Krise ist Alltag

Wal Buchenberg 11.10.2008 16:11 Themen: Medien Soziale Kämpfe Weltweit


Politiker und Journalisten reden derzeit viel von verlorenem "Vertrauen". Vertrauen sei die Grundlage unseres Wirtschaftens, jedes Kredits und jeder Bank. Diese Behauptung ist sehr verkürzt. Tatsächlich ist allein das Vertrauen in die Profitabilität Grundlage des Kapitalismus, der Kredit- und Finanzwirtschaft. Geld wandert dorthin, wo Profite zu erwarten sind. Wenn Aktienmärkte abstürzen und Kredite platzen, dann fehlt das Vertrauen in kommende Profite. Da ist keine "Panik" am Werk, sondern rationales Kalkül, das durch warme Worte der Politiker und Journalisten nicht umgestoßen wird.

Der Finanzsektor expandierte in den letzten 20 Jahren so stark, weil dort höhere Profite gemacht werden konnten als in der Realwirtschaft. Solange noch Käufer gefunden wurden für Schrotthypotheken oder für überhöhte Aktien, solange stiegen die Preise für diese Papiere. Das war nicht "irreal", sondern normal. Damit ist es jetzt vorbei.
Finden sich nun keine Käufer mehr für überteuerte Häuser, unsichere Anlagen und teure Aktien, dann fallen die Kurse. Das Pyramidenspiel ist zu Ende.
Nicht böse Eigenschaften ("Gier"), nicht einzelne Akteure (Notenbanker, Finanzleute oder "Spekulanten") verursachten die Krise, sondern der kapitalistische Alltag. Tatsächlich ist jeder Kapitalist ob groß oder klein ein "Spekulant". Denn jede Investition und jede Geldanlage ob groß oder klein ist eine Spekulation auf künftigen Gewinn. Tatsächlich sind es die kapitalistischen Alltagsregeln von Kauf und Verkauf, von Kredit und Zins, von Investition und Rendite, die die kapitalistische Wirtschaft antreiben und immer wieder zur krisenhaften Überspitzung hinaustreiben.

Zwei amerikanische (Mainstream-)Ökonomen, Carmen Reinhart (University of Maryland) und Ken Rogoff (Harvard University), untersuchten "Eight Centuries of Financial Folly". Sie kommen zu dem Ergebnis, dass Finanzkrisen eine selbstverständliche Begleiterscheinung des Kapitalismus sind. Interessanter ist vielleicht noch eine weitere Feststellung: Die Krisen werden schlimmer und heftiger, wenn ihnen eine längere Zeit der Ruhe und scheinbarer Stabilität vorausgeht.
Auf ihren Analysen beruht folgende Grafik über 200 Jahre Wirtschaftsgeschichte von 1800 bis heute. (vgl. The Economist, 11.10.2008).




In dieser Grafik sind drei sehr unterschiedliche Wirtschaftsperioden auszumachen.
In den 80 Jahren zwischen 1810 und 1890 kam es alle zehn Jahre zu mäßigen Finanzkrisen, die ungefähr 5 Prozent der Länder der Welt erfassten.
Die zweite Periode zwischen 1890 und 1930 erlebte 40 Jahre heftiger Krisen, die bis zu 22% aller Länder erfassten, und die große politische Umbrüche nach sich zogen.

Die dritte Periode zwischen 1940 und 1980 war eine Periode einer ungewöhnlichen wirtschaftlichen (und politischen) Stabilität.
Seit 1990 befinden wir uns wieder in einer Periode, in der die Krisen an Zahl und Heftigkeit zunehmen.
Die jetzige Finanz- und Bankenkrise erfasst prozentual schon mehr Länder als die Große Depression von 1929 bis 1932.

Der historische Wechsel von einer Zeit heftiger Krisen vor 1940 in die nachfolgenden 30 Jahre des fast krisenfreien Wachstums seit 1950 hat das allgemeine Bewusstsein geprägt.
Dieser Wechsel von hoher Instabilität in scheinbar dauerhafte Stabilität hat das Bewusstsein der universitären Wissenschaftler geprägt mit ihren Gleichgewichtsmodellen und ihrem Glauben an einen krisenfreien Kapitalismus.
Der Wechsel von unruhiger Krisenzeit in stabile Wachstumszeit hat das Bewusstsein unserer Politikerklasse geprägt - sowohl der Politiker, die an einen "gesteuerten Kapitalismus" (Keynsianismus) glauben, wie der Politiker, die auf die "unsichtbare Hand des Marktes" (Neoliberalismus) vertrauen.

