Revolutionäre Demonstration

Event Datum: 
Samstag, November 3, 2018 - 18:00
Stadt/Region: 
REVOLUTION NEXT LEVEL Demokratie allein genügt nicht mehr – Aufstehen für den Kommunismus!

REVOLUTION NEXT LEVEL

Demokratie allein genügt nicht mehr – Aufstehen für den Kommunismus!

 

Revolutionäre Demonstration

Samstag, 3. November 2018

18 Uhr | Platz der Roten Matrosen | Kiel

 

Gemeinsame Bahn-Anreise aus anderen Städten

HAMBURG: 16.15 Uhr | Reisezentrum am Hauptbahnhof

LÜBECK: 16 Uhr | Hbf

 

Zur Demonstration rufen auf (Stand 25.10)Antifaschistische Aktion Lüneburg / Uelzen | Antifaschistische Koordination Lübeck | Autonome Antifa-Koordination Kiel | dielinke.SDS Kiel | Fire and Flames Music and Clothing | Grober Unfug | Kneipenkollektiv Subrosa | Kunst und Kampf (KuK) | Kurdistan-Solidaritätskomitee Kiel | North East Antifascists [NEA] Berlin | Projekt Revolutionäre Perspektive (PRP) Hamburg | Rotes Kollektiv Kiel | Den Aufruf unterzeichnen? Mail an: antifa-kiel[at]riseup.net

>> Aufruf von Rotes Kollektiv Kiel

 

100 Jahre Revolutionsstadt Kiel

Vor 100 Jahren, im November 1918, spielte sich im militärisch de Facto bezwungenen Deutschen Kaiserreich bis dahin Ungewohntes ab: Nach über vier Jahren des I. Weltkriegs, in dem in Europa die kriegstauglichen Männer im Interesse des Kapitals übereinander hergefallen waren, entschieden sich in Wilhemshaven die Matrosen der Hochseeflotte für ihr Leben, statt für die preußische Ehrvorstellung ihrer Offiziere. Sie verweigerten den Befehl, in einer selbst in militärischer Logik völlig sinnfreien Schlacht gegen England zu sterben und verhinderten das Auslaufen ihrer Schiffe durch aktive Sabotage am Kriegsgerät. Die Meuterei konnte zunächst zerschlagen werden, setzte sich aber fort, als Teile der Flotte nach Kiel strafversetzt wurden und sich der Militärapparat an einzelnen vermeintlichen Rädelsführern für die kollektive Gehorsamsverweigerung rächen wollte. 47 Matrosen wurden am 31. Oktober noch auf dem Kaiser-Wilhelm-Kanal festgenommen und ins Militärgefängnis in der Wik verschleppt.

Entgegen dem Kalkül von Offizieren und Admirälen nutzten viele der verschont gebliebenen Matrosen den nun gewährten Landurlaub jedoch nicht zum Amüsement, sondern nahmen umgehend bei ihrer Ankunft Kontakt insbesondere zum linken Flügel der Arbeiter*innenbewegung in Kiel auf. Am späten Nachmittag des 3. November schlossen sich schließlich tausende Matrosen und Arbeiter*innen einer gemeinsamen Demonstration zum Knast an, um die gefangenen Kameraden zu befreien. Kurz vor Erreichen des Zielortes eskalierte die Situation an der heutigen Feldstraße, als ein zusammengestückeltes kaisertreues Marinekommando sich den zur Tat schreitenden Massen in den Weg stellte. Allgemeine Panik brach aus und insgesamt 9 Demonstrant*innen fielen bei einer anschließenden Schießerei den Polizeikugeln zum Opfer.

Für den Moment konnte die Menge am Abend des 3. November zwar noch blutig auseinandergetrieben werden, jedoch nicht ohne die unversöhnliche Entschlossenheit bei den Matrosen und Arbeiter*innen zu entfachen, nun nicht mehr nur einzelne Forderungen, sondern Kaiserreich und Militärdiktatur die Machtfrage zu stellen. In den Kasernen und Betrieben bildeten sich spontan Räte, ein Oberster Soldatenrat sowie ein separater Arbeiterrat wurden als revolutionäre Führung legitimiert. Bewaffnete Aufständische brachten Stunde um Stunde die politischen und militärischen Zentren der Stadt unter ihre Kontrolle und am Morgen des 5. November war Kiel rot. Der Militärgouverneur musste abtreten, die politische Macht lag in den Händen der Matrosen und Arbeiter*innen.

