Look back to fight forward! – Für ein aktives Gedenken an alle Opfer rechter Gewalt!
An einem aktiven Gedenken, an diesen rassistisch motivierten Mord, hat sich die Stadt Leipzig lediglich bei der Einweihung des Gedenksteins an Kamal beteiligt. Die Errichtung dessen wurde behördlich eher behindert als aktiv gefördert. Der Initiative von Kamals Familie, Gruppen und Einzelpersonen ist es zu verdanken, dass dieser Gedenkstein initiiert werden konnte.
Rechter Mob und Gewalt
Solch ein Mord aus “niederen Beweggründen”, wie der zuständige Richter diesen in der Urteilsverkündung klassifizierte, geschieht nicht im luftleeren Raum, sondern in einem gesellschaftlichen Klima, das sich durch rassistische Mobilisierungen immer weiter verschärft.
In Leipzig wurden seit 1990 mindestens acht Menschen Todesopfer rechts-motivierter Gewalt; hinzu kommen zwei Verdachtsfälle – bundesweit gab es seitdem 184 weitere Morde.
Erinnert sei an dieser Stelle auch an die Ermordung von Bernd G. am 8. Mai 1996 in Leipzig-Wahren. Der 43 Jahre alte Kaufmann wurde auf Grund seiner Homosexualität von den drei Neonazis David D., Rainer S. und Michael L. unvermittelt angegriffen. In der Nacht zum 8. Mai wird Bernd G. von den Tätern mit den Worten „Hau ab, du schwule Ratte” angegriffen, geschlagen und getreten. Sie werfen einen Ziegelstein auf seinen Kopf und fügen ihm mindestens 36 Messerstiche zu. Bernd Grigol stirbt laut Gerichtsmedizin an einem Genickbruch. Die Leiche wird elf Tage später in einem See im Leipziger Umland gefunden. Über einen rechten Hintergrund schwieg das Leipziger Landgericht. Der qualvolle Mord jährt sich in diesem Jahr zum zwanzigsten Mal.
Auch die Ermordung von Achmed B. jährt sich in diesem Jahr bereits zum zwanzigsten Mal. Der aus Syrien kommende Asylsuchende Achmed B., wird nur 30 Jahre alt. Am 23. Oktober 1996 wird er von zwei jungen Neonazis, Daniel Z. (20) und Norman E. (18), erstochen. Nachdem die Täter stundenlang faschistische und rassistische Parolen grölend durch die Stadt gezogen sind, betreten sie am Abend ein Gemüsegeschäft in der Leipziger Südvorstadt. Zunächst beschimpfen sie die Verkäuferinnen als „Türkenfotzen“ und „Türkenschlampen“ und drängen sie an eine Wand. Als Achmed B. seinen Kolleginnen zur Hilfe kommen will, wird er angegriffen. Nachdem es ihm gelingt, die beiden Angreifer aus dem Geschäft herauszubewegen, sticht einer der beiden auf Achmed B. ein. Dieser Mord mit eindeutig rassistischem Hintergrund wird von Vertreter*innen der Stadt zum Teil verharmlost.
Es kann mitnichten die Rede davon sein, dass derartige reaktionäre Taten vergangenen Tagen angehören würden. Seit letztem Jahr finden in Leipzig Demonstrationen des Pegida-Ablegers Legida statt, bei denen sich zum Teil tausend Menschen versammeln, um ihre rassistischen Parolen wie zum Beispiel „Multikulti-Wahnsinn stoppen“ auf die Straße zu tragen. Dabei werden Reden gehalten, die Angst und Hass bei den Teilnehmenden schüren sollen und von rassistischen Ressentiments durchsetzt sind. Unter den Teilnehmer*innen sind unorganisierte Bürger*innen, NPDlerInnen, Neonazis der Identitären Bewegung, Hooligans der angeblich aufgelösten Gruppe „Scenario Lok“, AktivistInnen der Partei „Die Rechte“ und Verschwörungstheoretiker*innen. Die zum Teil wöchentlich stattfindenden Aufmärsche sind Ausdruck einer tief verankerten reaktionären Ideologie und können nicht der Vergangenheit zugerechnet werden.