Das ruhige, fast krisenfreie Wachstum des Kapitalismus nach 1950 hat aber mehr noch als die gewaltsame Verfolgung der Arbeiterbewegung in der Zeit des Faschismus die Arbeiterbewegung und die Linken geprägt. Die Lohnarbeiter in den kapitalistischen Metropolen konnten sich nach 1950 scheinbar häuslich einrichten im Kapitalismus.
Den Linken kam ihr "revolutionäres Subjekt" abhanden. Zunächst wurde "Ersatz" im "Trikont", in den antikolonialen Aufständen gefunden. Mit der endgültigen Niederlage des Kolonialismus und der Gründung unabhängiger Staaten verschwand auch dieses "revolutionäre Subjekt". Die nachfolgenden Protestbewegungen in Europa und den USA zielten nun weniger auf eine (revolutionäre) Eroberung der politischen Macht, sondern auf vielfältige kulturelle und soziale Fragen: Konsum, Gender, Patriarchat, Rassismus, Umwelt und Ökologie usw.
Neben solchen neuen Themen erhielten sich auch linke Traditionen im Antimilitarismus, in der Antikriegsbewegung, der Anti-Repressionsbewegung, in den Resten der linken Gewerkschaftsbewegung und in der Antifa-Bewegung. Diese linke Themen- und Meinungsvielfalt ist eine Stärke, keine Schwäche.
Als Linke haben wir in diesen Krisenzeiten weder Grund zur Ungeduld, noch zur Verzagtheit. Nicht unsere Vorstellungen und Träume werden durch die Krise Lügen gestraft, sondern die Vorstellungen des Mainstreams, der universitären Wissenschaftler, der Politiker im Amt oder in Wartestellung und der einflussreichen Journalisten. Sie alle werden durch diese Krise und ihre langwierigen Folgen in eine Sinnkrise gestürzt.

Die jetzige Wirtschaftskrise wird uns noch Jahre begleiten und es werden mehr politische Krisen folgen. Das macht der Vergleich der jetzigen Krise mit den jüngst vergangenen Krisen deutlich.




Wal Buchenberg für Indymedia, 11.10.2008


Weiterführende Informationen

Mexiko-Krise 1994-95

Asien-Krise 1997-99

Dotcom-Krise 2000-01

Subprimekrise, Finanzkrise

Finanzwirtschaft und Realwirtschaft

Hungerrevolte und Ernährungskrise

Börsencrash

Wie Finanzmärkte funktionieren

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Ergänzungen

Erste Gesamtdarstellung der jetzigen Krise

IWF 11.10.2008 - 18:57
vom Weltwährungsfonds IWF, auf Englisch, aber mit einer Menge interessanter Grafiken!

 http://www.imf.org/external/pubs/ft/gfsr/2008/02/pdf/text.pdf

Gruß Wal

Regierung macht bei Rettungspaket Tempo

noName 12.10.2008 - 01:46
Normalerweise dauert die Entstehung eines Gesetzes Monate bis Jahre. Unter dem Eindruck abstürzender Börsenkurse aber macht die Bundesregierung Druck: Innerhalb weniger Tage soll offenbar ein Eilgesetz zur Stützung deutscher Banken beschlossen werden. ...

... Allein diese Maßnahmen könnten nach Schätzung von Regierungsexperten zwischen 50 und 100 Mrd. Euro kosten, berichtete der "Spiegel" ...

... An dem Konzept arbeiteten laut "Spiegel" neben Kanzleramt und Finanzministerium auch Bundesbankpräsident Axel Weber, Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, Commerzbank-Chef Martin Blessing und Bankenpräsident Klaus-Peter Müller. Vor allem Weber und der Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, hätten die Bundesregierung gedrängt, staatliche Eigenkapitalspritzen für den Bankensektor zu ermöglichen. Zu einem ähnlichen Schritt hatte sich vorige Woche bereits die britische Regierung entschlossen und die Verstaatlichung führender Geldinstitute angekündigt.
 http://www.ftd.de/politik/deutschland/:Finanzbranche-in-Not-Regierung-macht-bei-Rettungspaket-Tempo/424877.html

