EU-Verfassung: das wichtigste Buch Europas

Andre M. 06.05.2005 21:19 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe
Am 29.05. wird in Frankreich über den Vertrag über eine Verfassung für Europa abgestimmt, ein "Nein" ist möglich. Viele Bürgerinitiativen haben sich entwickelt, das ganze Land diskutiert über die Verfassung. Und hier? Nichts.
Dabei ist diese Verfassung das "wichtigste Buch Europas" (taz), denn "die (EU-)Verfassung und das von den Organen der Union ... gesetzte Recht haben Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten." (Artikel I-6)

Update: Die Verfasssung wurde beim französischen Referendum zu knap 55% abgelehnt.
Kritik an Negris Ja zur EU-Verfassung | Die Gründe für das französische Non | Zwei zu Eins gegen die EU-Verfassung

Wikipedia |eu-verfassung.org |eu-verfassung.com |AG Friedensforschung an der Uni Kassel |LabourNet Germany |euverfassung.blogger.de

Werdegang der Verfassung

Der Europäische Konvent erarbeitete zwischen dem 28.02.2002 und dem 20.07.2003 den maßgeblichen Entwurf für den Verfassungsvertrag für die Europäische Union. Rechtsanwalt Bernd Häusler (Vizepräsident Rechtsanwaltskammer Berlin) beschrieb diesen Konvent als ein "Expertengremium ohne jede Legitimation." Den größten Teil der Verfassung arbeitete jedoch das "Präsidium für eine EU-Verfassung" aus, die Martin Hantke (wissenschaftlicher Mitarbeiter im europäischen Parlament, RAV) die "dunkelste aller Dunkelkammern" nannte.

Als besonderes demokratisches Mitspracherecht wurde eine Einladung an Repräsentanten der Zivilgesellschaft, selbst Vorschläge für die europäische Verfassung zu machen und sich mit einem Internet-Forum direkt an der Diskussion über neue Anträge zu beteiligen, angeboten. Eingereichte Anträge wie das Projekt Europäische Verfassung von Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), der Humanistischen Union (HU) und der Internationalen Vereinigung von Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen (IALANA) fanden jedoch absolut kein Gehör.

Die Situation in Frankreich

Anders als in der BRD, dürfen die Bürger Frankreichs am 29.05. an einem Referendum zur Verfassung teilnehmen. Dort deutet sich ein "Non" an, Prognosen und Umfragen sagen zwischen 52% und 62% der Stimmen gegen die Verfassung voraus. Bürgerinitiativen schiessen wie Pilze aus dem Boden.

Der französische Präsident Jacques Chirac sieht sich bedrängt und nennt den Vertrag eine "Tochter der Französischen Revolution". Auch die deutsche Regierung eilt zu Hilfe. Bundeskanzler Gerhard Schröder unternahm am 26.04. einen Blitzbesuch um in Frankreich für die Verfassung zu werben. Die "intellektuelle Elite" wie Günter Grass, Wolf Biermann, Jürgen Habermas, Michael Naumann und Gesine Schwan wenden sich an die französische Öffentlichkeit und schreiben, dass das Scheitern der Volksabstimmung eine "Torheit", ja sogar eine "Katastrophe" wäre. Auch die Termine der Abstimmung in Deutschland sind nicht zufällig gewählt. Am 12. und 13.05. stimmt der Bundestag darüber ab, am 27.05., also zwei Tage vor dem Referendum in Frankreich, der Bundesrat. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse gibt zu, mit diesem Termin wolle man "einen positiven Einfluss auf Frankreich nehmen." Es gibt jedoch einige geschichtliche Gründe, warum Frankreich gerade nicht macht, was Deutschland sagt.

Die Situation in Deutschland

In der deutschen Öffentlichkeit fehlt die Debatte fast gänzlich. Abstimmen dürfen die Bürger, trotz rot-grüner Wahlversprechen nach "mehr direkter Demokratie" ja eh nicht. Die Presse ist zurückhaltend, die Frankfurter Rundschau sagte Tobias Pflüger (parteiloser Abgeordneter des Europaparlaments, Mitarbeiter der Tübinger Informationsstelle Militarisierung) "unsere Leser haben eine nicht-kritische Position", deswegen werden nicht alle Artikel veröffentlicht.

Die tageszeitung widmete dem "wichtigsten Buch Europas" heute eine Titelseite. Kritik fehlt jedoch, stattdessen heisst es "[würde] sie in Kraft treten, wäre das überwiegend positiv." Auch in der Vergangenheit wurden keine kritischen Beiträge veröffentlicht, nur Kommentare (Hallo Daniela Weingärtner!). Christian Raths 10 Punkte klingen wie aus dem Mund von Schröder oder Fischer. Das er jedoch auch inhaltliche Unwahrheiten schreibt, werde ich anhand einiger Punkte der Verfassung erläutern.

Emanzipatorische Kritik

Klar ist, dass Rechte kein Interesse an einem vereinten Europa haben und ihr Konstrukt Nationalstaat verteidigen wollen. Bis auf Frankreich gibt es kaum nennenswerte Kritik an und Initiativen gegen die Verfassung von linker bzw. emanzipatorischer Seite. So haben Politiker ein leichtes Spiel, alle Kritik (wie z.B. die 20 CSU-Querdenker wie Peter Gauweiler) als "von rechts" abzutun.

