EUratom-Kritik in Brüssel verboten?

Markus Pflüger 27.03.2007 03:17 Themen: Atom Medien Militarismus Repression Ökologie
Faktisches Demoverbot für KritikerInnen bei Europa-Jubelfeier in Brüssel. In Berlin gab es ebenfalls Proteste und Beschnei­dungen der Meinungsfreiheit (Europa-Fest in Berlin - nicht für alle:  http://de.indymedia.org/2007/03/171880.shtml)
In Brüssel wurden ProtestiererInnen am Samstag beim EU-Jubel-Konzert am Atomium abgeführt und Transparente beschlagnahmt. Hier wurden Grundrechte faktisch außer Kraft gesetzt.
Generelle Kritik an der EU und dem neoliberalen und militaristischen EU-Verfassungs­vertrag und hier besonders am EURATOM-Vertrag, der die Atomkraft massiv fördert, wurden undemokratisch unterbunden.
„50 Jahre"EURATOM" kein Grund zum Feiern!“ und „Unhappy Birthday EU“ .so Titel von Protestaktionen am Freitag 23.3.07 in Brüssel, die noch genehmigt waren und stattfinden konnten. (siehe „Multinationaler Anti-Atom Protest in Brüssel“:  http://de.indymedia.org/2007/03/171755.shtml und „Scrap EURATOM“: www.foeeurope.org)
Am nächsten Tag, Samstag den 24.3., protestierten Atom­kraftgegnerInnen nochmal in Brüssel, diesmal während der offiziellen Europa-Jubelfeier „Stars of EUROPE“ am Atomium, zu der die gesamte Bevölkerung eingeladen waren, so fuhren werbewirksame Großbildschirme durch Brüssel und luden alle ans Atomium ein. Dieses Wahrzeichen Brüssels - ein 102m hohen Atommodell des Eisen-Kristalls- wurde zur Weltausstellung 1958 als Symbol für das Atomzeitalter und die friedliche Nutzung der Kernenergie errichtet. Direkt unterhalb des Atomiums fand das Gratis-Popkonzert zur Feier „50 Jahre Europa“ bzw. der Römischen Verträge vor 15- 30 000 Menschen statt – die Zahlen schwankten - wirkten aber im Eigeninteresse nach oben geschätzt. Es sangen „populäre Stars“ aus den wichtigsten EU-Ländern jeweils ein Lied- Osteuropa war allerdings deutlich unter repräsentiert. So spielten die Scorpions „für Deutschland“ „Humanity“. Bei den meisten war an den Großleinwänden deutlich zu erkennen, dass sie Play Back sangen. Auch „Humanity“ wirkte nur schlecht imitiert. Axelle Red, die belgische Repräsentantin verhaspelte sich beim Versuch soziale Gerechtigkeit anzumahnen. Ansonsten gab es fast nur nichts sagende Pro Europa-Statements der MusikerInnen und durch die belgische Moderation, allerdings nicht in allen offiziellen Landessprachen, sondern nur in französisch, flämisch und englisch. Zudem wurde ein kurzer Lehrfilm zur offiziellen EU-Geschichte der Mächtigen gezeigt. Dieses Pop-event wurde angeblich EU-weit live übertragen. Die Presse war jedenfalls zahlreich auf einer extra Tribüne präsent und zahlreiche Fernsehkameras waren rund um die Bühne postiert, teilweise filmte eine mittels Telekopstab ferngesteue Kamera die „Europa-Fans“, die mit den kostenlos verteilten EU-Fähnchen am wildesten winkten. Nahe der Ehrentribüne für Prominenz aus Politik und Adel standen die Atomkraft­gegenerInnen und hielten nach dem vierten Lied drei „Atomkraft Nein Danke“ Schilder mit der Anti-Atom Sonne in mehreren Sprachen und „50 years EURATOM are enough! (50 Jahre EURATOM sind genug!) nach oben. Nach etwa 2 Minuten waren Sicher­heitskräfte durch die eng stehenden Menschen­massen zu den AktivistInnen vorgedrungen, nahmen sie fest und drängten sie gewaltsam zum Ausgang. Einige Menschen aus dem Publikum beklatschten die Anti-Atom-Aktion – ob die Presse sie zur Kenntnis nahm, ist unbekannt- bekannt ist dass die Presse in Brüssel überwiegend EU-Kritik ignoriert und auch zu der 50 Jahrfeier die offizielle Lobeshymnen wiedergab, statt die im EU-Verfassungs­vertrag vorgesehene Aufrüstungsverpflichtung, die EU-Kriegstruppen, die neoliberale Ausrichtung die über den Menschenrechten steht und Milliarden für die Atomtechnik zu thematisieren (siehe z.B.: www.imi-online.de). Die Ehrengäste konnten die Schilder gegen Atomkraft, die keine 15 m entfernt hoch gehalten wurden jedenfalls nicht übersehen. Das war auch für die nicht nachvollziehbare aber interessante Begründung der Festnahme der AktivistInnen wichtig. So hieß es von Seiten der Polizei gegenüber den Demonstrierenden als Begründung für die Festnahme: die Sicherheitskräfte wären vorm belgischen Königshaus lächerlich gemacht worden. Eine rechtliche Grundlage für die Festnahme gab es schließlich nach mehrmaligem Nachfragen: „Public disorder“. Zudem sei Kritik an Europa an diesem Tag beim Konzert und auch sonst nirgends in Brüssel erlaubt. Die Erklärung der Polizei sind zwar ohne belegbare rechtliche Grundlage. Die Polizei handelte aber offensichtlich auf Order von Oben - was ein bedenkliches Demokratie­verständnis offenbart und zeigt wie es um Grundrechte und Kritikfähigkeit in der offiziellen EU-Politik steht.
Die AktivistInnen wurden übrigens nach Feststellen der Personalien und Einzelfotografien nach ca. einer Stunde mit Auflagen wieder freigelassen.