Quark-Anteil im gesamten Kuchen

Thomas Gotschalk 12.10.2008 - 01:51
Milliardärsgewinne: Quelle der Finanzwelt sei das "Sparen privater Haushalte". Diese "privaten Sparer" können weder HartzIV-Empfänger noch durchschnittliche Lohnarbeiter sein. Bei deren Einkommen bleibt nichts übrig für Finanzinvestitionen. Tatsächlich ist die Hauptquelle und die Basis der Finanzwirtschaft das industrielle Kapital.
Des Rärsels Lösung: Die weltweiten Finanzinvestitionen stiegen seit 1980 von rund 4% des Welt-BSP auf rund 14% des Welt-BSP. Es handelt sich um eine überproportionale Ausweitung der Finanzwirtschaft, ohne entsprechendes Wachstum der "Realwirtschaft". In diesem Faktum liegt meines Erachtens der Kern der gegenwärtigen Finanzkrise.

Schuld ist die Doktrin des Neoliberalismus

Nicolae Paulescu 12.10.2008 - 01:59
Mit der aktuellen Krise steckt nicht nur die Finanzwelt in der Krise, sondern das gesamte System und die Doktrin des Neoliberalismus stecken tief in der Krise. Die schonungslose Forderung nach Nichteinmischung des Staates und das Mär der Selbstregulierung werden mit jeder weiteren Verstaatlichung, mit jedem staatlichen Rettungsprogramm, mit jeder scheiternden Bank ad absurdum geführt und somit obsolet.

Umfang der Produktionsmittel m. vergrössert

L. Gysi 12.10.2008 - 02:02
Der in Deutschland geschaffene Reichtum im Wert von 2.184 Mrd. Euro kann nicht insgesamt unter die Gesellschaftsmitglieder verteilt werden. Bei der Herstellung der Produkte und Dienstleistungen werden Produktionsmittel (Rohstoffe, Maschinen, Bauten, Energie etc.) eingesetzt, deren Verbrauch auch jedes Jahr ersetzt werden muss, sonst kann die Produktion im folgenden Jahr nicht auf selber Stufe wiederholt werden. Soll die Produktion im Folgejahr sogar gesteigert werden, muss der Umfang der Produktionsmittel schon in diesem Jahr ausgeweitet und vergrößert werden.

kritik am Fazit des Artikels

restsubjekt 12.10.2008 - 15:14
Einige Anmerkungen zum Text. Der Anfang gefiel mir noch ganz gut, der Schluss scheint mir ein bisschen sehr frömmelnd hoffnungsvoll.


"Diese linke Themen- und Meinungsvielfalt ist eine Stärke, keine Schwäche."


Das ist eine Behauptung, die ein bisschen sehr nach Durchhalteparole klingt. Leider beruht diese "Themen- und Meinungsvielfalt" in den wenigsten Fällen darauf, dass von bestimmetn Unterdrückungsformen betroffene Menschen sich konkret engagieren. Meistens geht es um Identitätssuche, die spätestens mit dem ersten Kind oder mit dem Eintritt in ein geregeltes Arbeitsleben obsolet wird.

Leider ist es mit der "Vielfalt" auch nicht so, dass daraus abgeleitet würde, dass es eben verschiedene Formen der Unterdrückung gibt, die individuell erlebt werden, aber letztlich alle betreffen. Viele Gruppen klammern sich nach wie vor an ihre als Identität liebgewonnenen Hauptwidersprüche und sind auch wenig diskussionsbereit, weist man sie auf die Schwächen oder Lücken in ihrer Herangehensweise hin.

Es wird zwar immer wieder die "Solidarität in der Linken" beschworen, aber eher in dem Sinne, man möge es doch mit inhaltlichen Differenzen nicht so genau nehmen. Das mag zwar angehen, wenn es um Kleinigkeiten geht, darf aber nicht heißen, dass man sich um des lieben Burgfriedens Willen mit allen noch so autoritären bis faschistoiden Spinnern arrangiert.

Diejenigen, die nur wegen inhaltlicher Differenzen gleich mit dem Vorwurf der Spalterei aufwarten, beweisen damit jedesmal auf´s neue, wie diffus ihre Vorstellung von linker Politik ist und dass sie mit Kritik nicht viel am Hut haben.