Der eilig zur Befriedung der Situation aus Berlin geschickte rechte und explizit anti-revolutionäre Sozialdemokrat Gustav Noske, fälschlicherweise von den euphorisierten Massen zunächst als Revolutionsführer empfangen, konnte den Kieler Aufstand in den folgenden Tagen zwar unter Kontrolle bringen und seine Ausweitung etwa auf die Eigentumsfrage verhindern, für den Kaiser war es jedoch zu spät. Im ganzen Reich verbreiteten die Matrosen bereits das Signal aus Kiel, überall wurde dem Beispiel nachgeeifert und die politischen Machthaber beseitigt. Am 9. November dankte der Kaiser ab, die Monarchie war Geschichte. Zwei Tage später endete schließlich auch der Krieg.

Die am 9. November von Karl Liebknecht ausgerufene Freie Sozialistische Republik konnte sich jedoch nicht gegen die bürgerliche Weimarer Republik und die Regierung der rechten Sozialdemokratie durchsetzen. Die regionalen Räterepubliken in Bremen oder München, die die Novemberrevolution am weitesten an das Vorbild der russischen Revolution 1917 heranführten, wurden genauso blutig niedergeschlagen, wie die aufständischen Versuche der radikalen Linken in Berlin und anderswo, die Rätemacht zu verteidigen und die Rückkehr der alten Eliten in den neuen Staat zu verhindern. Es waren ausgerechnet die Führer der Mehrheitssozialdemokratie (MSPD), der damals größten Arbeiter*innenpartei in Deutschland, die als erbitterte Gegner der Revolution das Vertrauen vieler Arbeiter*innen ausnutzten, um einen umfassenden Bruch mit dem reaktionären Kaiserreich und einen sozialistischen Umbau der Gesellschaft zu verhindern. Dabei scheuten sie nicht vor einem Bündnis mit rechts-nationalistischen Kräften zurück, sondern gingen gemeinsam mit prä-faschistischen Banden und blutiger Gewalt gegen die revolutionäre Linke vor, um ihre Ordnung wieder herzustellen. Der Mord an den Kommunist*innen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar 1919 in Berlin, der von rechten Freikorps mit Zustimmung Gustav Noskes verübt wurde, ist das bis heute wirkende Symbol für diesen historischen Verrat geworden. Die Folgen waren fatal: Die Macht der Reaktionäre und der Militärs blieb in der Weimarer Republik ungebrochen und die Linke ging tief gespalten aus dem Novemberaufstand hervor. Dies ist zugleich die Vorgeschichte des aufsteigenden NS-Faschismus und seines kommenden Terrorfeldzugs in Europa.

 

Aufstehen für Demokratie?

Noch nie wurde der revolutionären Stadtgeschichte in Kiel von offizieller Seite soviel Aufmerksamkeit entgegengebracht wie zum 100. Jahrestag des roten Novembers. Mit zahlreichen Veranstaltungen, Ausstellungen und Publikationen begeht die Stadt Kiel das Jubiläum in diesem Jahr mit großem Aufwand. Was zunächst als längst überfällige Würdigung der Aufständischen erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als feindliche Übernahme eines würdigen Gedenkens. Die Novemberrevolution wird in dieser offiziösen Geschichtsschreibung um entscheidende Faktoren verkürzt, in den Gründungsmythos der heutigen BRD integriert und der bürgerliche Staat als das Höchste des Erreichbaren festgeschrieben.

