Die vertrackte Weihnachtsfeier
In der südbadischen Haftanstalt Freiburgs sind die Sicherungsverwahrten seit 2012 in einem gesonderten Gebäude untergebracht. Dennoch konnten sie, wie all die Jahrzehnte zuvor, an der großen „Weihnachtsfeier“ in der anstaltseigenen Sporthalle teilnehmen. Für das Jahr 2017 verwehrte man ihnen die Teilnahme, stattdessen fand im Hofareal der SV-Anstalt eine von der Anstaltsleitung als „Weihnachtsmarkt“ etikettierte Ersatzveranstaltung statt.
Die Weihnachtsfeier in der Sporthalle
Die JVA Freiburg (http://www.jva-freiburg.de) verfügt über eine eigene Sporthalle auf dem Anstaltsgelände. Dort können die Insassen neben Kraftsport auch Volleyball, Fußball und andere Sportarten ausüben, stets unter den scharfen Augen der uniformierten Beamtinnen und Beamten. Zugleich dient die Halle als Veranstaltungsort für größere Veranstaltungen, wie Personalversammlungen, oder eben der an einem Wochenende im Dezember stattfindenden „Weihnachtsfeier“, dieses Jahr am Sonntag, den 10. Dezember.
Von Insassen und Bediensteten wird hierfür die Halle mit einem Schutzboden ausgelegt (damit der empfindliche Hallenboden nicht verkratzt), es werden Bänke und Tische aufgestellt, alles wird adventlich dekoriert. Das heißt, der Arbeitseinsatz ist durchaus erheblich. Vor allem ist für die Insassen von Bedeutung, dass zu der Feier Angehörige eingeladen werden dürfen, und es zudem neben Kaffee und Kaltgetränken auch belegte Brötchen und Kuchen gibt. Angesichts der chronischen Mangelsituation in Gefängnissen freuen sich viele Inhaftierte, einmal reichhaltig essen zu dürfen.
Langjährige Insassen berichten außerdem, dass es früher, zuletzt noch in den 90er Jahren für jeden Insassen am Ende der Veranstaltung eine Weihnachtstüte mit Obst und Weihnachtsgebäck gegeben habe.
Zudem bemüht sich das Personal darum, ein Rahmenprogramm anzubieten. So wurden in den letzten Jahren neben Gesangsauftritten auch sportliche Einlagen geboten. Neben den Insassen und deren Angehörigen nehmen an der Feier auch Mitglieder der Anstaltsleitung, des Sozial- und des psychologischen Dienstes, sowie die Anstaltsgeistlichen teil, außerdem stets auch ein Vertreter der Stadt, sowie Mitglieder des Anstaltsbeirates.
Für die Insassen ist es eine der wenigen Möglichkeiten, einmal ganz in Ruhe über mehrere Stunden, in der Regel kann man ungefähr mit drei Stunden rechnen, zusammen zu sitzen, sich zu unterhalten, gemeinsam zu essen. Man lernt auch Angehörige von Mitgefangenen kennen und all das, trotzdem man in einer mit vergitterten Fenstern ausgestatteten Halle sitzt, in relativ entspannter Atmosphäre. Insbesondere für jene Sicherungsverwahrten, die in Gefängnisbetrieben mit Strafgefangenen zusammen arbeiten, oder für jene, die die Gefängnisschule besuchen (mittlerweile sind das drei SVler) bot sich zudem so die Möglichkeit, mit denen die sie mitunter schon seit Jahren kennen, gesellig beisammen zu sitzen.
Die Teilnahme von Sicherungsverwahrten
In früheren Jahren konnten neben den Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten auch Untersuchungsgefangene teilnehmen. Ich selbst habe nach Beginn meiner SV-Zeit im Juli 2013 an den Begegnungen im gleichen Jahr, sowie in allen Folgejahren teilgenommen. Allerdings waren es meist nur weitere drei, vier andere Sicherungsverwahrte, die dieses Angebot auch genutzt hatten. Für 2017 wurde den Untergebrachten, wie man Sicherungsverwahrte im Amtsjargon auch nennt, die Teilnahme verboten, respektive, es wurden entsprechende Anträge auf Teilnahme abgelehnt.
Mit Verfügung vom 2.11.2017 hat der mittlerweile zum Regierungsdirektor beförderte Herr R. in einer umfänglichen Verfügung die Teilnahme abgelehnt.
