Informationspolitik beim Brandanschlag der "Vulkangruppe NetzHerrschaft zerreißen"

Reparaturarbeiten an der Mörschbrücke in Berlin

Am 26.3.2018 gegen 13 Uhr brannten viele Kabelstränge unter einer Brücke im Norden Berlin-Charlottenburgs. Die "Vulkangruppe NetzHerrschaft zerreißen" bekannte sich wenige Stunden später zu diesem Anschlag. Man habe mit dem Anschlag gezielt die vom »Militär und seinen Dienstleistern, der Flugbereitschaft der Bundesregierung, der Verwaltung des Landes Berlin, Großkonzernen, Internet-Knotenpunktbetreibern und dem Flughafen Tegel« treffen wollen, wie es in dem unten dokumentierten Bekennerschreiben heißt. Interessant ist die Reaktion von Behörden und Innenministerium auf diesen Anschlag: Vertuschung und Verharmlosung der Auswirkungen statt (wie bei Anschlägen früherer "Vulkangruppen") einem Heraufbeschwören einer Terror-"Lage".

Unter der Mörschbrücke waren unter anderem acht 10.000-Volt-Kabel zerstört worden. Die Brücke sei ein neuralgischer Punkt im Kabelnetz, sagte Jürgen Schunk von Stromnetz Berlin: "Wir haben 98 Prozent unseres Kabelnetzes mit Mittel- und Niederspannung unter der Erde, aber es gibt neuralgische Punkte, wo wir an die Erdoberfläche kommen müssen. Das Gebiet hier versorgen wir mit Mittelspannungskabeln, die hier über die Brücke geführt werden müssen." Laut einem Sprecher von Vattenfall war es nicht möglich, die Stromversorgung durch neue Verschaltungen herzustellen. Stattdessen waren umfangreiche Reparaturen und Tiefbauarbeiten an beiden Spreeufern nötig. Die Polizei hatte das Gebiet abgesperrt, so dass die Techniker von Stromnetz Berlin ihre Arbeit erst verspätet beginnen konnten.

Durch den Brand waren 6.500 Haushalte und 400 Gewerbekunden im Norden von Charlottenburg stundenlang ohne Strom. Mit oberirdisch verlegten Ersatztrassen konnte die die Stromversorgung für das Viertel am Montagabend wieder herstellen. Wegen des Brandes waren die Mörschbrücke sowie die Schifffahrtsstraßen für rund fünf Stunden gesperrt. Statiker untersuchten, ob die Tragfähigkeit der Brücke durch das Feuer gelitten hat. Das Verwaltungsnetz des Landes Berlin war nicht betroffen, erklärte eine Sprecherin des Betreibers IT-Dienstleistungszentrum Berlin (ITDZ). “Die Anlagen des ITDZ befinden sich auf der gegenüberliegenden Brückenseite”, sagte eine Sprecherin. Das in dem vom Stromausfall betroffenen Viertel angesiedelte Landgericht Berlin und die Ausländerbehörde seien am Montag im Notstrombetrieb gelaufen. Am Flughafen Berlin-Tegel gab es keine Einschränkungen. Beim benachbarten Biotechnologie-Park auf dem Gelände des ehemaligen Produktionsgelände von Bayer hingegen kam es in Folge des Stromausfalls zu "größerer Rauchentwicklung". Der Sprecher des Biotechparks wollte sich zu den Auswirkungen des Stromausfalls jedoch nicht äußern.
 
Länger und großflächiger unterbrochen waren hingegen Kommunikationsnetze mit Auswirkungen auf Telefon-, Internet- und Kabel-TV-Anschlüsse. Colt Technology Deutschland bestätigte, dass eigene Glasfaserkabel von dem Vorfall in Berlin betroffen waren. Der Berliner Kabelnetzbetreiber Pÿur (vormals Tele Columbus), dessen Zentrale in dem vom Stromausfall betroffenen Stadtgebiet liegt, war gleich doppelt betroffen: Durch den Ausfall der Stromversorgung an zahlreichen Verstärkerknoten und die Unterbrechung der Glasfaserstrecke, die auch von Pÿur genutzt wird. “Wir haben versucht, Ersatzrouten für Berlin zu finden, um die Dienste in Berlin zu sichern, was allerdings nur zum Teil gelang”, sagte ein Unternehmenssprecher. Auch mindestens einen Tag später waren nach Angaben eines Sprechers noch die Kabelanschlüsse von etwa 2000 Kunden gestört.