Die damals wie heute grundlegenden Fragen danach, wie wir unser Zusammenleben organisieren wollen, wie eine demokratische Selbstverwaltung von Gesellschaft funktionieren könnte, die über den Parlamentarismus hinausgeht, wie wir eine vernünftige Produktion und gerechte Güterverteilung verwirklichen können, warum der Kapitalismus weltweit immer wieder Kriege – auch heute noch mit deutscher Beteiligung – entfacht, wie wir sie beenden können und wer hier eigentlich die Macht hat und wer nicht, werden nicht gestellt. Zentrale Forderungen, die unter den revoltierenden Matrosen und Arbeiter*innen von 1918 eine Rolle spielten und weit über das damals Erreichte sowie das heute Bestehende hinausreichen, nämlich Rätedemokratie und Sozialismus, werden als Spinnereien ihrer Zeit historisiert und sollen im Museum verstauben. So verendet der große Demokratieaufruf der Marketingabteilung der Landeshauptstadt Kiel dann auch folgerichtig bei der Promotion von verpackungsfreien Läden als revolutionäre Tat der Gegenwart, während nebenan weiter die lukrativen Mordinstrumente für die Kriegsgebiete dieser Welt verkauft werden oder die zunehmende Klassenspaltung in der Stadt immer sichtbarer wird. Wohnen etwa ist auch in Kiel zu einer der bestimmenden sozialen Fragen geworden. Für Alleinerziehende mit Teilzeitstelle und Armutseinkommen, für Studierende ohne reiche Eltern, die mal eben eine Bürgschaft unterzeichnen könnten, für Geflüchtete, für Menschen ohne deutsch klingenden Namen, für Menschen mit Schufa-Eintrag und sehr viele andere geht es sogar um die schiere Existenz.

Es genügt ein nüchterner Blick auf den sich täglich dramatisierenden Ist-Zustand: Wenn ganze Weltregionen durch gezielte Destabilisierung und Stellvertreterkriege der imperialistischen Staaten zerrieben und der Barbarisierung preisgegeben werden, diejenigen Menschen, die davor fliehen müssen, im Mittelmeer dem politisch durchgesetzten Ertrinkungstod überlassen werden, wenn rechte Regierungen und autoritäre Regime wieder die bevorzugte Krisenverwaltung der herrschenden Klassen übernehmen und menschliche Solidarität der sozialen Brutalisierung weicht, wenn das Überleben selbst in den kapitalistischen Zentren für immer mehr Menschen zur tagtäglichen Kraftprobe wird, obwohl der Reichtum weiter wächst und wenn von den Herrschenden wie immer nichts Gutes zu erwarten ist… dann sind wir davon überzeugt, dass der grundlegende Bruch mit den bestehenden Verhältnissen auch heute noch dringende Aktualität besitzt und dass wir uns Meuterei, Aufstand und Revolution wieder als realpolitisches Programm zur Überwindung dieser düsteren Zeiten aneignen sollten.

 

1918 – 2018: Das Problem heißt Kapitalismus!

Der I. Weltkrieg, der der erste mit industriellen und chemischen Waffen geführte Krieg der Geschichte gewesen war, ist 1914 nicht vom Himmel gefallen. Der Wille zum Krieg war bei allen beteiligten Staaten ausgeprägt. Insbesondere das deutsche Kapital und seine kriegsgeilen Militaristen erhofften sich Riesengewinne aus dem Mordsgeschäft, schielten auf neue Märkte in Nah und Fern und förderte tatkräftig nationalistische, antisemitische und militaristische Verbände, um die Bevölkerung auf Kriegseuphorie zu trimmen. Und so kam es dann auch: Während zwangsrekrutierte junge Soldaten zu Millionen auf den Schlachtfeldern verreckten, der gesamte gesellschaftliche Reichtum bis hin zu den persönlichen Ersparnissen der Bevölkerung im festgefahrenen Stellungskrieg verpulvert und zerstört wurde und schlussendlich Versorgungsknappheit und Hunger herrschten, blühten Industrie und Finanzwirtschaft.