Manchen ist er noch aus älteren Texten von mir als Regierungsrat R. bekannt, u.a. ist er nämlich damit hervorgetreten, sich im Rahmen eines Rechtsstreits auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts zum sogenannten „Preußenschlag“ von anno 1932 zu beziehen
(http://www.freedom-for-thomas.de/thomas/texte/knast/vy7X8B9HBJ.shtml).
Aus seiner Sicht, bzw. der der Anstalt, sei es nicht geboten, die Teilnahme zu gestatten, denn das Bundesverfassungsgericht habe 2011 entschieden, dass Sicherungsverwahrte und Strafgefangene zu trennen seien (Trennungsgebot). Bislang hätte es eine „Angebotslücke“ gegeben, was die Weihnachtsfeierlichkeiten anbelange, diese Lücke sei nunmehr geschlossen, durch den „Weihnachtsmarkt“. Im übrigen stelle die Weihnachtsfeier für die Strafgefangenen eine Behandlungsmaßnahme dar, da diese im Regelfall (noch) keine Ausführungen erhalten würden, wohingegen den Sicherungsverwahrten mindestens vier Ausführungen pro Jahr gewährt würden („Ausführungen“ meint das stundenweise Verlassen der Haftanstalt unter Begleitung und Bewachung von Gefängnisbediensteten).
In seinem Schriftsatz vom 14.11.2017 an das Landgericht Freiburg, denn mehrere Sicherungsverwahrte hatten gegen die Entscheidung Klage erhoben, weist Herr R. noch darauf hin, dass es sogar „einen Grill-, einen Punsch- und einen Waffelstand geben werde“. Ferner wolle die „Arbeits- und Kunsttherapie (…) einen Stand im SV-Hof (ohne Verkauf) aufstellen“. Des weiteren können „die Untergebrachten (…) für den Weihnachtsmarkt Plätzchen oder Kuchen backen, die jedoch nicht zum Verkauf bestimmt sind“.
Es handele sich also „im Gegensatz zur Gefangenenweihnachtsfeier in der Sporthalle um eine interaktive Veranstaltung“, welche den Anforderungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 4.05.2011 (Az.: 2 BvR 2365/09) „an ein adäquates Freizeitangebot weitaus eher“ entspreche.
Amen!
Der Weihnachtsmarkt im Hofareal der Sicherungsverwahrung
Am Nikolaustag 2017 fand nun der erste sogenannte „Weihnachtsmarkt“ im Gefängnishof der Sicherungsverwahrung statt. Schon gegen 13 Uhr begannen drei SozialarbeiterInnen und zwei Insassen mit dem Aufbau. Es wurden Stehtische, ein Grill, zwei Sitzbänke mit Tisch aufgestellt, sowie das Waffeleisen und der Kinderpunsch-Topf. Ein Insasse dekorierte auf alle Tische Servietten und Kekse.
Die Tanne im Hof wurde mit einer Lichterkette und Kugeln geschmückt. Es wurden selbst gebastelte Adventssterne aus Papier aufgehangen.
Gegen 15 Uhr trafen dann die Gäste ein, überwiegend Personal (selbst solches aus der Strafanstalt), sowie ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer, aber auch vereinzelt Familienangehörige, rund 25 – 30 an der Zahl. Darunter die Hausspitze, d.h. Cheftherapeutin Frau Dr. S. und der Vollzugsleiter Herr G., und der schon erwähnte Regierungsdirektor. Auch die zwei Anstaltsseelsorger wurden gesehen.
An Insassen kamen rund 25 – 30 zumindest mal gelegentlich in den Hof, einige darunter, so auch ich, unter konsequenter Verweigerung der Annahme von Getränk oder Würstchen. Andere Verwahrte wiederum sprachen dem Speiseangebot (Waffeln und Würstchen) sehr reichhaltig zu.
Ich selbst war für circa eine Stunde im Hof, um mir persönlich ein Bild von der Veranstaltung zu verschaffen, allerdings ohne etwas zu konsumieren.
Geschickterweise wurde eine „abgeschnittene Ghettomülltonne“ (Zitat des Mitverwahrten H.) vorgehalten, in der Holz und Müll verbrannt wurde, um sich bei den frostigen Temperaturen warm halten zu können. Denn es war bitterlich kalt und die zwei Bänke luden auch nicht dazu ein, Platz zu nehmen.