Die Informationspolitik von Polizei und Innenministerium setzte auf konsequente Nicht-Information und bewusstes Nichtverknüpfen unvermeidlicher Nachrichten. Interessierte mussten sich selbst auf Recherche begeben, umd den Brückenbrand und die zeitnahen Störungen im unmittelbar benachbarten Biotechnologiepark in Beziehung zu setzen. Die unspezifische Angabe von "400 Gewerbebetrieben ohne Strom" in der Behördenmeldung suggerierte ein eher kleines Ausmaß an Betroffenheit. Von den weiterreichenden Internetausfällen (auch über das Gebiet von Charlottenburg hinaus) war nur auf Tech-Seiten der Netzbetreiber zu lesen. Ob die Vorgaben der behördlichen (Des-)Informationspolitk bis in die Redaktionen reichten, lässt sich nur mutmaßen.

Deutlich ist hingegen, dass niemand den Versuch unternahm, den Brandanschlag als vermeintlichen Inlandsterror zu kategorisieren. Genau das versuchten verschiedene Innenminister bei vorherigen Anschlägen anderer "Vulkangruppen", um die Sicherheitsdebatte im dauerhaften Anti-Terrorkampf zu befeuern. Deutet die bemühte Beiläufigkeit der Sicherheitsbehörden in ihrer PR-Arbeit auf eine neue Art des Umgangs mit politisch motivierten Kabelbränden hin. Soll ein beschwichtigendes Klein-Schreiben der Auswirkungen die Angreifbarkeit digitaler Infrastruktur verharmlosen, um die Anzahl möglicher Nachahmer klein zu halten? Fakt ist, dass die linke Szene Kabelbrände als politische Sabotage mittlerweile in vielen Kontexten wie z.B. bei Protesten gegen Atommüll-Transporte, Nazi-aufmärsche, Rüstungstransporte und Gipfeltreffen einsetzt.

Dokumentation der Selbstbezichtigung:

"Herrschaftsnetze sind angreifbar

Prolog:
(…) Die Arroganz der Macht, die Herrschaft des Falschen, die Vulgarität der Reichen, die Industrie-Katastrophen, das galoppierende Elend, die nackte Ausbeutung, der ökologische Untergang – von nichts werden wir verschont, nicht einmal davon informiert zu sein.
Klima 2017, Klima 2018, Klima 2019 – heißestes Jahr. Die Gründe für eine Revolution wären gegeben. Aber nicht die Gründe machen eine Revolution – sondern die Menschen. Und die Menschen sitzen vor den Bildschirmen. (…) Die Menschheit wohnt verzaubert ihrem Untergang bei (…). Sie verfolgt es so gebannt, dass sie nicht spürt wie ihr, wie uns (!) das Wasser bereits zu den Fesseln reicht (…). Es geht nicht mehr darum, diese Welt zu kommentieren, zu kritisieren, anzuprangern. (…) Weiterhin Diskriminierung, Unterdrückung, Ungerechtigkeit anzuprangern und darauf zu warten, dass das was bringt, ist überholt. (…) Die Lüge ist die Weigerung gewisse Dinge zu sehen, die man sieht, und sie so zusehen, wie man sie sieht. Die tatsächliche Lüge sind all die Bildschirme, all die Bilder, all die Erklärungen, die man zwischen sich und der Welt stehen lässt. Es ist die Art, wie wir tatsächlich unsere eigene Wahrnehmung mit Füßen treten …

Wir haben heute viele Kabelstränge durchtrennt. Niemand kommt dadurch körperlich zu Schaden.
Die verschiedenen Kabel unter der Mörschbrücke in Berlin werden konkret genutzt vom Militär und seinen Dienstleistern, der Flugbereitschaft der Bundesregierung, der Bundespolizei, der Bundesregierung, der Verwaltung des Landes Berlin, Großkonzernen, Internet-Knotenpunktbetreibern, dem Flughafen Tegel.

Wir unterbrechen mit unserem kleinen Beitrag das reibungslose Funktionieren der Metropole. Denn solange alles funktioniert, geht die beispiellose Zerstörung der ökologischen Lebensgrundlagen unverändert weiter. Krieg, Klimazerstörung, Fluchtbewegungen und militarisierte EU-Außengrenzen sind nicht getrennt zu betrachten. Der Raubbau von Rohstoffen und die Existenz von Armut, die Rodung von Urwäldern und die Fleischproduktion, das steigende Flugaufkommen und der krank machende Dreck, der in die Luft geblasen wird.

Es braucht das Eingreifen derer, die nicht länger zuschauen wollen. Zum Beispiel durch Angriffe auf das Funktionieren der Metropolen. Zum Beispiel durch die Sabotage von Strukturen, welche diese Zerstörung aufrecht erhalten, durch Angriffe auf Infrastruktureinrichtungen, künstliche Intelligenz, Smart City, Industrie 4.0 - Überwachungsformen aller Art. Die Folgen einer kapitalistisch bedingten Umwelt- und Klimazerstörung sind unausweichlich – wir werden diese nicht verhindern. Wir müssen ein Verhalten finden angesichts der daraus resultierenden autoritären, kriegerischen Formierungen.