So funktioniert das Grundprinzip hinter dem permanenten Kriegszustand Kapitalismus bis heute, denn die ökonomische Struktur hinter den imperialistischen Bestrebungen der Staaten hat sich bis heute nicht verändert, sondern verschärft. Die Krisen, die der Wachstumszwang bei gleichzeitiger Endlichkeit des Verwertbaren im Kapitalismus logischerweise immer wieder hervorbringt, finden im Krieg einen verlässlichen ökonomischen und sozialen Blitzableiter. Zugleich ist er das ultimative Mittel der Staaten, sich in der Konkurrenz mit anderen Mächten zu behaupten. Der Weltmarkt ist aktuell enger denn je, es gibt kaum mehr eine Region, die nicht der totalen Ausbeutung von Mensch und Natur unterworfen ist. Die alten Bündnisse der hegemonialen kapitalistischen Staaten wie die NATO bröckeln. In einer Situation, in der neue Akteure wie China längst als ernstzunehmende Konkurrenten mit um den globalen Mehrwert buhlen, versuchen sich die Nationalstaaten zunehmend wieder auch gegen die einstigen Bündnispartner zu behaupten. Die Lage wird unübersichtlicher, prekärer und die Kriegsgefahr steigt, längst auch wieder in Europa. Der syrische Bürgerkrieg ist das extremste Beispiel dafür, was zukünftig auch anderswo wieder Normalität werden könnte.

 

Ich brauch da mal ’nen Rat!

Um ein gemeinsames und organisiertes Vorgehen zu ermöglichen und handlungsfähig zu sein, taten sich die Kieler Revolutionär*innen von 1918 in spontan gebildeten Räten zusammen. Das Räteprinzip ermöglichte es, dort zu politisieren, zu mobilisieren, Entscheidungen zu treffen und zu handeln, wo die ersten Leidtragenden des Krieges und Träger*innen der Revolte ihren Alltag fristeten: In den Kasernen und Betrieben. Die Forderungen nach Befreiung der Gefangenen, nach Beendigung des Krieges, nach Rechtsgleichheit und einem Ende der Monarchie wurden auf Massenversammlungen entwickelt und von unten nach oben in die oberen Gremien der Revolution – Soldatenrat und Arbeiterrat – delegiert. Die Übernahme der politischen Macht durch die Revolutionär*innen fußte somit auf einer aktiven Massenbasis, deren rasanter Dynamik der abgewirtschaftete Militärstaat nichts mehr entgegensetzen konnte und binnen weniger Tage kapitulieren musste. Natürlich war die spontane Rätestruktur des Kieler Aufstands keineswegs eine ausgereifte Blaupause aus dem revolutionären Bilderbuch. Für die Matrosen war sie zunächst einmal eine Lebensversicherung, ein Mittel, um sich selbst überflüssig zu machen. Oberster Soldatenrat und Arbeiterrat waren de Facto eher eine, wenn auch von den Massen legitimierte, provisorische Revolutionsregierung der Arbeiter*innenorganisationen, als das Ergebnis eines wahrhaftig funktionierenden Delegationsprinzips von unten. Wie sonst hätte ein von außen gesandter Parteifunktionär Gustav Noske sich mit seinen konterrevolutionären Absichten an die Spitze des Aufstands stellen können, was ja im fundamentalen Widerspruch zum eigentlichen Rätegedanken steht?

Die Räte waren in der Vorstellung vieler Revolutionär*innen allerdings nicht nur das geeignete Werkzeug zur Durchsetzung der eigenen Interessen in einer Ausnahmesituation, sondern orientiert am Vorbild des erfolgreichen revolutionären Umsturzes 1917 in Russland gleichzeitig die Vision einer demokratischen und egalitären Organisation der Gesellschaft. Die Forderung nach der Räterepublik war allgegenwärtig, in Berlin wurde sie wenig später – am Ende ohne Erfolg – ausgerufen, anderswo sogar kurzzeitig in regionalen Räterepubliken praktiziert. Wieder waren es die Spitzen der Mehrheitssozialdemokratie, die ihren richtungsweisenden Einfluss auf die junge Rätebewegung nutzten, so dass ihre Mehrheit sich schließlich selbst entmachtete, während die revolutionäre Minderheit blutig niedergeschlagen wurde.