Transparent „STOP EURATOM“ beschlagnahmt
Gegen Ende des Konzerts wurde ein Transparent weit außerhalb des Konzertbereichs auf der Rückseite des Atomiums von Aktivisten an einer Absperrung mit Blick auf die Rückseite des Atomiums kurz gehalten und als Andenken fotografiert und an­schließend wieder eingepackt. Während sie weitergingen, wurden sie plötzlich von einer aufgeregten Polizei umstellt, angehalten und das Transparent „Stop EURATOM“ wurde beschlagnahmt und bisher nicht mehr zurückgegeben. Hier hieß es, das Transparent könnte ja nochmal wo genutzt werden, was an diesem Tag untersagt sei. Die Polizei hatte den Befehl jeglichen Protest bei den Feierlichkeiten zu unterbinden – kritische Meinung darf auf keinen Fall sichtbar sein.
Bei beiden Aktion hat die Polizei sich nicht ausgewiesen und keine nachvollziehbare Rechtsgrundlagen nennen können. Das Grundrecht auf Meinungsäußerung und Demonstrationsfreiheit waren also während der Jubelfeier in ganz Brüssel ohne rechtliche Grundlage von der Polizei faktisch außer Kraft gesetzt worden. EU-kritische Äußerungen waren komplett verboten, was gerade beim Thema EURATOM erstaunlich ist, wird doch die Kritik an EURATOM von 5 EU-Regierungen geteilt, die keine Atomkraftwerke (mehr) betreiben oder aussteigen wollen . Doch ebenso undemokratisch wie der Umgang mit Kritik ist auch dieser EU-Vertrag der Atomkraft weiterhin staatlich subventioniert. „50 Jahre EURATOM sind genug“ ? Natürlich sind die 50 Jahre Atomkraftförderung durch den EURATOM-Vertrag 50 Jahre zu viel gewesen. Ohne diese Förderung wäre Atomkraft nicht so stark ausgebaut worden, nicht wirtschaftlich und die täglichen radioaktiven Emissionen und die fehlende Atommüllentsorgung auf Kosten heutiger und zukünftiger Generationen würden nicht gesetzlich abgesichert.
Das 50 jährige Bestehen des EURATOM-Vertrages und der geplante EU-Verfassungsvertrag wurden auf einem Hearing im Europa-Parlament zuvor am Donnerstag 22.3. inhaltlich ausführlich erläutert (siehe  http://de.indymedia.org/2007/03/171755.shtml ). Zum Hearing hatte der parteilose linke Europa­parlamentarier Tobias Pflüger eingeladen. In der dort vorgestellten Studie von Ursula Schönberge (AG Schacht Konrad) werden die inhaltlichen Kritikpunkte ausführlich belegt: Die Europäische Atomgemeinschaft ist unbefristet und einer der EU-Gründungs­verträge. Zweck ist die Förderung, Koordinierung und Kontrolle der nuklearen Forschung und Atomenergie­industrie der Mitgliedsstaaten. Die Ausgaben belaufen sich im aktuellen 7. Rahmen­forschungsprogramm auf insgesamt 2.751 Millionen Euro. Die Verwendung der Steuergelder erfolgt am Europaparlament vorbei und gegen den erklärten Willen der Mehrheit der EuropäerInnen. Also un­demokratische Milliardensubventionen für Forschung und Ausbau einer Risikotechnologie. Beim Hearing wurde zudem die gesamt Atomspirale vom Uranabbau bis zur Unlösbarkeit des Atommüllproblems thematisiert und die Abschaltung aller Atomanlagen, inklusive der Uran-Anreicherungsanlage gefordert. Neuen Reaktor-Generationen wie EPR (Finnland und Frankreich) und THTR (z.B. Südafrika siehe www.reaktorpleite.de) wurde eine klare Absage erteilt. Druck von unten bleibt weiterhin dringend notwendig!

Infos zum Hearing und dem Protest gegen den EURATOM-Vertrag in Brüssel am 22/23.3.:
www.tobias-pflueger.de/EURATOM/
Die gesamte EURATOM-Studie:
www.tobias-pflueger.de/material/TP-Materialien-3-Euratom.pdf
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