Wir unterbrechen mit unserem Sabotageakt den ganz normalen Gang vielfältiger Arbeitsabläufe in der Hauptstadt – das war gesetztes Ziel. Die oben benannten Netzbetreiber sind Verwalter eines gewaltsamen Prozesses, welcher uns als digitale Revolution verkauft wird. Wir als Nutzer_innen des Netzes begeben uns unweigerlich in eine Abhängigkeit. Wir sind damit sowohl Opfer als auch Mitverantwortliche dieses Prozesses. Die digitale Dauererreichbarkeit dehnt beispielsweise den Arbeitstag aus, so dass er oft kaum noch endet. Selbstoptimierung und (als Selbstbestimmung getarnte) Fremdbestimmung führen uns in eine neue Form moderner Versklavung. Unser Elend ist auch verbunden mit dem Elend Anderer. Denn die millisekündliche Gewinnmaximierung hier bestimmt das ungleich größere Elend in vielen anderen Ländern. Der hoffentlich hohe wirtschaftliche Schaden ist uns eine Freude!

Wenn wir den Datenfluss unterbrechen, dann auch dies in voller Absicht. Er ist die Voraussetzung zur Beherrschung durch Überwachung. Wir alle wissen, dass die großen IT-Konzerne und staatlichen Behörden alle verfügbaren Daten sammeln. Und das, damit Menschen und Gesellschaften in immer größerem Umfang kontrolliert und gesteuert werden. Ein jeder Mensch wird zur Manipulationsmasse von Machtinteressen und zur Zielscheibe der Vermarktung.

Wir sind Zeitzeug_innen der Entstehung einer globalen gesellschaftlichen Totalität der Kontrolle, Überwachung und Steuerung, der Vermessung, Markierung und Ausgrenzung. Edward Snowden hat dies erkannt und gehandelt. Für die (herrschafts-)technisch bedingte Zerstörung der Umwelt und der sozialen Beziehungen werden keine sozialen Lösungen entwickelt, sondern erneut (herrschafts-)technische. Diese technokratische Entwicklung führt in ihrer Machtkonzentration Stück für Stück zu autoritärer Kontrolle. „Abnormalitäten“ werden von vorgegebenen „Standards“ uneingeschränkt unterscheid- und selektierbar. Die Daten, die das ermöglichen, liefern wir alle täglich in den „sozialen“ Netzen, beim bargeldlosen Zahlen, beim Googeln oder bei der Nutzung digitaler Dauerassistenten wie Alexa und Siri. Meldungen und Suchergebnisse sind individuell auf jede_n von uns zugeschnitten und führen uns „bequem“ durch den Alltag. Dieses Lenken von Information und Kommunikation heute ist die Grundlage für unsere Steuerbarkeit von morgen. Viele, die zu Beginn des Internets ihre egalitären Hoffnungen stützten auf dessen Möglichkeiten, warnen heute vor der Totalität der Verhältnisse von morgen. Eine moderne Form von Faschismus ist eine der möglichen Varianten dieser drohenden Totalität.  

Es ist absehbar: Wenn die Folgen von Umweltzerstörung, Klimawandel und Krieg hier deutlicher spürbar und die Verteilungskämpfe härter werden, dann werden die schlimmsten Alpträume und Dystopien Realität – falls kein revolutionärer Bruch mit den Zuständen gelingt!

Daher sabotieren wir den vermeintlichen Fortschritt.
Wir begreifen unsere Praxis auch als Lehre aus den Erfahrungen des deutschen Faschismus. Wir erkennen eine wachsende Bereitschaft, sich fortschrittsgläubig lenken und fremdbestimmen zu lassen, wir erleben die willigen Helfer, wir spüren die grausame soziale Kälte, wir erahnen den Vernichtungswillen. Er könnte eines Tages viele treffen: den disfunktionalen Rentner, die Kranke, den Geflüchteten, die Arbeitsverweigerer_innen, die Gebärunwillige. Denn das ist der Charakter und das Ausmaß der Möglichkeiten der digitalen „Revolution“.

Unger, Lichtenstein, Lepehne – das sind die Namen der Menschen, die von dem Ort unserer Aktion deportiert und ermordet wurden. 1942. Nach Ausschwitz und Riga. An diese Menschen erinnern Stolpersteine, eingelassen auf der Brücke Mörschbrücke, die erinnern helfen sollen. Was hat die Deportation dieser Menschen mit den zwei Meter darunterliegenden Glasfaserkabeln zu tun?

