„Wir genossen die Angst in seinen Augen.“ – Konfrontation eines Täters
Folgender Text beschreibt die Konfrontation und Intervention von autonomen FLINTA*s gegen einen Täter (1). Denn wir haben die Schnauze voll. Wir haben die Schnauze voll, jeden Tag von einem neuen Outing und von Akten patriachaler Gewalt zu erfahren und uns mit unserer Wut darüber allein zu fühlen. Wir wollen nicht mehr nur die Betroffenen sein, die geduldig und achtsam darauf warten, dass Täter sich reflektieren und wieder im Zentrum der ganzen Aufmerksamkeit stehen. Eure Zeit ist abgelaufen.
CONTENT NOTE: Folgender Text thematisiert (patriachale) Gewalt. Situationen physischer Gewaltanwendung innerhalb dieses strukturellen gewaltsamen Zustandes werden ausserdem explizit beschrieben.
Wir haben vor einiger Zeit einen Täter in eine Falle gelockt. Er dachte, dass er die Chance haben würde, sich mit einer Betroffenen auszusprechen. Aber sein Handeln ließ es nicht zu, dass wir ihm diese Chance geben wollten. So kam er nichts ahnend in einen Raum, in dem wir als größere Gruppe von FLINTA*s auf ihn warteten und ihn in die Ecke drängten. Wir waren da, um ihn zu bedrohen und einzuschüchten. So zwangen wir ihn dazu, seine Taten zu benennen und uns weitere Informationen zu geben, damit wir ihn auch in Zukunft verfolgen können. Wir genossen die Angst in seinen Augen und nutzten den Moment zur Rache. Nachdem sicher war, dass er sich vor Angst fast in die Hose scheißt, haben wir ihm diesen Text vorgelesen:
„Klar ist, dass es Scheiße war, verdammte Scheiße, riesen Scheiße.
Egal ob ich dich heute anschreie oder nicht, weiß ich, dass ich solche Wut in mir trage dich Tag und Nacht anzuschreien und dir den Schmerz zurück zu geben, den du in mir verursacht hast.
Aber das bist du mir nicht wert.
Du warst und bist ein großes Stück patriarchaler Arschlochscheiße. Aber ich will dir nochmal vor Augen führen, dass du mich fast getötet hast.
Du hast mich ausgenutzt, ausgebeutet, immer wieder unterdrückt.
Jedes mal wenn du mich angelogen hast
Wenn du mich emotional oder sexuell unter Druck gesetzt hast
wenn du mich strategisch manipuliert hast
wenn du mich klein gemacht hast
wenn du mich verunsichert hast
wenn du aus meinem ’nein‘ ein ‚ja‘ gedrängt hast
Es gibt unendlich viele Momente der Gewalt aus unserer Beziehung. Und um es dir nochmal verständlich zu machen, nicht nur die körperliche. Nicht nur, dass du aus Eifersucht und als Strafe Hand an mich gelegt hast, du hast dich auf mich raufgesetzt, du hast mir mit deinen Händen die Luft abgeschnürt, du hast die Tür abgeschlossen und wolltest mich zum schweigen bringen.
Aber du hast es nicht geschafft mich zu brechen, du hast es nicht geschafft mich fertig zu machen, du hast es nicht geschafft mich zum Schweigen zu bringen. Denn hier bin ich, stark, frei und du wirst mich nie wieder zum schweigen bringen können! Zieh nie nie nie nie wieder so einen Scheiß ab! Ich bin nicht allein, wir sind Hunderte. Wir sind Tausende! Wir beobachten alle deine Schritte. Du warst dir vielleicht mal sicher, dass du mit uns machen kannst was du willst. Doch das ist vorbei. Lege je wieder Hand an, und es werden hunderte Fäuste in deiner Fresse landen.“
Es folgten dann einige weitere Schritte, auf die wir nicht weiter im Detail eingehen wollen.
Wir haben diese Art der Konfrontation gewählt, da wir auch eine Gegengewalt zu (s)einer patriachalen Gewalt bilden wollten. Dieses Werkzeug haben wir gewählt, weil wir unsere feministische Militanz von der Macker-Militanz abgrenzen wollen. Gewalt ist nicht nur Selbstzweck. Das heißt nicht, dass Täter keine Prügel verdient haben. Wir unterstützen jeden Schlag und wir stehen hinter jedem Schlag, den Täter für ihre Gewaltausübung kassieren. Ein weiterer Faktor ist leider, dass Täter häufig auch mal nahe Personen gewesen sind und häufig viel über uns wissen. Wir haben kein Vertrauen übrig, dass sie keine Snitches sind, die einfach mal bei den Bullen aussagen. Wir wollten eine unüberbrückbare Distanz schaffen, die ihm wehtut. Dabei wollen wir eigene Maßstäbe setzen und unsere Methoden neu überdenken und erfinden. Die großen Fragen sind hierbei: Wie grenzen wir uns von cis-männlich geprägter Gewalt ab? Wo ahmen wir nur nach? Wie schaffen wir unsere feministische Gewalt und machen Ängste aber nicht unsagbar? Wollen wir den Täter boxen, auch wenn er „nur“ rein psychisch gewalttätig war, wie z.B. durch Manipulation? Unser Fokus liegt immer auf den Wünschen und Bedürfnissen der betroffenen Person.
