, es urteilte, dass eine entsprechende Verpflichtung verfassungsrechtlich nicht bestehe.

Der prozessualen Lage geschuldet aber gleichwohl zu kritisieren ist die Tatsache, dass das Urteil nur die beteiligten beiden Bundesländer, Bayern und NRW, unmittelbar bindet, d.h. man wird kaum überrascht sein, wenn die übrigen 14 Bundesländer nun einfach zuwarten, bis sie von Gefangenen vor dem BVerfG verklagt werden, bevor sie dann, ebenfalls verbunden mit einer großzügigen Übergangsfrist, zum Handeln aufgefordert werden.

Am Ende dürfte es auf das Prinzip „linke Tasche, rechte Tasche“ hinauslaufen, denn schon nach dem ersten Urteil über verfassungswidrig zu niedrige „Löhne“ aus dem Jahr 1998 wurden selbige zwar erhöht, aber zugleich wurde begonnen, bei verschuldeter Arbeitslosigkeit Haftkosten zu erheben, viele vorher kostenlosen Leistungen fielen weg. Stromkostenbeteiligungen wurden eingeführt, ebenso Zuzahlungen für die Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen, uvm. Das BVerfG weist auch in seinem neuen Urteil darauf hin, dass höhere Löhne dann dazu beitragen können, die arbeitenden Gefangenen an Haftkosten zu beteiligen, so dass ihnen für Kost und Logis monatlich eine Rechnung gestellt und von dem „Lohn“ in Abzug gebracht würde.

Alles in allem ist es ein verfassungsgerichtliches Urteil, das gemischte Gefühle bei Gefangenen hervorrufen dürfte: Schnell wird es keine Erhöhung geben, ob überhaupt, oder ob die „nicht-monetären“ Elemente in den Vordergrund rücken, ist offen. Gefangene der 14 übrigen Bundesländer müssen zudem auf Kläger*innen aus ihren Reihen hoffen.

Wahrscheinlich wird dann Sommer 2025 ein neuer Verfahrensmarathon beginnen, wenn Gefangene in Bayern oder in NRW die dann in Kraft tretenden Neureglungen gerichtlich prüfen lassen werden.

Noch gar nicht die Rede war von den Sicherungsverwahrten, denn für diese gilt das Urteil nicht. Erhalten heute Strafgefangene einen „Lohn“, der rund 9 % des Durchschnittsverdienstes aller Arbeiter*innen und Angestellten beträgt, werden für Sicherungsverwahrte 16 % in Ansatz gebracht, was dann zu einem Stundenlohn von über 3 Euro führt, statt nur 1,50 Euro wie im Strafvollzug. Da aber die Lebensverhältnisse der Sicherungsverwahrten besser zu sein haben als im Strafvollzug, so das BVerfG in einem Urteil von 2011, dürften ab 2025 Sicherungsverwahrte ihrerseits mehr Entlohnung fordern.

Dann beginnt das Spiel von vorne.

Thomas Meyer- Falk, z. Zt. JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg
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