Das dadurch beeinflusste gesellschaftliche Klima zeigt sich unter anderem durch teils lebensgefährdende Angriffe auf Geflüchtete, Migrant*innen, People of Color, Linke, Journalist*innen. So fanden im Jahr 2015 mindestens 1031 Angriffe auf Lager und Zwangsunterkünfte von Geflüchteten statt. In Freital und Heidenau kam es zu rassistischen Mobilisierungen und Angriffen, die Erinnerungen an die Pogrome in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen hervorrufen. Die Berichterstattung der Presse reproduzierte oft unkritisch die ideologisch aufgeladenen Debatten über den vermeintlich „ungeregelten Zustrom von Flüchtlingen“. Die Beweggründe zu solchen Taten – Rassismus und rechte Ideologie – werden nur selten von staatlicher Seite als solche erkannt und die Täter*innen verfolgt. Rechte Mobilisierung findet statt. Heute wie früher – und endet oftmals tödlich.
Rassistische Hetze und staatliche Isolation
Doch ignoriert der deutsche Staat nicht nur rassistische, homophobe, sozialdarwinistische und sexistische Motive für Gewalttaten – die staatlichen Behörden treten selbst oft genug mit reaktionärer Gewalt in Erscheinung. Die Debatten um „Obergrenzen“, vermeintlich gehäuft vorkommende sexuelle Übergriffe durch Geflüchtete und „verwirktes Gastrecht“ werden teils auch von „linken“ Politiker*innen geführt. Durch diese Debatten wurde die rassistische Stimmung in der Bevölkerung zu einer erneuten Verschärfung des Asylrechts transformiert. Die 90er Jahre lassen grüßen. Die von der schwarz-roten Bundesregierung, mit Hilfe der Grünen, 2015 und 2016 verabschiedeten „Asylpakete I und II“ ersetzten Bargeldzahlungen durch Sachleistungen, definierten Albanien, Kosovo, Montenegro, Marokko, Algerien und Tunesien kurzerhand als „sichere Herkunftsstaaten“, erleichterten die Abschiebung von erkrankten Geflüchteten und setzten den Familiennachzug aus.
Die sich zunehmende verschärfende Politik der Ausgrenzung isoliert Geflüchtete gesellschaftlich immer weiter. Lager und Zwangsunterkünfte sind aufgrund der gewollten Isolation leicht zu attackieren. Die NS-Partei „Der III. Weg“ veröffentlichte auf ihrer Internetpräsenz eine Deutschlandkarte mit Geflüchteten-Unterkünften, sodass rassistischen Tätern die Planung von Angriffen erleichtert wurde. Die Verantwortlichen für die Umsetzung dieser menschenverachtenden Isolationspolitik gegen Geflüchtete sitzen auch in Leipzig. Die Landesdirektion Sachsen, zuständig für die administrative Umsetzung der Politik der sächsischen Landesregierung, hat eine Zweigstelle in Leipzig. Von dort aus werden unter anderem die so genannten „Erstaufnahmeeinrichtungen“ organisiert. Diese sind oft nichts anderes als unmenschliche Massenlager.
In der „Erstaufnahmeeinrichtung“ in der Messehalle 4 in Leipzig wurden bis zu 2000 Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen eingepfercht. Es gab nur eine unzureichende Nahrungsversorgung, kein Zugang zu Bargeld und viel zu wenige sanitäre Anlagen. Dies führte im September 2015 zu einem selbstorganisierten Protestcamp von Geflüchteten unter dem Motto „not charity but basic human rights“. Zwar keine „Erstaufnahmeeinrichtung“ aber ebenfalls eine menschenverachtende Form der Unterbringung ist die Zeltstadt für Geflüchtete in der Semmelweißstraße. Auch hier gegen gab es Demonstrationen und politischen Widerstand von Geflüchteten im Jahr 2016.
Aktives Gedenken – gemeinsam gegen Ausgrenzung und Unterdrückung
Der institutionelle Rassismus ist auch in Bezug hinsichtlich einer Aufklärung rechter Morde ein Problem. Dass Tatmotive bei rechten Morden ermittelt werden ist selten, und erfordert meist große Anstrengungen von Familien und Freund*innen oder Unterstützer*innen, da Justiz und Exekutive selten von alleine daran interessiert sind. Auch im Fall von Kamal hatte die Hausdurchsuchung bei Daniel K. keine Gründe zur Tatmotivation für die Dienst habenden Beamt*innen erkennen lassen. Und das, obwohl Anstecker mit nationalsozialistischen Parolen wie „frei, sozial, national“ und Kleidung von faschistischen Bekleidungsmarken vorgefunden wurden. Allein das Gericht hat in diesem Fall eine rechte Motivation im Urteil erwähnt, was eine Seltenheit darstellt. In der Gerichtsverhandlung müssen alle bedeutsamen Punkte durch die Nebenklage der Familie von Kamal eingebracht werden. Die Leipziger Staatsanwaltschaft bringt nichts in das Verfahren ein, im Gegenteil. Sie hält den Mord an Kamal bis heute nicht für rassistisch motiviert.
