Residenzpflicht für Flüchtlinge? Muss weg!

Soligruppe 02.04.2010 11:47 Themen: Antirassismus Repression Soziale Kämpfe
Flüchtlinge unterliegen in Deutschland neben vielerlei Schikanen einer weltweit einmaligen Regelung: der Residenzpflicht, d. h. dem Verbot, den Landkreis zu verlassen, in dem sie gemeldet sind. Jahrzehntelang gab es immer wieder Konflikte um dieses Gesetz, doch nun scheint Bewegung in die Sache zu kommen. Neben dem erstarkenden Widerstand der Flüchtlinge selbst gibt es politische Initiativen von unten, und sogar die offizielle Politik beginnt zu reagieren.
Die Residenzpflicht ist ein Paragraph im Asylverfahrensgesetz, der es AsylbewerberInnen und geduldeten Flüchtlingen verbietet, den Landkreis, in dem sie gemeldet sind, zu verlassen; sie gilt seit 1982. Vorläufer dieser Regelung gab es in den deutschen Kolonien und im NS-Ausländergesetz aus den 30er-Jahren, eine ähnliche Regelung existierte ferner in Südafrika während der Apartheid. Aus "wichtigen Gründen" kann das zuständige Ausländeramt für einzelne Reisen einen "Urlaubsschein" ausstellen, was jedoch sehr restriktiv und willkürlich gehandhabt wird. Weil es Menschen gibt, die jahre- und sogar jahrzehntelang mit diesem Aufenthaltsstatus leben, gehört dieses Gesetz abgeschafft!

Letztes Jahr wurde hier auf indy mehrmals über den Fall des in Thüringen wohnhaften Kameruners Felix Otto berichtet. Er hatte wiederholt gegen die Residenzpflicht verstoßen. Dafür wurde er schließlich zu acht Monaten Haft verurteilt und nach Verbüßung eines Teils der Strafe als "Straftäter" abgeschoben ( http://de.indymedia.org/2009/08/259064.shtml). Gefängnisstrafen sind ab dem 3. Verstoß möglich, beim ersten Mal bleibt es meist bei einer Geldbuße von 40 Euro (happig genug, denn das ist der gesamte Geldbetrag, der einer Asylbewerberin im Monat zusteht!). Während Deutschen gewöhnlich nicht einmal selbst auffällt, wann sie eine Landkreisgrenze überschreiten, werden Flüchtlinge sehr oft dabei von der Polizei erwischt, wenn sie aufgrund ihres Äußeren in das Schema rassistischer Kontrollen passen.

Es laufen deswegen ständig Bußgeldverfahren, doch wegen ihrer prekären Situation trauen es sich nur die wenigsten Flüchtlinge zu, einen Prozess politisch zu führen und die Residenzpflicht grundsätzlich anzugreifen. Und die wenigen Versuche, die bisher in diese Richtung unternommen wurden, waren leider erfolglos -- die Residenzpflicht wurde bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt, trotz des offensichtlichen Widerspruchs zu Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Bewegungsfreiheit innerhalb eines Staates garantiert.

Kleine Erfolge gab es jedoch: Verstöße von Menschen mit Duldung können auch im Wiederholungsfall nur als Straftat gewertet werden, wenn sie nicht nur den Landkreis, sondern auch das Bundesland verlassen (das ist wichtig, denn Straftaten gefährden eventuell ein Bleiberecht nach der Härtefallregelung). Und am 26. Februar entschied ein Gericht, dass die Landratsämter für die Bearbeitung der Anträge keine Gebühren verlangen dürfen; die wollten nämlich teilweise 10 Euro dafür haben -- bei dem schmalen Taschengeld der Flüchtlinge (s.o.) ganz schön happig ( http://de.indymedia.org/2010/02/274451.shtml).

