Zur Abschaltung von www.projektwerkstatt.de

EinigeAktivistInnen, die die Plattform nutzen 12.06.2010 09:43 Themen: Blogwire Medien Netactivism Repression

Am 9.6.2010 wurde als Reaktion auf staatliche Repression die www.projektwerkstatt.de abgeschaltet. Am Folgetag konnte – was am 9.6.2010 nicht zu erwarten war – die Seite wieder zugeschaltet werden, weil es nicht, wie zunächst die Informationslage war, einen richterlichen Beschluss der Abschaltung gab. Der folgende Text zeigt die Abläufe nochmals und benennt einige Fragen, die sich aus den Abläufen ergeben.

Die Abläufe: Wer schaltete die www.projektwerkstatt.de ab und warum?

Am 9.6.2010 veröffentlichten AktivistInnen aus der Projektwerkstatt in Saasen, nachdem sie über den Ausfall der über 10.000 Seiten der Internetplattform www.projektwerkstatt.de informiert wurden, einen kurzen Text, in dem unter anderem stand:

„Per richterlicher Anordnung sind vor wenigen Stunden der gesamte Domainbereich der www.projektwerkstatt.de abgeschaltet, alle Daten über Verbindungen beim Provider von der Polizei gesichtert und sämtliche Computer und Festplatten des Seiteninhabers im Rahmen einer Hausdurchsuchung in Berlin beschlagnahmt worden.“

Diese Einschätzung der Sachlage erfolgte auf dem damals vorliegenden Wissen, welches ziemlich mühsam recherchiert werden musste. Problematisch war vor allem, dass sich der Provider auch gegenüber den direkt Betroffenenen weigerte, Einzelheiten zu der richterlichen Anordnung zu benennen. Wir erfuhren ausschließlich und vage, dass die Abschaltung aufgrund eines richterlichen Beschlusses erfolgte.

Diese erste Darstellung war in einem Punkt falsch. Es gab, wie wir heute wissen, keine richterliche Anordnung in Bezug auf www.projektwerkstatt.de. Es gab ausschließlich einen Durchsuchungsbefehl mit dem Ziel, Logfiles und alle datenübertragungsbezogenen Informationen in Bezug auf die www.projektwerkstatt.de zu erhalten. Der Provider hat dann – offenbar auf Anraten des von denen befragten Anwaltes – von sich aus die Seiten gesperrt. Über diese Gründe und Abläufe sind die Betroffenen nicht informiert worden.

Im Nachhinein besteht bei NutzerInnen der www.projektwerkstatt.de erhebliche Verunsicherung darüber, dass ein Provider ohne rechtliche Anordnung aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen (die aber nur vage vermutet werden) einen riesigen Internetbereich komplett abschaltet und die davon direkt Betroffenen darüber auch nicht korrekt informiert.

Aus der Tatsache heraus, dass der Provider ohne Zwang die Abschaltung selbst veranlasste, folgt selbstverständlich keine Einschränkung der Kritik am Vorgehen der Verfolgungsbehörden, die mit der Hausdurchsuchung beim Domaininhaber, den dortigen umfangreichen Beschlagnahmen von Computern und Computerteilen sowie durch die Datenbeschlagnahme beim Provider ihre Krallen zeigten und die Einschüchterung bewusst in Kauf nahmen, die dann ja auch beim Provider eintrat.

 

Weitere Vermutungen über Gründe

Im benannten Text wurde zudem formuliert:

"Damit steht die politische Internetplattform der Vielzahl beteiligterGruppen nicht mehr zur Verfügung. Der Provider wurde gezwungen, dieDomain abzuschalten, ohne dass ein Grund genannt wurde. Bislang wirdüber den Hintergrund nur spektuliert."

Es war also der Stand, dass Informationen über Gründe nicht vorlagen. Es wurde zwei Absätze später darauf hingewiesen, dass es sich dabei nicht um die ersten Angriffe auf die www.projektwerkstatt.de handelte. Im Text stand:

"Nach den Verboten von gentechnikkritischen Schriften und Veröffentlichungen, dem mysteriösen Verschwinden von www.volker-bouffier.de.vu vor einigen Jahren sorgt der Staat erneut für Zensur. Über 10.000 informative Politikseiten sind damit zur Zeit verschwunden."

Beides ist korrekt, war aber keine Behauptung, dass einer dieser beiden Gründe nun auch wieder ausschlaggebend war. Selbst heute, wo als sehr wahrscheinlich gelten kann, dass die Auszüge aus der Zeitung "Prisma" (die gesamte Zeitung war offenbar nie auf der www.projektwerkstatt.de) der Anlass der Repression waren, kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch andere Gründe die Aktion mit motivierten. Das aber ist reine Spekulation. Es war nicht Ziel, Gerüchte zu streuen.

