Statement der Awarenesscrew Tübingen zu den Vorfällen in der Gartensia 7

Stadt/Region: 
Das Awarenessteam Tübingen solidarisiert sich mit den betroffenen Personen, die in der G7 gewohnt haben, aber im weiteren Verlauf der Geschehnisse aus dem Kollektiv ausgeschlossen und rausgeworfen wurden.

Vorab:
Mit dem folgenden Statement soll weder die Gartensia 7 als sexistisches Projekt noch alle Mitstreiter*innen des Kollektivs als sexistisch diffamiert werden.
Wir wollen mit diesem Statement diejenigen ausgrenzenden, unterdrückenden und
sexistischen Strukturen und Abläufe aufdecken, die auch in linken Räumen gar nicht oder nur nach bestimmten "Vorfällen" wahrgenommen werden. Es reicht eben nicht sich feministisch, antisexistisch oder emanzipatorisch zu nennen, solange mensch nicht bereit dazu ist, in die Prozesse und Auseinandersetzungen zu gehen, die Feminismus und eine antisexistische Praxis bedeuten.

Wir kritisieren den Umgang mit dem sexuellen Übergriff scharf!
Das Awarenessteam Tübingen solidarisiert sich mit den betroffenen Personen, die in der G7
gewohnt haben, aber im weiteren Verlauf der Geschehnisse aus dem Kollektiv
ausgeschlossen und rausgeworfen wurden. 
Wir üben Kritik daran, wie mit den betroffenen Personen und mit dem von diesen definierten
sexuellen Übergriff umgegangen wurde. Wir sind schockiert über den weiteren Verlauf des
Umgangs mit den betroffenen Personen, ganz besonders innerhalb der G7.

Awareness bedeutet für uns, ein Bewusstsein für die vorherrschenden sexistischen
Machtverhältnisse zu schaffen, von denen vor allem Frauen, Lesben, Inter-, Nicht-Binäre und
Trans- Personen ständig in ihrem Alltag betroffen sind. Mit und vor diesem Bewusstsein,
lassen sich Reflektionsgeschehen und Unterstützungsangebote gestalten.
 
Wir wollen aufgrund der Geschehnisse der letzten Wochen im Speziellen darauf aufmerksam
machen, wie wichtig es ist, gesellschaftliche Machtverhältnisse auch in sich als links
bezeichnenden Strukturen zu hinterfragen - sowie die eigene Positionierung in diesen
Machtverhältnissen und Strukturen kritisch zu reflektieren. Lasst uns jeglichem
diskriminierenden Verhalten in gemeinsamer Verantwortung entgegentreten!

Wir sprechen uns gegen den unsolidarischen Umgang der G7 gegenüber den Betroffenen
aus. 

Dies betrifft vor allem folgende Verhaltensweisen im Umgang mit den Betroffenen und
dem sexuellen Übergriff:
Die betroffene Person, sowie auch andere betroffene Personen, benennen wiederholt
grenzüberschreitende, übergriffige und respektlose Verhaltensweisen ihr und anderen
weiblich gelesenen Personen im alltäglichen Hausgeschehen gegenüber. 
Die betroffenen Personen möchten sich dafür engagieren, Awareness Strukturen innerhalb
des Hauses zu etablieren, damit sich FLINT* Personen wohl fühlen können. Aber wie so oft,
beschäftigen sich nur selbst von Sexismus betroffene Personen mit der Thematik. Die
Prozesse werden ausgelagert oder als nicht "so wichtig" betrachtet, gerade von den
Personen, die die Erfahrungen nicht machen (mussten).

Die betroffene Person definiert eine Situation konkret als sexuellen Übergriff. Daraufhin wird
dies von einigen Personen in der Gruppe in Frage gestellt. Der betroffenen Person wird die
Definitionsmacht abgesprochen, denn das Geschilderte wird in Frage gestellt (und es wird
darüber diskutiert). Daraufhin erfolgt (genau aus diesem Grund auch) keine richtige
Aufarbeitung des Übergriffs. Die Selbst-Reflektion, über die eigenen sexistischen (Alltags-
)Strukturen, bleibt aus oder wird verhindert. Genau in der Verhinderung und Unterdrückung
eines selbstkritischen Reflektionsgeschehens der Gruppe liegt unserer Meinung nach das
Problem: Hier werden die Machtstrukturen offenbart. Machtstrukturen, die in der Gesellschaft
vorherrschend sind, werden so leider auch in diesem "Freiraum" reproduziert.
Im weiteren Verlauf wird die Wut und der Ärger, den die Betroffenen spüren und äußern,
ihren Charakteren zugeschrieben und als "nicht mehr tragbar" für die Gruppe bewertet.
Die Betroffene wird "geblamed" (Stichwort: Victim Blaming) und ihre Emotionen und ihre
Wahrnehmung in Frage gestellt (Stichwort: Gaslighting). Es findet eine Opfer-Täter-Umkehr
statt. Anstelle eines klärenden und Geschehnisse reflektierenden Plenums folgt schließlich
der Ausschluss der Betroffenen aus der Gruppe und der Rausschmiss aus der G7.  