Z.B. ist die Frage, ob die betroffene Person überhaupt Körperkontakt mit dem Täter möchte, selbst wenn das Kontakt in Form einer Faust im Gesicht ist. Oder ob es nicht eine größere Genugtuung ist, den Täter sich minutenlang in Angst winden zu sehen. Das alles sind Maßstäbe unserer Gegengewalt. Während die Definitionsmacht selbstverständlich bei der betroffenen Person liegt, finden wir die gemeinsame Handlungsebene entscheidend. Unsere gemeinsame Handlungsmacht ist ein wichtiges Werkzeug gegen patriarchale Gewalt. Wir finden es wichtig, die betroffene Person nicht allein zu lassen in ihrer Entscheidung, wie mit dem Täter umgegangen werden sollte. Unsere kollektive Herangehensweise bricht mit der vereinfachenden Einteilung in: hier der Täter, dort die betroffene Person. Wir sehen unsere Gefährtin als Verbündete, die in diesem Fall die Betroffene ist. Aber vor allem wollen wir Entscheidungen gemeinsam treffen, statt einer einzigen Person die Verantwortung zuzumuten, zu entscheiden, welche Schritte mit der Täter gemacht werden sollen. Umgekehrt sind wir uns der strukturellen Dimension der Gewalt gegen unsere Freundin bewusst und wissen, es hätten auch wir sein können. Wir fühlen uns nicht nur gemeint. Wir sind gemeint. Durch jede weitere Gewalterfahrung, die eine*r von uns FLINTA*s macht, sollen wir uns verletzlicher fühlen. Unsicherer. Schwächer. Indem wir uns aber gemeinsam der Situation ermächtigt haben, indem wir gemeinsam Entscheidungen getroffen und gemeinsam Gegengewalt angewendet haben, konnte nicht nur die Betroffene, sondern konnten wir genauso unsere Handlungsmacht wieder herstellen und Kontrolle über die Situation erlangen. Rache üben.
Diese Konfrontation hat uns empowert, auch wenn dieser Begriff fast schon eine leere Phrase in unseren feministischen Praxen ist. Aber so ist es. Das, was wir uns vorgenommen haben, hat gut funktioniert. Und wir sind endlich raus aus der blinden Wut, dass es sich immer nur um die Täter dreht. Wir sind immer noch wütend, aber wir lassen uns nicht individualisieren in Betroffenheiten, und sind dadurch gefährlicher als je zu vor. Es geht um uns, FLINTA*s. Es geht darum, dass wir Seite an Seite stehen und das Patriarchat jeden verdammten Tag noch weiter in Stücke reißen. Es geht darum, dass wir Vertrauen zueinander schaffen.
Daran anschließend ist es wichtig und schön, gemeinsam die Denkhorizonte zu erweitern. Auch hier müssen wir uns gegenseitig inspirieren, aber auch kritisieren. Wir rufen mit unserem Erfahrungsbericht zur Nachahmung auf. Wir wünschen uns viele neue Ideen für den Umgang mit Tätern und freuen uns auf eure Erfahrungsberichte aus der Praxis!
Wir sind uns bewusst, dass transformative Arbeit aus dem Ansatz heraus geleistet wird, Knäste als strafende Institutionen abzuschaffen. Auch wir kämpfen natürlich für eine Gesellschaft ohne Knäste. Demgegenüber ist Rache unserer Ansicht nach insbesondere in der gegenwärtigen Ordnung das einzige Mittel, um ansatzweise etwas wie Gerechtigkeit zu verspüren und uns für einige Momente die Kontrolle über unsere Körper zurückzunehmen.
Unsere Kreise sind durchsetzt von Patriarchat und Rape Culture. Wir wollen weinen, schreien, alleine sein und auf Cis-Männer einprügeln. Und ja, das müssen wir. Aber es gibt so viele Wege, endlich die Ohnmacht der letzten Zeit zu verlassen und sie zur Rechenschaft zu ziehen. Die feministische Bewegung ist auch entstanden aus der Wut gegen Täter. Lasst uns zurück auf die Geschichte unserer Gefährt*innen der letzten Jahrzehnte schauen und erlernen, was auf dem Weg verloren gegangen ist.
„Vergewaltiger! Wir kriegen euch!“ Wir finden euch jederzeit und überall dort, wo ihr am wenigstens mit uns rechnet. Wir sind viele und wir lassen nicht zu, dass ihr euch sicher fühlt. Nirgends. Nicht zuhause, nicht mit euren Freund*innen, nicht beim Sport, nicht auf Arbeit, nicht bei Parties, nicht unterwegs. Ihr sollt fühlen, was es heißt, Tag und Nacht mit Angriffen rechnen zu müssen. Wir nehmen jeden Angriff auf weitere FLINTA*s persönlich. Wir sind viele und wir bilden Banden, bis wir euch alle zu fassen kriegen. Wir wollen keine Energie mehr verschwenden für fruchtlose Prozesse der Täterarbeit (2). Wir scheißen einfach mal auf Prozesse mit euch. Wir wollen, dass ihr selbst die Angst spürt, die ihr versucht, uns einzuflößen – und sonst nichts. Denn all diese Outings der letzten Monate, der letzten Jahre, die ermüdenden, unbefriedigenden Prozesse, die jahrelange unbezahlte care-Arbeit der Aufarbeitung haben uns eins gezeigt: ihr habt euren Anspruch auf eine kollektive Auseinandersetzung verwirkt.
