Der Kampf geht weiter - Sicherungsverwahrter gewinnt vor Gericht

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In der Vergangenheit habe ich über so manche Verfahren berichtet, die ich selbst gegen die Justizvollzugsanstalt Freiburg geführt habe; mittlerweile gehen auch andere Verwahrte dazu über, sich gerichtlich zu wehren. Darunter Herr Ho., knapp vierzig Jahre alt und seit 2014 in der Sicherungsverwahrung untergebracht.

 

 

Besuch der Eltern verweigert

 

 

An seinem Geburtstag wollte Herrn Ho. dessen Eltern besuchen kommen; er freute sich sehr auf die Begegnung, kochte Kaffee und hatte extra Kuchen besorgt. Um 13 Uhr sollte der Besuch beginnen, aber weil die Eltern „verspätet“ am Tor der Anstalt klingelten, nämlich erst um 12.45 Uhr, anstatt um 12.40 Uhr schickte man die Eltern weg und informierte das Geburtstagskind, dass der Besuch entfalle.

 

Herr Ho. reagierte mit großer Enttäuschung, schmiss seinen Korb, welchen er gepackt hatte um das Kuchengeschirr und den Kaffee in den Besuchsraum zu transportieren, auf den Boden.

 

Nachdem er sich abgekühlt hatte, wählte er den Rechtsweg. Und tatsächlich stellte dann am 04.02.2016 (Az.: 13 StVK 52/15) das Landgericht Freiburg unter Vorsitz von Richter M. fest: „Es wird festgestellt, dass die am 12.02.2015 erfolgte Verweigerung eines Besuches der Eltern des Antragstellers rechtswidrig war“.

Die Anstalt konnte nämlich nicht belegen, dass die Sicherheit oder Ordnung gefährdet worden wäre, hätte man die Eltern eingelassen, obwohl sie, anstatt wie von der Justizvollzugsanstalt vorgeschrieben, um 12.40 Uhr „erst“ um 12.45 Uhr am Tor geklingelt hätten.

 

 

Verweigerte Telefonate

 

 

Damit Sicherungsverwahrte an Weihnachten und Silvester länger mit ihren FreundInnen und Angehörigen telefonieren können als sonst von der Justizvollzugsanstalt zugelassen, wurde seitens der Abteilungsleitung im Dezember 2016 verkündet, die Telefone in den Zellen wären bis 24 Uhr am Heiligabend und bis 1 Uhr am Silvesterabend/Neujahr frei geschaltet, anstatt um 22 Uhr – wie sonst üblich – abgeschaltet zu werden.

 

Schon 2015 wurde derartiges versprochen und dann saßen die Insassen in ihren Zellen, aber die Telefone blieben stumm. Kleinlaut entschuldigte man sich dann Anfang 2016 und verwies auf technische Probleme.

 

Nachdem aber auch 2016 die Telefone erneut nicht frei geschaltet wurden, klagte Herr Ho. Und am 08.01.2018 entschied das Landgericht Freiburg (Az.: 13 StVK 12/17), dass es „rechtswidrig war, die Freischaltung der Telefone (…) nicht sichergestellt zu haben“.
Und zum Jahreswechsel 2017/18? Erneut wurde versprochen, man werde die Telefone frei schalten – und das dritte Jahr in Folge saßen die Insassen vor den toten Apparaten. Zumindest an Weihnachten 2017. Der hierfür verantwortliche Bedienstete, Herr Amtsinspektor W. bedauerte den Vorgang, man habe sich seitens der Anstaltsleitung extra noch im Vorfeld mehrfach darüber unterhalten und besprochen, dieses Jahr die Freischaltung wirklich sicher zu stellen – und er habe es dann prompt vergessen. Aber an Silvester funktionierte dann (erstmals) die Freischaltung tatsächlich.

 

 

Die abgesagte Ausführung

 

 

Sicherungsverwahrte in Baden-Württemberg dürfen vier Mal im Jahr die Anstalt, wenn auch scharf bewacht von Vollzugspersonal, verlassen; sei es zu Spaziergängen, oder um Freunde/Angehörige zu besuchen. So auch Herr Ho.

 

Für den 24. Mai 2017 hatte er geplant, seine Eltern zu besuchen, und sein berufstätiger Bruder sollte aus der Schweiz anreisen, wo er arbeitet und extra Urlaub genommen hatte. Die Enttäuschung und der Frust waren groß, als man am 22. Mai 2017 Herrn Ho. seitens der Anstalt mitteilte, die Ausführung für den 24. Mai sei hiermit abgesagt und werde zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden. Lapidar ließ die Justizvollzugsanstalt Freiburg wissen, ihr fehle das für die Ausführung erforderliche Personal.

 

Hiergegen zog Herr Ho. vor Gericht, nicht zuletzt auch deshalb, weil seit 2014 die Anstalt bei diversen Untergebrachten mitunter noch kurzfristiger lange geplante Ausführungen abgesagt hatte. Und in seinem konkreten Fall hatte sein Bruder ja sogar extra Urlaub genommen, um ihn zu treffen.