Bis 17 Uhr standen deshalb in Grüppchen die Bediensteten, BesucherInnen und Insassen zusammen, tranken, aßen und unterhielten sich. Die erwähnten Kekse jedoch fanden keine Abnehmer; offenbar waren sie so hart, dass man sie nicht gut essen konnte. Aber auch hier geht nichts verloren, gegen Ende der Feier nahm ein Insasse mehrere Beutel und packte sich die Kekse ein, zudem reichte er einem anderen Insassen durch dessen Zellenfenster einen Beutel voll mit Keksen. Zum in den Kaffee tunken werden sie wohl allemal reichen.
Punkt 17 Uhr begann der Abbau, wieder durch Bedienstete und einige wenige Insassen. Gegen 17:30 Uhr war dann schon alles abgebaut und der Hof lag wieder verwaist im Scheinwerferlicht und in winterlicher Kälte.
Versuch einer Analyse und Einordnung
Aus Sicht mancher Sicherungsverwahrter ist es erfreulich gewesen, dass die Anstalt den sogenannten „Weihnachtsmarkt“ durchführte. Jene, denen die Teilnahme an der Weihnachtsfeier in der Sporthalle nicht erlaubt wurde, waren weniger begeistert. Ferner gibt es noch jene Verwahrten, die prinzipiell jedes Angebot der Anstalt kritisch bewerten (um es diplomatisch zu formulieren. Es fallen dann Sätze wie „so ein Scheißdreck!“).
Wir haben mehrere Ebenen zu unterscheiden. Zum einen das Angebot einer solchen Veranstaltung aus Sicht der Anstalt, dann aus Sicht der Insassen und zum anderen den psychologischen Interpretationsversuch des Handelns derjenigen, die die Teilnahme an der regulären Weihnachtsfeier verwehrten, aus Binnensicht der betroffenen Verwahrten.
Aus Mitteilungen von Anstaltsbediensteten lässt sich entnehmen, dass man dortigerseits sehr angetan ist von dem „Weihnachtsmarkt“. Ein weiterer Baustein im Behandlungsangebot der Anstalt, welcher sich zudem hervorragend für die Außendarstellung eignet (so wie von mir schon vor einiger Zeit am Beispiel der „Hundegruppe“ für Sicherungsverwahrte näher dargestellt, kommt es der Anstalt bei allen Angeboten, die sie den Insassen unterbreitet, auch auf die Darstellungsmöglichkeit nach außen an).
Wie schon angedeutet, gibt es unter den Verwahrten mindestens drei Sichtweisen; jene, die den Weihnachtsmarkt begrüßen und die es unberührt lässt, nicht an der Weihnachtsfeier mit den Strafgefangenen teilnehmen zu dürfen. Dann jene Gruppe, die skeptisch auf die Veranstaltung blickten und lieber an der Feier in der (geheizten) Sporthalle, zusammen mit ihren Bekannten und Arbeitskollegen teilgenommen hätten, sowie jene, die Veranstaltungen wie nun diesen „Weihnachtsmarkt“ aus prinzipiellen Gründen ablehnen, sogar verurteilen und kritisieren.
Den Vorwurf der fassadären Aufhübschung muss sich das Anstaltspersonal sicherlich gefallen lassen; SV-Anstalten sind Stätten, in welchen Leiden „aufbewahrt“ wird, wo Menschen vielfach nur darauf warten, eines Tages hinter Gittern zu sterben (über das sogenannte „Totenhaus“ berichte ich seit 2013 immer wieder). Da bedeutet es dann recht wenig, wenn sich einerseits an der Kultur des Wartens auf den Tod wenig ändert, und man andererseits eine kleine Show-Einlage in Form eines sogenannten „Weihnachtsmarktes“ geboten bekommt. Bezeichnend war auch, dass sobald die anstaltsfremden BesucherInnen den Hof verlassen hatten, sofort mit dem Abriss der „Fassade“ begonnen wurde. 20 Minuten später sah der Knasthof so trostlos, leer und kalt aus, wie an den übrigen 364 Tagen des Jahres.
Wie steht es nun um die (psychologische) Deutung des Handelns der Anstaltsbediensteten, die das Teilnahmeverbot zu verantworten haben, aus? Meine These lautet, die Untersagung der Teilnahme ist Ausdruck eines latenten, möglicherweise auch unbewussten Sadismus, als eine Form von unterschwellig empfundener aggressiver Impulse des Personals gegenüber den Insassen.