In Deutschland kommt Kritik neben der jungen Welt auch von der Kampagne Europa in schlechter Verfassung, der unter anderem attac und ['solid] zustimmen. Diese Initiative tritt für ein "soziales, friedliches und demokratisches", und damit "besseres" Europa ein.

Die gestrige Podiumsdiskussion im Haus der Demokratie und Menschenrechte begann mit einer Kritik an dieser Position. So wurde der Wunsch nach einem "besseren Europa", mit dem Wunsch mancher Linker nach einem "besseren Deutschland" verglichen. Der Standpunkt war klar: es gibt kein besseres Europa! Eine deutsche oder europäische Identität grenzt immer Menschen aus, die nicht dazu gehören. So sei "old europe" gegenüber der "neuen Welt", oder das Abendland gegenüber dem Morgenland die "bessere Heimat." Zu einer Identitätsbildung gehört jedoch immer eine Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen, denen dann zwangweise auch andere Eigenschaften als der eigenen Gruppe zugeordnet werden. Da hilft noch so viel Toleranz, doch auch diese ist (ähnlich wie "positiver Rassismus") eine Form der Diskriminierung. Der Spruch "Links ist dort, wo keine Heimat ist", ist zwar ziemlich out, aber immer noch zutreffend.

Grundrechte

Christian Rath schreibt in der taz "Erstmals erhält die EU einen ausführlichen und verbindlichen Grundrechtekatalog. In 54 Artikeln - von der Würde des Menschen bis zur Unschuldsvermutung - werden die europäischen Bürger vor Machtmissbrauch der EU-Gremien geschützt." Dass wie in jeder anderen Verfassung Grund- und Bürgerrechte jedoch erst einmal garantiert werden und danach wieder eingeschränkt werden, findet keine Erwähnung. Die Charta der Grund- und Menschenrechte wurde zwar aufgenommen, gleichzeitig wurden aber auch Einschränkungen und Erläuterungen als rechtsverbindlich deklariert. Im Artikel II-112 heißt es dann: "(7) Die Erläuterungen, die als Anleitung für die Auslegung der Charta der Grundrechte verfasst wurden, sind von den Gerichten der Union und der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen." Während die Grundrechtecharta gerade mal 14 Seiten ausmachen, haben die Erläuterungen 39 Seiten. Einige Beispiele:

  • Artikel II-62 (2): "Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden."
    Artikel 2 des Protokolls Nr. 6 zur EMRK: "Ein Staat kann in seinem Recht die Todesstrafe für Taten vorsehen, die in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden"

  • Artikel II-66: "Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit."
    Erläuterung: "Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden: ... e) rechtmäßige Freiheitsentziehung mit dem Ziel, eine Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern;"

  • Artikel II-81 (1): "Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, sind verboten."
    Erläuterung: "In Absatz 1 des Artikels 21 42 hingegen wird weder eine Zuständigkeit zum Erlass von Antidiskriminierungsgesetzen in diesen Bereichen des Handelns von Mitgliedstaaten oder Privatpersonen geschaffen noch ein umfassendes Diskriminierungsverbot in diesen Bereichen festgelegt. Vielmehr behandelt er die Diskriminierung seitens der Organe und Einrichtungen der Union im Rahmen der Ausübung der ihr nach anderen Artikeln der Teile I und III der Verfassung zugewiesenen Zuständigkeiten und seitens der Mitgliedstaaten im Rahmen der Umsetzung des Unionsrechts."
    Das Verbot von Diskriminierung gilt somit nur in den Institutionen der EU.

  • Artikel II-88: "Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber oder ihre jeweiligen Organisationen haben nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten das Recht, Tarifverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und zu schließen sowie bei Interessenkonflikten kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Interessen, einschließlich Streiks, zu ergreifen."
    Erläuterung: "Die Modalitäten und Grenzen für die Durchführung von Kollektivmaßnahmen, darunter auch Streiks, werden durch die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten geregelt"
    Das heisst, grenzüberschreitende, europaweite Streiks gibt es so erstmal nicht. Zu diesem Punkt dann später bei "Neoliberalismus" noch einmal mehr.

Claudia Haydt von der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen sagte deswegen, dass die Grundrechtscharta "nur eine leere Hülle" sei.

Militarisierung

Die Verfassung führt zu einer neuen Qualität in der Militär- und Rüstungspolitik der EU: So verpflichten sich "die Mitgliedsstaaten, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern" (Artikel I-40); eine Aufrüstungsverpflichtung, die es in keiner anderen Verfassung gibt. Sie wird unterstützt durch ein neues "Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten" (Art. I-40 Abs. 3). Die Mitgliedstaaten verpflichten sich auch zu "Kampfeinsätzen als Unterstützung für Drittstaaten bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet" (Art. III-210), also etwa am Hindukusch - ein extrem weit gefasstes Mandat mit völlig offener Grenzziehung. Weiter: "Über militärische Einsätze der EU entscheidet der Ministerrat" (Art. I-40; III-205). Das EU-Parlament ist von Mitsprache und Mitentscheidung ausgeschlossen. Eine gerichtliche Kontrolle der Beschlüsse durch den Europäischen Gerichtshof ist durch die Verfassung untersagt (Art. III-282).