 

Das Landgericht Freiburg (Az.: 13 StVK 181/17) entschied am 01.08.2017, die Justizvollzugsanstalt habe nicht rechtsfehlerhaft gehandelt, sie hätte wegen kurzfristiger Personalausfälle sowie der Langzeiterkrankung mehrerer Beamter die Ausführung absagen dürfen.

 

Gegen diesen Beschluss erhob Herr Ho. Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht Karlsruhe. Mit Schriftsatz vom 25.10.2017 verteidigte das beteiligte Justizministerium des Landes Baden-Württemberg mit Vehemenz die Entscheidung der unteren Instanz, sowie die Praxis der Justizvollzugsanstalt Freiburg, auch langfristig im Voraus geplante Ausführungen kurzfristig abzusagen.

 

Das Oberlandesgericht Karlsruhe (Az.: 2 Ws 290/17) entschied am 13.12.2017 jedoch, dass auf die Rechtsbeschwerde von Herrn Ho. der Beschluss des Landgerichts vom 01.08.2017 aufgehoben und festgestellt werde, dass die Verfügung, mit der die Ausführung abgesagt wurde, rechtswidrig gewesen sei.

 

Sieg auf ganzer Linie für Herrn Ho. Wiewohl der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts primär formale Mängel rügt, so habe nämlich die Justizvollzugsanstalt bei Erlass ihrer Verfügung, mit der die Ausführung abgesagt wurde, die vom Gesetz vorgeschriebene Abwägung zwischen den schutzwürdigen Interessen von Herrn Ho., nämlich darauf vertrauen zu dürfen, dass die Ausführung erfolgen werde und den vollzuglichen Interessen der Anstalt nicht vorgenommen.

 

 

Wie geht’s nun weiter?

 

 

Die Anstalt hat seit 2013 in dutzenden Verfahren von den Gerichten attestiert erhalten, die Rechte der Sicherungsverwahrten verletzt zu haben; zu einem spürbaren Umdenkungsprozess hat dies aus Sicht vieler Insassen, wie auch ihrer anwaltlichen VertreterInnen, nicht geführt. Der Rechtsweg ist meines Erachtens, wiewohl ich ihn auch selbst nutze, aus politischer Sicht eine ambivalente Angelegenheit. Man wird darauf zurückgeworfen, jene Mittel zur Verteidigung zu nutzen, die einem der Staat belassen hat, und indem man sie nutzt, erhält man das System aufrecht, bestätigt also zumindest implizit dessen Legitimität.

 

Zudem mutet es pittoresk an, wenn eine sich selbst als „milieutherapeutische Einrichtung“ bezeichnende Anstalt von Gerichten seit Jahren bescheinigt bekommt, sie verletze die Rechte der dort zwangsweise festgehaltenen Menschen. Wo doch eigentlich dort, also in jener Einrichtung, deren Personal die Rechte der Sicherungsverwahrten verletzt, letztere lernen sollen, ihrerseits die Rechte anderer zu achten und zu respektieren (die Aufgabe des Vollzuges sei es nämlich, die Insassen zu befähigen, ein Leben in sozialer Verantwortung und ohne Straftaten zu führen).

 

Selbst im Grunde menschlich völlig selbstverständliche Gesten, wie eine Entschuldigung, bekommt man als Insasse fast nie zu hören (der oben erwähnte Amtsinspektor W. war sich nicht zu schade, sich für seinen Fehler zu entschuldigen, ist damit aber die absolute Ausnahme), aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass sich in keinem einzigen der dutzenden Verfahren, die ich gegen die Anstalt gewonnen habe, sich jemals irgendwer entschuldigt hätte.

 

Einsicht in eigenes Fehlverhalten fordert das Personal von den Insassen nahezu täglich ein, zugleich verweigert sich das selbe Personal mit einer Vehemenz, eigene Fehler einzuräumen und sich für Rechtsbrüche zu entschuldigen, die typisch ist für Staatsbedienstete. D.h. hier geht es den Insassen nicht anders als beispielsweise Opfern von Polizeigewalt.

 

So bleibt den Insassen nur, weiterhin den zu erwartenden Rechtsbrüchen gelassen entgegen zu sehen und mit diesen dann in bewährter Weise zu verfahren, denn sollte ein Untergebrachter auf Grund der Rechtsverletzung anders reagieren, zum Beispiel ausfallend oder aggressiv werden, würde dies seitens der Haftanstalt lediglich als Beleg für dessen fortdauernde „extreme Gefährlichkeit“ gewertet werden und die sowieso schon bescheidenen Chancen, jemals lebend entlassen zu werden, noch weiter sinken lassen.

 

Thomas Meyer-Falk, z. Zt. Justizvollzugsanstalt (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg
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