Die Gedenkpolitik stellt sich jedoch in vielen Fällen schwierig dar. Gerade wenn die Motivation der Taten nicht geklärt wird oder diese dem gesellschaftlichen Mainstream so legitim erscheint, dass sie nicht einmal Erwähnung findet. Zumal die Motivation oft juristisch nicht als „nieder“ gilt, wenn sie für die Mehrheits-Gesellschaft verständlich erscheint. Wie viele (tödliche) Gewaltdelikte aus sexistischen Motivationen begangen werden, ist nicht zu zählen und taucht in den gängigen Aufzählungen reaktionärer Gewalt nicht auf. Erwähnt werden muss, dass eine unfassbar große Anzahl (im Jahr 2011 waren es 154) an Frauen jedes Jahr durch ihre (ehemaligen) Partner ermordet werden.
Diese spezifische Gewalt findet eine Bestärkung unter anderem in Mobilisierungen wie bspw. die christlich-fundamentalistischen „Schweigemärsche“, Pegida oder Legida, die ein patriarchales Weltbild vertreten, indem Frauen eine zutiefst objektivierende Rolle, zugeschrieben wird. Die sexistische Gewalt setzt sich in der Verleugnung dieser Motive durch staatliche Institutionen fort. Wichtig ist und bleibt das aktive Gedenken an alle Menschen, die durch solche reaktionären Ideologien zu Tode kommen.
Dabei hat sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass sich weder Städte noch Parteien großartig für eine Praxis des Gedenkens interessieren. Oftmals gehen sie sogar aktiv dagegen vor. Deshalb bleibt der Austausch über die Form des Gedenkens und der Beteiligung sehr wichtig. Beispiele für antifaschistische und antirassistische Gedenkpolitik sind unter anderem der Gedenkkongress im letzten Jahr in Leipzig, die Kämpfe um Wahrheit wie die Oury-Jahlloh-Kampange in Dessau oder die Demonstration von Betroffenen kurz nach dem NSU-Mord in Kassel, die von 2005 bis 2015 in Dortmund durchgeführten Gedenkdemonstrationen an den ermordeten Antifaschisten Thomas „Schmuddel“ Schulz in Dortmund, in Berlin an Silvio Meier und Filme wie „uno di noi“.
Erfahrungen auszutauschen zeigt sich vor allem dann als wichtiges Element, wenn die Möglichkeit zur Unterstützung ansonsten ausbleibt. Etwa wenn Antifaschist*innen selbst Hand anlegen müssen wie bei der Gedenkplakette für Kamal, die es nach ihrer Zerstörung im Sommer 2016 zu ersetzten galt oder wie bei der Gedenkplakette für Josef Anton Gera in Bochum, die Antifaschist*innen einfach selbst anbrachten, nachdem die Stadt sich jahrelang geweigert hatte.
In beiden Fällen haben Aktivist*innen die Aufgabe selbst übernommen und nicht auf die städtischen Behörden gewartet, von denen auch nicht viel zu erwarten ist.
In der Gedenkpolitik, wie im Antifaschismus und im Kampf gegen Ausgrenzung und Rassismus ist vom deutschen Staat nichts positives zu erwarten. Gedenken und das aktive Streben nach Überwindung von Grenzen müssen als gemeinsamer Kampf begriffen werden – auch wenn sie oft noch getrennt voneinander betrieben werden. Die Festung Europa und der deutsche Mob können nicht auf dem Müllhaufen der Geschichte enden, ohne ihren zahlreichen Opfern zu gedenken. Das würdigste Gedenken an die vielen Menschen, die die kapitalistische und ausgrenzende Normalität nicht überlebt haben, wäre die Überwindung dieser Verhältnisse!
Demonstration: 22.10.2016, 14:00 Uhr Heinrich-Schütz-Platz (Südvorstadt)