Was übrig blieb war das bürgerliche Parlament mit Beteiligung der alten reaktionären Kräfte und partielle Errungenschaften wie das Wahlrecht für alle Geschlechter oder Betriebsräte. Dass Letztere zwar Ausdruck realen gesellschaftlichen Fortschritts sind, jedoch nur eine sehr verstümmelte Abwandlung der radikalen Idee des Rätegedankens sind, offenbaren beide Beispiele selbst: Während die Rätedemokratie jede*m Menschen dort gleichberechtigt Mitbestimmung über die eigenen Belange ermöglicht, wo er*sie arbeitet, wohnt oder anderweitig dem Leben nachgeht und dies die Handlungsorientierung für die jeweils übergeordneten Gremien darstellt, gesteht das bürgerliche Wahlrecht gerade einmal zu, die eigene Stimme alle paar Jahre an professionelle Partei-Funktionäre abzugeben. Diese drohen, relativ unabhängig davon, mit welcher Programmatik sie einmal angetreten sind, einerseits regelmäßig ihre ganz eigenen Machtinteressen zu entwickeln und nicht diejenigen ihrer Wähler*innen zu vertreten. Andererseits bleibt der reale Spielraum für radikale Gesellschaftsveränderung innerhalb der parlamentarischen Spielregeln und dem eng gefassten politischen Terrain, das explizit von der ökonomische Sphäre abgekoppelt wird, begrenzt. Regierungen bürgerlicher Staaten bleiben, ob sie wollen oder nicht, die Sachverwalter des kapitalistischen Marktes und handeln damit schlussendlich immer im Sinne der herrschenden Klasse. Die Existenz der heutigen Betriebsräte verweist dagegen zumindest noch verschwommen darauf, worin der eigentliche qualitative Unterschied der Rätedemokratie zum bürgerlichen Parlamentarismus besteht, der sie zum Idealtypus sozialistischer Gesellschaftsorganisation macht. Während Betriebsräte heute in klar eingegrenzten Belangen ein gewisses Maß betrieblicher Mitsprache innehaben und bestenfalls die Interessenvertretung der Beschäftigten gegenüber den Bossen darstellen, sind sie im Rätegedanken eigentlich als das Instrument der Arbeiter*innenselbsverwaltung angelegt, d.h. der Kontrolle der Produktion und der Verteilung durch die Produzierenden. Sie sollen die Bosse und deren Mehrwertschöpfung durch Ausbeutung durch eine bedürfnisorientierte Produktion, die der gesamten Gesellschaft zugute kommt, ersetzen. Die Ökonomie als maßgebliche Bedingung jeglichen sozialen Lebens ist im Rätesystem ausdrücklich der demokratischen Kontrolle von unten unterworfen. Die Möglichkeit der Mitbestimmung und Mitgestaltung ist also viel umfassender und unmittelbarer als unter bürgerlichen Bedingungen. Sie ist die konsequente Form der Demokratie, was sie attraktiv für alle Ausgebeuteten und Ausgegrenzten macht, die herrschende Klasse jedoch erzittern lässt, geht doch alle gesellschaftliche Macht von den Besitzenden zu den Massen über.

Dass die Idee der Rätedemokratie weder als bloße Form der Übergangsverwaltung von Ausnahmezuständen, noch als unkonventionelles Experiment der abgeschlossenen Vergangenheit abgetan werden sollte, zeigt die Aktualität des Räteprinzips. Es findet sich bei kollektiv verwalteten Betrieben und Kooperativen, in den Organisierungsformen sozialer Bewegungen und der außerinstitutionellen Linken oder bei der Selbstorganisation von Mieter*innen. Es inspiriert die Stadtteilversammlungen in Katalonien genauso wie das befreite Territorium der Zapatistas im mexikanischen Chiapas oder die Nachbarschaftsprojekte in den Barrios Lateinamerikas. Der gegenwärtig größte und weitreichendste Versuch, eine Gesellschaft in Räten zu organisieren, findet in den Kantonen der Demokratischen Föderation Nordsyrien statt. In Rojava, dem mehrheitlich von Kurd*innen bewohnten Teil Syriens, wird seit 2013 die Basisorganisierung der Bevölkerung in allen gesellschaftlichen Bereichen vorangetrieben und das Machtvakuum, das hier infolge des andauernden Bürgerkriegs entstand, demokratisch und für alle Menschen unabhängig von Ethnie oder Glaube gefüllt. Dass insbesondere Frauen* und ihre autonom organisierten Strukturen in diesem Emanzipationsprozess eine vorantreibende Rolle übernehmen, ist Ausdruck für seinen radikalen Charakter. Das Rätemodell wird hier auch als feministischer Gegenentwurf zum patriarchalen Staat verstanden.