Diese Punkte wurden wesentlich von Deutschland, Frankreich und Großbritannien gepusht, welche die EU als militärischen "global player" sehen wollen. Christian Rath meint dazu im taz-Artikel, dass "Panzer für die EU" "die Dominanz der USA zurückdrängen" könnten. Auf eine Anfrage von Tobias Pflüger, EU-Parlament Abgeordneter im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten und im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung, ob "militärische Abrüstungsmaßnahmen" von Drittstaaten Maßnahmen wie in Mazedonien oder wie im Irak bedeuten, erhielt er die Antwort "beides." Auf seine Frage nach einer Definition von Terrorismus antwortete ein NATO-Abgesandter: "Wir brauchen keine Definition für Terrorismus, wir bekämpfen ihn." Für die Rüstung gibt es kein Haushaltsbudget, sondern einen Fonds, in den die Staaten einzahlen. Niemand sagt Pflüger jedoch, wie viel Geld da drin ist. Alles in allem sieht er diese Militarisierung als "nicht mehr reversibel." Abgeordnete der SPD haben auch erklärt, dass sie "gegen ein atomwaffenfreies Europa" sind.

Flüchtlingspolitik

Letzten August schockte Innenminister Otto Schily die deutsche Öffentlichkeit mit dem Vorschlag, "Auffanglager" für Flüchtlinge, die in die EU wollen, schon in Afrika zu errichten. Verschwiegen wurde dabei jedoch, dass dieser Vorschlag vorher schon von der britischen Regierung gemacht wurde. Auch Österreich und Litauen wollen Auffanglager für Flüchtlinge in ihre Länder schon in der Ukraine errichten.

Mehrere tausend Menschen sterben jedes Jahr an den Grenzen Europas, die "Festung Europa" bekommt mit der Verfassung eine regelrechte Mauer. Weltweit gibt es zwischen 12 und 20 Millionen Flüchtlinge, von denen 80% von katastrophalen Bedingungen wie Folter, politischer Verfolgung, Hunger, Armut und Elend in ihren Herkunftsländern fliehen und wo anders Schutz suchen. 2003 wurden in der EU jedoch nur 288.000 Anträge auf Asyl gestellt, davon 36.000 in der BRD, die niedrigste Zahl seit 1984. Diese Abschottungsolitik wird mit der "Drittstaatenregelung" noch verschärft. Danach kann sich nicht auf Asyl berufen, wer aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Da Deutschland nunmal umgeben von "sicheren Drittstaaten" ist, wurden von den 36.000 Antragstellern 25.000 sofort wieder ausgewiesen. Auch Staaten wie Libyen und die Türkei, die nachweislich Menschenrechtsverletzungen begehen, sind für die EU jetzt sichere Drittstaaten.

Auch einen Zusammenhang zwischen Militarisierung und "Flüchtlingsabwehr" gibt es. So "schützt" das österreichische Heer seit dem Kosovokrieg 1999 seine Grenzen gegen Einwanderung. In Spanien fahndet das Militär offiziell nach Terroristen, schiebt aber bei der Gelegenheit auch gleich viele Menschen, die über die Strasse von Gibraltar kommen und in Europa Schutz und ein besseres Leben suchen, ab. Viele davon werden wieder nach Marokko gebracht, mit dem die EU ein Rückübernahmeabkommen abgeschlossen hat.

Neoliberalismus

Neoliberalismus erhält mit der EU-Verfassung Verfassungsrang. Während im Grundgesetz der BRD noch alles zwischen Sozialismus und "sozialer Marktwirtschaft" offen war, ist in der EU-Verfassung gleich an drei Stellen "offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb" festgeschrieben. (III-177) Beschäftigungspolitik wird den "Grundzügen der Wirtschaftspolitik" untergeordnet (III-206, 179). Aus einem "Recht auf Arbeit" wird das "Recht zu arbeiten."

Während im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte noch die Einführung des unentgeltlichen Hochschulstudiums festgeschrieben war, wird mit der EU-Verfassung nur die Möglichkeit "unentgeltlich am Pflichtschulstudium" teilzunehmen eingeräumt, welches bekanntlich in Deutschland bis zur neunten Klasse geht. Laut Rechtsanwalt Bernd Häusler wird Bildung vermarktet.

Unternehmerische Freiheiten werden sogar mit den Menschenrechten gleichgestellt: "Keine Bestimmung dieser Konvention darf als Beschränkung oder Minderung eines der Menschenrechte und Grundfreiheiten ausgelegt werden." Dies bringt mich zum Beispiel des Streikrechts und der Bindung der Menschenrechte an EuGH-Urteile zurück. Als im Jahr 2000 französische LKW-Fahrer ihre Laster quer stellten und so streikten, wurden sie wegen der Behinderung des Rechts auf "freien Warenverkehr", eine Grundfreiheit, verklagt. Im Urteil hieß es: "Tritt eine solche Behinderung ein, so hat der betroffene Mitgliedstaat alle erforderlichen, der Situation angemessenen Maßnahmen zu treffen, um den freien Warenverkehr in seinem Gebiet nach Maßgabe des Vertrages sicherzustellen." Die unternehmerische Freiheit ging somit über das Streikrecht.

Aussicht - Plan B?

Wie geht es nun weiter mit der Verfassung? Was passiert, wenn Frankreich mit "nein" stimmt? Einen offiziellen "Plan B" gibt es nicht. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hans-Ulrich Klose ist der Meinung, dass Staaten, die die Verfassung nicht annehmen, einfach nicht (mehr) Teil der EU sein sollten. Dies könnte man eventuell mit Irland oder Dänemark machen, bei denen der Widerstand auch lauter wird. Bei den Niederlanden, die am 01.06. abstimmen, wird dies jedoch schon schwieriger, mit dem Riesen Frankreich kann man das nicht machen.

