Tag der deutschen Einheit & der Totalausfall der„bürgerlichen Mitte“ in Mannheim

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Vergangenen Mittwoch fand eine Großdemonstration in der Mannheimer Innenstadt mit 9.000 Teilnehmer*innen statt. Es gab bereits im Vorfeld kontroverse Diskussionen rund um die Demonstration am sog. Tag der deutschen Einheit in Mannheim. Aufgerufen hatte ursprünglich nicht ein Bündnis, sondern der Grünen-Gemeinderat Gerhard Fontagnier. Um aus dieser Demonstration ein Großevent zu veranstalten, haben u. a. Großunternehmer*innen, Akademiker*innen und Vereinsvorsitzende aus Mannheim sich zusammengeschlossen und den Aufruf „erstunterzeichnet“.

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Daraufhin wurde dem ursprünglichen Motto „Rhein-Neckar sagt Nein zu Hass und Hetze“ das Motto „Für Demokratie, Menschlichkeit und Rechtsstaat“ angehängt und der ursprüngliche Demotermin auf den Tag der deutschen Einheit verschoben. Der Demo vorangegangen war die kontroverse Diskussion über den letzten Programmpunkt: Das Singen der deutschen Nationalhymne.

Am Tag selbst sammelten sich mehrere tausend Menschen auf dem Alten Messplatz in der Neckarstadt, die in einem großen Demonstrationszug über die Breite Straße auf den Schlossplatz liefen. Auf den ersten Blick konnte festgestellt werden, dass sich die komplette Mannheimer (teils linke) Zivilgesellschaft getroffen hatte – von den DGB-Gewerkschaften über Parteien bis hin zu AktivistInnen der Seebrücke-Initiative. Ebenfalls zu sehen waren einige Menschen mit EU- und Deutschlandflaggen (teilweise kombiniert). Ein ungewohnter Anblick für die doch historisch gewachsene Linke in Mannheim. Noch absurder wurde es, als ein Mann mit einer Deutschlandfahne der Demonstration voraus lief, sie sinnbildlich „anführte“, während die Polit- und Unternehmer*innen-Prominenz in der ersten Reihe diese Aktion unwidersprüchlich hinnahm. Im Nachhinein hieß es „Man wollte nicht auf die Provokation eingehen“. Da wird eine Demonstration, die den Anspruch hat u. a. gegen Nationalismus zu demonstrieren, angeführt von einem Mann mit einer Deutschlandfahne und die Veranstalter*innen „wollen nicht auf die Provokation eingehen“ - Das erste Paradebeispiel konsequenter Rückgratlosigkeit seitens der Veranstalter*innen am Demonstrationstag. 

Diese Aktion war nur die Spitze des Eisberges voller Opportunismus und Anbiederung der Veranstalter*innen an die zurzeit stattfindende Rechtsbewegung in der BRD. Frei nach dem Motto: „Wir sind die Guten, das Grundgesetz ist gut, der Rechtsstaat ist gut, die deutsche Fahne ist gut (wegen 1848er Revolution), die Nationalhymne ist gut (wegen „Einigkeit und Recht und Freiheit“) und unser Auftrag ist es, das alles wieder positiv zu besetzen. Was die Rechten können, das können wir auch und zwar besser“, wurde im Vorfeld und nach der Demonstration in den sozialen Medien seitens der Veranstalter*innen und ihrer Unterstützer*innen in beispielloser Unreflektiertheit versucht, Anschluss an die aktuelle Rechtsbewegung zu finden und sie mit den „besseren Argumenten“ auszutricksen. Da wurden auch mal in Facebook-Kommentarspalten Menschen, die das geplante Hymnen-Spektakel kritisch sahen, mit Rechten gleichgesetzt und ihnen wurde sogar tatsächlich Rassismus vorgeworfen (siehe Bilder). Diese Vorwürfe kamen nicht von irgendwelchen unbekannten Trollen, sondern seitens der Sprecherin für Soziales, Arbeit und Inklusion der Stadt Mannheim; Marianne Bade (SPD). Diese Kommentare hat sie unter einen öffentlichen Beitrag des Grünen-Politikers Gerhard Fontagnier verfasst. Das ist aber nur ein Beispiel dafür, was die die Veranstalter*innen im Vorfeld der Demonstration unter einer kritischen Auseinandersetzung mit der Nationalhymnen-Problematik verstanden.