Im Gegenteil: Die Tatsache, dass die Polizei in Berlin die Wohnung des Domaininhabers durchwühlte, wirft ein bizarres Licht auf den davon unabhängigen Maulkorbprozess von Saarbrücken. Dort ging es um die gentechnikkritischen Seiten und es wurde jemand verurteilt, die Internetveröffentlichungen zu unterlassen, obwohl er - wie ja nun die Vorgänge um die Abschaltung von www.projektwerkstatt.de zeigen - nicht Inhaber der Seite ist. Das wusste das Landgericht Saarbrücken auch immer, aber die RichterInnen haben einfach konsequent etwas anderes behauptet, um das politisch gewollte Urteil verhängen zu können. Zensur beruht halt nicht nur immer auf autoritärem Denken, sondern zumeist auch auf Konstrukten und dreckigen Tricks.

Die Seite www.volker-bouffier.de.vu ist jetzt unter www.im-namen-des-volkers.de.vu zu finden.

 

Recherchen und Aufhebung der Abschaltung

Wie beschrieben, verliefen die Recherchen über die Gründe der Abschaltung mühselig. Wäre es nicht zu der parallelen Hausdurchsuchung gekommen, in deren Durchsuchungsbeschluss Hinweise auf die Hintergründe zu finden waren, wäre der ganze Fall im Dunkeln geblieben.

Nach etlichen Telefonaten und Mithilfe eines Rechtsanwaltes aus Gießen konnten dann die Dinge soweit geklärt werden, dass eine Regelung gefunden wurde, unter der der Provider die www.projektwerkstatt.de mit leichten Änderungen wieder ins Netz holte. Der Staat war an diesen Vorgängen nicht mehr beteiligt (jedenfalls ist davon nichts bekannt).


Weitere Informationen

Nach Wiederzuschaltung der www.projektwerkstatt.de konnten wir anhand der Statistik feststellen, dass es in den vergangenen Tagen zu auffällig häufigem Aufrufen von Textdokumenten kam, die Auszüge aus der vom Staat offenbar wenig geliebten Zeitung „Prisma“ kam. Wer diese Abrufe tätigte, ist unbekannt.

Es spricht also, obwohl ein hundertprozentiger Nachweis immer noch fehlt, vieles dafür, dass die Jagd der Repressionsbehörden nach Veröffentlichungsorten oder eventuell auch nach dem ErstellerInnen der hübschen Broschüre Auslöser der Repression waren.

Wahrscheinlich technisch zu erklären wäre, dass php-Programmierungen nicht betroffen waren. Dieses war zunächst nicht bekannt, so dass z.B. www.gentech-weg.de.vu entgegen den Erwartungen doch am Netz geblieben war.

Inzwischen liegt auch eine aufklärende Stellungnahme des Providers als Kommentar unter der Erstveröffentlichung vor. Eine zusätzliche Kommentierung erscheint nicht nötig. Es gab nie Kritik daran, dass der Provider keine Prügelei mit der Polizei angezettelt hat u.ä. Es gab und gibt aber sehr wohl Kritik daran, die www.projektwerkstatt.de abzuschalten - noch dazu ohne vorherigen Kontakt zu den Betroffenen - und auch jetzt noch darzustellen, dass dieses alternativenlos war. Dass ausschließlich auf dem Provider rumgehackt wurde, ist von hier auch nicht nachzuvollziehen. Es ist unklar, wann und wo dieses geschehen sein soll. Möglicherweise sind beim Provider selbst Beschwerden eingegangen. Den NutzerInnen von www.projektwerkstatt.de ist das dann aber unbekannt, so dass nicht einzuschätzen ist, woher die Wahrnehmung kommt. Allerdings besteht nach der hiesigen Einschätzung tatsächlich die Notwendigkeit, die Abläufe aufzuarbeiten. Die Angst, dass plötzlich wieder eines Tages die Seiten einfach weg sein können, ist seit dem 9.6.2010 schlicht da. Ob das auch bei anderen, die ihre Seiten beim gleichen Provider haben, der Fall ist oder ob sich dort AkteurInnen wegducken oder ausreichend weit mit dem Staat verbrüdert fühlen, ist erstaunlicherweise völlig unklar. Wir AktivistInnen, die die www.projektwerkstatt.de nutzen, würde uns über einen Dialog darüber freuen - auch bei bestehendenbleibenden Meinungsunterschieden, das ist kein Kriterium. Die Formulierung des Providers am Ende der Stellungnahme, schon jetzt nicht mehr weiterdiskutieren zu wollen, beruhigt aus dieser Sicht natürlich nicht.


Reaktionen im Umfeld

Die Nachricht der Abschaltung von www.projektwerkstatt.de verbreitete sich relativ schnell. Es gab einige solidarische Aktionen – positiv erwähnt sei zum Beispiel das schnelle Angebot einiger GentechnikaktivistInnen, die Gentechnikseiten der www.projektwerkstatt.de (z.B. www.biotech-seilschaften.de.vu und www.gendreck-giessen.de.vu) auf anderen Seiten hochzuladen und der Versuch eines anderen Providers, die www.projektwerkstatt.de zu spiegeln (will heißen: ein zweites Mal zugänglich zu machen). Das wäre alles gerne in Anspruch genommen worden und so auch gelaufen, wenn dann nicht die schnelle Wiederzuschaltung der www.projektwerkstatt.de erfolgt wäre.