Jürgen Elsässer hält auf Telepolis eine Spaltung der Union für möglich. Ebenso sieht er auch ein Neuverhandeln der Verfassung mit Spitzenbeamten oder "das Weiterwursteln wie bisher auf der Grundlage der in Nizza im Jahre 2000 beschlossenen Verfahrensweisen in den Institutionen" als Möglichkeiten. Unsere Daniela Weingärtner sieht in der taz bei einem Scheitern "Weitermachen wie Nizza" nicht als Option. Sie ist der Meinung, Ende 2006 gibt es einen EU-Gipfel, "auf dem das Thema Notfallplan als einziger Punkt auf der Tagesordnung steht."

Was genau passiert, wenn Frankreich die Verfassung ablehnt kann niemand sagen, ausser dass sich dann Presse und Politik zwei Wochen lang überschlagen.

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Ergänzungen

ergänzungen

anon 08.05.2005 - 20:05
Die EU-Verfassung ändert die EU nur in sehr wenigen Punkten. Ihr Ziel ist es vielmehr, die EU einfacher und verständlicher zu machen, mittels eines leicht zu verstehenden Vertrages (vs. einer Masse von Texten heutzutage), mittels mehr Transparenz (siehe Reglement der Sitzungen des Ministerrates, europ. Parlamentes, etc.), mittels eines einfach zu versetehenden Grundrechtkataloges, etc. etc.

Hier einmal einige mögliche Ergänzungen:

(i)
Artikel II-81 (1):(...) Vielmehr behandelt er die Diskriminierung seitens der Organe und Einrichtungen der Union im Rahmen der Ausübung der ihr nach anderen Artikeln der Teile I und III der Verfassung zugewiesenen Zuständigkeiten und seitens der Mitgliedstaaten im Rahmen der Umsetzung des Unionsrechts."
Das Verbot von Diskriminierung gilt somit nur in den Institutionen der EU.

---> Das dürfte ja wohl klar sein. Die EU kann nur innerhalb der ihr zugestandenen Kompetenzen handeln. Der Rest der Gesetzgebung untersteht der Souveränität der Mitgliedstaaten. Also *nicht* ein Schwachpunkt der EU-Verfassung. (siehe art. I-3.5, I-6, I-11, III-115)



(ii)
Claudia Heid sagte deswegen, dass die Grundrechtscharta "nur eine leere Hülle" sei.

---> Durch diese Charta sind die EU und ihre Institutionen, Organe, etc. *erstmals* verbindlich an die Einhaltung der Menschenrechte gebunden, und durch die Verassung wird (später) auch eine externe Kontrolle geschaffen, mittels des europäischen Menschenrechtsgerichtshofes. Des weiteren wird für die EuropäerInnen ein verständlicher, transparenter und übersichtlicher Katalog ihrer Grundrechte geschaffen. Somit wird auch die Einberufung dieser Rechte erleichtert (art. II-112.3). Ausserdem können die Mitgliedstaaten diese Rechte auch auf alle Gebiete ausweiten, auch ausserhalb der Kompetenzen der EU, was einige bereits getan haben. Dies entkräftet den Kritikpunkt [Artikel II-81 (1)]


(iii)
Erläuterung: "Die Modalitäten und Grenzen für die Durchführung von Kollektivmaßnahmen, darunter auch Streiks, werden durch die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten geregelt"

Siehe Kritikpunkt (i). Die EU hat keine Kompetenz in der Streikgesetzgebung der einzelnen Mitgliedstaaten, deshalb bleibt deren Gesetzgebung bestehen. Wieder: Kein Schwachpunkt der Verfassung.


(iv)
Die Flüchtlingspolitik ändert sich nicht durch die EU-Verfassung. Ergo: Kein Schwachpunkt der Verfassung.


(v)
Die unternehmerische Freiheit ging somit über das Streikrecht.
Das ist jedoch nicht immer der Fall. Bei einem fall in Österreich wurde zu Gunsten des Streikrechts entschieden. Alles hängt von dem Kontext ab.

usw..

Augenwischerei auch beim BRD-"Grundgesetz"

Pater Rolf Hermann Lingen 10.05.2005 - 00:50
Es ist berechtigt, die Grundrechtscharta "nur eine leere Hülle" zu nennen. Allerdings kann diese Augenwischerei mit vermeintlichen "Grundrechten", die quasi im selben Atemzug, wie sie zugesprochen wurden, auch wieder aufgehoben werden, nicht überraschen.
Viele BRD-Bewohner meinen, es gäbe eine grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit, u.z. gem. Art. 5 GG. Nur heißt es in den Grundrechten aber klipp und klar (Art. 18 GG):
***********************
Wer die Freiheit der Meinungsäußerung ... zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte.
***********************
Es ist tatsächlich nur die Meinung geschützt, die von den BRD-Machthabern verordnet wird. Genau genommen wäre es sogar "verfassungswidrig", eine andere Meinung zu dulden. Insofern kann auch die ungeheuerliche Menge von BRD-Opfern, die wegen "Beleidigung", "Volksverhetzung" etc. "bestraft" werden, nicht überraschen; man liest diesbzgl. Zahlen von ca. 10.000 Menschen jährlich. Ich habe z.B. den "Prozess" gegen die "Projektwerktstatt", der hier bei indymedia ausführlich dokumentiert ist, aufmerksam verfolgt. Das Resultat, i.e. ein durch und durch ungerechtes Urteil, entspricht genau der BRD-Rechtslage.
Mit der "EU-Verfassung" findet der Schwindel der "Grundrechte" dann eben auf größerer Ebene statt. Der Vorteil: Die Machthaber bekommen noch mächtigere Werkzeuge in die Hand, um das Problem der Dissidenten zu lösen. Man informiere sich auch über den "Europäischen Haftbefehl".