Die "Themen- und Meinungsvielfalt" ist keine Stärke, sondern einfach ein Ergebnis mangelnder Auseinandersetzung mit der eigenen Situiertheit und der Unfähigkeit zur kritischen Reflektion dessen, was man da so treibt. Um das zur Stärke erklären zu können, muss einem schon ziemlich egal sein, was die anderen so treiben, selbst das eigene politische Handeln muss einem dafür egal sein.

Das postmoderne Diktum, das "Verschiedenheit" pauschal und ohne Angabe von sachhaltigen Gründen zur Stärke erklärt, ist leider so verbreitet wie sinnfrei.




"Als Linke haben wir in diesen Krisenzeiten weder Grund zur Ungeduld, noch zur Verzagtheit. Nicht unsere Vorstellungen und Träume werden durch die Krise Lügen gestraft, sondern die Vorstellungen des Mainstreams, der universitären Wissenschaftler, der Politiker im Amt oder in Wartestellung und der einflussreichen Journalisten. Sie alle werden durch diese Krise und ihre langwierigen Folgen in eine Sinnkrise gestürzt."



Auch das ist eine Behauptung, die so einfach falsch ist. Spätestens seit Genua hat noch der letzte Poltiker oder Jounalist mal davon geredet, die "Macht der Spekulanten" einzuschränken und die Finanzmärkte per Gesetz zu kontrollieren. Welcher Politiker, würde sich schon für die Vernichtung von Wert durch geplatzte Spekulationsblasen einsetzen? Die Vortsellung solch ideeller Vertreter des Marktliberalismus à la Adam Smith (der das, weil er falsch lag, ja noch denken durfte) ist absurd.

Vor diesem Hintergrund ist es eben gar nicht verwunderlich, dass die US-Regierung plötzlich beinahe bolschewistische Züge annimmt und für 800 Milliarden Dollar Banken verstaatlichen will. A capitalist´s gotta do, what a capitalist´s gotta do, nicht mehr und nicht weniger. Das populistische Rumgehupe auf Parteitagen und im Leitartikelbereich, "Man müsse umdenken" ist kein Ausdruck einer Sinnkrise, sondern Sinnstiftung.

Den "Spekulanten" ist es letztlich egal, wenn man ihnen Beschränkungen auferlegt. Solange die für alle gelten oder eben alle wissen, wie man sie umgeht, besteht keine Gafahr, von der Konkurrenz abgehängt zu werden. Und darum geht es.

Das "Proletariat", also diejenigen, die auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen sind, werden davon nicht unbedingt etwas haben. Es wird wahrscheinlich nicht mehr so viel Wert vernichtet, wie bisher, es besteht nur leider kein Zusammenhang zwischen einem Anwachsen der Produktivkraft (Voraussetzung für eine "funktionierende" Wirtschaft) und Massenwohlstand.

Es werden allenfalls ein paar Stellen weniger abgebaut, immerhin. Aber groß ändern wird sich nichts, außer, dass die gerade mit dem Krisenmanagement betrauten oder daran interessierten sich als die großen Retter und gebärden können.

Der Kapitalismus kennt keine Sinnkrisen, sonst wäre es ja kein Kapitalismus.



"Die jetzige Wirtschaftskrise wird uns noch Jahre begleiten und es werden mehr politische Krisen folgen. Das macht der Vergleich der jetzigen Krise mit den jüngst vergangenen Krisen deutlich."

Das ist klar. Schade, dass du bei den "politischen Krisen" deine Abhandlung abbrichst. ich denke nämlich, dass wir die in Form autoritärer ideologischer Offensiven aus allen politischen Lagern zu spüren bekommen werden.

Die (zum Kapitalismus dazugehöige) Krisenhaftigkeit erzeugt nämlich bei allen im fetischdenken Verhafteten immer wieder genau das Gegenteil einer Sinnkrise: Notwendigerweise werden ihre Lösungsansätze immer wieder die Suche nach Schuldigen beinhalten, also autoritär ausfallen, sei´s totalitär vergemeinschaftend, sei´s rassistisch, (strukturell) antisemitisch oder wie auch immer. Daran werden wir zu knabbern haben, glaube ich.

Staat als Retter

frosch 15.10.2008 - 08:37
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ein bisschen Kritik — restsubjekt

Artikel-Bewertung — Peter H.