Wenn wir der Errungenschaften und Niederlagen der Matrosen und Arbeiter*innen von 1918 gedenken, heißt es für uns auch, die Errungenschaften zeitgenössischer Rätebewegungen zu verteidigen und ihre Weiterentwicklung zu unterstützen. Dies bedeutet in Bezug auf Rojava unsere Solidarität mit dem Kampf von YPG/YPJ und der widerständigen Bevölkerung gegen die permanenten Angriffe des türkischen AKP-Staats und dschihadistischer Banden sowie die kriegerischen Planspiele der dort operierenden imperialistischen Kräfte. Dies heißt für uns zunächst den Widerstand gegen die Kollaboration der BRD mit der Türkei und gegen den Bau und die Lieferung der dabei zum Einsatz kommenden Waffen – auch aus Kieler Rüstungsfabriken – hier vor Ort zu organisieren.

 

Talking ‚bout a Revolution!

Zugegeben: Betrachten wir die Entwicklungen, die hier und an vielen Orten dieses Planeten gerade auf dem Vormarsch sind, müssen wir einräumen, dass es schlecht um unsere Sache steht. In den Krisenerschütterten Noch-Metropolen des Kapitalismus treten nach und nach rechts-autoritäre bis proto-faschistische Regierungen und Regime die Nachfolge des vermeintlich weltoffenen Neoliberalismus an. Wo dies wie in der BRD (noch) nicht der Fall ist, macht der opportunistische bürgerliche Mainstream die Drecksarbeit mit einem Hauch von menschlichem Antlitz längst selbst, ob bei der militärischen Abwehr von flüchtenden Menschen, bei Kriegsbeteiligungen zur Sicherung des Zugriffs auf den Weltmarkt oder beim schwindelerregenden Ausbau des Überwachungs- und Repressionsstaats im Innern. Die rassistischen Mobilisierungen auf der Straße und dazugehörige Parteien wie die AfD gebärden sich zwar als großmäulige Opposition, sind jedoch nichts als die schreihälsigen Stichwortgebenden für die voranschreitende autoritäre Zuspitzung, die die Ausbeutung der Lohnabhängigen hier sowie das globale Klassengefälle sicherstellen soll. Und hier zeigt sich, dass liberale Demokratie und faschistische Diktatur eben keine Gegenspieler sind, sondern das Spannungsfeld, in dem sich bürgerliche Klassenherrschaft bewegt. Dies sollte sich auch die antifaschistische Linke beim zweifelsohne notwendigen Abwehrkampf gegen den Rechtsruck immer wieder in Erinnerung rufen.

Was tun in Anbetracht immenser Herausforderungen für die revolutionäre Linke, die zumindest hierzulande trotz offensichtlicher Krise und Prekarisierung wenig mitredet und andernorts, wo sich progressive Alternativen zur Barbarisierung tatsächlich in Stellung bringen, diese – propagandistisch, ökonomisch, militärisch – mit der vollen Härte der bürgerlichen Herrschaftssicherung konfrontiert werden? Was tun, wenn das totalitäre kapitalistische Sein das Bewusstsein seiner Opfer so weit zerstümmelt und ideologisch deformiert hat, dass sich das allgemeine Unbehagen über die bürgerliche Kälte regelmäßig nicht gegen ebendiese richtet, sondern in Ignoranz aller Realitäten gegen diejenigen, denen es noch dreckiger geht? Die Antwort liegt im immerwährenden Sicht- und Erlebbarmachen des Einfachen, das schwer zu machen ist. Im Hier und Jetzt nennen wir es Widerstand und Solidarität, in noch unbestimmter Zukunft Revolution und Kommunismus.