Pater Rolf Hermann Lingen, römisch - katholischer Priester

ergänzungen II

anon 10.05.2005 - 16:31
Zum Inhalt der EU-Verfassung:

- Der "Europäischen Haftbefehl" hat nichts mit der EU-Verfassung zu tun, das sind zwei Paar Schuhe, bezügl. EU-Verfassung, siehe oben.


- Auch die in dem zweiten Teil der Eu-Verfassung erwähnten Grundrechte können sich nie als absolut verstehen, da eine solche Konzeption genau dann nicht mehr ihr Ziel verfolgt, wenn sie anderen schadet. Das Recht auf Besitz kann auch in einigen Fällen eingeschränkt werden, so auch die Versammlungsfreiheit, etc. *sofern* das generelle Interesse über dem Einzelinteresse liegt. Das ist für mich zB im Falle von HateSpeech klar der Fall.

Entmachtet sich am Donnerstag der Bundestag?

Dietmar Hipp 10.05.2005 - 17:40
Am Donnerstag soll der Bundestag der Europäischen Verfassung sein Ja-Wort geben. Renommierte Verfassungsrechtler warnen vor den Risiken und Nebenwirkungen einer unbedachten Entscheidung des Parlaments - und empfehlen, Bedenken konstruktiv Rechnung zu tragen.

Abstimmungen über die EU-Verfassung

Europa is in the house 11.05.2005 - 14:09
Die neue Hausordnung ist da! Aber nicht alle sind von ihr begeistert. In Frankreich regt sich Protest gegen ein Vertragswerk, das nach Ansicht der Linken vor allem dazu dient, den Neoliberalismus als Wirtschaftsform festzuschreiben und Bürgerrechte einzuschränken. Die extreme Rechte agitiert gegen einen Beitritt der Türkei, mancher deutsche Konservative wünscht sich die D-Mark zurück. Was ist los im »europäischen Haus«? Und was tut sich im linken Seitenflügel?


Einmal Europa, hin und zurück!
Die linke Kritik an Europa ist ein ratloses Umherirren. Eine soziale, friedliche und gleichzeitig weltpolitisch starke EU ist eine Fiktion. von anton landgraf
 http://jungle-world.com/seiten/2005/19/5441.php

Ausweg gesucht
Was tun, wenn die Verfassung scheitert? In der EU sucht man bereits im Stillen nach einem »Plan B« für den Fall des Falles. von korbinian frenzel, brüssel
 http://jungle-world.com/seiten/2005/19/5442.php

Die neue Hausordnung
Die CDU/CSU und die EU-Verfassung
von stefan wirner
 http://jungle-world.com/seiten/2005/19/5443.php

174 mal Wettbewerb
In Frankreich sprechen sich rechte und linke Gruppen gegen die EU-Verfassung aus. Die Regierung muss sich anstrengen, damit die Abstimmung am 29. Mai nicht mit einer Ablehnung endet. von bernhard schmid, paris
 http://jungle-world.com/seiten/2005/19/5444.php

Brauchen wir diese Verfassung?

Andre M. 11.05.2005 - 23:01
pikant:
Für die Todesstrafe gilt als Ausnahme eine Tötung: "um einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen" (Titel I-2-3-c).

ergänzungen III

anon 14.05.2005 - 05:04
Anylyse und Gedanken zum vorherigen Posting und zum Teil II der Verfassung:

(i)
--> Dieser Teil II der Verfassung ist zu loben, aus den folgenden Gründen:

- Erstmals sind *alle* Institutionen, Organe und Organismen der EU juristisch daran gebunden, sich an die Grundrechte verbindlich zu halten. Bisher gibt es nur politische Deklarationen, welche den Respekt der Grundrechte versprechen (keine juristische Kontrolle).

- Der transparente und leicht verständliche Katalog bringt die EU den BürgerInnen näher und erleichtert die Einberufung der Grundrechte, was zugleich deren Schutz erhöht.

- Erstmals wird in einer "Grundrechtecharta" die Gesamtheit der Menschenrechte aufgeführt: zivile, politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Das gab es bisher noch nie, nicht einmal in dem am höchsten entwickelten Mechanismus des Menschenrechts-Schutzes, der EMRK.

- Durch die Verfassung wird die EU Teil der EMRK, was einen wünschenswerten externen Kontrollmechanismus schafft: Europäischer Menschenrechtsgerichtshof



(ii)
"Für die Todesstrafe gilt als Ausnahme eine Tötung: "um einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen" (Titel I-2-3-c). Für Streiks und Tarifverhandlungen regeln "einzelstaatliche Rechtsvorschriften", ob "grenzüberschreitende Maßnahmen in mehreren Mitgliedsstaaten parallel durchgeführt werden können" (Titel IV-28). Und das "Recht auf Freiheit" darf "rechtmäßig" entzogen werden, wenn es um folgende Personengruppe geht: "psychisch Kranke, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtige und Landstreicher" (Titel II-6-c)."