Das Thema ist Gegenstand einer öffentlichen Petition, die noch bis zum 27. April auf der Homepage des Bundestags läuft ( https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=10249). Mit über 6000 UnterstützerInnen in den ersten 2 1/2 Wochen ist es zwar bei weitem die erfolgreichste derzeit laufende Petition (siehe "Rangliste":  https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=list2;limit=100;start=0;sort=nr_sig;dir=down). Unter den Massenpetitionen, deren Listen bereits geschlossen sind und die nun auf die parlamentarische Prüfung warten, wäre das allerdings nur Rang 25. Und der Petitionsausschuss ist erst ab 50.000 Unterschriften verpflichtet, sich in öffentlicher Sitzung mit einer Petition zu befassen! Deswegen ist hierfür noch eine Menge Unterstützung nötig. Im Internet kursieren schon ein paar Aufrufe, und inzwischen gibt es sogar eine Facebook-Gruppe ( http://www.facebook.com/p.php?i=1343828103&k=Z3A6Q36ZU4TF6BD1QK2ZRVWWSTIB4Z6EUPGRF&oid=114678071879926 oder unter dem Namen "Residenzpflicht abschaffen"). Auf der Bundestags-Seite können die Petitionen übrigens auch diskutiert werden, und in der Kommentarspalte zu diesem Thema geht's zeitweise ziemlich ab. Benehmt Euch, das Teil ist moderiert;

Die Abschaffung der Residenzpflicht ist eine der zentralen Forderungen im Lagerstreik der bayrischen Flüchtlinge ( http://de.indymedia.org/2010/03/276002.shtml). Die bayrische Staatsregierung reagierte bereits, in dem sie den Bewegungsradius der AsylbewerberInnen Mitte März etwas ausweitete: Sie dürfen sich nun in ihrem gesamten Regierungsbezirk (davon hat Bayern sieben Stück) plus den angrenzenden Landkreisen bewegen. Das ist immerhin etwas, allerdings könnte es ein bisschen unübersichtlich werden, vor allem für die Betroffenen, denen die bayrische Verwaltungsstruktur nicht so geläufig ist; da sind Probleme absehbar. Die angrenzenden Bundesländer sind "natürlich" weiterhin tabu, und auch Vorfälle wie letztes Jahr beim "Lagerschlussverkauf", einer Protestaktion von Flüchtlingen in München, sind nicht auszuschließen: Damals wies das Innenministerium nordbayrische Ausländerämter an, für Reisen nach München keine Ausnahmegenehmigungen zu erteilen, da die Teilnahme der Flüchtlinge an den Aktionstagen "nicht im öffentlichen Interesse" sei ( http://de.indymedia.org/2009/06/252844.shtml).

Beschlossen wurde die Aufhebung der Residenzpflicht in Brandenburg sowie zwischen Berlin und Brandenburg. Das steht leider erst in den Koalitionsverträgen beider Landesregierungen und ist noch nicht in Kraft. Die Innenministerien stellen sich bislang quer, da ihrer Meinung nach eine Aufhebung gegen das Bundesgesetz verstoßen würde. Aber das Land Berlin kündigt eine Bundesratsinitiative zur allgemeinen Abschaffung der Residenzpflicht an, und sogar im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung wurde eine Lockerung der Residenzpflicht angekündigt -- allerdings nur für arbeitende Flüchtlinge.

Jede Menge Infos zum Thema Residenzpflicht findet Ihr unter  http://www.residenzpflicht.info; auf der Startseite rechts oben unter Termine gibt's auch einen Link zu der erwähnten Bundestags-Petition. Eine kurze Sendung (7 Minuten) zur Residenzpflicht könnt Ihr hören unter:  http://www.freie-radios.net/mp3/20100321-epetitionwi-32977.mp3 (oder über die Seite  http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=32977). In der Sendung kommen Betroffene und der Einreicher der E-Petition zu Wort, dabei wird auch ausführlich auf das Thema der rassistischen Kontrollen eingegangen.
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Ergänzungen

Gegen Residenzpflicht

ASF 04.04.2010 - 13:52
Thüringen soll Residenzpflicht lockern

Flüchtlingsrat übergibt Petition an Parlament für Bewegungsfreiheit innerhalb des Bundeslandes

Der Flüchtlingsrat Thüringen fordert in einer Petition vom Landtag, dass er Flüchtlingen ermöglichen soll, sich im gesamten Bundesland frei zu bewegen.
»Wer Menschen zur Belastung von Lebensräumen erklärt, muss sich fragen lassen, ob er nicht selbst zur Belastung für Menschen geworden ist.« Mit diesen Worten reagiert der Vorsitzende des Thüringer Flüchtlingsrates, Steffen Dittes (LINKE), auf die Ausländer diskriminierenden Äußerungen von Wolfgang Fiedler im Zusammenhang mit einer geplanten Lockerung der Residenzpflicht für Flüchtlinge in Thüringen. Der innenpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion gab auf Nachfrage von ND bekannt, was er davon hält, die räumliche Beschränkung auf die Thüringer Landesgrenzen auszudehnen: »Das würde die Großstädte nur übermäßig belasten.« Ohnehin sieht der gelernte Mechaniker aus Stadtroda die Flüchtlinge als »einhergehende Lasten, die gleichmäßig verteilt werden müssen«. Fiedlers Aussage sei »Ausdruck des Rassismus der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft«, ist sich Dittes sicher.