…
Checkliste (kein Anspruch auf Vollständigkeit):
– Bewaffnung? Pfeffer? Handschuhe? etc.
– Vermummung?
– Lichtverhältnisse – z.B. abgedunkelter Raum?
– Verfolger*in für direkt danach
– Sicherheitsabstand zwischen Täter und betroffener Person
– Fluchtwege vorher klären
– Selfcare – was braucht der*die Betroffene, um sich in der Sitiation möglichst sicher zu fühlen? z.B. Tee, Schokolade, eine Hand halten, Nähe, Papier zum Ablesen, keine Tür im Rücken, eine Tür im Rücken.. usw.
– vorher durchspielen wie Rollenspiel/Theater – verschiedene Szenarios
– genauen Zeitplan erstellen, genügend Zeit einplanen, Puffer einplanen, aber nicht zu viel Leerlauf, keine unnötigen Zeiträume; danach besser schnell weg?; Vorabend + Abend danach klären (wo schläft der*die Betroffene, wer ist mit ihm*ihr usw.)
– Hin/Rückwege – nicht allein zum Ort der Konfontration oder von dort wegfahren müssen
…
(1) In dieser Text beziehen wir uns auf cis-männliche Täter. Wir sind uns bewusst, dass es auch nicht-cis-männliche gewaltausübende Personen gibt. Aber unser Handlungsvorschlag bezieht sich nicht gegen FLINTA*s.
(2) Wir schätzen die Menschen wert, die Täterarbeit leisten. Aber wir wollen verschiedene Werkzeuge für verschiedene Situationen finden.
Ergänzungen
Denkansätze
Uns interessierein an eurer Auswertung einige Ansätze die wir gerne vertiefen würden:
Wie sehr Ihr den aufgeworfenen Widerspruch zwischen Gerechtigkeit und Rache? Ihr schreibt ja selber das Rache keine Gerechtigkeit schafft, wie versteht Ihr euren Ansatz. Wie grenzt Ihr euch von anderen feudalen Systemen der Blutrache oder des "Auge im Auge"-Prinzips ab?
Ihr schreibt davon das nicht nur cis-Männer gewalttätig agieren und vergleichbare Formen von Übergriffen wie Sie cis-Männer begehen auch von anderen Gendern begangen werden (könnten). Wie erklärt Ihr das Ihr die von euch geschilderte Form des Umgangs, der Bestrafung dort ablehnend gegenübersteht. Unterscheidet Ihr hier Formen der Bestrafung nach Geschlechtern? Wie erklärt Ihr das, dass nur auf Grund des geschlechts drakonische Strafmuster angewendet werden, die bei gleicher Tat (so verstehen wir euren Ansatz) anderen Non-cis-Male-Täter(innen) nicht drohen.
Welche weiteren "Werkzeuge" zur Informationsgewinnung und Bestrafung diskutiert Ihr? Befürwortet Ihr auch Folter eines cis-Mannes? Wie gesichert sind Informationen die Ihr auf eurem Weg der "Befragung" errungen habt. Wie sichert Ihr euer Vorgehen gegen Kritik an der Informationsgewinnung ab.
Wie steht Ihr zu vorsorglichen Strafungsmodellen, z. B. Zwangskastration bei männlichen Säuglingen?
Bitte beschreibt nochmal genauer wie eure Vorstellungen sich mit den unseren überschneiden und schildert unbedingt auch künftige Jagden und Strafaktionen an Männern.
Wir danken für euer Tun. Tod dem Patriarchat.
nur zu kritisieren ist einfach
Würde es sehr begrüßen wenn die Menschen, die ehrliche und differenzierte Kritik an der Methode haben, sich auch die Mühe machen ein paar Sätze darüber zu verlieren wie denn alternativ (besser) mit der andauernden patriarchalen Gewalt umgegangen werden sollte. Von der überwiegend FLINTA* betroffen sind(!).
Ein cis-männlich sozialisierter, der viel Verständnis für Wut und Rache hat und der beschämt darüber ist wie viele Übergriffe es gibt und wie wenig bis gar nichts passiert und wie langsam Prozesse der Aufarbeitung und Wiedergutmachung sind, wenn denn überhaupt ehrliches Bewusstsein oder Interesse dafür da ist..
Wenn sich die Verhältnisse (der Unterdrückung und des Täterschutzes) ändern, dann ändern sich vermutlich auch die Methoden der Gegengewalt und Selbstverteidigung.
Etwas mehr Verständnis und Sensibilität für das Ausmaß, könnte zu konstruktiverer und wohlwollenderer Kritik führen.