- Wieso der grosse Aufruhr? Es ist klar, dass keine Rechte (ja, nicht mal dasjenige auf Leben) *absolut* sind, da dies dazu führen kann, da eine solche Konzeption anderen schadet. Falls das öffentliche Interesse klar überwiegt, sind Ausnahmen gerechtfertigt. Ausserdem ist "Ihre" Tötungsausnahme nichts Neues, diese Interpretation wurde direkt von den Erläuterungen der EMRK übernommen, die ja bekanntlich das am weitesten fortgeschrittene Schutzsystem der Menschenrechte ist.

- Das Streikrecht kann die EU nicht regeln, da es nationaler Kompetenz unterliegt. Also auch nichts Spektakuläres.

- Siehe bezüglich dieses Grundrechtes Anmerkungen oben.

Keine Demokratie & keine Grundrechte

anti-anon 17.05.2005 - 20:01
anon schrieb: „Der "Europäischen Haftbefehl" hat nichts mit der EU-Verfassung zu tun, das sind zwei Paar Schuhe“ und trifft damit den Nagel – ungewollt - auf den Kopf. Die Charta in Verfassung schützt nicht vor Grundrechtsverletzungen im Zuge des Europäischen Haftbefehls; auch nicht vor Grundrechtsverletzungen im Zuge anderer gesetzlicher Festlegungen welcher die EU-Organe bindend festschreiben. Die Grundrechtscharta ist schmückendes und unverbindliches Beiwerk einer verbindlichen Wirtschaftpolitik, welche nicht demokratisch legitimiert ist. Dies macht anon selbst durch die Bemerkung deutlich: „Die EU kann nur innerhalb der ihr zugestandenen Kompetenzen handeln. Der Rest der Gesetzgebung untersteht der Souveränität der Mitgliedstaaten.“ EU-Kompetenzen sind wirtschaftspolitisch orientiert, die sozialen Belange sollen national orientiert bleiben und somit aufgrund der Gesetzes-Priorität des EU-Rechts geopfert werden. Strafen gibt es für nationale Abweichungen zur neoliberalen Wirtschaftsmafia, jedoch nicht bei Grundrechtsverstößen. anon schrieb: „Erstmals sind *alle* Institutionen, Organe und Organismen der EU juristisch daran gebunden, sich an die Grundrechte verbindlich zu halten.“ Diese Bindung existiert – wenn überhaupt – nur nach Gutdüngen und immer begrenzt durch neoliberale Wirtschaftsinteressen. Denn für diese Rechtsprechung fehlt die demokratische Legitimation. Ein juristisch Gerüst existiert auch in Diktaturen. Demokratisch sind Rechte nur, wenn das System die Möglichkeit eröffnet, Grundrechtsverletzungen wirksam durchzusetzen. Es geht um reale Durchsetzungsmöglichkeiten und nicht darum was sich demokratisch nicht legitimierte Organe wie Rat, Kommission usw. sowie ein EU-Parlament ohne Gesetzesinitiative (und somit auch ohne Möglichkeit gegen Grundrechtsverletzungen vorzugehen !) als mit den Grundrechten verträglich vorstellen. Was sie sich vorstellen wissen wir: Agenda 2010, Existenzzerstörung, Verarmung, Ausgrenzung, Überwachung usw. Dies alles gibt es bereits. Die EU-Verfassung soll nur der Beseitigung von Grundrechten und Demokratie eine rechtliche Grundlage geben.

ergänzungen IV

anon 17.05.2005 - 23:35
Einige Ergeänzungen, um klassische "Mythen" zu korrigieren:


Mythos I:
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"Die Charta in Verfassung schützt nicht vor Grundrechtsverletzungen im Zuge des Europäischen Haftbefehls; auch nicht vor Grundrechtsverletzungen im Zuge anderer gesetzlicher Festlegungen welcher die EU-Organe bindend festschreiben."

Diese Ausnahmen betreffen ausschliesslich den zweiten und den dritten Pfeiler der EU. Und der Grund dafür ist nicht eine Weigerung der EU, sich einer jurisitischen Kontrolle unterzuordnen, sondern diejenige der Mitgliedstaaten, welche diese Kompetenzen nicht "kommunitarisieren" wollen. Falls also Grundrechte verletzt werden, tragen die Mitgliedstaaten die Verantwortung, da sie durch Einstimmigkeit solche Verordnungen erlassen.



Mythos II:
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"Die Grundrechtscharta ist schmückendes und unverbindliches Beiwerk einer verbindlichen Wirtschaftpolitik, welche nicht demokratisch legitimiert ist."

- Die Organe, welche die Wirtschaftspolitik festlegen sind demokratisch gewählt(Europaparlamente, Ministerrat und Kommission). Die Grundlinien in den Verträgen ebenso, welche durch jeden einzelnen Mitgliedstaat ratifiziert wurden!

- Unverbindlich ist die Charta nicht (mehr), da sie nun fixer Teil der Verfassung, und somit *obligatorisch* ist! Kann vor nationalen und EU-Gerichten einberufen werden!



Mythos III:
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"Dies macht anon selbst durch die Bemerkung deutlich: „Die EU kann nur innerhalb der ihr zugestandenen Kompetenzen handeln. Der Rest der Gesetzgebung untersteht der Souveränität der Mitgliedstaaten.“ EU-Kompetenzen sind wirtschaftspolitisch orientiert, die sozialen Belange sollen national orientiert bleiben und somit aufgrund der Gesetzes-Priorität des EU-Rechts geopfert werden."