Die seit knapp 30 Jahren im deutschen Asylverfahrengesetz festgeschriebene Residenzpflicht ist noch immer einmalig in Europa. Demzufolge dürfen um Asyl suchende Menschen ohne schriftliche und hinreichend begründete Erlaubnis der Ausländerbehörde den ihnen zugewiesenen Aufenthaltsort in einem Umfeld von 20 Kilometern nicht verlassen. Wer sich darüber hinweg setzt, macht sich einer Ordnungswidrigkeit schuldig. Außerdem hat er mit Nachteilen bei der Bearbeitung seines Asylantrages zu rechnen.

Heute übergibt der Thüringer Flüchtlingsrat eine Petition zur Neureglung der Residenzpflicht dem Petitionsausschuss des Landtages. Anlass dafür ist der Internationale Tag gegen Rassismus am gestrigen Sonntag.

Unterschrieben haben das Gesuch noch weitere Vertreter von zwölf Menschenrechtsorganisationen und Vereinen, der Gewerkschaft und der Kirche. Dass die CDU im Thüringer Landtag, federführend Herr Fiedler, nicht mit sich reden lässt in Punkto Aufhebung der Residenzpflicht, sieht die Regionalbischöfin für Erfurt und Nordhausen, Pröpstin Elfriede Begrich, als gegebene, wenn auch »traurige Realität«: »Ich bin es in meiner Arbeit gewohnt, gegen ungerechte und falsche Sachverhalte anzugehen«, sagt sie gegenüber ND, »deshalb ist es für mich als Kirchenfrau selbstverständlich, die Petition zu unterzeichnen.«

Das Thema Ausweitung der Aufenthaltserlaubnis von Flüchtlingen steht schon seit Jahren auf der Agenda der Thüringer Landespolitik. Im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU ist diese Regelung deshalb explizit verankert. »Die geltende Residenzpflicht wird im räumlichen Bezug erweitert«, heißt es da. Als »schwammig« bezeichnet Sabine Berninger (LINKE), Sprecherin für Migrationspolitik ihrer Fraktion, diesen Passus. Ihrer Meinung nach sei »das Ganze unwürdig, wenn man bedenkt, wie geografisch klein unser Bundesland ist«. Dabei ist es »zu mindestens innerhalb Thüringens möglich, diese Praxis abzuschaffen«, so Ellen Könnecker vom Flüchtlingsrat in der Begründung der Petition. Das Bundesgesetz zur Reglung von Flüchtlingsangelegenheiten räume den Ländern ausdrücklich einen Ermessungsspielraum ein. Hessen oder das Saarland gehen hier schon längst beispielgebend voran.

Der ehemalige Flüchtling aus Angola, José Paka, ist Vorsitzender des Ausländerbeirates der Stadt Erfurt. Zornig sagt er gegenüber ND: »Gerade Deutschland, das anderen Staaten Vorhaltungen wegen Menschenrechtsverletzungen macht, tritt die Würde des Menschen mit Füßen«. Wer in seiner Bewegung eingeschränkt wird, kann sein persönliches Leben nicht freizügig gestalten, sich unmöglich in das gesellschaftliche Leben integrieren.

Die Thüringer Landtagsabgeordnete Regine Kanis (SPD) sieht noch einem Kampf mit ihrem Koalitionspartner entgegen: »Wir werden die CDU bei diesem Thema hart an die Kandare nehmen müssen«, sagt sie gegenüber ND.

Im Thüringer Innenministerium wird an einer Gesetzesänderung bereits gearbeitet. Pressesprecher Bernd Edelmann: »Die ersten Entwürfe gehen übernächste Woche ins Kabinett, da müssen wir nicht erst auf die Fraktionen warten«.


 http://www.neues-deutschland.de/art....idenzpflicht-lockern.html

Gegen Residenzpflicht
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