Ein historisches Beispiel, welches die Möglichkeiten entgrenzter digitaler Erfassung für den Faschismus illustriert: Der Ingenieur Herman Hollerith erfand die Lochkarten-Technik, mit der die Volkszählung in Amerika effektiv durchgeführt werden konnte. Zu Zeiten der Nazi-Diktatur hatte IBM ein nahezu weltweites Monopol über diese Technologie und die Produktion der dazu gehörenden Lochkarten. IBM-Chef Watson war persönlich nach Berlin gereist, als seine Deutschlandfiliale (DEHOMAG) den Auftrag an Land gezogen hatte, die Volkszählung 1933 auszuwerten. Vier Monate dauerte die Übertragung der Zählbögen, dann ließ sich in jeder Stadt, Berufsgruppe oder Hausgemeinschaft der Anteil der Jüd_innen ermitteln. Bei der Volksfahndung 1939 wurden Jüd_innen mit dem gleichen Lochkarten-Rechnersystem nach den Kriterien der nazistischen Rassenlehre erfasst.

Dieses Modell wurde wieder und wieder angewandt. In praktisch jedem von den Nazis besetzten Land sammelten deutsche IBM-Tochterunternehmen nationale und „rassische“ statistische Informationen für die Nazis, die dann zur Identifizierung von Jüd_innen und anderen Unerwünschten benutzt werden konnten. Diese Lochkarten-Technologie war maßgeblich für die Effizienz der Deportation. Während mit einem nahezu ungehinderten Erfassungssystem etwa in Holland 73% der Jüd_innen deportiert wurden, waren es aber in Frankreich 25%. Einer der vielen Faktoren, die das unterschiedliche Schicksal der Jüd_innen beider Länder beeinflussten, war die Tatsache, dass es dem Widerstand in Frankreich gelungen war, die Lochkarten-Registrierung massiv zu sabotieren.

Es gab Hollerith-Abteilungen in fast jedem Konzentrationslager, sie dienten der Registrierung der Ankommenden, der Zuteilung von SklavenZwangsarbeit und der Buchführung über die toten Gefangenen. Ohne die IBM-Maschinerie, den IBM-Service, sowie die Lieferung der Kartenrohlinge hätten die Nazilagerverwaltungen die erreichten Häftlingszahlen nicht so „effektiv“ handhaben können.

Die Stolpersteine mahnen heute. Mit dem historischen Rückblick lohnt ein Ausflug in die alarmierend gegenwärtige Zukunft. Das in China aktuell erprobte Herrschaftsprojekt „Sesam“ versteht sich als Dauer-Erfassungssystem aller Informationen, die über jede_n einzelne_n zu finden sind. Eingeführt über verlockende Bonusprogramme ist die derzeit noch freiwillige Teilnahme groß. Alle Daten, die staatliche Behörden über jede_n einzelne_n beisteuern können, alle Daten über Bezahlvorgänge jedes einzelnen und alles, was das Auswertungsprogramm in sozialen Netzen über jede_n einzelne_n findet, wird in einem Zahlwert – dem „social score“ – zusammengefasst. Insbesondere hängt der Score jedes einzelnen mit ab von der Bewertung seiner „sozialen Freunde“. Bei hohem Score winken Vergünstigungen bei Krediten, Mobilität und Versicherungen. Umgekehrt bedeutet dies soziale und materielle Ausgrenzung. Erst kürzlich wurde der Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln für Menschen mit zu niedrigem Score beschränkt. Ab 2020 plant China die verpflichtende Teilnahme an einem Nachfolger von Sesam. Dann sollen unter anderem Chancen auf Arbeit, Bildung und Gesundheit von diesem Score abhängen. 

Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Entwicklung und Umsetzung solcher sozialer Scoring-Systeme ist nicht automatisch faschistoid, aber allein ihrem Anspruch nach totalitär. Die darin verwirklichte Idee der vielstufigen Kategorisierung von Menschen und der erwünschten Verhaltenssteuerung bietet hervorragende Voraussetzungen für eine modernisierte Form der Faschisierung. Für Selektionen und Vernichtung.

Wir enden mit Fragen: Wann wäre der historische Zeitpunkt noch gegeben gewesen, sich gegen den deutschen Faschismus zu erheben? Wann war der Zeitpunkt verpasst? Was heißt das für heute?

Unser Beitrag – einer von vielen. 

Aus gegebenem Anlass: Deutsche Waffen und türkisches Militär raus aus Efrin! Die Verantwortlichen des Krieges in Efrin sitzen auch in Deutschland. Sie sind zu finden.

Vulkangruppe NetzHerrschaft zerreißen"

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Ergänzungen

Vorsicht. Mir liegen eindeutige Hinweise dafür vor, dass indymedia mit dem Staatsschutz zusammenarbeitet.

Hinweise der Moderation: Wir arbeiten für den Mossad und der II. Internationale Brigade der Illuminaten