- Das hat nichts mit Unverbindlichkeit zu tun. Es ist klar, dass die EU nur innerhalb ihrer Kompetenzen handeln kann, denn sie ist kein Staat mit souveränen Kompetenzen.

- Klar ist die EU wirtschaftsorientiert (siehe ihre Evolution von der CECA, etc: von der wirtschaftlichen Integration zur politischen). Jedoch, falls die EU in einem Gebiet keine Kompetenzen verfügt, kann sie auch keine prioritären Gesetze erlassen. Das Soziale bleibt in den Händen der Staaten, da ändert die EU-Verfassung nichts! Die EU kann keine obligatorische "neo-liberale" Sozialpolitik vorschreiben, wie du andeutest.

Subventions- und Zollpolitik sind EU-Kompetenz. Deshalb ist sie auch für die Strafen verantwortlich. Des gleiche gilt, falls Grundrechte bei der Ausübung etc. ihrer Kompetzenen verletzt werden.



Mythos IV:
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"Es geht um reale Durchsetzungsmöglichkeiten und nicht darum was sich demokratisch nicht legitimierte Organe wie Rat, Kommission usw. sowie ein EU-Parlament ohne Gesetzesinitiative (und somit auch ohne Möglichkeit gegen Grundrechtsverletzungen vorzugehen !) als mit den Grundrechten verträglich vorstellen."

- Diese Organe sind sehr wohl demokratisch legitimiert, da demokratisch gewählt!

- Rekapitulation Gewaltentrennung: Von wem kommt die Gesetzesinitiative - von der Exekutive. Wer sorgt für die Rechtssprechung - die Judikative, also der Europäische Gerichtshof. Es ist nicht Aufgabe des Parlamentes, gegen Grundrechtsverletzungen vorzugehen, indem es Gesetzt erlässt - die Einhaltung der Grundrechte überwachen der Gerichtshof, sowie alle nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten. Auch haben die EU-Institutionen Zugang zum Gerichtshof, falls was nicht konform läuft/lief.

KURZ: es ist egal, was Rat, Kommission, etc. sich als mit den Grundrechten verträglich vorstellen. Darüber urteilen wird der Europäische Gerichtshof, gemäss der Charta, gemäss der nationalen Verfassungen und der EMRK.

---> eine effektive Kontrolle ist *durchaus* gegeben, sofern man weiss wie sie funktioniert.

Ein kurzer Blick in die EU-Verfassung

Andre M. 19.05.2005 - 15:57
Die mediale Berichterstattung über die EU-Verfassung ist ähnlich homogen wie das Abstimmungsverhalten der deutschen Parlamentarier ([local] Abstimmung ohne Überraschungen). Dabei wird stets nach dem selben Muster verfahren: Man erklärt die Bedenken weiter Teile der Bevölkerung gegen die Verfassung mit deren Unkenntnis des Verfassungstextes und deutet diese Bedenken für gänzlich unbegründet - bemerkenswerter Weise allerdings ohne zu erläutern, was tatsächlich in der Verfassung steht.

Die Wahrheit hinter den Mythen

anti-anon 19.05.2005 - 22:34
Ein paar Antimythen zu anons Mythologie oben

Antimythos I:
anon schrieb: „Falls also Grundrechte verletzt werden, tragen die Mitgliedstaaten die Verantwortung“. Sicher, denn die ganze EU in jetziger Form ist nichts anders als eine Verlagerung einseitiger neoliberale Politik - besonders der großen Nationen - auf die nicht mehr demokratisch zu kontrollierende EU-Ebene. Die EU-Verfassung würde den großen Staaten wie Deutschland noch mehr Entscheidungsmacht geben. Die Grundlagen der rot-grünen Agenda wurden ja auch zuerst auf EU-Ebene (unter kräftiger Mitwirkung von Bertelsmann übrigens) entwickelt und durch Hartz-Gesetze dann in Deutschland realisiert. Die EU-Ebene ist ein hervorragender Spielplatz für Schröder (oder Merkel?), da sie im EU-Rat einzig und allein die Richtung der Politik bindend vorgeben (vgl. EU-Verfassung zu Aufgaben des EU-Rats).

Antimythos II:
anon schrieb: „Die Organe, welche die Wirtschaftspolitik festlegen sind demokratisch gewählt (Europaparlamente, Ministerrat und Kommission).“ Stimmt so nicht. Z.B. ist sind nach Grundgesetz die Bundesminister nicht gewählt, sondern vom Bundeskanzler eingesetzt (und vom Bundespräsident bestätigt). Dessen nicht gewählte Mannschaft hat nun auf EU-Ebene sogar mehr Macht als das gewählte EU-Parlament. Für einen neoliberalen Bundeskanzler ist also die EU der ideale Ort, um seine Politik unter weitgehender Ausschaltung sämtlicher demokratischer Kontrolle mit geeigneten Minister durchzusetzen.

