Keine Wegegebühr für Flüchtlinge

ilse 28.02.2010 01:27 Themen: Antirassismus Repression
Flüchtlinge brauchen keine Gebühr zahlen, wenn sie einen Antrag zum Verlassen des ihnen zugewiesenen Landkreises stellen, das ist jetzt richtlich bestätigt.
Am vergangenen Freitag verkündete das Verwaltungsgericht Halle/Saale (Sachsen-Anhalt) das
Urteil. Der Richter Harms erklärte, dass es für die Erhebung einer
solchen Gebühr von Flüchtlingen keine gesetzliche Grundlage gibt. Die
Ausländerbehörde, die der Verhandlung fernblieb, muss Komi E. den
Streitbetrag von 10 Euro zurückerstatten.
Der Vizepräsident der Initiative Togo Action Plus hatte 2007 beim
Verwaltungsgericht Halle/Saale gegen die Erhebung einer Gebühr von 10
Euro geklagt. Die Ausländerbehörde im Landkreis Saalekreis verlangt diese Gebühr
von Flüchtlingen, die den Landkreis verlassen wollen. Die ohnehin
rassistische Ausgrenzung von Flüchtlingen in Deutschland durch die
Residenzpflicht wird durch diese Gebühr verschärft.

Schließlich müssen Flüchtlinge in der Regel von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz auskommen. Das sind 185 Euro im Monat, die meist in Sachleistungen und Gutscheinen verrechnet werden sowie ein monatliches Taschengeld von 40 Euro in Bar. Da ist eine zusätzliche Wegegebühr von 10 Euro viel Geld.
Hinzu kommt die diskriminierende Maßnahme, dass die Flüchtlinge noch dafür bezahlen müssen, wenn sie einen Antrag stellen, damit sie den ihnen zugewiesenen Landkreis verlassen können.
Mit der Ablehnung der Gebühr hat Komi E. einen kleinen Erfolg errungen. Aber noch ist die Residenzpflicht, die einmalig in Europa das Recht auf Mobilität für eine ganze Menschengruppe massiv einschränkt, nicht abgeschafft. Die Klage sollte auch die fortdauernde Residenzpflicht anprangern. Das Urteil hat zumindest Mut gemacht, neue Ziele in Angriff zu nehmen.
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Ergänzungen

pressereaktionen auf die klage und das urteil

ilse 28.02.2010 - 13:34
 http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=in&dig=2010%2F02%2F27%2Fa0148&cHash=5edd7c577a

taz vom 27.2.2010


Wegezoll in Deutschland ist rechtswidrig
URTEIL Ausländerbehörden dürfen keine Gebühren von Asylbewerbern erheben, wenn diese ihren Landkreis verlassen wollen, urteilt das Verwaltungsgericht Halle. Asylbewerber könnten sich bald freier bewegen
BERLIN taz Das Verwaltungsgericht Halle hat am Freitag die Erhebung von Verwaltungsgebühren für die Ausstellung eines "Urlaubsscheins" an Asylbewerber für rechtswidrig erklärt. "Wir haben festgestellt, dass es für solche Gebühren keine gesetzliche Grundlage gibt", sagte Gerichtssprecher Volker Albrecht der taz.

Geklagt hatte der togolesische Asylbewerber Komi E., Vizepräsident der Initiative Togo Action Plus. Die Residenzpflicht verbot ihm, ohne behördliche Genehmigung den Saalekreis, also das Umland der Stadt Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt, zu verlassen. Für die Erstellung des "Urlaubsscheins" musste er jedes Mal von seinen Asylbewerberleistungen 10 Euro Verwaltungsgebühren entrichten.

"Kürzlich hat die Ausländerbehörde ihre Praxis geändert und nimmt die 10 Euro nur noch, wenn der Ausländer einen rein privaten Grund hat, den Landkreis zu verlassen", sagt Komi E.s Anwalt Volker Gerloff. Mit anderen Worten: Will ein Ausländer zu einer auswärtigen Gerichtsverhandlung, zum Anwalt oder zu einer politischen Demonstration, gibt es den Urlaubsschein kostenlos. Will er Verwandte besuchen, muss er 10 Euro zahlen. Gerloff findet es perfide, dass die Ausländerbehörde die Gründe überhaupt überprüft. "Es ist schließlich Privatsache jedes Menschen, warum er verreist."

Es ist bereits das zweite Urteil eines Verwaltungsgerichtes, das die Gebühren für einen "Urlaubsschein" für rechtswidrig erklärt. Im Jahr 2006 hatte das Verwaltungsgericht Dessau in Sachsen-Anhalt die Gebühren für nichtig erklärt, allerdings mit einer weniger grundsätzlichen Begründung. Damals hatten die Richter die Frage der Rechtsgrundlage offengelassen und lediglich geurteilt, dass ein Asylbewerber aus sozialen Gründen von Behördengebühren zu befreien sei.

Ob das neue Urteil rechtskräftig wird, hängt davon ab, ob das Landratsamt Rechtsmittel einlegt. Das war am Freitag noch unklar. Ein Behördenvertreter hatte an der Verhandlung erst gar nicht teilgenommen. Anwalt Volker Gerloff fordert das Innenministerium in Sachsen-Anhalt auf, im Fall der Rechtskraft des Urteils anzuordnen, generell keine Verwaltungsgebühren mehr für die Befreiung von der Residenzpflicht zu erheben. In Sachsen-Anhalt erhebt laut Gericht etwa jede zweite Ausländerbehörde solche Gebühren. In elf Bundesländern verlangen einzelne Landkreise solche Gebühren, in Rheinland-Pfalz und dem Saarland sogar flächendeckend.