Vorausschickend ist anzumerken, dieser Deutungsversuch basiert nicht ausschließlich auf diesem hier dargestellten Verbot der Teilnahme an der Weihnachtsfeier in der Sporthalle, ein solches Vorgehen würde das Verbot überinterpretieren. Vielmehr reiht sich das Geschehen in eine Abfolge verschiedenster gleichartiger Einschränkungen des Lebensalltages der Verwahrten ein: Besucherinnen und Besucher der Insassen müssen zwingend 20 Minuten vor Beginn des Besuchs am Tor der Justizvollzugsanstalt erschienen sein, ansonsten werden sie, egal wie weit die Anreise auch gewesen sein mag, fort geschickt (im Vergleich dazu die Praxis der JVA Bruchsal; dort müssen BesucherInnen innerhalb der festgesetzten Besuchszeit kommen. Wer also von 12:30 – 15:00 Uhr einen Besuch terminiert hat, dessen Besuch muss vor 15:00 Uhr eintreffen, wird aber nicht etwa weggeschickt).
Sicherungsverwahrte durften noch 2013 und 2014 mit den Strafgefangenen in deren großen Hof. Dort werden Tennis, Volleyball, Fußball, Kraftsport und mehrere Tischtennis-Platten vorgehalten. Den Verwahrten wurde zwischenzeitlich verboten, am Strafhaft-Hof teilzunehmen. Nunmehr sind also die Verwahrten beschränkt auf den kleinen Hof der SV-Anstalt, wo es bis auf eine marode Tischtennis-Platte und eine Klimmzugstange keinerlei Sportangebote gibt.
Außerdem sieht, wer im Hof der SV-Anstalt steht, lediglich die hohe Mauer, sowie das Gefängnisgebäude und wenn man nach oben blickt, den Himmel. Im Strafhafthof kann man immerhin Gebäude der Universität Freiburg sehen, das Münster und einen weiteren Teil der Umgebung, denn die Anstalt liegt so ziemlich im Stadtzentrum. Das Auge kann so in die Ferne schweifen. Wer mag, kann sich ja mal über google-earth das Gelände der Haftanstalt aus der Vogelperspektive ansehen.
Es gibt nun zahlreiche tägliche Mikroaggressionen (zu denen zählt das nackt Ausziehen nach Ausführungen; die Eigenart der Chefpsychologin, konsequent mit Schuhen zum Dienst zu erscheinen, die ihr Erscheinen schon aus 10 Metern Entfernung „tack, tack, tack“ ankündigt; die permanente Beobachtung und Dokumentation jeglichen Vollzugsverhaltens und anderes mehr), die sich hier in das Gefüge einordnen und die eben auch als feindselige Aggression gegen die Insassen gelesen werden können. Ebenso der Versuch, mir wegen meines Kleidungsstils (barfuß und mit arabischem Gewand), Vorhaltungen zu machen und mich zu bewegen, doch beschuht und in „normaler“ Kleidung aufzutreten.
Hier reiht sich dann das Verbot der Teilnahme an der Gefangenenweihnachtsfeier ein. Zwar wurde den Verwahrten eine Kompensation angeboten, aber wie oben beschrieben, diente die fassadäre Aufhübschung zumindest wesentlich auch der Selbst- und Außendarstellung der Anstalt gegenüber anstaltsfremden Personen.
In ihren regelmäßig dem Justizministerium vorzulegenden Berichten wird sich die Leitungsebene erwartungsgemäß nun selbst feiern, was für ein famoses Angebot man den ganzen Schwerkriminellen denn da nun geboten habe.
Dass das Personal gegenüber Menschen, die beispielsweise Kinder sexuell missbraucht (sinnigerweise war jener, der die Kekse so schön drappiert hatte und immer um die Psychologen und Beamten herum schwirrte ein solcher, wie dann auch am Ende der Veranstaltung jener, der die Kekse alle einsammelte), Frauen vergewaltigt, getötet haben oder auch gegen Menschen wie mich, aggressive Regungen empfinden, liegt auf der Hand. Nicht umsonst bietet die Anstalt für alle Beschäftigten in der Sicherungsverwahrung regelmäßig Supervisionen an. Nun ist es nicht schwer, die bürokratischen Mechanismen einer Anstalt zu nutzen, solche aggressiven Impulse auszuleben, eben durch die Bürokratie; es werden Regeln aufgestellt, die der Logik entbehren und meist nur den Sinn haben, Menschen zu kujonieren. Oder man verbietet eben die Teilnahme an einer geselligen Veranstaltung und verweist auf ein neu geschaffenes eigenes „Angebot“.
Wie in solch einem System die Insassen lernen sollen, künftig ein selbstbestimmtes Leben in sozialer Verantwortung zu führen, mag nicht nur mir nicht eingängig erscheinen.
Thomas Meyer-Falk, z. Zt. JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg
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