Widerstand gegen Rassist*innen und FaschistInnen, wo immer sie versuchen, sich Raum zu nehmen und Gehör zu verschaffen – antifaschistische Solidarität mit denen, die von ihrer Gewalt betroffen sind. Widerstand gegen diejenigen, die Menschen, die vor Krieg und Elend fliehen müssen, planmäßig im Mittelmeer verrecken lassen, einsperren oder abschieben – Solidarität mit denen, die es trotzdem hierher geschafft haben, bleiben und sich gegen das Abschottungsregime zur Wehr setzen. Widerstand gegen die Kriegstreiber und -profiteure, die dem Erhalt der imperialistischen Weltordnung die Lebensgrundlagen ganzer Regionen dieser Erde zu opfern bereit sind – internationale Solidarität mit denen, die dort unter brutalsten Bedingungen dennoch den Kampf um Befreiung fortführen. Widerstand gegen Lohnsklaverei, Niedriglöhne, Arbeitshetze und Ämterterror – Klassensolidarität mit allen kleinen und großen Arbeitskämpfen, Streiks und denjenigen, die im Betrieb ihr Maul aufmachen und sich für ihre Kolleg*innen mit den Bossen anlegen. Widerstand gegen den Sicherheitsstaat, seine Repression und seine Polizei – Solidarität mit allen, die in den Knästen eingesperrt sind, weil sie revolutionär kämpfen oder einfach besseren Gesetzen folgen als denen der herrschenden Klasse, die sich nicht vor den Bullen ducken und die ihre e-Mails verschlüsseln. Widerstand gegen Sexismus in Alltag und Struktur, die spezifische Ausbeutung weiblicher* Arbeitskraft, Normierungsdruck und Männergewalt – Solidarität mit allen Frauen* und Personen außerhalb des bürgerlichen Geschlechterkäfigs, die tagtäglich gegen die Herabwürdigungen und Übergriffe des Patriarchats kämpfen. Widerstand gegen die Verdrängung aus innerstädtischen Vierteln, gegen Wohnraum als Spekulationsobjekt und steigende Mieten – Solidarität mit allen, die sich nicht von Vermieter*innen klein kriegen lassen und denen, die sich Wohnraum kollektiv aneignen.

Wie in einer spezifischen historischen Situation, die immer auch von unvorhersehbaren Zufällen abhängt, eine Revolution gemacht wird, haben uns vor 100 Jahren meuternde Matrosen und revoltierende Arbeiter*innen vorgemacht. Keine*r von ihnen verfügte als Einzelne*r über irgendwelche politischen, militärischen oder ökonomischen Machtmittel, um den Kriegsverlauf irgendwie zu beeinflussen. Sie verfügten nicht über Superkräfte, waren keine unerreichbaren Ikonen, zu denen wir aufschauen müssen. Wir gedenken ihrer in Würde, indem wir sie als das ernst nehmen was sie waren: Einfache Leute wie wir, die sich der Lüge widersetzt haben, dass die ihnen aufgezwungene Existenz, in der ihnen permanent Würde und Selbstbestimmung genommen werden, alternativlos sei. Sie sind nicht mehr und nicht weniger als unsere politischen Vorfahren, deren Kampf fortzuführen heute in unsere Hände gelegt ist. Ihre Kraft entwickelten die Revolutionär*innen von 1918, als sie sich ihrer kollektiven Macht bewusst wurden, sich durch massenhafte und organisierte Gehorsamsverweigerung dem Kriegsgemetzel nicht nur zu widersetzen, sondern gleich das ganze kaiserliche Herrschaftsgebäude einstürzen zu lassen. Der Krieg fand binnen weniger Tage sein Ende, als das Kanonenfutter des Kapitals nicht mehr auf ein höheres Wesen wartete, das sein Leben retten sollte, sondern die Todgeweihten selbst zur Tat schritten, das Feuer aus den Kesseln rissen, die Waffenkammern plünderten, die Offiziere verjagten, sich eigene Entscheidungsstrukturen schufen und die schwarz-weiß-roten Lappen der Herrschenden gegen rote Fahnen eintauschten.

