Von einer Identitätsfeststellung zu U-Haft. Vorwurf der kriminellen Vereinigung in Toulouse.

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 Nach fast 3 Monaten des massiven und hartnäckigen Auflehnens hört die Bewegung der Gilets Jaunes nicht damit auf nicht aufzuhören* und das mindeste, was man dazu sagen kann ist, dass das dem Staat so gar nicht gefällt.

Im Folgenden die Erzählung einer neuen Polizei Operation, im Auftrag von Madame Billot, der Ermittlungsrichterin.

 

Gefunden auf : Information Anti Autoritaire Toulouse et Alentours

 

 

 

 

Als sich am Samstag den 2. Februar die Gelbwesten auf den zwölften Akt vorbereiteten,gingen die Cops, ausgestattet mit einer schriftlichen Genehmigung der Staatsanwaltschaft, ihren gewohnten Runden nach: Identitätskontrollen, Abtasten, Beschlagnahmung von Verteidigungs-Utensilien, wie schon seit Wochen ahnden sie präventiv.

 

An dem selben Tag, während R. auf ein Kind aufpasst, sieht er von seinem Fenster aus bei einer der Kontrollen zu. Als er auf eine Kippe runter auf die Straße geht, ist er an der Reihe kontrolliert zu werden. Da er seine Papiere nicht dabei hat, wird er mit auf die Wache genommen, wo er sich weigert seine DNA abzugeben. Er wird somit in Gewahrsam genommen. 24 Stunden später stellten wir überrascht fest, dass er einem Untersuchungsrichter vorgesetzt wurde, angeklagt wegen krimineller Vereinigung, Verweigerung der DNA-Abgabe und unbekannter Identität. Er wurde in U-Haft gesteckt. Autsch.

 

Zwei Tage später, am 6. Februar, zum Abend hin um 20:30 Uhr, fanden zwei Hausdurchsuchungen statt, einmal im Haus des Angeklagten und in der Wohnung, in der er sich befand, bevor er am Samstag Nachmittag hinunter ging um eine Kippe zu rauchen.

Im Ganzen waren es 60 Bullen, die bewaffnet bis an die Zähne die Wohnungen stürmten und sich weigerten den Durchsuchungsbeschlusss zu zeigen, der ihnen erlaubt, die Privatsphäre zu verletzen.

Sie stellten alle Zimmer, Gemeinschaftsflächen und die Garage willkürlich auf den Kopf, beschlagnahmten Computer, USB-Sticks, Handys, aber auch Geld, Flyer, Bücher, Kleidung oder sogar Rechnungen. Sie gingen soweit die Mülltonen zu durchsuchen.

 

Das ganze Vorgehen scheint auf sehr wackeligen Beinen zu stehn. Ihre Akten sind leer und es gilt sie zu füllen. Deshalb kreiert das berühmte Team aus Polizei und Justiz Schuldzuweisungen zu Hauf und alle Vorwände sind willkommen. Es geht für sie darum Ergebnisse zu bekommen, die eingesetzten Mittel zu rechtfertigen, der Bevölkerung zu zeigen, dass der Staat immer noch fähig ist, die Menschen dazu zu bringen, zuhause zu bleiben.

 

Ende Januar kündigte die Präfektur in Toulouse die Gründung einer Sonderkommission Gelbwesten an, bestehend aus circa zehn Staatsschützer*innen und Ermittler*innen für Cyberkriminalität.

Sie arbeiten in gemeinsamer Sache und im Auftrag der Staatsanwaltschaft. Sie haben die Stunden an Bildmaterial zur Verfügung, die jeden Samstag produziert werden: Sie kämmen sie durch mit dem Ziel der Identifikation von Demonstrant*innen. Es scheinen bereits 40 Ermittlungen eröffnet worden zu sein.

 

Der Vorwurf der „kriminellen Vereiningung“ den sie hier einsetzen, wird in den letzten Jahren mehr und mehr genutzt, ein regelrechtes juristisches „Supertool“(„fourre-tout juridique“, hier im übertragenenen Sinne übersetzt), das es der Polizei und Justiz erlaubt, zu tun und zu lassen, was sie wollen. Der Vorwurf der Vereinigung bezweckt nicht bestimmten Tatsachen nachzugehen, sondern in einem viel größeren Umfang zu ermitteln. Das, was ins Auge gerät sind Verbindungen, die Unterstützung, das Umfeld, das es ermöglicht, dass der Protest/die Gegenwehr all dieser Ebenen existiert. Es ist vor allem „die Vereinbarung zu“ (Anm. d. Ü.: damit ist der Hinweis auf ein konspiratives Verhalten gemeint), die ihnen Telekommunikationsüberwachung, Ortung, Observationen, Durchsuchungen, IT-Überwachung erlaubt und es ermöglicht all jene zu verdächtigen, die das nicht mehr ertragen, ohne sich zu wehren.

 Die Prozedur, derer wir hier beiwohnen ist genauso außergewöhnlich, wie sie alltäglich wird. Es ist letztendlich eine Fortsetzung von dem, was auf der Straße passiert: Es trifft einen, um hunderte andere in Angst zu versetzen, um den Körper und den Geist zu zeichnen, um Angst und Unsicherheit zu sähen, um die Menschen dazu zu bringen, zuhause zu bleiben, um die Dynamik zu stoppen: All die physischen und psychischen Verletzungen, die abgetrennten Hände, ausgeschossenen Augen, die Traumata aufgrund der Gewalt und ihrer Wolken aus Gas. Die permanenten Verurteilungen nach der sofortigen Vorführung vor den Straf-/Haftrichter, die Gefängnisstrafen, Geldstrafen und Demonstrationsverbote. Die Beweisaufnahmen, die Verfolgung und das Gefühl permanent beobachtet und belauscht zu werden.