Antimythos III:
anon schrieb: „Es ist klar, dass die EU nur innerhalb ihrer Kompetenzen handeln kann, denn sie ist kein Staat mit souveränen Kompetenzen.“ Trotzdem besitzt sie bereits seit 1964 das selbsternannte Recht bindende Vorgaben für ihre Mitgliedsstaaten zu machen.
anon schrieb weiter: „Das Soziale bleibt in den Händen der Staaten, da ändert die EU-Verfassung nichts! Die EU kann keine obligatorische "neo-liberale" Sozialpolitik vorschreiben, wie du andeutest.“ Sicher, neoliberale Politik läuft auch knallhart in Deutschland und es ist diese Politik, die über Art. 23 GG Hoheitsrechte an die EU abtritt (klar, „dort oben“ kommt ihnen das wieder zu gute). Wenn das Soziale „in den Händen der Staaten“ bleibt, wie soll sich dann eine soziale Politik gegen EU-Recht wehren können? Allerdings: Es wird früher oder später eine europäische soziale Bewegung geben, die sich sicher nicht um EU-Recht kümmert.

Antimythos IV:
anon schrieb: „Diese Organe sind sehr wohl demokratisch legitimiert, da demokratisch gewählt“. 1.Fehler: Wahlen allein machen noch keine Demokratie aus. Es kommt maßgeblich darauf an, was überhaupt gewählt werden kann. Ein machtloses EU-Parlament?
Typischer 2. Irrtum: „Von wem kommt die Gesetzesinitiative - von der Exekutive“ (anon). In einer Demokratie soll sie von der Legislative, vom gewählten Parlament, kommen.
3. Fehler: „Wer sorgt für die Rechtssprechung - die Judikative, also der Europäische Gerichtshof“ (anon). Irrtum: Die Mehrheit muss darauf Einfluss haben (nicht im Namen von Siemens, Deutsche Bank usw. sondern – na ja - „des Volkes“, was immer das auch sein soll).
Bereits nach herkömmlichen Demokratieverständnis ist:
a. die Judikative Resultat der demokratisch legitimierter Politik (und nicht Vollstrecker undemokratischer politischer Vorgaben, wie sie auf EU-Ebene ausgeheckt werden)
b. vom Primat der Grundrechte auszugehen (auch wenn die wählende u.U. Mehrheit etwas anderes will); wenn dies nur national noch möglich sein soll (vgl. oben), ist allein schon deshalb die EU undemokratisch und unsozial
c. Minderheiten schützen und gewährleisten, dass z.B. soziale Minderheiten zur künftigen Mehrheit werden können. Letzteres will die herrschende Politik gerade dadurch verhindern, in dem sie ihre Position zu ang. „Verfassungsrecht“ machen will (die „EU-Verfassung“ ist juristisch keine Verfassung, sondern ein Wirtschaftsvertrag mit völlig unklaren Bezügen zu Grundrechten).

ANTIKURZ:
Mitbestimmung (des EU-Parlaments) auf EU-Ebene ist wie im Betrieb: Sie verhindert bisher nirgends Entlassung. Beschweren darf man/frau sich laut Betriebsverfassungsgesetz auch (Petitionsrecht, Bürgerbeauftragter) – nur bringen tuts in der Regel nichts. Ist schon die repräsentative Demokratie fragwürdig, so wird eine Gesetzgebung ohne repräsentativen Einfluss zur Diktatur. Da ändert auch kein schmückendes Beiwerk „Grundrechtscharta“ etwas (diese stehen im Übrigen bereits in der Verfassung selbst in Widerspruch zum Gros der Festlegungen). Es heißt übrigens nicht zufällig offiziell: „Eine Verfassung für die Bürgerinnen und Bürger“, weil sie nicht von dieser Seite her kommt.

Alternative:
Eine demokratische Gegenverfassung erstellen, in der der Mensch vor dem Profit steht und jegliche Mitarbeit für Brüssel verweigern; wir sind nicht „die Bürgerinnen und Bürger“, welche die EU-Verfassung anspricht. Am Besten Streiks in allen EU-Ländern, denn das Recht der Reichen und deren Verfassung ist nicht das Recht der Armen. Diese Illusion besteht allerdings nicht nur bei anon noch. Positiv: Ungewollt wird der europäische Widerstand mehr zusammengeführt. Scheitert am 29. Juni in Frankreich der Verfassungsplan, stärkt dies auch hier den Widerstand und erschwert hier die Pläne der Soll-Demokraten.

Schockstarre in Brüssel

Andre M. 25.05.2005 - 14:58
Seit Wochen richten sich die Augen in Brüssel auf die französischen Nachbarn. Wenn sie am Sonntag die EU-Verfassung ablehnen, hätte das weitreichende Folgen für die gesamte Union. Die EU-Hauptstadt ist gelähmt.

Europa verliert sein Gesicht

ruffydre 01.06.2005 - 13:04
Die EU-Verfassung kann niemals im interesse der menschlichkeit sein solange die mächtigen mit ihren moralvorstellungen einen bösen, skrupellosen, machtstrebenden und sehr gemeinen :'-( diktator im geiste europas formen, welcher möchlichst nach dem finalem schachzug in seinen gelüsten strebt.
deshalb ist es im ermessen der jeweiligen regierungen dieses potential der skrupellosen böshaftigkeit zu akzeptieren und zu nutzen welche fortschreitend immer mehr aus boshaftigkeit blühen.
so wird mit der zeit eine neue definition von erfolg geschaffen:
(bose+gemein)*assi=erfolg
FIGHT THE POWERS THAT BE

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MITTELSPALTE! — bibi

Danke! — die sich informierende

In Deutschland — Dschugan Rosenberg