Organisierung und kollektive Aktion sind auch heute noch das Fundament jeglichen spürbaren Widerstands gegen die herrschenden Verhältnisse. Etwas, woran es der BRD-Linken im Jahre 2018 genauso mangelt, wie eine weitere Lehre aus der unvollendeten Novemberrevolution: Ein konsequentes Misstrauen gegenüber der bürgerlichen Klasse, ihrem Staat und ihrem politischen Personal. In Anbetracht der derzeitigen Kräfteverhältnisse haben wir offenkundig viele Erinnerungslücken zu stopfen, wollen wir uns beim nächsten Mal nicht wieder das Heft aus der Hand nehmen lassen; weder von der reaktionären Rechten, noch von denen, die sich als unsere Verbündeten ausgeben, während sie im Namen der Verantwortung mit der Gegenseite paktieren. Revolutionäre Situationen können nur bedingt herbeigeführt werden, sie erwachsen aus den immanenten Widersprüchen der bürgerlichen Gesellschaft. Revolutionäre Pflicht ist es jedoch, sich auf solche Situationen vorzubereiten. Packen wir es an, der Weg ist weit, aber zusammen gehört uns noch immer die Zukunft.

1918 wurde einiges erreicht, vieles aber blieb unvollendet. Die revolutionäre Bewegung kämpfte auch für den Sozialismus, für die Gesellschaft der Gleichen. Dieses Ziel wurde damals in Blut ertränkt und konnte bis heute trotz vielfältiger Versuche nicht vollendet werden. Die gegenwärtigen Entwicklungen stehen auf Rückschritt, aber das taten sie 1914 auch. Möge uns ein weiterer Weltkrieg erspart bleiben, auch wenn dieser gerade sicherlich realistischer erscheint, als die nächste Revolution. Wofür jedoch lohnt es sich mehr zu kämpfen, als für eine Welt, in der niemand verhungern muss, während andere vor Reichtum wahnsinnig werden? Eine Welt, in der keine Kriege mehr geführt werden, um weiter Mehrwert scheffeln zu können, wo längst alles dem Markt unterworfen ist. Eine Welt, in der keine Menschen ertrinken müssen, während einsatzbereite Rettungsschiffe an der Ausfahrt gehindert werden, um die globale Klassengesellschaft sicherzustellen. Eine Welt, in der niemand auf der Straße erfrieren muss, während Luxusapartments leerstehen. Eine Welt, in der Wohnungsgroßkonzerne wie Vonovia oder Deutsche Wohnen enteignet sind, es kein Eigentum an Wohnraum mehr gibt, kollektives Wohnen in Genoss*innenschaften, vergesellschafteten Wohnungen oder auf Wagenplätzen Normalität ist und kein Mensch unfreiwillig ohne Wohnung auskommen muss. Eine Welt in der niemand gejagt und ermordet wird, weil Kapitalismus und Patriarchat stumpf, unzufrieden und aggressiv machen und nach unten treten mehr gesellschaftliches Ansehen hat, als nach oben zurückzuschlagen. Eine Welt, in der Konstrukte wie Rassen, Geschlechter und ihre ideologischen Rechtfertigungen keinen Nutzen mehr haben, weil alle von der Freiheit aller profitieren und nicht der Vereinzelte von den härtesten Bandagen im allgemeinen Konkurrenzkampf. Eine Welt, in der gemeinsam und solidarisch geplant, gearbeitet und geteilt wird, was wir zum Leben brauchen. Eine Welt der Freiheit von jeglicher Herrschaft, in der jeder Mensch den gleichen vollendeten Anspruch auf Würde, Selbstbestimmung und die Entscheidung über die eigenen Belange hat. Eine Welt, die fern, aber keineswegs utopisch ist, sondern vielmehr die vernünftigste und nachhaltigste Form des menschlichen Miteinanders. Eine Welt, die der Maßstab ist, an dem wir das Bestehende kritisieren und bekämpfen. Eine Welt der Gemeinsamen, die viele Namen tragen kann, z.B. Kommunismus.

 

Gegen Krieg, Rechtsruck, Abschottung und Prekarisierung – Kapitalismus abschaffen!

Revolutionäre Perspektiven schaffen – organisiert den kollektiven Ungehorsam!

Das selbstbestimmte Leben in Würde und Solidarität für Alle erkämpfen – weltweit!

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