Die Sozialwissenschaftlerin Beate Selders, die die Umsetzung der Residenzpflicht bundesweit dokumentiert hat, spricht von "Wegezoll" in der Tradition der deutschen Kleinstaaterei. Für 33.000 Asylbewerber und 105.000 geduldete Flüchtlinge sind die Grenzen der 413 Kreise und kreisfreien Städte oft unüberwindbare Hindernisse. Laut Selders gibt es Fälle in Hessen, in denen Jugendliche nicht an Sprachkursen im Nachbarkreis teilnehmen konnten, weil sie das Geld für die Behördenbescheinigung nicht hatten. MARINA MAI
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Neues Deutschland 24.2.2010

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/165770.gebuehren-fuer-fluechtlinge-auf-pruefstand.html


Von Peter Nowak 24.02.2010 /
Außer Parlamentarisches
Gebühren für Flüchtlinge auf Prüfstand
Stadt Halle will zehn Euro für Reiseantrag
Am 26. März entscheidet das Verwaltungsgericht Halle über die Frage, ob Flüchtlinge in Deutschland eine Gebühr zahlen müssen, wenn sie einen Antrag auf Verlassen ihres Landkreises stellen.
Wenn Komi E. seine Freundin in Berlin besuchen will, muss er zahlreiche bürokratische Hürden überwinden. Er lebt als Flüchtling in Halle und ist der Residenzpflicht unterworfen. Wenn er den Landkreis verlassen will, muss er bei der zuständigen Ausländerbehörde einen Antrag auf Genehmigung stellen. Die verlangt dafür eine Gebühr von 10 Euro und stützt sich auf die Aufenthaltsverordnung, in der es heißt, »für sonstige Bescheinigungen auf Antrag« kann eine Gebühr von 10 Euro erhoben werden. Allerdings sieht dieselbe Aufenthaltsverordnung eine Befreiung von Gebühren für Flüchtlinge vor, die Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen.

In Halle ist die Gebührenpflicht standardmäßig im Antragsformular festgelegt, unabhängig davon, ob der Flüchtling sozial bedürftig ist oder nicht. E. sieht in dieser Gebühr eine weitere Hürde bei der Durchsetzung der Bewegungsfreiheit für Flüchtlinge in Deutschland. Schließlich seien 10 Euro für jeden Antrag gerade für Flüchtlinge oft kaum finanzierbar. Schließlich müssen sie mit den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz auskommen. Das sind in der Regel 185 Euro im Monat, die meist in Sachleistungen und Gutscheinen verrechnet werden sowie ein monatliches Taschengeld von 40 Euro in bar.

Gegen die Residenzpflicht
E. will mit dem Prozess aber das System der Residenzpflicht insgesamt anklagen, das in Deutschland die Bewegungsfreiheit von Menschen gravierend eingeschränkt. Diese Einschätzung teilt die Sozialwissenschaftlerin Beate Selders. Selbst wenn die Ausländerbehörden die Genehmigung der Reise liberal handhabt, seien die Flüchtlinge von Einschränkungen betroffen. Da die Behörden in der Regel nur zweimal in der Woche geöffnet haben, sind kurzfristige Reisen unmöglich. Außerdem sind die Ämter häufig bis zu 100 Kilometer von Sammelunterkünften für Flüchtlinge entfernt, die für den Antrag nicht nur viel Zeit benötigen, sondern auch für die Fahrtkosten aufkommen müssen. Die Gebühr stellt dann noch eine zusätzliche finanzielle Belastung dar.

Die Initiative Togo Action Plus, deren Vizepräsident der Kläger ist, sieht als Folge der Residenzpflicht auch eine massive Einschränkung von Selbstorganisationsprozessen von Flüchtlingen. »Die Teilnahme an Vorbereitungstreffen, Diskussionsforen, kulturellen Aktivitäten, das Treffen von Freunden und Freundinnen oder der Besuch von Mitaktivisten im Abschiebegefängnis wird kontrolliert.«

Obwohl durch das Verfahren in Halle die Residenzpflicht nicht abgeschafft wird, sehen Flüchtlingsorganisationen und antirassistische Initiativen in einem Erfolg der Klage eine Ermutigung ihrer Arbeit. Deswegen wird auch bundesweit zur Prozessbeobachtung nach Halle mobilisiert. Für Komi E. wäre ein Erfolg ein Etappensieg. Er ist mittlerweile von der Ausländerbehörde im Saalekreis aufgefordert worden, 1165,01 Euro für Aufwendungen zu zahlen, die die Behörde für die Vorbereitung seiner Abschiebung aufgewendet hat. Auch gegen diesen Bescheid, in denen Antirassisten eine Rache an einen Flüchtlingsaktivisten sehen, hat E. Klage eingereicht.

Der Prozess beginnt um 10 Uhr, Verwaltungsgericht Halle, Sitzungssaal 1063, Thüringer Str. 16.


Der nächste Schritt

Noborderistas 01.03.2010 - 14:07
In ein bis zwei Wochen erscheint auf epetitionen.bundestag.de voraussichtlich eine Petition gegen die Residenzpflicht. Unterstützen kann sie jedeR (auch nicht Wahlberechtigte), Voraussetzung ist nur, dass Ihr Euch vorher auf der Seite registrieren lasst. Könnt Ihr jetzt schon machen, der Link zur Petition sollte dann lauten:  https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=10249 (wird aber wie gesagt erst noch freigeschaltet).

Re: der nächste Schritt

Noborderistas 15.03.2010 - 15:46
Jou, der Link ist aktiv und die Petition kann bis 27.4. mitgezeichnet werden. Außerdem gibt's bereits ne heftige Diskussion in der Kommentarspalte.