Neben diesen einzelnen solidarischen Aktionen gab es aber bemerkenswert viele bedenkliche Reaktionen:

  • Kommentare z.B. auf Indymedia, Mails und Anrufe bezichtigten ausgerechnet die Opfer der Abschaltung des „Selbst schuld“. Gemeint war, dass wer staatskritische Sachen veröffentliche, auch mit dem Ärger von dort rechnen müsse. Zum Teil war das mit Hinweisen verknüpft, Internetseiten lieber ins Ausland zu legen. Das ist ein sinnvoller Tipp – aber bedeutet die ausschließliche Orientierung darauf, Politik so zu gestalten, dass mensch nicht angreifbar ist, auch erhebliche Einschränkungen der Handlungsmöglichkeiten.

  • ie www.projektwerkstatt.de liegt absichtlich bei einem politischen Provider, der zumindest beim Start des Ganzen mal Teil politischer Bewegung war. Es ist immer Stil vieler AktivistInnen aus dem Umfeld gewesen, öffentliche Auseinandersetzungen auch zu führen – und sich nicht wegzuducken. Das wäre auch hier sinnvoll. Der Umgang des Providers ist aus dieser Perspektive erschreckend. Nicht nur die dortige Angst und die sofortige Reaktion des Wegduckens beunruhigt, sondern vor allem der Umgang mit Informationen. Das schwächte auch die Handlungsmöglichkeiten anderer.
  • och problematischer scheint das Nichtverhalten aller anderen, die beim gleichen Provider liegen. Es gab nur einen Anruf eines Nicht-Entscheidungsträgers einer anderen Gruppe, die beim gleichen Provider liegt. Tatsächlich haben sehr viele politische Gruppen dort ihre Internetseiten. Auf den entsprechenden internen Listen gab es keinerlei Debatte. Es gab auch keinerlei Kontakt zu Mitwirkenden rund um die www.projektwerkstatt.de. Es muss also davon ausgegangen werden, dass Desinteresse oder Wegducken durch die ganze politische Bewegung reichen. Das war zu erwarten, aber ist nicht erfreulich. Stattdessen wäre dringend notwendig, aus den beschriebenen Abläufen heraus zu diskutieren, wie in Zukunft mit solchen Vorgängen umgegangen werden soll – und wie Abläufe so zu gestalten sind, dass die Kommunikation besser läuft und Reaktionen möglich sind, die allen Beteiligten, also z.B. auch dem Provider, den Eindruck vermitteln, nicht mehr als nötig bedroht zu sein.
  • Einige Reaktionen richteten Vorwürfe gegen die Personen, die sich um die Rettung von www.projektwerkstatt.de kümmerten. Einige befanden sogar die Abschaltung als verständlich, weil ja böse Schriften zu finden waren. Das ist ein bemerkenswerter Umgang mit möglichen Meinungsverschiedenheiten. Jenseits der Frage, was mensch von Schriften wie der vom Staat ungeliebten „Prisma“ hält, ist es unerträglich, dass statt interner kritischer Debatten der Schwerthieb des Staates als akzeptabel eingestuft wird.
    Andere kritisierten bestimmte Informationsweitergaben. Dabei wurden auch Informationen Dritter denen angehängt, die an der Rettung der www.projektwerkstatt.de arbeiteten. Es war gut sichtbar, wie schnell hier Entsolidarisierung stattfand, wie unsauber selbst recherchiert wurde, um ausgerechnet denen, die gerade mit schlechten Informationsflüssen kämpften, damit die Unterstützung zu versagen. Auch hier hat sich gezeigt: JedeR ist sich selbst der nächste. Solidarität kennt in der deutschen politischen Bewegung keine Praxis. Denn der Wert von Solidarität besteht in der Bedingungslosigkeit bei Abwehr herrschaftsförmiger Angriffe. Das sagt nicht, jenseits dieser eine kritische Debatte über Positionen und auch über die Praxis offener Plattformen.
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Ergänzungen

island

ant 12.06.2010 - 11:16
Provider wechseln.

Internetseite der Autonomen Antifa Freiburg zieht nach Island.

Zuvor mussten auf Druck der Polizei, ohne Gericht oder Staatsanwalt, mehrmals Inhalte geändert werden. Helmut von der Autonomen Antifa zum neuen Isländischen Mediengesetz.

 http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=33491

 http://www.euractiv.com/de/erweiterung/island-koennte-paradies-fuer-journalisten-werden

Rechtliche Konsequenzen

Paragraph 11.01.2011 - 19:16
Es gibt zwei Möglichkeiten.

1. Einstweilige Verfügung: Da es sich vermutlich um einen Vertragsbruch des Providers handelt (Generalklauseln, die zur willkürlichen Abschaltung ermächtigen sind nach AGB-Regeln des BGB rechtsunwirksam).

2. Schadensersatzklage. Auch hier können Schäden, die durch Vertragsbruch entstanden sind eingeklagt werden.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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jpberlin ? — .

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404er — klausi

Ihr versteht gar nix! — Verstehi

nörgler löschen — geht um anderes

dummheit? — root

Nix peinlich — ole ole

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Stimmt ja schon — Hundling

@naja — Hundling