 

Das ist das Arsenal über das der Staat heutzutage verfügt, um seine Ordnung und Privilegien aufrecht zu erhalten. Die Gewalt, die der Staat heute anwendet, um sich zu verteidigen hat etwas so Außergewöhnliches, das sie die Brutalität, die wir tagtäglich erdulden, enthüllt.

Die Geringschätzung, die Ausbeutung, die beschissenen Jobs, die unverhältnismäßigen Mieten, ein Kredit auf Lebenszeit und umgekehrt.

Es sind diese Existenzbedingungen aufgrund deren wir zehntausende sind, die ihre Wut hinaus schreien

Und für diejenigen, die uns ausbeuten, ist es keine Frage dies fallen zu lassen, sie haben eine Welt der Privilegien zu verteidigen [, „ils ont leur beurre à faire sur nos dos“ Anm. d. Ü.: Ist das eine Redewendung?] und sie haben die polizeilichen und juristischen Waffen um dies weiterhin zu tun.

 

Durch diese Art der Ermittlungen oder der Beweisaufnahme, ist es die laufende Bewegung als Ganzes, die direkt angegriffen wird.

Das ist ein weiterer Versuch, der darauf abzielt die Demonstrant*innen zu spalten, indem bestimmte Personen isoliert werden, obgleich wir seit mehreren Wochen einer großen populären Bewegung bei wohnen, die sich die Straße nimmt und sich pluralistisch Ausdruck verschafft.

 

Lassen wir uns nicht spalten und bekräftigen wir zusammen: „ Nous sommes tou.te.s des malfaiteurs“ (Im Deutschen würde es wohl heißen „Wir sind alle 129a“)

 

*Jede Woche heißt es in den französischen Medien, dass die Bewegung aufhört. Aber es geht immer weiter.

 

Gefunden auf : Information Anti Autoritaire Toulouse et Alentours (IAATA)

In der Spalte unter dem Text sind neuere Updates (noch auf französisch) zu der weiter gehenden U-Haft des Schweizer Genossen:

https://iaata.info/D-un-controle-d-identite-a-une-detention-provisoire-une-collaboration-police-3113.html

 

https://defensecollectivetoulouse.noblogs.org/

 

 

 

 

 

 

 

 

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Ergänzungen

 

In der Spalte unter dem Text sind neuere Updates (noch auf französisch) zu der weiter gehenden U-Haft des Schweizer Genossen. Hier eine sinngemäße Übersetzung eines Teils davon:

 

 

Am 22. Februar wurde der Antrag auf Freilassung des 26 Jährigen Schweizers abgelehnt. Die weitere Prüfung seines Haftbefehls wird am 4. Mai statt finden. Laut seiner Anwältin lässt sich kein wirklicher Straftatbestand fest stellen, es sei denn, man werfe ihm vor, an allen Sachbeschädigungen/Zerstörungen der Bewegung der Gilets Jaunes beteiligt gewesen zu sein. Die Akte sei statt dessen voll von ausgiebigen Berichten über die 3 Monate der Gelbwesten Demonstrationen all der Samstage in Toulouse.

 

Jetzt sei auch seine Identität nicht mehr unbekannt, die Nennung einer anderen Identität sei eine Art Streich gewesen, die den Cops nicht gefallen hat. Es scheint den Anwälten, als gelte es jetzt Fakten zu schaffen, die es bisher nicht gegeben habe es gehe hier wohl um „Vorermittlungen“.

 

Der Staatsanwalt sieht alles eingebettet in den Kontext und der Ermittlungsrichter formuliert: Die Stadt Toulouse unterliege „wichtigen Demonstrationen, welche andere Gruppen instrumentalisieren, die ein ganz anderes Ziel verfolgen“, in diesem Fall „Polizeikräfte provozieren und etwas in Gang zu setzen, was einem nationalen Aufstand nahe kommt“ dies sei das „ultimative Ziel einiger dieser Gruppen“.

 

Zur Verteidigung der präventiven Vorkontrollen zur Identitätsfeststellung, die von der Staatsanwaltschaft genehmigt sind besteht er auf mehrere Punkte: auf Schlüssel, die im Besitz von R. gewesen seinen, die laut Polizei und Justiz eine Art Modus Operandi von Linksradikalen seien, der darin bestehe, Kleidung und Munition in den Gebäuden an der Route der Demonstrationen zu lagern, des weiteren das Anschlagen der Hunde in Bezug auf Explosiv-Stoffe an mehreren Orten während der Durchsuchung von R.‘s Wohnort am 6. Februar und das Auffinden von um die 30 Computer und 50 Handys, welche im Auge des Ermittlungsrichters, seine Zugehörigkeit zu einer organisierten Gruppe beweisen würden.

 

 

https://iaata.info/D-un-controle-d-identite-a-une-detention-provisoire-une-collaboration-police-3113.html

 

 

  

Wir möchten mit euch über die GJ reden. Was können wir aus den bisher gemachten Erfahrungen der GiletsJaunes lernen? Können wir die emanzipatorischen Momente übertragen in unsere lokalen Kämpfe?

 

Diskussion & Vokü in der Kadterschmiede | Heute, 28.2. | 20Uhr