Mit Anlauf und stolzer Brust ins reaktionäre Verderben

Unter den Vorzeichen der Nationalhymnen-Problematik nahm die Demonstration ihren Lauf, neben den EU und Deutschlandfahnen gab es (zurecht) nur vereinzelt Antifa-Fahnen zu sehen und die Seebrücken-Initiative lief in einem eigenen Block am Ende des Demonstrationszuges mit. Zwischendurch gerufene linke Parolen gingen in der riesigen sich ausschließlich miteinander unterhaltenden und durch die Stadt spazierende Menschenmenge leider unter. Trotz der Umstände wurden mehrere Hundert Flyer seitens des Offenen Antifaschistischen Treffens für die Mobilisierung gegen die rechte Demo am 06.10. in Kandel verteilt.

Angekommen auf dem gut gefüllten Schloßplatz, durften alle Redner*innen nochmal bekunden wie bunt, offen und tolerant „ihr“ Deutschland und Mannheim seien. Absurde Szenen, wie Migrant*innen für das tolerante Stadtbild herhalten mussten, gab es hierbei auch immer wieder. So durfte eine Migrantin* enthusiastisch vor den 9.000 Teilnehmer*innen darüber schwärmen, wie offen sie in Mannheim aufgenommen wurde: „Das war so toll als ich hier ankam. Als ich die Menschen in der Innenstadt nach dem Weg gefragt habe, haben sie mir alle vorbehaltlos weitergeholfen und so.“ Ein lautes jubeln folgte seitens der Teilnehmer*innen. Na herzlichen Glückwünsch, wenn man sich als Migrant*in schon darüber freuen muss, dass man nicht gleich angegriffen wird, weil man nach dem Weg frägt. Da kann auch mal gejubelt werden. Während Geflüchtete an der Neckarwiese regelmäßig rassistisch motivierte Kontrollen über sich ergehen lassen müssen. Während die Neckarstadt-West aufgrund des Zuzugs aus Osteuropa als „No-Go-Area“ ausgeschlachtet und zum Sanierungsfall erklärt wird. Während sich monatlich im Feudenheimer Schützenhaus dutzende Rassist*innen treffen und über Andersdenkende und -aussehende in schönster Wutbürger-Manier herziehen. Während Geflüchtete in der Asylbewerber*innenunterkunft Pyramidenstraße unter menschenunwürdigen Bedingungen einkaserniert und auf abgelaufene Lebensmittel angewiesen sind. Während die JVA Mannheim einen Abschiebeknast betreibt, und dazu beiträgt, dass Menschen in vermeintliche „sichere Herkunftsländer“ abgeschoben und getötet werden. Während all das und noch viel Mehr tagtäglich in unserer Stadt passiert, jubeln Menschen einer vermeintlich „offenen, toleranten und bunten“ Stadt Mannheim zu.

Der Gipfel der Peinlichkeit

Kommen wir zum kontrovers diskutierten Abschluss der Demonstration – dem Singen der deutschen Nationalhymne. Im Vorfeld gab es hierzu unterschiedliche Positionen; diejenigen, die das Singen verteidigten, argumentierten zumeist damit, dass es in dem Lied ja um „Einigkeit und Recht und Freiheit“ ginge und dass das ja per se erstmal was gutes sei. Diejenigen, die dagegen argumentierten, vertraten die Meinung, dass die Demo sich nicht nationalistischer Symbolik bedienen dürfe und die Initiatoren damit den Rechten nachrennen würden. Einige forderten erfreulicherweise das Ersetzen der Nationalhymne durch Die Internationale.