 

Wir sehen eine fehlende Reflektion über Macht und Sexismus reproduzierende
Strukturen und fehlende Distanzierung von persönlichen Differenzen!
Ein weiterer wichtiger Punkt, den wir durch die in der G7 lebenden Menschen nicht reflektiert
sehen, ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Positionierung in den Machtverhältnissen
und Strukturen innerhalb der G7. Damit sprechen wir sowohl die fehlende Reflektion über
Strukturen an, die sexualisierte Gewalt begünstigen oder hervorbringen, als auch die
Reproduktion von Machtverhältnissen im eigenen Verhalten. 
Dies zeigt sich deutlich an den bereits angesprochenen Verhaltensweisen, aber auch an
einer offensichtlich fehlenden Distanzierung von persönlichen Differenzen. Wir sehen weder
einen solidarischen Umgang mit den Betroffenen, noch eine kritische Reflektion über eigene
Strukturen. Stattdessen sehen wir, wie ein sexueller Übergriff genutzt wird, um persönliche
Konflikte auszutragen und eigene Ziele umzusetzen. Der fehlende Wille zur eigenen
kritischen Auseinandersetzung und strukturellen Veränderung steht nicht nur im Kontext von
bloßem Unvermögen eines angemessenen Umgangs, sondern ebenso innerhalb einer
Instrumentalisierung des Vorfalls, um den Rausschmiss der betroffenen Personen zu
erreichen. Die betroffenen Personen ohne Vorwarnung auf die Straße zu setzen, finden wir
infolgedessen schockierend und beschämend.

Dass eigene Ziele und Sympathien wichtiger werden als strukturelle Veränderungen, ist eine
allgemein wiederkehrende Gefahr in linken Strukturen und Projekten. Der Grad an
Sympathie bestimmt oft über den Grad an Unterstützung oder beispielsweise darüber, wem
mehr Glauben geschenkt wird. Dies begünstigt Positionierungen, die nicht frei
von persönlichen Differenzen und Gefühlen gegenüber Betroffenen sind und damit häufig zu
einem unsolidarischen Umgang mit Betroffenen führen können.

Dabei appellieren wir auch an die Menschen, die nicht in der G7 wohnen und sich aber über
ihre eigene Positionierung Gedanken machen oder in Austausch mit anderen gehen.

 

Sich als linkes/feministisches Projekt zu definieren heißt leider nicht, dass linke
Strukturen automatisch vorhanden sind. 
Wir dürfen nicht vergessen, dass wir Alle Teil der vorherrschenden Strukturen sind und, egal
in welcher gesellschaftlichen Position, daran beteiligt sind, diese Strukturen aufrecht zu
erhalten. Oft auch, weil wir uns dessen nicht bewusst sind oder es schwer ist, sich diesen
Vorurteilen entgegen zu stellen. Die Vorstellung eines gewaltfreien Raumes durch bloße
Definition ist eine hippieeske Vorstellung, die völlig außer Acht lässt, in welchem System wir
leben und wie wir sozialisiert und aufgewachsen sind. 
So anstrengend und teilweise unangenehm es auch sein mag, es braucht Reflektion und
regelmäßige Auseinandersetzung mit sich selbst und Anderen. Der nächste notwendige
Schritt ist die Bereitschaft, von in unserer Gesellschaft besonders privilegierten Personen,
Macht abzugeben, also Machtverluste zu akzeptieren, und sich gegen jede Form von
Diskriminierung zu positionieren und dagegen zu handeln. 
Möchte die G7 linken Wohnraum schaffen, wird es höchste Zeit, dass auch sie damit anfängt und Menschen, die genau diese Auseinandersetzung fordern, nicht ausschließt

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