Was jedoch zu keinem Zeitpunkt kritisiert wurde, war die Tatsache, dass die Veranstalter*innen die angespannte Situation dadurch versucht haben zu besänftigen, indem sie damit argumentierten, dass die Sänger*innen „aus dem Jugendhaus Herzogenried seien und einen Migrationshintergrund hätten“. Führen wir uns diese Situation einmal vor Augen: Da kommen Vertreter*innen der Mehrheitsgesellschaft, täuschen der Öffentlichkeit völlig unreflektiert und fälschlicherweise ein tolerantes und offenes Deutschland vor, tolerieren Deutschlandfahnen auf ihrer Demo, setzen obendrein noch das Singen einer Nationalhymne (dessen Verfasser ein ausgewiesener Nationalist, Fremdenhasser und Antisemit war) auf das Programm, lassen dieses menschenverachtende Lied zwei jungen Migrantinnen* singen und legitimieren ihre reaktionären Linie damit, dass es ja sogar „Migrantinnen“ sind die das Lied singen. Nach dem Motto: „Wenn junge Frauen mit Migrationshintergrund die deutsche Nationalhymne singen, dann haben wir (die deutsche Mehrheitsgesellschaft) alles richtig gemacht“. Dass hier vor den Augen hunderter Menschen junge Migrantinnen* instrumentalisiert wurden, um das (schlechte?) Gewissen der Veranstalter*innen rein zu waschen, wird dabei völlig übersehen.

Deutschland bedeutet Armut, Ausgrenzung und Krieg

Im Grunde hat sich die bürgerliche Mitte in Mannheim am Tag der deutschen Einheit ausschließlich selbst gefeiert. Anders kann der unreflektierte und unkritische „Wir sind die so viel besseren“-Charakter der Demo umschrieben werden. Weder im Aufruf noch in einem der dutzenden Redebeiträgen wurden die herrschenden Verhältnisse kritisiert. Kein Wort darüber, dass der so sehr geliebte Rechtstaat zugeschaut und mitgemacht hat, als jahrelang Menschen durch das NSU-Netzwerk ermordet wurden. Kein Wort über die Tausenden von Menschen, die durch die Abschottungspolitik ihres geliebten Rechtsstaates und der glorifizierten EU ihr Leben an den Außengrenzen Europas verloren. Kein Wort über die aktuell laufenden 13 Bundeswehreinsätze weltweit, welche bis 2015 schon 19 Milliarden Euro gekostet haben und weiteren 30 Milliarden Euro die für die Aufrüstung investiert werden sollen. Kein Wort über den sozialen Notstand in der BRD und der gesellschaftlichen Spaltung die damit einhergeht. Kein Wort über die verheerenden Auswirkungen des Neoliberalismus; dem Ausbau des prekären Sektors, der Umgehung des viel zu geringen Mindestlohns und dem Lohnunterschied von 21 % zwischen Männern und Frauen. Es gab und gibt wahrlich keinen Grund zu feiern am Tag der deutschen Einheit. Was jedoch die Veranstalter*innen daraus machten: Wohlfühl-Patriotismus mit linkem Antlitz.

Der Kampf gegen Rechts bleibt Handarbeit!

Im Kampf gegen Rechts braucht es auch die Unterstützung aus den bürgerlichen und zivilgesellschaftlichen Kreisen. Was der Kampf jedoch nicht benötigt, ist das Berufen auf nationale und reaktionäre Symboliken. Genauso wenig benötigt dieser Kampf einen Schulterschluss mit Großunternehmer*innen und Rechtsdemagogen á la Nikolas Löbel. Antifaschist*innen haben in Mannheim auch schon 2012 mit mehreren Tausend Menschen den Faschisten der NPD gezeigt, dass sie hier besser nicht marschieren. Davor haben die Nazis sich 12 Jahre lang nicht getraut in Mannheim aufzulaufen. Mannheim war und ist eine antifaschistische Stadt. Der Spruch „Mannheim bleibt Rot“ kommt nicht von ohne. Er ist begründet auf die historische Kampfbereitschaft der Menschen dieser Stadt gegen den Nationalsozialismus. Die Menschen die dafür gekämpft haben, dafür gestorben sind und die Antifaschist*innen die heute immer noch kämpfen haben sich zu keiner Zeit irgendwelcher nationalistischer Symbolik bedienen oder sich reaktionären Strömungen anbiedern müssen. Für den Kampf gegen Rechts reicht es nicht aus sich an einem Tag der nationalistischen Selbstvergewisserung Sonntagsreden und Deutschlandfahnen zu schwingen. Der Kampf gegen Rechts entscheidet sich ganz konkret in unserem Alltag, im Betrieb, an der Schule, an der Uni und nicht zuletzt auf der Straße. Durch Wohlfühl-Momentaufnahmen wie am vergangenen Mittwoch wird dieser Kampf nicht zu gewinnen sein. Stattdessen ist der Schritt, sich in antifaschistischen Strukturen zu organisieren und engagieren für den Sieg gegen Rechts unabdingbar. 

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